2.79 (vsc1p): Nr. 79 Tagebuchaufzeichnung des Reichsfinanzministers über Vorgänge in Berlin am 29. und 30. Januar 1933 und die Bildung des Kabinetts Hitler

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[320] Nr. 79
Tagebuchaufzeichnung des Reichsfinanzministers über Vorgänge in Berlin am 29. und 30. Januar 1933 und die Bildung des Kabinetts Hitler1

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Tagebucheintrag vom 5.2.1933. Darauf gestützte, z. T. kommentierende Darstellung der Ereignisse bei Lutz Graf Schwerin v. Krosigk: Staatsbankrott. S. 166 ff.

IfZ, ZS/A–20, Bd. 4, Bl. 14–162

2

Quellenkundliche Hinweise dazu in Dok. Nr. 77, Anm. 2.

Am Sonntag, den 29., rief mich Papen an und teilte mir mit, daß die Verhandlungen über die „große“ Lösung wohl zu einem Erfolg führen würden3. Das wurde mir nachmittags durch Zarden bestätigt, der auf dem Reitturnier den Staatssekretär Meissner getroffen und von ihm die mir von Papen genannte Liste als so gut wie sicher erfahren hatte. Zum Abendbrot war Kurt Plettenberg bei mir, der mir erzählte, daß Schleicher und Hammerstein weiter der Ansicht seien, daß der alte Herr geistig nicht mehr im Vollbesitz seiner Kräfte sei, und daß sie daher eine möglichst baldige Präsidentenkrise für nötig hielten4.[321] Als Hammerstein sich beim Präsidenten für Schleicher eingesetzt hätte5, habe er gar nicht über die politische Lage gesprochen, sondern den Chef nur wegen seiner Manöverleitung getadelt und ihm geraten, die vor 40 Jahren erschienenen Manöveranweisungen von Waldersee genau zu studieren. Kurt teilte meine Ansicht, daß das Kabinett Hitler bei der gegebenen Sachlage die einzige Möglichkeit sei.

3
 

Nachdem v. Papen am 28. 1. mit den Führern der DNVP, NSDAP und BVP über die Bildung eines Hitler-Kabinetts verhandelt hatte und von seinem Berliner Büro aus gleichzeitig Fäden zu deutschnationalen Ministerkandidaten in einem möglichen Papen-Kabinett gesponnen worden waren, schien als Ergebnis seiner Berichterstattung beim RPräs. am Abend des 28. 1. eine Entscheidung über eine der beiden Lösungen zur Überwindung der Regierungskrise noch nicht gefallen zu sein. Einigkeit scheint allerdings darüber geherrscht zu haben, daß die RM Bracht, Warmbold, v. Braun und Syrup aus dem Kab. ausscheiden und ein „unpolitischer“ Gen. anstelle v. Schleichers – dem der RPräs. den eine „Präsidentenkrise“ heraufbeschwörenden Artikel der „Täglichen Rundschau“ vom gleichen Tage anlastete (vgl. Dok. Nr. 77, Anm. 15) – das RWeMin. übernehmen sollte. Die entscheidenden Verhandlungen über die Kabinettsbildung führte v. Papen am Vormittag des 29. 1. mit Hitler und Göring einerseits und im Anschluß daran mit Hugenberg und den „Stahlhelm“-Führern Seldte und Duesterberg andererseits. Die Machtverteilung in dem sich herausschälenden Minderheitskabinett unter Hitlers Führung gestaltete sich dabei als weniger schwierig als die Lösung der Frage, ob der RPräs. in die dem gerade zurückgetretenen Kanzler verweigerte, von Hitler aber erneut geforderte RT-Auflösung einwilligen werde. Auf eine abschließende Klärung von Hitlers Auflösungsanspruch sowie Hugenbergs und Duesterbergs Vorbehalten gegen eine RT-Neuwahl scheint nach einer erneuten Vorsprache Görings bei v. Papen von allen Beteiligten vorerst verzichtet worden zu sein (Einzelheiten über die Verhandlungen vom 29.1.1933 s. bei Franz v. Papen: Der Wahrheit eine Gasse. S. 271 ff.; Joachim v. Ribbentrop: Zwischen London und Moskau. S. 42; Otto Schmidt-Hannover: Umdenken oder Anarchie. S. 334 ff.; Theodor Duesterberg: Der Stahlhelm und Hitler. S. 39 ff.).

