2.222 (cun1p): Nr. 222 Der Reichswirtschaftsminister an den Reichskanzler. 23. Juli 1923

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Das Kabinett Cuno Wilhelm Cuno Bild 183-1982-0092-007Französischer Posten Bild 183-R43432Posten an der Grenze des besetzten Gebietes Bild 102-09903Käuferschlange vor Lebensmittelgeschäft Bild 146-1971-109-42

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[652] Nr. 222
Der Reichswirtschaftsminister an den Reichskanzler. 23. Juli 1923

R 43 I /2446 , Bl. 45-48 Umdruck1

1

Von Cuno, Hamm und Wever abgezeichnet.

[Betrifft: Wirtschaftliche Lage]

Die gegenwärtige Notlage der Wirtschaft drängt mich, meine Ansicht über die Lage im nachfolgenden darzulegen. Ich darf vorausschicken, daß die Schwierigkeiten, auf die ich seinerzeit im Kabinett hinwies, als ich der Einführung des Einheitskurses widerriet2, durch die seither eingetretene Entwicklung bei weitem übertroffen worden sind. Ich will damit keineswegs einen Vergleich herausfordern mit dem, was etwa ohne Einheitskurs sich ereignet hätte, will aber doch den gegenwärtigen, nicht lange mehr haltbaren Zustand kurz schildern.

2

Vgl. Dok. Nr. 200.

Während der Kurs der Mark in Berlin nach dem Ermessen der Reichsbank festgesetzt wird, hat sich der Kurs an den Auslandsbörsen auf dem normalen Weg von Angebot und Nachfrage um 20 bis 50% niedriger eingestellt. Dies hat zunächst alle Devisen vom Angebot auf dem deutschen Markt vertrieben, die der Besitzer auf dem Auslandsmarkt absetzen kann oder mindestens nicht auf dem Inlandsmarkt abzusetzen braucht, dazu aber im Ausland starkes Mißtrauen gegen die deutsche Wirtschaft hervorgerufen, da man den deutschen Kurs naturgemäß als nicht objektiv, sondern mehr nach Willkür zustandegekommen ansieht. Endlich sind Schiebungen von billig im Inland zugeteilten Devisen nach den höheren Kursen notierenden Auslandsbörsen nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern sicherlich auch tatsächlich vorgekommen3. Obgleich es nun Sinn des Einheitskurses ist, daß sich nach ihm wenigstens die Inlandsverhältnisse, insbesondere das Preisniveau im Inlande richten sollen, hat sich nunmehr ganz offensichtlich die innere Wirtschaft auf den Auslandskurs als den maßgeblichen eingestellt. Die Preise im Inlande, insbesondere zunächst für die Einfuhrgüter, gehen nicht nur über das Weltmarktpreisniveau, gemessen am Berliner Kurs, hinaus, sie erreichen nicht nur das Weltmarktniveau umgerechnet über den Auslandskurs, sondern sie gehen noch vielfach nicht[653] unwesentlich darüber hinaus. Die Erklärung dafür liegt in dem Unsicherheitsmoment und in der Unsicherheit, ob der Kaufmann überhaupt Devisen für die Einfuhr bekommt, in welchen Zeitabständen und zu welchem Kurs sie ihm zugeteilt werden; für alle diese Risiken macht er einen besonderen Zuschlag. Die Getreidepreise z. B. haben diese Entwicklung genommen; die Metallbörse hat die Notierungen eingestellt, weil sie keinen allgemein gültigen Umrechnungsmaßstab mehr findet. Der Warenbesitzer auch von Inlandswaren hält mit dem Verkauf zurück, solange nicht der über das Ausland umgerechnete Weltmarktpreis der Waren erzielt wird. Es ist offensichtlich in der ganzen Wirtschaft eine Niederhaltung der Preise nicht erzielt worden, es hat sich vielmehr eine Umstellung der Preisberechnung auf der Grundlage des über den Auslandskurs berechneten Weltmarktpreises eingestellt, und damit ist ein wesentliches Ziel der Einheitskursverordnung verfehlt.

