1.203 (bru3p): Nr. 717 Niederschrift des Staatssekretärs Pünder über das SA-Verbot vom 13. April 1932

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[2437] Nr. 717
Niederschrift des Staatssekretärs Pünder über das SA-Verbot vom 13. April 1932

Nachl. Pünder, Nr. 154, Bl. 25–31, Durchschrift1

1

Das Dok., von Pünder am 30.5.32 abgezeichnet, ist auch abgedruckt in Schulz, Staat und NSDAP, Dok. Nr. 71.

In den letzten Tagen vor der Reichspräsidentenwahl fanden bei Exzellenz Groener als dem zuständigen Reichsminister des Innern und Reichswehrminister die vorbereitenden Besprechungen über das in Aussicht genommene Verbot der SA statt. Reichskanzler Dr. Brüning war bis zum Wahlsonntag, dem 10. April vormittags, auf Wahlreise von Berlin abwesend. Exzellenz Groener hatte am Dienstag, dem 5. April, Besprechungen mit einigen Innenministern der deutschen Länder und am 6. April interne Ressortbesprechungen zwischen Innerem, Wehr, Justiz, Büro des Reichspräsidenten und Reichskanzlei. Reichskanzler Dr. Brüning berichtete ich über diese vorbereitenden Verhandlungen nach Hamburg in einem Brief vom 6. April2, nachdem mir kurz vorher Staatssekretär Zweigert im Auftrage von Exzellenz Groener das anliegende Original des Verordnungsentwurfs persönlich überbracht hatte3. Am Freitag, dem 8. April, hatte ich in der Angelegenheit ein längeres Telephongespräch mit General von Schleicher, der mich dieserhalb eigens anrief. Er sagte mir hierbei, daß auch nach seiner Auffassung jetzt der psychologische Augenblick gekommen sei. Er hätte ja immer gesagt, daß man den richtigen Augenblick abwarten müsse. Erfreulicherweise hätte man die erforderliche Geduld nun auch tatsächlich aufgebracht. Infolgedessen sei jetzt der Schlag völliger Auflösung nicht schwer. Was bewiesen werden mußte, sei jetzt bewiesen. Die guten Sachen müßten natürlich übergeleitet werden. Aber das ginge erst später. Im Augenblick müsse jetzt zugeschlagen werden, und zwar gleich in der nächsten Woche nach der Präsidentenwahl. In diesem Sinne hätte er eben auch noch Exzellenz Groener Vortrag gehalten, der völlig mit ihm übereinstimme.

2

Vgl. Dok. Nr. 710.

3

Beigefügt ist die Abschrift des NotVoEntw. (Nachl. Pünder , Nr. 154, Bl. 32–33).

Am folgenden Sonnabend, dem 9. April, fragte mich Exzellenz Groener, ob wohl auch der Herr Reichskanzler einverstanden wäre, was ich ihm angesichts der völlig übereinstimmenden Haltung aller beteiligten Stellen durchaus bejahte. Daraufhin hielt Exzellenz Groener an diesem Sonnabend dem Herrn Reichspräsidenten bereits einen vorbereitenden Vortrag, wobei auch dieser sich völlig einverstanden erklärte, was auch hinterher Staatssekretär Dr. Meissner bestätigte4. Exzellenz Groener bat mich, aufgrund dieses seines Vortrags, beim Herrn Reichspräsidenten dem Herrn Reichskanzler bei seiner Ankunft in Berlin am folgenden Wahlsonntag über den bisherigen Stand der Dinge zu berichten und ihm eine vertrauliche enge Ministerbesprechung gleich für den Sonntag nachmittag vorzuschlagen, was ich Exzellenz Groener zusagte.

4

Vgl. Dok. Nr. 716, Anm. 3.

[2438] Am Sonnabend nachmittag rief General von Schleicher nochmals in der Reichskanzlei an (nicht bei mir, sondern bei Oberregierungsrat Planck) und teilte ihm mit, daß die Sache nun doch wohl etwas anders laufen müsse, indem man den Nazis zunächst eine Art Ultimatum stellen werde. Die Auflösungsnotverordnung werde wohl noch nicht gleich kommen5. Diese – wohl mehr private – Mitteilung stand im Widerspruch zu dem, was mir wenige Stunden vorher offiziell der zuständige Minister, Exzellenz Groener, mitgeteilt hatte und dementsprechend berichtete ich dem Herrn Reichskanzler am folgenden Morgen, nach Rückkehr nach Berlin über den Stand der Angelegenheit.

