1.116 (bru3p): Nr. 630 Vermerk des Staatssekretärs Pünder über eine Unterredung des Reichskanzlers mit dem Französischen Botschafter am 14. Januar 1932, 19 Uhr

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Nr. 630
Vermerk des Staatssekretärs Pünder über eine Unterredung des Reichskanzlers mit dem Französischen Botschafter am 14. Januar 1932, 19 Uhr

R 43 I /335 , Bl. 372–375 Durchschrift

Der Herr Reichskanzler empfing gestern abend um 7 Uhr den soeben aus Paris zurückgekehrten Herrn Französischen Botschafter François-Poncet zu einer eingehenden Aussprache1. Die Besprechung verlief durchaus harmonisch, währte 1½ Stunden bis gegen ½ 9 Uhr abends, und der Herr Reichskanzler hatte abschließend den Eindruck, daß sich der Botschafter um die deutsch-französische Verständigung durchaus bemühe.

1

Zur Vorbereitung dieser Unterredung siehe Dok. Nr. 629. Das Dok. auch in ADAP, Serie B, Bd. XIX, Dok. Nr. 188.

Der Botschafter begann die Unterhaltung mit dem Hinweis auf die inzwischen leider wieder einmal zutagegetretenen Mißverständnisse zwischen der Deutschen und der Französischen Regierung und Öffentlichkeit. Er persönlich habe aber dauernd nach seiner Auffassung durchaus richtig und loyal über seine Besprechungen mit dem Herrn Reichskanzler nach Paris berichtet. Zum Beweis dafür habe er sich in Paris die Erlaubnis erwirkt, seinen damals nach Paris erstatteten Bericht heute im Wortlaut vorzulesen, was er daraufhin auch tat. Dieser Botschafterbericht war nach Auffassung des Herrn Reichskanzlers allerdings so, daß abgesehen von einer kleinen Nuance alles wesentliche absolut richtig und in glänzender Formulierung wiedergegeben war; darüber hinaus zeigte der Botschaftsbericht nach Auffassung des Herrn Reichskanzlers auch eine starke Tendenz auf Beeinflussung der eigenen Französischen Regierung zum Guten.

Der Botschafter berichtete dann über die Pariser Kabinettskrise und die großen Schwierigkeiten, vor denen Laval gestanden hätte und auch heute noch stehe2. Er[2172] müsse leider bekennen, daß das Reichskanzler-Interview sehr unangenehm auf die französischen Regierungskreise gewirkt habe. Er habe die feste Vermutung (die er anscheinend auch belegen konnte), daß die vorangegangene Indiskretion und die entstellende Reuter-Nachricht letzten Endes von oppositioneller rechtsstehender Seite gekommen sei3. Er persönlich hatte Herrn Laval gegenüber sofort das Interview auseinandergesetzt und seine Übereinstimmung mit den vorangegangenen Kanzlererklärungen unterstrichen. Tatsächlich habe auch weniger die eigentliche Formulierung des Interviews als der kombinierte Zusammenhang des Interviews mit den Berliner Hitler-Verhandlungen4 in Paris so schlimm gewirkt. Frankreich sei eben in Bezug auf letzteren Punkt ungeheuer empfindlich. Alles in allem sei das deutsch-französische Verhältnis im Augenblick wieder einmal bei einem Punkt angekommen, den er gern vermieden hätte, und von dem man augenblicklich keinen rechten Ausweg sehe5.

2

AM Briand war am 8.1.32 von seinem Amt zurückgetreten. Daraufhin hatte die Reg. Laval am 12. 1. demissioniert. Am 13.1.32 war das zweite Kab. Laval gebildet worden (Schultheß 1932, S. 276–277).

3

Zum RK-Interview und der Reuter-Meldung vgl. Dok. Nr. 629, Anm. 1.

4

Vgl. Dok. Nr. 626.

