2.21.1 (feh1p): [Durchführung der Entwaffnung]

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[Durchführung der Entwaffnung]

Der Reichsminister des Innern gab der Auffassung Ausdruck, daß die Durchführung der Entwaffnung2 von Reichs wegen erfolgen solle, und zwar auf der Grundlage eines zu erlassenden Gesetzes. Die Aktion solle provinzweise vorgenommen werden. Stellung jeweils unter Sonderrecht, jedes Haus müsse durchsucht werden; außerdem müsse dem betreffenden Kommissar die Befugnis zur zeugeneidlichen Vernehmung gegeben werden. Die einzelne Provinz müsse dicht mit Sicherheitswehr und Reichswehr usw. belegt werden. Hand in Hand müsse ein Aufruf ergehen zugunsten desjenigen, der die Waffen bringe. Nach Ablauf von etwa 3 Wochen müsse derjenige eine Belohnung empfangen, der den Besitz von Waffen nachweise. Die Prämie könnte evtl. fallend gestaffelt werden. Ferner müßten außerordentliche Gerichte eingesetzt und strenge Strafen angedroht werden auch für diejenigen, welche die Abgabe sabotierten bzw. zur Sabotage aufforderten. In der ganzen Provinz müßten Anschläge verbreitet werden; außerdem müsse dem Kommissar ein Beirat aus den verschiedenen Parteien zur Seite gestellt werden.

2

Es ging hier um die Entwaffnung der Zivilbevölkerung auf Grund des Entwaffnungsprotokolls der Konferenz von Spa. Danach sollte die RReg. unverzüglich eine Bekanntmachung erlassen, in der die sofortige Ablieferung aller in den Händen der Zivilbevölkerung befindlichen Waffen gefordert wurde. Bei einer Weigerung sollten wirksame Strafen angedroht werden. Wenn die gesetzlichen Vollmachten der RReg. zur Durchführung dieser Bekanntmachung nicht ausreichen sollten, so sollten unverzüglich gesetzgeberische Maßnahmen ergriffen werden, um die RReg. mit den notwendigen Befugnissen auszustatten. Zum Entwaffnungsprotokoll von Spa s. RT-Drucks. Nr. 187, Bd. 363 , Anlage 7.

[54] General v. Seeckt schlug vor, einen nachdrücklichen Aufruf vom Reichspräsidenten an das Volk ergehen zu lassen unter Hinweis auf den Druck der Entente. Der Aufruf müsse so gefaßt werden, daß er an das Gewissen des einzelnen schlage. Ferner sei er für den Erlaß eines Gesetzes und für Einsetzung besonderer Gerichte. Im übrigen war er der Auffassung, daß man die Durchführung in die Hände der Reichswehr legen solle.

Der Reichsminister des Innern war demgegenüber der Ansicht, daß die Durchführung durch eine militärische Organisation nicht möglich sei.

Staatssekretär Albert stellte fest, daß Einigkeit darüber bestünde, daß die Angelegenheit von Reichs wegen aufzuziehen sei und nicht etwa den Ländern überlassen werden könnte. Er unterstrich den Vorschlag des Generals von Seeckt, durch einen Aufruf und eine energische Propaganda (etwa durch die Reichszentrale für Heimatdienst) bis in das letzte Haus zur Abgabe der Waffen aufzufordern. Er war ferner der Auffassung, daß die Abgabe im ganzen Reiche zu gleicher Zeit erfolgen solle, da sonst der Verschiebung von Waffen aus der einen in die andere Provinz Tür und Tor geöffnet würde. Zweifelhaft sei, ob das Militär oder Zivil die Sache durchführen solle. Er würde glauben, daß beide miteinander zu vereinen sein würden und daß man zunächst durch einen Zivilkommissar zur Abgabe auffordern lassen müsse, im Hintergrund müsse dann das Militär stehen. Zu prüfen wäre noch, wer die Spitze der Organisation sein solle, das Militär oder das Zivil.

Der Reichsverkehrsminister warnte die Reichswehr im eigenen Interesse, sich dieser Aufgabe zu unterziehen. Militärisch sei seiner Auffassung nach die Sache nicht zu machen. Auch er hätte dies seinerzeit in Kiew versucht, aber ohne Erfolg3. Ferner sei er der Auffassung, daß man nicht provinzweise, sondern gleichzeitig in ganz Deutschland zur Waffenabgabe auffordern müsse. Heraus würden wir die Waffen nur bekommen, wenn die breitesten Massen des Volkes hier mitarbeiten würden. Bis in die Gemeinden herunter müsse man Ausschüsse bilden, die man so zusammensetzen müsse, daß auch die Arbeiterschaft mitwirke. Diese Ausschüsse müßten dann verantwortlich für die Abgabe der Waffen gemacht werden.

3

Groener war im Februar 1918 zum Führer des I. Armeekorps im Osten ernannt worden. Zu seinen Aufgaben hatte es gehört, in die von den Bolschewisten besetzte Ukraine einzurücken und die bolschewistischen Truppen zu entwaffnen (W. Groener, Lebenserinnerungen, hrsg. von Friedr. Frhr. Hiller von Gaertringen, Göttingen 1957, S. 389).