5

Vgl. Dok. Nr. 714, Anm. 8.

Die von Exzellenz Groener erbetene vertrauliche Ministerbesprechung im engsten Kreise fand an diesem Wahlsonntag, dem 10. April, nachmittags um 5 Uhr in der Bibliothek der Reichskanzler-Wohnung statt. Außer Reichskanzler Dr. Brüning nahmen die Reichsminister Exzellenz Groener und Reichsjustizminister Dr. Joël, die Staatssekretäre Dr. Meissner, Zweigert und Dr. Pünder und Generalleutnant von Schleicher teil. Hierbei verlas Exzellenz Groener den anliegend im Original beigefügten Brief vom gleichen Tage, den er an den Herrn Reichskanzler gerichtet hatte6.

6

Vgl. Dok. Nr. 714.

An die Verlesung dieses Briefes schloß sich eine längere Aussprache an, in der zunächst Staatssekretär Dr. Meissner bemerkte, daß an sich der Herr Reichspräsident mit dem Vorgehen durchaus einverstanden sei, aber doch zu erwägen bitte, ob nicht zuvor ein klares und scharfes Ultimatum von etwa einer Woche besser wäre; der Herr Reichspräsident habe einige Sorge wegen der zu erwartenden Angriffe gegen ihn.

Diesen Gedanken griff alsdann General von Schleicher stark auf und propagierte ein den Nazis zu stellendes Ultimatum mit dem Ziele der Umstellung der SA, was ihnen zweifellos sehr unangenehm sein werde, dann hätte man den Herrn Reichspräsidenten aus der Sache heraus, da den ultimativen Brief der Reichsminister des Innern schreiben könne7. Man müsse eben überlegen, was den Nazis angenehmer und was ihnen unangenehmer wäre. Zweifellos sei ihnen der von Exzellenz Groener vorgeschlagene Weg sofortiger Zerschlagung der weit angenehmere, da sie sich gegen eine solche Regierungsmaßnahme gewissermaßen als unschuldige Märtyrer auflehnen könnten. Die Nazis seien dann ihrer Fürsorgepflicht für die heimatlos gewordenen Mitglieder der SA überhoben, könnten agitieren mit den angeblich auf die Straße geworfenen Leuten und so weiter. Demgegenüber sei der von ihm vorgeschlagene Weg eines Ultimatums der bessere und im Hinblick auf die erforderliche Bekämpfung der Nazis der weitaus gemeinere.

7

Vgl. auch Dok. Nr. 714, Anm. 8.

General von Schleicher verlas darauf den Entwurf eines solchen Ultimatums.

Reichsjustizminister Dr. Joël äußerte gegen letzteren Entwurf stärkste Bedenken und belegte diese hauptsächlich mit staatsrechtlichen Gründen. Insbesondere wies er darauf hin, daß Hitler in gar keiner Weise verpflichtet sei, auf einen solchen Brief irgend etwas zu unternehmen. Er könne ihn sogar geradezu hohnlächelnd zurückschicken.

[2439] Nachdem Reichsminister Groener in Ergänzung seines verlesenen Briefes nochmals betont hatte, daß nach seiner Auffassung jetzt nur eine Kapitulation vor der SA oder ein sofortiges scharfes Zufassen in Betracht komme, äußerte sich auch Reichskanzler Dr. Brüning dahin, daß er für sofortiges Vorgehen sei und belegte dies mit vielerlei Beispielen aus der jüngsten Vergangenheit und seinen Beobachtungen während seiner langen Wahlreise8. Schließlich machte Reichsjustizminister Dr. Joël noch einen Vermittlungsvorschlag dahin, daß das Ultimatum nicht auf Umstellung der SA hinausgehen solle, sondern die Aufforderung zu eigener völliger Auflösung binnen drei Tagen enthalten solle; wenn die dreitägige Frist abgelaufen sei, solle die Notverordnung kommen. Minister Joël fügte hinzu, daß er diesen Mittelweg selber nicht für gut fände, sondern persönlich weit mehr für sofortiges Zufassen sei. General von Schleicher schwankte zeitweilig etwas, war dann aber auch gegen den Vermittlungsvorschlag Joël und hielt dann noch den radikaleren Weg von Exzellenz Groener für den besseren. Abschließend wurde verabredet, daß die gleichen sieben Herren am folgenden Tage, Montag, dem 11. April, am selben Orte 12 Uhr mittags erneut zusammenkommen sollten, nachdem zuvor durch den Reichskanzler und Exzellenz Groener die Angelegenheit erneut mit dem Herrn Reichspräsidenten durchgesprochen sei.