3

In ähnlicher Weise hatte der RWiM die Auswirkungen der Devisenverordnung bereits am 12. 7. in einem Schreiben an StS Hamm dargestellt: „Der große Unterschied aber, der durch die künstlichen Stützungsmaßnahmen der Rbk zwischen dem Devisenkurse im In- und Auslande besteht, treibt die Devisen künstlich ins Ausland und hält die dort vorhandenen auch dort fest, reizt ferner zu Schiebungen schlimmster Art und zur Arbitrage gegen die Mark vom Ausland aus an und nimmt außerdem der deutschen Wirtschaft und den deutschen Behörden im Ausland den letzten Rest ihres Ansehens, da man die künstliche Niedrighaltung des Kurses für einen direkten Betrug ansieht.“ (R 43 I /2445 , Bl. 279). RAM v. Rosenberg hatte lt. Vermerk Hamms vom 21. 7. dazu folgenden Standpunkt eingenommen: „Er hält Überwindung der Spanne zwischen Auslands- und Inlandskurs aus außenpolitischen Gründen für notwendig. Wir müssen wieder zu einem anständigen und wahren Kurs; wir müssen dem ein Ende machen, daß man im Ausland uns nachsagt, mit Reichsbankmitteln würde bei uns im Inland Bereicherung aus dem Devisenhandel genährt. Außenpolitisch würde ein Emporgehen des Dollarkurses nicht ungünstig sein, wenn es begleitet ist von Fortdauer der Abwehr an Ruhr und Rhein.“ (R 43 I /2435 , Bl. 335).

Die Devisenzuteilung in nur geringen Prozenten macht es zunächst schwierig, bereits abgeschlossene Verträge glatt abzuwickeln und raubt damit dem deutschen Importeur einen Teil des Vertrauens, das er sich nach dem Kriege mühsam wieder erworben hat4. Kreditschwierigkeiten müssen sich daraus naturnotwendig ergeben. Neue Waren im Auslande zu kaufen, ist bei scharfen Repartierungen naturgemäß außerordentlich schwierig, da eine genaue Kalkulation des An- wie des Verkaufspreises kaum möglich ist. Auch die Annahme von Bestellungen für das Ausland in solchen Artikeln, zu deren Herstellung Auslandsrohstoffe nötig sind, muß bei solchen Beschaffungsschwierigkeiten ins Stocken geraten, obgleich solche Auslandsaufträge zur Verbesserung unserer Devisenlage durch Ausfuhr deutscher Arbeit besonders erwünscht sind. Die scharfen Repartierungen haben aber auch bereits zu einer Stockung der notwendigen Einfuhr geführt. Auf den verschiedensten Gebieten, insbesondere bei Lebensmitteln und wichtigen industriellen Rohstoffen werden die schwersten Befürchtungen geäußert, ob es noch für wenige Wochen möglich sei, den Inlandsbedarf zu decken. Da tatsächlich das Maß der zugeteilten Devisen (täglich 10–15 Millionen Goldmark) nicht unbeträchtlich ist, da aber anderseits die Devisen nicht ohne weiteres in diejenigen Hände kommen, die sie am nötigsten haben, so scheint mir hier ein auf unzulänglicher Verteilung des vorhandenen Devisenmaterials beruhender tatsächlicher Mangel in vielen Einzelzweigen der Wirtschaft vorzuliegen, der theoretisch bei idealer Zuteilung vielleicht vermeidbar wäre. Es ist dies die aus der Kriegswirtschaft bekannte Erscheinung5.

4

Den Vorwurf zu geringer Devisenzuteilungen hatte die Rbk in einer Besprechung unter Vorsitz des RWiM am 13. 7. zurückgewiesen: „Die Herren Vertreter der Rbk weisen mit Entrüstung die Vorwürfe, die in den letzten Tagen gegen die Rbk erhoben worden sind, zurück. Anhand umfangreichen Zahlenmaterials weisen sie nach, daß die Klagen, die erhoben worden sind, im allgemeinen nicht zu Recht bestehen. Der Wirtschaft sind auch in den letzten Tagen annähernd soviel Devisen zur Verfügung gestellt worden wie vor Beginn der Stützungsaktion. Die großen Repartierungen sind im wesentlichen nur deshalb erforderlich, weil alle ohne Ausnahme ihren Bedarf zu hoch anmelden, und zwar so hoch, daß selbst bei einer Zuteilung von nur 4% ein normaler Bedarf gedeckt wird. Am 12. 7. haben die Bedarfsmeldungen 225 Mio GM überstiegen.“ (Vermerk Graevells in R 43 I /2445 , Bl. 281).