4

Hinweis auf eine nach Zeitpunkt, Teilnehmern und Gesprächsgegenstand nicht in allen Einzelheiten geklärte Offiziersbesprechung im RWeMin., zu der sich wahrscheinlich am Vormittag des 29. 1. der RWeM und der Chef der Heeresleitung Gen. Frhr. v. Hammerstein zunächst alleine und dann im Kreis der Generäle v. Bredow und Frhr. v. d. Bussche, Oberstlt. Ott und der ehemals aktiven Offiziere StS Planck und MinDir. Marcks getroffen haben. Mit Sicherheit läßt sich festhalten, daß die Gefahren, die der Reichswehr nach Ansicht der Beteiligten von der bevorstehenden Regierungsumbildung drohten, erörtert wurden. Strittig ist, ob nur zur Verhinderung eines „Kampfkabinetts Papen-Hugenberg“ oder auch für den Fall der Ernennung Hitlers zum RK über eine die Anwendung von Gewalt nicht ausschließende Einflußnahme auf den RPräs. gesprochen wurde. Diese Überlegungen, die den später kolportierten Gerüchten von einem angeblichen Putsch-Plan der Reichswehr Nahrung gegeben haben könnten, scheint der RWeM mit dem Hinweis auf die Loyalitätspflicht der Reichswehr gegenüber dem RPräs. unterbunden zu haben (Niederschrift Hammersteins vom 28.1.1935 in: Nachl. Kurt  Frhr. v. Hammerstein-Equord, Bd. 2, S. 3–6; Abdruck bei Karl Dietrich Bracher: Die Auflösung der Weimarer Republik. S. 639 f.; Brief Frhr. v. d. Bussche-Ippenburg in: „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 5.2.1952; Eugen Ott: Niederschrift im Institut für Zeitgeschichte, Signatur ZS/279; H. R. Berndorff: General zwischen Ost und West. S. 262 ff.). Der frühere StS im RFMin. und derzeitige Generaldirektor des Ullstein-Verlags Schäffer schreibt, nachdem sein Tagebuch Anfang März 1933 bei einer Hausdurchsuchung beschlagnahmt worden ist, „aus dem Gedächtnis“ nieder: „Am 29. 1. (Sonntagnachmittag) läutet mich Planck an und sagt mir, auch im Namen Schleichers, wir brauchen gar keine Bedenken haben. Die Reichswehr werde Hitler als Kanzler nicht anerkennen. Wenn Hitler Gewalt anwenden wollte, so sei auf das Reiterregiment in Potsdam, das in Bereitschaft liege, voller Verlaß.“ (IfZ, ED 93, Schäffer-Tagebuch, Bd. 24a, S. 2). Als Schäffer jedoch Ende März in einem Gespräch mit Schleicher und Planck auf diese Vorgänge zurückkommt, erhält er von beiden die Antwort, „das sei alles Blödsinn. Man kenne sie und Hammerstein doch genügend, daß man ihnen so etwa nicht zutrauen würde.“ (Ebd., Tagebucheintrag vom 29.3.1933, S. 30). – Als Ergebnis der Offiziersbesprechung sucht Hammerstein am Nachmittag des 29. 1., noch vor dem Abschluß der in Anm. 3 zit. Gespräche, Hitler im Hause Bechstein auf, um ihm seine „Sorgen“ bezüglich einer Präsidialregierung v. Papen zu erklären. Er will Hitler gefragt haben, „ob dieser glaube, daß vom Reichspräsidentenpalais her mit ihm über Regierungsübernahme oder Beteiligung ernsthaft, oder nur zum Schein verhandelt würde. Wenn letzteres der Fall sei, so wolle [er], um schweres Unglück für das Vaterland zu verhindern, nochmal versuchen, die Dinge zu beeinflussen.“ Ob der Chef der Heeresleitung sich auch für die Berufung v. Schleichers in das Amt des RWeM in einer Reg. Hitler eingesetzt hat, muß dahingestellt bleiben (Niederschrift Hammersteins vom 28.1.1935; a.a.O., S. 5; Kunrat Frhr. v. Hammerstein: „Schleicher, Hammerstein und die Machtübernahme 1933“; mschr. Manuskript in: Nachl. Geßler , Nr. 50, Bl. 166–187; Abdruck in: Frankfurter Hefte, 11 (1956), S. 11 ff.).

