2.105 (cun1p): Nr. 105 Aufzeichnung von Besprechungen über staatsfeindliche Vereinigungen. [25. März 1923]

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Nr. 105
Aufzeichnung von Besprechungen über staatsfeindliche Vereinigungen. [25. März 1923]1

1

Die Aufzeichnung ist ohne Datums- und Verfasserangabe; die Datierung ergibt sich aus dem Inhalt.

R 43 I /2730 , Bl. 21-24

Aus fernmündlicher Rücksprache mit Reichskommissar Kuenzer: Die gestrigen Meldungen aus Thüringen haben sich als etwas übertrieben herausgestellt2. Es handelte sich anscheinend wirklich nicht um einen Putsch oder um Mobilmachung, sondern um eine größere Felddienstübung, die heute in München sein sollte und von der die Bayerische Regierung weiß. Eine Felddienstübung, die übrigens üblicherweise nicht mit Waffen abgehalten wird. Man hat damit Mobilmachungsbefehle verbunden. Es scheint aber, daß an eine wirkliche Mobilmachung für mehrere Tage nicht gedacht war3. Gestern früh fand Besprechung statt zwischen Oeser, Geßler, Severing und Ministerialrat Sperr von der Bayerischen Gesandtschaft. Severing erklärte, er hätte Nachrichten, die ihn zur Anordnung der Alarmbereitschaft veranlaßten. Geßler wies die Reichswehr zu besonderer Aufmerksamkeit an, insbesondere in Nürnberg. Gestern abend ergab eine Besprechung mit Zetlmeier, daß man in Bayern keine Sorge[328] habe, man lasse heute die Nationalsozialisten ruhig exerzieren, doch ohne Waffen4.

2

Kuenzer hatte am 24. 3. Hamm berichtet, vom Thüring.IMin. seien Kuriere aus Bayern festgenommen worden, die Mobilmachungsbefehle bei sich getragen hätten. Angeblich seien größere Trupps junger Leute aus Thüringen nach Bayern unterwegs (R 43 I /2708 , Bl. 82).

3

Zur Frage der Mobilmachung und Kriegsvorbereitung in Bayern s. Anm. 8 zu Dok. Nr. 113.

4

v. Haniel berichtet der Rkei am 28. 3. über die Veranstaltung. Danach führten die Sturmtrupps der Nationalsozialisten und kleinere Abteilungen anderer nationaler Verbände, insgesamt etwa 5000 Mann, am 25. 3. eine Geländeübung ohne Waffen aus, die abends mit einem Vorbeimarsch an Hitler ausklang. Die Alarmnachrichten der Berliner Presse wurden von der bayerischen Regierung in einer amtlichen Erklärung vom 27. 3. scharf zurückgewiesen. „Die von gewissen Kreisen verbreitete Kombination, wonach die Veranstaltung mit der am Tage zuvor abgehaltenen größeren Übung der Reichswehrtruppen des Standortes München in Zusammenhang stehe, wird als eine ‚aus den Fingern gesogene willkürliche Annahme‘ bezeichnet, die jeder Grundlage entbehre.“ v. Haniel schließt seinen Bericht über die Veranstaltung mit der Bemerkung: „Die Münchener gingen mit dem befriedigenden Gefühl nach Hause, wieder einmal eine rechte ‚Gaudi‘ gehabt zu haben, denn bei ihrer Psyche gehören derartige, möglichst laute Veranstaltungen zu ihren Lebensnotwendigkeiten.“ (R 43 I /2232 , S. 381). Zur inneren Lage Bayerns berichtet v. Haniel am 29. 3. der Rkei: „Obwohl augenblicklich die Nervosität bei den beteiligten Kreisen manchmal etwas groß ist, so liegt z. Zt. doch kaum ein Anlaß vor, die Lage als besonders krisenhaft anzusehen. Das Plus an Energie und Stoßkraft, welches die rührigen Aktivisten gegenüber der indolenteren Mehrheit besitzen, wird jedenfalls zu einem guten Teil durch die innere Zersplitterung in verschiedenen Gruppen wieder ausgeglichen. Mit wachsendem Eifer macht sich die Bayerische Volkspartei an die Arbeit, die Fugen im Block der Nationalen zu vergrößern, um den Bau zu zersprengen. Wenn auch nicht für die gegenwärtige Regierung, so dürfte doch für die Vorherrschaft der Bayerischen Volkspartei ein akutes Gefahrenmoment nicht gegeben sein. Bedenklicher ist vielleicht der Druck, den die vereinigten Nationalen und Nationalsozialisten Bayerns und des übrigen Deutschlands auf die äußere Politik der RReg. auszuüben sich bestreben.“ (R 43 I /2232 , S. 369-371, hier: S. 371).