5

Mit Schreiben vom 14. 7. hatte der RWiM dem Rbk-Direktorium dazu erklärt: „Die Zahl der bei mir vorliegenden Hinweise auf stockende Einfuhr, die in kurzem zu Lebensmittelmangel einerseits und Betriebseinschränkungen andererseits führen müssen, ist außerordentlich groß. Ich muß daher die dringende Bitte an die Rbk richten, bei ihren Zuteilungen den Grad der Dringlichkeit aufs stärkste zu berücksichtigen. Das hierüber mit meinem Ressort und dem REMin. für das Lebensmittelgebiet in Aussicht genommene Verfahren der konzentrierten Anmeldung einzelner Gruppen von Lebensmittelinteressenten und die bevorzugte Zuteilung scheint mir vor der Hand eine geeignete Grundlage zu bieten. Ich muß mir jedoch vorbehalten, auch für andere Einfuhrgebiete, von denen das Weiterlaufen der Wirtschaft abhängt, entsprechende Einzelvorschläge zu machen.“ (R 43 I /2446 , Bl. 10-13, hier: Bl. 102). Die Frage der unzureichenden Lebensmitteleinfuhren war auch im Schreiben Beckers an StS Hamm vom 12. 7. sowie in der Besprechung vom 13. 7. angeschnitten worden (R 43 I /2445 , Bl. 279, 281). Mit Schreiben vom 19. 7. hatte der REM den RbkPräs. dringend ersucht, die Devisen für unbedingt notwendige Lebensmitteleinfuhren voll zuzuteilen (R 43 I /2446 , Bl. 35-38).

[654] Neben der objektiv nicht zureichenden bzw. ungünstig verteilten Einfuhr trägt nun aber zu den Schwierigkeiten im Innern bei der Drang jedes einzelnen, die erworbenen Goldwerte in Einfuhrwaren nur gegen volles Äquivalent – das regelmäßig nicht in der Papiermark erblickt wird – abzugeben. Der Umsatz im Warenverkehr des Inlandes ist in äußerst bedenkliche Stockung geraten. Die Verkäufer geben nicht mehr ab, da die Wiederauffüllung der Läger ihnen nicht leicht möglich erscheint und weil sie mit den großen Papiermarksummen, die sie in diesen Wochen von den Abnehmern für frühere Lieferungen erhalten haben, nicht wieder entsprechend Devisen oder neue Waren erwerben können. Diese Stockungen im Warenverkehr müssen natürlich sehr bald Betriebseinschränkungen wegen Mangel an einzelnem Material zur Folge haben. Es zeigt sich bereits jetzt, daß vielfach Detailgeschäfte bis auf geringe Restbestände leergekauft sind und keine neue Ware hereinkommt. Auf dem Lebensmittelgebiet insbesondere kann dies sehr schnell zu Unruhen der Bevölkerung führen.

Der Export allerdings dürfte noch verhältnismäßig gut laufen, wenngleich man den Ausfall vom besetzten Gebiet mit berücksichtigen muß; aber der Export gibt nicht mehr in früherem Maße die erworbenen Devisen in die Wirtschaft. Zwar läuft die Pflichtdevisenablieferung aus dem Export mit einem Anfall von täglich 2 – 3 Millionen Goldmark noch weiter, wenn sie auch gegen früher zurückgegangen ist, aber darüber hinaus angefallene Devisen sucht der Exporteur, solange es irgend geht, zurückzuhalten. Er kann nach der Einheitskurs-Verordnung nur den Berliner Kurs vergütet bekommen und sagt sich, daß er damit weit unter Wert verkaufen würde. Die Folge ist ein Einfrieren der vorhandenen Devisen bei den Stellen, die sie gerade besitzen, da jede Abgabe, die den Gesetzen gemäß ist, entsprechend dem Einheitskurse zu Verlusten führt, nachdem sich die Preise in der Wirtschaft über den Einheitskurs hinweggesetzt haben.

Zu diesen verschiedenen wirtschaftlichen Stockungen

1. Stockung der Einfuhr,

2. Stockung des Inlandsumsatzes von Waren,

3. Betriebsstockung,

4. Stockung des inländischen Zahlungsverkehrs,

5. Stockung der Devisenabgabe kommt nun weiter

6. eine technische Stockung im Devisenhandel, die auf einer durch die übermäßigen Anforderungen und die Konzentrierung in Berlin herbeigeführten Überlastung der Banken beruht. Die Banken haben bereits in letzter Woche am Mittwoch [18. 7.] und Sonnabend Devisen nicht notiert und erklären, daß[655] sie künftig an mehr als 3 Tagen der Woche nicht notieren könnten, da sie mit ihren Kräften physisch am Ende seien. Ich habe im Verein mit dem Preußischen Staatskommissar an der Berliner Börse hiergegen naheliegende ernste Bedenken geltend gemacht, weiß aber im Augenblick nicht, ob die Banken denselben zu entsprechen sich in der Lage sehen6.