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Hinweis auf ein gleichfalls nicht in allen Einzelheiten geklärtes Pronunciamento des Chefs der Heeresleitung Gen. Frhr. v. Hammerstein, der – nachdem er vom RK erfahren hatte, „daß der Reichspräsident ihm so gut wie sicher heute oder morgen sein Vertrauen entziehen und er zurücktreten werde“ (Niederschrift Hammersteins vom 28.1.1935; a.a.O.) – wahrscheinlich am späten Vormittag des 26. 1. in Begleitung eines Zeugen, wohl dem Chef des Heerespersonalamtes Gen. Frhr. v. d. Bussche, dem RPräs. seine Besorgnisse angesichts der gerüchteweise bekanntgewordenen Bildung eines Kabinetts Papen-Hugenberg vortragen und vor einem nationalsozialistischen Zugriff auf das Amt des RWeM warnen wollte (s. dazu außer der in Anm. 4 zit. Literatur auch Otto Meissner: Staatssekretär unter Ebert – HindenburgHitler. S. 266 f.; Hans Otto Meissner: 30. Januar ’33. S. 257 f.). Zur Kontroverse um die sich teilweise widersprechenden Darstellungen vgl. Ernst Rudolf Huber: Dt. Verfassungsgeschichte. Bd. VII, S. 1258 f.

Am Sonntag Abend rief Zarden mich an, er habe von mehreren Seiten erfahren, daß die Verhandlungen mit Hitler völlig gescheitert seien. Das Gleiche berichtete mir Bracht, der am Abend ein stundenlanges Gespräch mit Hugenberg gehabt hatte; dieser habe vergeblich versucht, ihn für die „kleine“ Lösung Papen-Hugenberg zu gewinnen6.

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Über Versuche, von deutschnationaler Seite aus noch am 29. 1. „eine Hitlerlösung zu konterkarieren“, s. Otto Schmidt-Hannover: A.a.O., S. 334 und Ewald v. Kleist-Schmenzin: „Die letzte Möglichkeit“. In: Politische Studien, 10 (1959), S. 90 f.

Am Montag früh rief ich Planck an, der mir bestätigte, daß nach seinen Nachrichten Hitler abgelehnt habe und wahrscheinlich bereits nach München abgereist sei; Papen sei zu 11 Uhr zum Reichspräsidenten bestellt und werde sicher dann zum Reichskanzler ernannt werden. Als ich kurz darauf vom Büro des Reichspräsidenten die Aufforderung erhielt, um 11.30 Uhr zum alten Herrn zu kommen, hatte ich die große Besorgnis, ich sollte nun von dem alten Herrn unter schwersten moralischen Druck gestellt werden, doch in ein Kabinett Papen einzutreten. Ich setzte mich mit Neurath in Verbindung, der ebenfalls zum Reichspräsidenten bestellt war und wir vereinbarten, für die „kleine“ Lösung[322] nicht zu haben zu sein. Als ich Papen anrief, antwortete er sehr kurz, das wüßte er, ich sollte mich aber durch Gerüchte nicht beeinflussen lassen, das Kabinett Hitler sei ganz sicher. Die Sache wurde immer rätselhafter.

 