General v. Seeckt erwiderte, daß er an sich kein Interesse daran habe, die Reichswehr mit dieser undankbaren Aufgabe zu befassen, es handle sich hier aber um die Ausführung und Durchführung des Friedensvertrags, und zwar müßten abgeliefert werden 2 700 000 Gewehre. Von diesen seien rd. 1 900 000 Stück in unberufener Hand, rd. 600 000 hätten die Einwohnerwehren, 155 000 die Reichswehr. Die Abgabe müsse sofort in die Wege geleitet werden. Am 1. September müsse geprüft werden, ob die Abgabe normal fortschreite. Es komme darauf an, daß die militärischen Stellen nachweisen, daß am 1. September so und so viel Gewehre abgegeben seien. Sicherheitswehr, Einwohnerwehr und Reichswehr müßten zusammenarbeiten. Er habe keinen Wunsch, mit[55] der Reichswehr selbst zuzufassen, aber ohne die Arbeit des Militärs sei die Abgabe unausführbar. Er wolle nur darauf hinweisen, daß die Hälfte der in unberufener Hand befindlichen Gewehre sich in Händen von Rechts befinde, die wohl einer militärischen Stelle, nicht aber einem Zivilkommissar die Waffen übergeben würden. Auch wenn Machtmittel angewendet werden müßten, könne dies nur durch das Militär erfolgen. Endlich habe nur das Militär bereits eine Organisation im ganzen Reiche. Wollte man die Neuorganisation wieder aufbauen, so würde man auf Schwierigkeiten bei den einzelnen Ländern stoßen, die Bildung der Organisation auch so lange dauern, daß die Einhaltung der Fristen von vornherein nicht möglich sein würde. Selbstverständlich müsse sich das Heer mit den Zivilstellen in Verbindung setzen. Die Entente würde es aber als einen Mangel an Energie ansehen, wenn nicht das Militär mit allem Nachdruck die Angelegenheit betriebe. Appell an den Patriotismus, strenge Strafen, Geldbelohnung und eine scharfe Kontrolle an den Brennpunkten seien erforderlich.

Staatssekretär Albert empfahl, alle Mittel einzusetzen. Was die Frage der Spitze anlange, so hätten ihn die Ausführungen des Generals v. Seeckt überzeugt, daß die Spitze militärisch sein müsse. Dies schlösse nicht aus, daß, falls die Leitung in die einzelnen Wehrkreiskommandos verlegt würde, zunächst die Zivilbehörden mit der Durchführung betraut würden unter Oberleitung des Wehrkreiskommandeurs; nachdem alle Zivilmittel erschöpft seien, müßten die militärischen eingesetzt werden. Ein bestimmtes Prinzip solle man hierin nicht aufstellen, sondern je nach den örtlichen Verhältnissen entweder gleich militärisch oder erst bei ungenügender Abgabe die Sache militärisch aufziehen; außerdem sei die loyale Mitarbeit der Landesbehörden erforderlich.

Der Reichsminister des Innern hielt die Durchführung sowohl parlamentarisch wie auch politisch für untragbar, wenn zuerst das Militär die Angelegenheit betreibe.

Der Reichswehrminister äußerte sich über den Erfolg der Aktion pessimistisch. Es komme hier in der Hauptsache auf den Erfolg an, der nur erzielt werden könne, wenn man sich einer Organisation bediene, die als Reichsorganisation bis in die letzte Spitze durchgebildet sei. Eine solche Organisation habe man zur Zeit nur in der Reichswehr.

Der Reichsverkehrsminister führte aus, daß man alles tun müsse, was nur geschehen könne, um seine Loyalität zu beweisen. Das Reichsministerium des Innern sollte an die Spitze der Aktion gestellt werden; für die freiwillige Abgabe sollte eine kurze Frist und eine Belohnung zugesichert werden. Nach Ablauf dieser Frist sollte jede Gemeinde und jedes Haus oder jeder Ort, wo Waffen gefunden würden, mit hohen Strafen belegt werden. Sondergerichte sollten für schnelle Aburteilung sorgen. Wo Waffen nicht abgegeben werden sollten, müßte Militär eingreifen, sonst sollte man es möglichst aus dem Spiele lassen, um die Kluft zwischen Reichswehr und Bevölkerung nicht noch zu verbreitern.

Staatssekretär Albert stellte fest, daß man sich über die einzelnen Maßnahmen schnell verständigen würde. Die einzige grundsätzliche Frage, über die man sich vorweg verständigen müsse, sei die, ob der Reichswehrminister[56] oder der Reichsminister des Innern die Aktion durchführen solle. Er sei der Überzeugung, daß nur der Reichswehrminister die Angelegenheit durchführen könne, sonst würden auch die Länder nicht dazu zu bekommen sein, die Gewalten auf Reichsbeamte zu übertragen.

Der Reichsminister des Innern betonte nochmals, daß die militärische Durchführung unmöglich sei; schon der Reichstag würde sich damit nicht einverstanden erklären. Eventuell könne man die Ablieferung durch die Landesfinanzämter ausführen lassen.

Der Reichswehrminister wies noch gegenüber den Ausführungen des Reichsverkehrsministers darauf hin, daß man, da man nicht in Feindesland sei, nicht jedes Haus bzw. nicht jede Gemeinde wegen des Vorhandenseins von Waffen nach den Ablieferungsfristen bestrafen könne.

Es wurde beschlossen, die Besprechung heute abzubrechen und sie sofort nach der Rückkehr des Reichskanzlers wieder aufzunehmen, da für die ganze weitere Behandlung auch den Ländern gegenüber die Entscheidung der Frage, ob der Reichswehrminister oder der Reichsminister des Innern die Angelegenheit durchführen solle, von grundlegender Bedeutung sei4.

4

Nach einem Vortrag des nach Spa zurückgekehrten StS Albert über die Chefbesprechung in Berlin sprach sich das Kabinett am 14. 7. in Spa dafür aus, die Durchführung der Entwaffnung der Zivilbevölkerung dem RIMin. zu übertragen. Siehe dazu Dok. Nr. 23, P. I.

Die endgültige Entscheidung über die Ausführung der Entwaffnung fiel dann auf der Ministerratssitzung vom 20.7.1920. Siehe dazu Dok. Nr. 29, P. 5.

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