6

Am 14. 7. hatte der RWiM dem Rbk-Direktorium erklärt: „Die gegebene Anregung, daß die Banken künftig nur an drei Tagen der Woche Devisennotierungen vornehmen, erscheint mir völlig abwegig. Es ist ganz ausgeschlossen, daß sich die wirtschaftlichen Kreise dabei beruhigen können, daß wegen technischer Überlastung der Banken nun Devisen-Ruhetage eingeführt werden können. […] Ich bitte, mit mir mit allem Nachdruck dafür einzutreten, daß bei dieser ungeheuer wichtigen wirtschaftlichen Frage nicht die banktechnischen Gesichtspunkte vor den wirtschaftlichen berücksichtigt werden.“ (R 43 I /2445 , gefunden in R 43 I /2446 , Bl. 10-13, hier: Bl. 12).

Die hier geschilderten Verhältnisse haben zu vielfachen illoyalen Praktiken einzelner Wirtschaftskreise geführt. So wird bei den Devisenanforderungen weit über den Bedarf angemeldet, weil man nur mit der geringen Zuteilung rechnet7. Es werden weiter größere Einfuhrabschlüsse gemacht als unbedingt nötig, um darauf Devisenanforderungen zu stützen. Solche Einfuhrwaren werden auch, nachdem sie mit zugeteilten Devisen erworben worden sind, im Auslande wieder verkauft, ohne daß die Devisen in die deutsche Wirtschaft zurückgeleitet werden. Daß anderseits sich niemand ohne Zwang gegenwärtig von Devisen, die er bereits besitzt, trennt, ist bereits gesagt.

7

Vgl. Anm. 4. Lt. Mitteilung des Rbk-Direktoriums vom 20. 7. wurden am 19. 7. Devisenkaufanträge in Höhe von 400 Mio GM = ca. 20 Billionen Mark an die Börse gegeben. „Es ist klar, daß der angemeldete enorme Betrag über den effektiven Devisenbedarf weit hinausgeht und zum allergrößten Teil auf Konzertzeichnungen zwecks Erzielung eines höheren Repartitionsergebnisses beruht.“ (R 43 I /2446 , Bl. 41 f.).

Zur Abhilfe bei einem derartigen Zustande der Wirtschaft, der im kurzen zur Katastrophe zu führen droht, habe ich in folgender Richtung Maßnahmen ergriffen.

1. Ich habe auf die Reichsbank eingewirkt, den Berliner Kurs der Devisen näher an die Auslandsnotierung heranzusetzen, d. h. zu erhöhen, verhehle mir allerdings nicht, daß der Auslandskurs auch dem gestiegenen Berliner Kurs wieder davonlaufen wird. Immerhin dürfte bei gestiegenem Kurs zunächst eine relative Geldverknappung eintreten, da die Notenpresse erst etwas langsamer nachkommt. Diese Geldverknappung dürfte aber auf Einschränkung der Anforderungen hinwirken.

2. Die Reichsbank hat nach Beratung der zuständigen Ressorts die Anforderungen von Devisen bei den Banken vom Vorhandensein entsprechender Bardeckung abhängig gemacht, was in den letzten Tagen anscheinend schon zu einer gewissen Zurückschraubung der Anmeldungen geführt hat8.

8

Diese Maßnahme war von StS Schroeder und MinR Kempner bereits in der Sitzung des Rbk-Kuratoriums vom 29. 6. angeregt worden (R 43 I /632 ,  125-162, hier:  160). Die Rbk teilte ihre neuen Maßnahmen zur Einschränkung der Überanmeldungen von Devisen am 20. 7. dem RK mit (R 43 I /2446 , Bl. 41 f., hier: Bl. 42).