5

Zur Reaktion der Frz. Reg. und der frz. Presse siehe Forsters Telegramm Nr. 28 vom 9.1.32 in R 43 I /335 , Bl. 251 und v. Hoeschs Telegramm Nr. 35 vom 11.1.32, R 43 I /335 , Bl. 270–275, auch in ADAP, Serie B, Bd. XIX, Dok. Nr. 175, sowie WTB-Meldungen Nr. 60 und 62 vom 10. und 11.1.32, R 43 I /335 , Bl. 242–243.

Der Reichskanzler erläuterte alsdann im einzelnen den deutschen Reparationsstandpunkt, und zwar unter Verwendung der Gesichtspunkte, die in der kurzen Reparations-Chefbesprechung von gestern vormittag einheitlich zum Ausdruck gebracht waren. Er unterstrich nochmals, daß Deutschland keine Möglichkeit sehe, die Reparationszahlungen überhaupt nochmals aufzunehmen. Frankreich müsse erkennen, daß es viel mehr verdienen könne, wenn es sich nach Beseitigung der Reparationen aufgrund des wiedererstandenen gegenseitigen Vertrauens mit seiner starken Finanzkraft an der deutschen Wirtschaft beteilige, als durch Fortbestand der zwangsweisen Verpflichtung zur Zahlung fragwürdiger Reparationen. François-Poncet vermied es zwar, sich materiell zu diesen Darlegungen zu äußern, versprach aber nachdrücklich, in dieser Linie nach Paris sofort zu berichten.

Der Kanzler las dann, wie es Staatssekretär von Bülow angeregt hatte, die Instruktion vor, die am 12. d. Mts. Botschafter von Hoesch für seine eigene Sprachregelung erhalten hatte6, und unterstrich hierbei den Gedanken, Herr Laval möchte die deutsche Haltung doch ja nicht so interpretieren, als ob wir den Young-Plan zerreißen wollten. Er erläuterte dann auch noch kurz die Unrichtigkeiten der in der erwähnten gestrigen Reparationsbesprechung erörterten Layton-Rede über die geringere Verschuldung Deutschlands, falls die Reparationen gestrichen würden7. Der Kanzler sagte dem Botschafter die Zustellung einer schriftlichen Ausarbeitung hierzu zu, die aus seiner Veranlassung inzwischen in den Ressorts vorbereitet werde. Mit Nachdruck betonte der Kanzler ferner noch, daß die Lausanner Konferenz in freundschaftlichem Geiste zu führen sei und unter keinen Umständen mit einem internationalen Eklat enden dürfe; falls man nicht zu Ende komme, erscheine es uns durchaus möglich, die Reparationsverhandlungen vorübergehend auf diplomatischem Wege fortzuführen.

6

Durchschrift der Weisung in R 43 I /335 , Bl. 305–307.

7

In seiner Rede in London am 13.1.32 hatte sich Layton für eine endgültige Beseitigung der Reparationsfrage eingesetzt (WTB Nr. 86 vom 14.1.32, R 43 I /335 , Bl. 376).

[2173] Zu allen diesen Ausführungen zeigte sich der Französische Botschafter durchaus verständig und bereit, in dem gewünschten Sinne nach Paris zu berichten. Den Abschluß der langen Aussprache bildeten einige Klagen von François-Poncet über einen Teil der deutschen Presse, wobei er den „Fridericus“ besonders erwähnte8. Alle möglichen Kreise drängten sich hier in Berlin an ihn heran, und die unglaublichsten Gerüchte würden über ihn verbreitet; sogar sittliche Verfehlungen seien ihm ganz offen vorgeworfen worden. Er habe dieserhalb bereits mit Herrn Staatssekretär von Bülow einmal gesprochen, der leider einstweilen ihm keinen rechten Weg der Abhilfe hätte zeigen können. Er müsse aber nochmals auf diese Dinge hinweisen, daß es bei Fortdauer einer solchen üblen Pressekampagne doch einmal zu einem diplomatischen Zwischenfall kommen könne, den er gern vermeiden möchte.

8

Vgl. Dok. Nr. 573.

Pünder

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