1.23.1 (bru3p): Vor Eintritt in die Tagesordnung: Maßnahmen zur Verhütung von Indiskretionen.

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Vor Eintritt in die Tagesordnung: Maßnahmen zur Verhütung von Indiskretionen.

Vor Eintritt in die Tagesordnung behandelte der Reichskanzler in einer Ministerbesprechung, an welcher nur die Herren Reichsminister und die die abwesenden Reichsminister vertretenden Staatssekretäre teilnahmen, die Frage der Verhütung von Indiskretionen durch die Tagespresse. Er führte etwa folgendes aus:

Die Indiskretionen hätten sich in letzter Zeit so stark gehäuft, daß die Führung der Politik kaum noch möglich sei. Z.B. habe am Donnerstag, dem 29. Oktober abends1 unter seinem Vorsitz eine Reparationsbesprechung stattgefunden, deren wesentlicher, absolut geheim zu haltender Inhalt schon wenige Stunden später in der Zeitungskorrespondenz des demokratischen Pressedienstes zu lesen gewesen sei2. Ferner sei das streng vertrauliche Ergebnis einer Ressortbesprechung im Reichswirtschaftsministerium zur Stillhaltefrage vom 30. Oktober unmittelbar hinterher der Presse bekannt geworden. Er richte daher die dringende Bitte an alle Kabinettsmitglieder, der Presse gegenüber die Beantwortung irgendwelcher Fragen über Beratungsgegenstände, die als vertraulich bezeichnet worden seien, rundweg abzulehnen. An den Reichsminister der Justiz richtete er das Ersuchen, zu überlegen, in welcher Form man in künftigen Fällen von Indiskretionen durch die Presse gegen die schuldigen Journalisten Schritte wegen Landesverrats unternehmen könne. Das Ergebnis dieser Überlegungen soll dem Reichskabinett baldigst mitgeteilt werden. Sofern die bestehenden strafrechtlichen Möglichkeiten nicht ausreichen, soll das Reichsjustizministerium prüfen, ob geeignete Vorschläge für eine Erweiterung der strafrechtlichen Vorschriften gemacht werden können3.

1

Siehe Dok. Nr. 528.

2

Der Demokratische Zeitungsdienst vom 3.11.31 hatte berichtet, daß Botschafter v. Hoesch instruiert worden sei, dem frz. MinPräs. Laval die dt. Vorschläge zu den Stillhalteverhandlungen (s. Anm. 13) vorzutragen (R 43 I /1971 , Bl. 158–159).

3

Vgl. dazu Anm. 11.

Der Reichskanzler führte weiter aus, daß sich auch ausländische Journalisten an der systematischen Beunruhigung der Öffentlichkeit durch Indiskretionen beteiligt hätten. Der Amerikanische Botschafter Sackett habe sich kürzlich bei ihm darüber beklagt, daß das „Berliner Tageblatt“ Teile aus einem Gespräch wiedergegeben habe, das zwischen ihm und Sackett geführt worden sei4. Das „Berliner Tageblatt“ verdanke seine Kenntnis offenbar einer Indiskretion eines ausländischen Journalisten. Ganz besonders warnen müsse er in diesem Zusammenhang vor dem hiesigen Vertreter der amerikanischen Presse, Herrn Kuh5. Kuh stehe nach zuverlässigen Mitteilungen im Verdacht, der Chef einer ausländischen Werkspionage-Organisation zu sein. Er betreibe eine bewußte Politik zur Schaffung einer Verwirrung[1904] in Deutschland. Darum müsse von den Ressortchefs in geeigneter Weise Anweisung ergehen, daß man gegenüber Kuh größte Zurückhaltung beobachte.

4

Am 30.10.31 hatten der RK und Botschafter Sackett bei einem Frühstück die bevorstehende Reise des amerik. Geschäftsträgers Gordon nach Washington besprochen. Im Gegensatz zum RK vermutete Botschafter Sackett in der Rkei das „Informations-Leck“ (Aufzeichnung des Vortr.LegR Fuehr vom 2.11.31, R 43 I /1971 , Bl. 154–156).

5

Frederic Kuh, Vertreter von United Press, war am 23.8.31 vom RK zu einer Unterredung empfangen worden (Tagesnotizen im Nachl. Pünder  Nr. 43, Bl. 76).

