2.159.1 (ma31p): Innenpolitische Lage.

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Die Kabinette Marx III und IVDas Kabinett Marx IV Bild 146-2004-0143Chamberlain, Vandervelde, Briand und Stresemann Bild 102-08491Stresemann an den Völkerbund Bild 102-03141Groener und Geßler Bild 102-05351

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Innenpolitische Lage.

Der Reichskanzler unterrichtete das Kabinett über die Mitteilungen, die ihm Vertreter der Sozialdemokratischen Partei gestern abend (15. Dezember) gemacht hätten. Die Herren hätten ihm erklärt, daß ein Mißtrauensvotum in der Fraktion nur mit Mühe zu vermeiden gewesen sei. Besonderes Mißtrauen hege die Fraktion gegen den Reichswehrminister. Diesem Mißtrauen solle auch Ausdruck verliehen werden. Er (der Reichskanzler) habe darauf hingewiesen, wie die Situation sich gestalten solle, wenn vielleicht die Rechte gegen ein Mißtrauensvotum der Sozialdemokratie stimme. Vor allem verlange die Sozialdemokratie einen sofortigen Rücktritt der Reichsregierung, bevor Verhandlungen über die Bildung der Großen Koalition einsetzten1. Nach seiner (des Reichskanzlers) Ansicht sei diesem Verlangen nicht stattzugeben.

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Am Abend des 15.12.26 war die SPD-Fraktion davon unterrichtet worden, daß sich die RReg. und sämtliche Regierungsparteien für die Aufnahme von Verhandlungen über die Bildung der Großen Koalition ausgesprochen hätten. Nach längerer Beratung hatte die Fraktion beschlossen: „Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion ist zu Verhandlungen über die Bildung einer Regierung der Großen Koalition bereit. Sie ist aber der Auffassung, daß hierzu der Rücktritt der Reichsregierung erforderlich ist.“ Zu diesem Beschluß teilte der „Vorwärts“ erläuternd mit: „Eine Regierung der Großen Koalition kann nicht geschaffen werden, ohne daß grundsätzlich alle Portefeuilles neu besetzt werden. Das schließt natürlich nicht aus, daß der eine oder der andere Minister bei der Neubildung der Regierung wieder in sein Amt zurückkehrt. Aber nur nach dem Rücktritt kann eine Neukonstruktion erfolgen, während es sonst dabei bleiben würde, einige Flicken aufzusetzen. Das ist der technische Grund für den Beschluß der Fraktion, er hat aber auch politische Gründe. Die Tätigkeit der Regierung in einzelnen Ressorts war nicht so und das Verhalten einer der hinter ihr stehenden Parteien war nicht so, daß die Sozialdemokratie in diese Regierung eintreten könnte. […] Eben wegen jener Taten war in der Fraktion eine starke Strömung dafür, gegen die Gesamtregierung ohne weiteres einen Mißtrauensantrag einzubringen. […] Die Mehrheit aber beschloß, von einem Mißtrauensantrag zunächst abzusehen und der Regierung den Gedanken eines freiwilligen Rücktritts nahezulegen. […] Sollte die Regierung sich den Gründen der sozialdemokratischen Fraktion verschließen und nicht zurücktreten, so würde der Versuch notwendig werden, durch eine Abstimmung im Reichstag für die Neubildung der Regierung freie Bahn zu schaffen. Im einzelnen ist noch zu sagen, daß das Mißtrauen der Sozialdemokratie gegen Geßler durch wie immer geartetete Erklärungen nicht mehr beseitigt oder beschwichtigt werden kann. Sollten sich die Parteien der Mitte mit der Sozialdemokratie über die notwendigen Reformen bei der Reichswehr einigen, so wird der Mann, der diese Reformen durchzuführen hat, noch zu finden sein.“ (Vorwärts, Morgenausgabe vom 16. 12.).

Der Reichsminister des Innern erklärte die Haltung der Sozialdemokratischen Partei für unglaublich. Daß Verschleppungen der Verhandlungen über die Bildung der Großen Koalition nicht möglich seien, wie die Sozialdemokraten vielleicht befürchteten, habe er gestern abend (15. Dezember) der Sozialdemokratie ausdrücklich erklärt.

[460] Staatssekretär Dr. Meissner führte aus, daß der Reichspräsident in den Bestrebungen, den Reichswehrminister Dr. Geßler zu entfernen, einen Anschlag gegen die Reichswehr erblicke. Im übrigen sei der Reichspräsident der Auffassung, daß die Initiative zur Regierungsbildung nicht in den Reichstag gelegt werden dürfe. Nach der Auffassung des Reichspräsidenten wolle die Sozialdemokratie eine Verschiebung der Zuständigkeiten in dieser Richtung anstreben.

Der Reichsminister des Auswärtigen betonte, daß natürlich Parteien das Recht hätten, einen Minister zu stürzen. Im übrigen sei es für das Reichskabinett unmöglich, dem Verlangen der Sozialdemokraten auf sofortigen Rücktritt nachzugeben. Man müsse es auf die Abstimmung ankommen lassen.

Die übrigen Minister vertraten dieselbe Auffassung.

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