3. Es ist dahin gewirkt worden, daß die lebensnotwendigen Einfuhren, insbesondere diejenigen an Lebensmitteln, bevorzugt bedacht werden; es wird auch darauf hingearbeitet, bei einzelnen Industriegruppen die Devisenanforderungen zentral zusammenzufassen, um die Überanmeldungen vorher auszuschalten. Es ist allerdings fraglich, ob dies zum Erfolge führt, da es schlechterdings[656] kaum möglich ist, von außen her das Notwendige vom Überflüssigen in der ganzen Wirtschaft zu scheiden, wenn man nicht wieder zu voller Zwangswirtschaft kommen will.

4. Ich werde ferner in den Ausführungsbestimmungen zur Valutaspekulationsverordnung noch einige Verbesserungen bringen, insbesondere zwecks Sicherung der Kontrolle voraussichtlich ein Devisenverkehrsbuch in den einzelnen Betrieben, in denen Devisenumsätze erfolgen, vorschreiben9.

9

Derartige Verbesserungen bringt die „Zweite Änderung der Ausführungsbestimmungen zur Valutaspekulationsverordnung“ vom 24.7.23 (RGBl. I, S. 748  f.).

5. Ich bin mir klar, daß diese Mittel dem Übel noch nicht an die Wurzel gehen. In vollem Maße ist dies bei der damaligen Lage der Reparationsfrage [und] unserer Handelsbilanz nicht möglich. Immerhin habe ich als eine schnell wirksame Notmaßnahme zwecks Behebung der Waren- und Zahlungsstockung im Wege der Ausnahme gestattet, daß die Devisen, die in der Wirtschaft vorhanden sind, unter gewissen Voraussetzungen zur Bezahlung von Einfuhrwaren verwandt werden. Dadurch dürfte eine Mobilisierung nutzloser Devisenbestände im Interesse der Einfuhr erreicht und eine gewisse Entlastung der Reichsbank von Devisenanforderungen erzielt werden. Das Nähere ergibt das beigefügte Rundschreiben an die Spitzenverbände10.

10

Rundschreiben vom 20. 7. an den RdI, den Deutschen Industrie- und Handelstag, den Zentralverband des Deutschen Großhandels und die Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels (R 43 I /2446 , Bl. 55 f.).

Als stark wirksames Mittel wird man bei der gegenwärtigen Lage nur eine weitgehende Erfassung der Exportdevisen ansehen können. Ich sehe mich aber außerstande, diese Erfassung auf dem bisherigen Wege gegen Papiermarkgutschrift durchzuführen; denn ich sehe voraus, daß in diesem Falle das entgegenstehende Einzelinteresse an der Zurückhaltung der Devisen sich als das stärkere gegenüber staatlichen Eingriffen erweisen würde. Man müßte daher an eine Erfassung der Devisen gegen eine Goldgutschrift bei der Reichsbank denken, über die dann zur Leistung von Zahlungen im Inlandsverkehr durch Goldscheck verfügt werden könnte. Im Verfolg dieser Maßnahmen würde auch die Papiermarkwechseldiskontierung der Reichsbank eingeschränkt werden müssen zu Gunsten einer Goldwechseldiskontierung. Das Nähere bitte ich aus dem hier beigefügten Referentenentwurf zu ersehen11, der in einzelnen Punkten änderungsbedürftig sein wird, der aber doch in einer Vorbesprechung mit Reichsbank und Reichsfinanzministerium auch von der Reichsbank – wie das bei dem grundsätzlich ablehnenden Standpunkt der Reichsbank gegenüber dem allgemeinen Goldkreditverkehr zunächst möglich schien – keineswegs von vornherein abgelehnt worden ist12; es wird darüber in diesen Tagen näher verhandelt werden.

11

Der Referentenvorschlag vom 17. 7. behandelt in elf Punkten die einzelnen Bestimmungen zur Einrichtung und Führung von Goldkonten bei der Rbk (R 43 I /2446 , Bl. 49-54).