8

Vgl. auch die Äußerungen des RK in Dok. Nr. 716.

Dementsprechend fand am folgenden Morgen um ½ 12 Uhr ein Vortrag der beiden Herren beim Herrn Reichspräsidenten statt. Nach Mitteilung der beiden Reichskabinettsmitglieder zeigte sich der Herr Reichspräsident fest entschlossen zu der radikaleren Lösung von Exzellenz Groener, und zwar mit dem Termin am kommenden Mittwoch abend; er wolle zuvor noch ein gutes Presse-Kommuniqué vorgelegt bekommen. Dementsprechend berichteten Reichskanzler Dr. Brüning und Exzellenz Groener anschließend in der vorgesehenen erneuten Ministerbesprechung in der Bibliothek. An dieser Besprechung nahm General von Schleicher nicht teil. Staatssekretär Dr. Meissner teilte mit, daß General von Schleicher ihn soeben angerufen und gesagt habe, daß er sich desinteressiert erkläre. Er habe gestern seine Auffassung, die der seines Herrn Ministers nicht völlig entspreche, dargelegt und habe dies heute morgen dem Herrn Minister gegenüber erneut getan; eine Teilnahme an der heutigen angesetzten Besprechung halte er daher für zwecklos. Exzellenz Groener erklärte, daß er auf die Herbeirufung von General von Schleicher keinen Wert lege, da er tatsächlich dessen Auffassung klar kenne. Die Ministerbesprechung fand dann zu sechsen ihren Fortgang, und zwar legten sich die drei anwesenden Kabinettsmitglieder, Reichskanzler Dr. Brüning, Exzellenz Groener und Reichsminister Dr. Joël auf den Vorschlag von Exzellenz Groener hinsichtlich einer sofortigen Notverordnung und Aufhebung fest. Als Termin wurde der übernächste Tag, Mittwoch abend, festgelegt.

Einige Tage nach dieser Ministerbesprechung teilte mir Staatssekretär Dr. Meissner im Auftrage des Herrn Reichspräsidenten mit, daß nun doch noch ein neuer Vortrag von Reichskanzler Dr. Brüning und Exzellenz Groener beim Herrn Reichspräsidenten notwendig sei, da dem Herrn Reichspräsidenten aufgrund von inzwischen stattgehabter Fühlungnahme mit General von Schleicher starke Bedenken[2440] gekommen seien. Der Herr Reichspräsident habe ihm eben mitgeteilt, daß er die Notverordnung vor den Preußenwahlen doch wohl nicht erlassen könne. Vielleicht könne er noch dem Vermittlungsvorschlag Joël zustimmen. Auf alle Fälle wünsche der Herr Reichspräsident zuvor einen kurzen Vortrag, den wir für den folgenden Dienstag, den 12. April, nachmittags 5 Uhr verabredeten. Aufgrund dieses Vortrages von Reichskanzler Dr. Brüning und Exzellenz Groener erklärte sich der Herr Reichspräsident am Dienstag nachmittag doch mit dem Vorschlag des Letzteren durchaus einverstanden und erklärte seinen Willen dahin, die Auflösungsnotverordnung am folgenden Mittwoch nachmittag zu unterzeichnen9.

9

Vgl. hierzu Brüning, Memoiren, S. 543–544.

Am Mittwoch, dem 13. April, 3½ Uhr nachmittags fand eine Ministerbesprechung unter Teilnahme sämtlicher Kabinettsmitglieder statt, in der Exzellenz Groener über seine Erwägungen und die vorangegangenen Erörterungen eingehend berichtete. Sämtliche Reichsminister erklärten sich mit dem Vorschlag von Exzellenz Groener einverstanden, welche Einmütigkeit des Kabinetts von dem Herrn Reichskanzler noch besonders hervorgehoben wurde. Die Unterschrift des Herrn Reichspräsidenten unter die Notverordnung erfolgte dann zwei Stunden darauf, um 5 Uhr nachmittags10.

10

Siehe Dok. Nr. 716.

Im unmittelbaren Anschluß daran fand eine Besprechung der Innenminister der deutschen Länder bei Exzellenz Groener statt, wo dieser die Entschließungen von Reichspräsident und Reichsregierung bekanntgab und die sofortige Durchführung in die Wege leitete.

Für die Niederschrift

Pünder

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