Als ich um 11.30 Uhr in der alten Reichskanzlei eintraf, die der Reichspräsident während des Umbaus seines Palais bewohnte, konnte mich der Diener in keinem Zimmer unterbringen: „Alle Löcher seien schon besetzt.“ Er brachte mich zum Schluß zum Ministerialrat Doehle, wo sich unmittelbar danach auch Neurath hinzugesellte. Doehle erzählte uns von den Gerüchten, die in der Nacht umgelaufen seien. Um zwei Uhr sei Meissner aufgeweckt worden durch die Nachricht, Schleicher wolle ihn, den Reichspräsidenten und den Sohn Hindenburgs verhaften lassen7. Tatsächlich habe Schleicher am Morgen in einem Telephongespräch mit Meissner den Vorwurf des Verfassungsbruches erhoben, weil der Reichspräsident unter Umgehung des Reichswehrministers den General v. Blomberg aus Genf nach Berlin geholt habe8. Ich dachte an die Erzählungen Kurt Plettenbergs vom Tage vorher und konnte mich eines leisen Grauens nicht erwehren. Im Nebenzimmer saßen bei Meissner Hitler, Papen und Hugenberg und handelten die letzten Bedingungen aus9. Kurz nach 12 Uhr wurden wir zum Reichspräsidenten bestellt. Ich fand im Zimmer das ganze künftige Kabinett[323] versammelt; Hitler, den ich zum ersten Mal sah, Frick, Göring, Papen, Seldte, Hugenberg, Blomberg, Neurath; Eltz war krank, der Posten des Justizministers noch offen10. Der alte Herr begrüßte uns in einer kurzen Ansprache, in der er seiner Genugtuung über die endlich-erzielte Einigung der Nationalen Rechten Ausdruck gab. Papen verlas die Ministerliste. Bevor der Reichspräsident die Vereidigung vornahm, ging ich zu Papen und sagte, ich hätte meine Mitarbeit davon abhängig gemacht, daß mir eine sachliche Möglichkeit für ein ersprießliches Wirken gegeben [zu] sein scheine. Ich wüßte nun bei diesem Eiltempo nichts von dem sachlichen Programm des Kabinetts. Papen führte mich sofort zu Hitler, dem ich meine Frage wiederholte und als Voraussetzungen nannte: Sicherung des Etats, keine Währungsexperimente, Erhaltung der Steuergutscheine; zu letzterem Punkte sagte Hitler im Grundgedanken ja, in der Form vielleicht etwas anders. Da begann bereits die Vereidigung. Nach Abschluß dankte Hitler in einer kurzen Ansprache, in der er den Reichspräsidenten um Vertrauen für sich und das Kabinett bat.

7

Diese weithin umlaufende Nachricht geht in erster Linie auf den mit allen Kreisen des „nationalen Lagers“ in Verbindung stehenden Sekretär des Berliner Herrenclubs Werner v. Alvensleben zurück. Er stellte am späten Nachmittag und Abend des 29. 1. mehrfache Kontakte zwischen Schleicher und Hammerstein auf der einen und der bei Goebbels versammelten nationalsozialistischen Führungsspitze auf der anderen Seite her. Neben dem Austausch von Informationen über den Stand der jetzt von Papen exklusiv geführten Regierungsneubildungsverhandlungen dürfte er den Nationalsozialisten die weiterhin bestehenden Vorbehalte der Reichswehrführung gegen die vom RPräs. scheinbar immer noch favorisierte Papen-Hugenberg-Lösung signalisiert haben. Zum Putschplan aufgebauscht, übermittelte Göring diese Informationen an Papen und Meissner (Niederschrift v. Hammersteins vom 28.1.1935, a.a.O., S. 5 f.; Presseerklärung v. Alvenslebens vom 3.2.1933 in: Schultheß 1933, S. 32; Franz v. Papen: Der Wahrheit eine Gasse. S. 274 f.; Otto Meissner: Staatssekretär unter Ebert – HindenburgHitler. S. 268; Hans Otto Meissner: 30. Januar ’33. S. 262 ff.; Henry Picker: Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier 1941–1942. S. 367; Joseph Goebbels: Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei. S. 251). Als Ergebnis der in der Umgebung des RPräs. auf die Alarmmeldungen hin angestellten Überlegungen kann v. Papen den bei Goebbels versammelten Nationalsozialisten noch am Abend des 29. 1. mitteilen, „daß alle Hindernisse beseitigt seien und daß Hindenburg Hitler morgen um 11 Uhr erwartet“ (Joachim v. Ribbentrop: Zwischen London und Moskau. S. 42).

8

Über die nur teilweise geklärten Umstände und Hintergründe der Berufung v. Blombergs, der z. Zt. als militärisches Mitglied der dt. Abrüstungsdelegation in Genf weilte, vgl. Klaus-Jürgen Müller: Das Heer und Hitler. S. 50 f. Hindenburg soll StS Meissner am Morgen des 29. 1. beauftragt haben, den Gen. telegrafisch zur sofortigen Rückkehr nach Berlin aufzufordern; darüber sei gegenüber jedermann Stillschweigen zu bewahren. Dennoch habe RWeM v. Schleicher eine Kopie des Telegramms erhalten (Hans Otto Meissner: 30. Januar ’33. S. 259 f.). – Zur nicht-verfassungsgemäßen, dem Vorschlagsrecht des RK vorgreifenden Ernennung sowie der der Aushändigung der Ernennungsurkunde vorausgehenden Vereidigung des neuen RWeM vgl. Ernst Rudolf Huber: Dt. Verfassungsgeschichte. Bd. VII, S. 1261 f.