12

Die Einrichtung von Goldkonten war vom RWiMin. und den zentralen Wirtschaftsverbänden seit Monaten gefordert worden, war aber auf den entschiedenen Widerstand der Rbk und der Großbanken und auch des RFMin. gestoßen. Bereits am 20. 4. hatte der RWiM dem RK vorgeschlagen, „daß ein eigens für den Geldverkehr des Reichs in Betracht kommendes Institut – in erster Linie die Devisenbeschaffungsstelle – zur Einräumung von Goldkonten ermächtigt wird, d. h. Papiermark auf der Grundlage des jeweiligen Kurses von Gold bzw. Pfund oder Dollar entgegennimmt und den äquivalenten Betrag in Gold bzw. Valuta schuldet, so daß die in Papiermark erfolgende Rückzahlung sich auch wieder nach dem Kurse richtet.“ Dazu hatte der RWiM abschließend erklärt: „Ich betone aufs stärkste, daß nur ein brauchbarer Devisenersatz, der innerhalb der deutschen Wirtschaft geschaffen wird, Handel und Industrie und auch Privatkapitalisten auf die Dauer davon abbringen kann, Devisen, die nicht zur Zahlung an das Ausland, sondern zur Werterhaltung verwendet werden, herzugeben. Ich kann mir von den übrigen, gegenwärtig in Erwägung gezogenen und beschlossenen Maßnahmen zur Stützung der Mark einen Erfolg nur versprechen, wenn sie in Verbindung mit der Einrichtung von Goldkonten erfolgen.“ (R 43 I /2435 , Bl. 170). Zu den Bedenken der Banken s. Anm. 6 zu Dok. Nr. 200. Dem Vorschlag des RWiM vom 20. 4. stimmt das RFMin. in seiner Antwort vom 13. 7. zwar grundsätzlich zu, bringt dann aber zahlreiche Bedenken vor, hält insbesondere die Mitwirkung der Rbk für nötig. „Das Reich würde keinesfalls in der Lage sein, durch die Devisenbeschaffungsstelle oder eine andere Stelle die Einrichtung von Goldkonten zu übernehmen, da die sich hieraus möglicherweise ergebende finanzielle Belastung seine Leistungsfähigkeit übersteigen könnte. Im Falle von Liquiditätsschwierigkeiten würde sich übrigens auch eine Reichsstelle nur durch Rückgriff auf eigene Devisenbestände oder auf die Rbk vermittels Diskontierung von Schatzanweisungen helfen können. […] Die Schwierigkeiten liegen eben in der Störung des Gleichgewichts zwischen den Bedürfnissen der deutschen Volkswirtschaft und ihren Grundlagen durch den Vertrag von Versailles, die dadurch hervorgerufene Passivität der deutschen Zahlungsbilanz und in dem Mißverhältnis zwischen Staatseinnahmen und Staatsausgaben.“ (R 43 I /2435 , Bl. 328 f.). Am 10. 7. hatte der RK den RWiM gebeten, „im Einvernehmen mit dem RFMin. insbesondere auch die Frage der wertbeständigen Anlagemittel zum Gegenstand der Erörterung zu machen. Über die außerordentlichen Schwierigkeiten dieser Frage besteht wohl Übereinstimmung. Durch die Erörterungen im Untersuchungsausschuß des RT wie in Äußerungen von Parteiführern aber ist sie nun ganz besonders in den Vordergrund gerückt. Als Teilfrage wäre aus ihr meines Erachtens herauszuheben, wie für die öffentlichen Gehalts- und Lohnempfänger da, wo Gehalts- und Lohnzahlung auf längere Zeit erfolgt, eine Wertsicherung ermöglicht und damit dem Ansturm auf Effekten und Devisen entgegengewirkt werden kann. Die gleiche Frage tritt für private Gehalts- und Lohnempfänger hervor. Im Zusammenhang damit steht die Frage, ob nicht zu besorgen ist, daß die Landwirte Bedenken tragen werden, im Herbst Erntevorräte ohne Wertsicherung des Kaufpreises abzugeben.“ (R 43 I /2435 , Bl. 287 f.). Der Sachverständigenausschuß (s. Anm. 6 zu Dok. Nr. 200) unter Vorsitz des RWiM lehnte am 19. 7. wiederum die allgemeine Einführung von Goldkonten ab: „Die Frage der Goldkonten wurde verschieden beurteilt; die Mehrheit sprach sich aber gegen eine allgemeine Einführung aus. Zu erwägen ist, ob nicht für bestimmte Fälle die Einrichtung vorgesehen werden kann, z. B. für den Fall der Ablieferung von Exportdevisen. Diese Goldkonten eröffneten dann auch die Möglichkeit der Diskontierung wertbeständiger Handelswechsel.“ (R 43 I /2445 , Bl. 285). Lt. Vermerk Wiensteins vom 17. 7. hielt der RFM an der Auffassung fest, „daß, solange die Reparationsfrage nicht endgültig in der Weise gelöst ist, daß die deutsche Zahlungsverpflichtung im Rahmen der wirklichen deutschen Leistungsfähigkeit festgesetzt wird, es nicht möglich ist, die Handels- und Zahlungsbilanz Deutschlands aktiv zu gestalten. Solange aber dies nicht erreicht ist, würde jede neue als Ersatz der Papiermark geschaffene Währung alsbald neuer Entwertung unterliegen.“ (R 43 I /2435 , Bl. 326).