Der Reichskanzler brachte die Sprache sodann auf die Indiskretionen der Presse, die im Zusammenhang mit seiner Reise nach Westdeutschland vorgekommen seien6. Die Presse habe berichtet, daß er sich zu der Reise nach Westdeutschland nur deshalb entschlossen habe, weil führende Männer der Industrie des Ruhrgebiets ihn hätten wissen lassen, daß sie vor dem finanziellen Zusammenbruch ständen und daher mit ihm zu verhandeln wünschten7. Er bitte, diesen falschen Gerüchten nachdrücklichst entgegenzutreten. Im übrigen müsse er die Herren Reichsminister ersuchen, gegenüber allen Journalisten, auch solchen der eigenen Partei, bei der Auskunfterteilung über politische Fragen größte Zurückhaltung zu beobachten. Man müsse im Kabinett zu einheitlichen Richtlinien bezüglich der Sprachregelung über die wesentlichen politischen Fragen kommen und dürfe Auskünfte an die Presse in wesentlichen Fragen nur noch nach Rücksprache mit ihm erteilen8.

6

Am 18.10.31 war der RK zu einem achttägigen Erholungsurlaub nach Köln abgereist (Tagesnotizen im Nachl. Pünder , Nr. 43, Bl. 8).

7

Dagegen Brünings Darstellung über die Lage der Ruhrindustrie in seinen Memoiren, S. 442–443.

8

Vgl. zu diesen Richtlinien Dok. Nr. 539.

Der Reichsminister der Finanzen erklärte, daß er den Ausführungen des Reichskanzlers durchaus zustimme. Er habe sich schon in den letzten Wochen aus eigenem Antriebe hinsichtlich der Besprechungen mit Journalisten größte Zurückhaltung auferlegt. Insbesondere habe er mit Herrn Reiner von der Vossischen Zeitung, der er ja nahestehe, nicht mehr gesprochen9. Ebenso habe er auch den Leiter des Demokratischen Pressedienstes, Herrn Brammer10, seit langer Zeit nicht mehr gesehen. Er werde prüfen lassen, ob die Staatspartei die Möglichkeit habe, auf Herrn Brammer parteiamtlich einzuwirken. Auch Herrn Kuh habe er seit Monaten nicht mehr empfangen.

9

Nach StS Schäffers Tagebucheintrag vom 1.11.31 hatte der RFM die „Vossische Zeitung“ über den dt. Stillhalteplan informiert (IfZ, ED 93, Bd. 15, Bl. 966).

10

Karl Brammer, Herausgeber und Chefredakteur des „Demokratischen Zeitungsdienstes“, der von der Dt. Staatspartei finanziert wurde (Nachl. Dietrich  Nr. 252, S. 155).

Der Reichsminister der Justiz erklärte sich bereit, im Sinne der Wünsche des Herrn Reichskanzlers nachprüfen zu lassen, ob zur Verhütung von Indiskretionen durch die Presse eine Erweiterung der strafrechtlichen Vorschriften über den Landesverrat notwendig ist. Das Ergebnis der Prüfung wird er dem Reichskabinett binnen kurzem unterbreiten11.

11

Am 10.11.31 ging in der Rkei eine Aufzeichnung des RJMin über den „Verrat von Nachrichten aus dem Gebiete des Wirtschaftslebens“ ein. Die Aufzeichnung bejahte die Möglichkeit, den § 92 Nr. 1 StGB über militärischen und diplomatischen Landesverrat auf wirtschaftlichen Landesverrat auszudehnen, „sofern nur die Geheimhaltung solcher Nachrichten nicht lediglich für Privatinteressen der Wirtschaft, sondern für das Wohl des Reichs selbst geboten ist, und wenn außerdem das Bedürfnis nach Geheimhaltung nicht nur privaten Kreisen, sondern gerade fremden Regierungen gegenüber besteht.“ Das Reichsgericht habe bereits während des Ruhrkampfes 1923 Nachrichten über die dt. Kohlebewirtschaftung für geheimhaltungsbedürftig erklärt (Aufzeichnung mit undatiertem Anschreiben des RJM in R 43 I /1971 , Bl. 150–152). Zur weiteren Behandlung dieser Frage im Rkab. siehe Dok. Nr. 555, P. 2.

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