9

Die Auseinandersetzung kreiste erneut (vgl. oben Anm. 3) um Hitlers ultimativ vorgetragene Forderung nach sofortiger RT-Auflösung und anschließender Ausschreibung von Neuwahlen. Unter der Bedingung, daß Hitler versprach, sich um den Eintritt des Zentrums und der BVP in die Regierungskoalition zu bemühen (s. dazu diese Edition: Die Regierung Hitler, I/1, Dok. Nr. 2, P. 2), willigten die nationalbürgerlichen Partner nach kurzem Widerstand in Hitlers Forderung ein (Franz v. Papen: Der Wahrheit eine Gasse. S. 275 f.; Otto Meissner: Staatssekretär unter Ebert – HindenburgHitler. S. 269 f.; Hans Otto Meissner: 30. Januar ’33. S. 271 ff.; Otto Schmidt-Hannover: Umdenken oder Anarchie. S. 340 ff.; Theodor Duesterberg: Der Stahlhelm und Hitler. S. 39 ff.).

10

Zur Besetzung des Amtes des RJM s. diese Edition: Die Regierung Hitler, I/1, Dok. Nr. 1, Anm. 2.

 

Unmittelbar nach der Rückkehr rief Werner Alvensleben an und sagte, es kursierten wilde Gerüchte über die Bildung eines Kabinetts Hitler-Hugenberg-Papen-Seldte, in das auch Neurath und ich einzutreten gewillt seien; ob ich das für möglich hielte. Ich konnte ihm nur sagen, daß ich es nicht nur für möglich hielte, sondern daß die Sache bereits vollzogen sei. In den folgenden Tagen gingen, teilweise auch in der Presse, die verschiedensten Lesarten über den „Generalsputsch“ in der Nacht vom Sonntag zum Montag. Werner wurde am Dienstag verhaftet und einem stundenlangen Verhör unterzogen, in dem er geschickt und ordentlich die Generäle völlig deckte, den Gedanken einer Verhaftung von Papen und Hugenberg für den Fall der „kleinen“ Lösung als eigenstes Erzeugnis hinstellte und in Anspruch nahm, hierdurch die „große“ Lösung ermöglicht zu haben11. Es wird sehr schwer sein, festzustellen, wie sich die Dinge wirklich zugetragen haben. Festzustehen scheint, daß tatsächlich eine drohende Gefahr – wirklicher oder vermeintlicher Art – die verhandelnden Parteien zusammengebracht hat.

11

Vgl. dazu die oben in Anm. 7 zit. Presseerklärung v. Alvenslebens vom 3.2.1933.

Um 1.30 Uhr am Montag letzte Sitzung des Kabinetts Schleicher12. Ganz kurze Ansprache Schleichers; man merkte ihm seine tiefe Erschütterung nicht an. Aber diese Erfahrung ist ihm ans Leben gegangen, und es ist ihm wohl nur ein kleiner Trost gewesen, daß einer der ersten, die ihn angerufen haben, um ihm ihr Bedauern auszusprechen und über vergangenen Streit sich die Hand zu reichen, der seinerzeit von ihm ebenso überraschend gestürzte Dr. Brüning gewesen ist13. Um 5 Uhr war die erste Sitzung des neuen Kabinetts, eingeleitet mit einer Rede von Hitler; [es folgt eine Schilderung des Verlaufs der Sitzung14].

12

Dok. Nr. 78.

13

Da Brüning stark fiebrig erkrankt war, muß dahingestellt bleiben, ob er an diesem oder den folgenden Tagen in dieser Hinsicht tätig geworden ist. Zu einer Aussprache zwischen ihm und v. Schleicher kommt es am 11.2.1933 (Heinrich Brüning: Memoiren 1918–1934. S. 646 ff.).

14

Siehe dazu diese Edition: Die Regierung Hitler, I/1, Dok. Nr. 1.

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