[657] Als weiteres Mittel kommt eine wertbeständige Reichsanleihe in Betracht. Ich habe Bedenken, ob bei der rechtlichen Lage aufgrund des Vertrages von Versailles hier den Zeichnern die notwendige Sicherheit gegeben werden kann und ob der Zeichnungserfolg gesichert werden könnte. Eine Gutsage der Reichsbank für die Anleihe scheint nach der Haltung der Reichsbank nicht in Betracht zu kommen. Diese Anleihe würde freilich das Risiko der Wertbeständigkeit allein auf das Reich legen, während bei dem vorhin angedeuteten Plane das Risiko auf die Wirtschaft umgelegt wird durch die Goldkredite13. Ich vermag aber auch bei vollem Erfolg der Reichsanleihe eine grundsätzliche Änderung und Besserung der Verhältnisse nicht zu erhoffen, wenn nicht gleichzeitig in der Richtung des Goldkreditverkehrs in der Wirtschaft entscheidende Schritte[658] getan werden. Hierzu darf ich mich im einzelnen auf frühere Ausführungen berufen.

13

Von MinR Wever am Rande mit einem Fragezeichen versehen. Tatsächlich argumentieren die Banken gegen die Pläne des RWiM mit dem Hinweis, daß dann das Risiko einseitig bei den Banken, nicht bei der Wirtschaft, liegen würde.

Der Einrichtung einer Devisenzentrale stehen die vielfach erörterten technischen Schwierigkeiten entgegen. Die Vorprüfung der Devisenanforderungen, der wesentliche materielle Zweck einer Zentrale, wäre an sich auch beim jetzigen Zustand möglich; vielleicht gelingt es der Reichsbank, bei ihren örtlichen Hauptstellen eine materielle Vorprüfung zu organisieren.

Eine Möglichkeit des Eingriffes würde sich theoretisch noch auf der Einfuhrseite der Wirtschaft bieten. Auf dem Gebiete der Luxuseinfuhr ist allerdings im wesentlichen bereits alles getan, was getan werden könnte, wobei ich auf meine früheren Darlegungen verweisen darf14. Auf dem Gebiete der Einfuhr von Rohstoffen und Lebensmitteln ist sicherlich eine Einschränkung an gewissen Stellen, die sich übermäßig versorgen, möglich, aber auch hier dürfte das individuelle Interesse der Anlage des Vermögens in Sachwerten oder Devisen kaum zu unterdrücken sein durch andere Maßnahmen, solange nicht anstelle der Papiermark auch hier eine wertbeständige Anlage geboten werden kann. Zusammenfassend muß ich sagen, daß ich die Lage als außerordentlich bedenklich ansehe, wenn sie auch durch die oben angegebenen Maßnahmen für gewisse Zeit noch gemildert werden kann. Dazu wäre freilich auch die Verminderung der Inflation durch Vermehrung der Reichseinnahmen auf wertbeständigere Grundlage unbedingt nötig. Ich gestatte mir daher die dringende Bitte, daß auch auf diesem Gebiet diejenigen Schritte getan werden möchten, die eine Entspannung der wirtschaftlichen Lage herbeizuführen geeignet sind.

14

Am 9. 6. hatte das RWiMin. eine Denkschrift „Einfuhrpolitik und Möglichkeit sowie Folgen weiterer Einfuhrbeschränkungen“ vorgelegt, die Becker am 4. 7. StS Hamm übersandt hatte. Als Schranken für eine weitere Drosselung der Einfuhr von Kaffee, Wein, Tabak und Südfrüchten führt die Denkschrift an: „1. Die mangelnde Beherrschung der Westgrenze infolge der Besetzung, 2. die Bindungen des Vertrags von Versailles (Einfuhrkontingente), 3. die wirtschaftliche Abhängigkeit von anderen Ländern, 4. der Bedarf für Exportzwecke.“ (R 43 I /2435 , Bl. 276-285, hier: Bl. 280f.).

Dr. Becker

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