Der Oberreichsanwalt glaubt gegen die Nationalsozialistische Arbeiterpartei auch in Bayern vorgehen zu müssen, sobald er das Auflösungsurteil des Staatsgerichtshofes in Händen hat, da der Staatsgerichtshof die Feststellung traf, daß die Partei eine verbotene Vereinigung nach § 129 des Strafgesetzbuches sei5.

5

Der Staatsgerichtshof hatte in seiner Sitzung vom 15. 3. mit ausführlicher Begründung die Beschwerde der NSDAP gegen die Versammlungsverbote und Auflösungsverfügungen in den Ländern Preußen, Mecklenburg-Schwerin, Baden, Sachsen, Thüringen, Hamburg und Bremen verworfen. Das Urteil ist abgedruckt bei Huber: Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 3, S. 266 ff.

Vorgestern [23. 3.] fand Vortrag beim Reichsjustizminister in Anwesenheit und für die Zwecke des Oberreichsanwalts statt, bei dem auch Minister Oeser zugegen war. Der Vortrag wurde gehalten von Ministerialrat Schütze vom Preußischen Innenministerium, Oberregierungsrat Weiss und Staatskommissar Weismann. Nach dem Vortrag Weismanns scheint es Tatsache zu ein, daß Rossbach beabsichtigte, sich der für gewisse Vereinigungen nach der Abmachung Geßlers mit Severing6 drohenden Auflösung allenfalls mit gewaltsamem Putsch zu widersetzen. Er trat darüber mit Angehörigen der Reichswehr ins Benehmen und wollte sie bewegen, sich neutral zu verhalten, reiste zu diesem Zweck im Lande herum, behauptete dabei, der Reichskanzler, bei dem er gewesen sei, unterstütze ihn; man sei empört über Seeckt und Geßler, die in Händen der Juden seien usw. Ein Reichswehroffizier setzte Geßler in Kenntnis. Auf Veranlassung Geßlers nahm er an einer Besprechung unter dem Vorsitz Rossbachs teil, zu der 2 andere Offiziere und 28 Unteroffiziere erschienen. Dabei versuchte Rossbach erneut für die Neutralität der Reichswehr zu werben7. Aufgrund dieser bekanntgewordenen Vorgänge fand Haussuchung in Breslau statt,[329] bei der wichtige Belege in die Hände der Polizei kamen8. Danach sind Hundertschaften aufgestellt und Vorbereitungen zum gewaltsamen Verfassungsumsturz getroffen. Rossbach beruft sich darauf, er habe mit dem Reichskanzler und dem Staatssekretär in der Reichskanzlei gesprochen9. Eine Besprechung der Rossbach-Leute, die gestern stattfand, beschloß zunächst scharf gegen Severing mit Flugblättern usw. vorzugehen, nicht aber gegen den Reichskanzler, da man von diesem noch eine gewisse Hilfe erhoffe. Täusche man sich in dieser Hoffnung, so werde eine Unterredung veröffentlicht werden, in der der Reichskanzler Rossbach seine Hilfe zugesagt habe.

6

Abgedruckt als Dok. Nr. 61.

7

Zum Verlauf dieser sog. Wannsee-Konferenz s. Dok. Nr. 108, insbesondere Anm. 32.

8

In einer Aufzeichnung „Besprechung mit dem Herrn PrIM Severing am 25. 3.“ finden sich nähere Angaben über die Ereignisse in Schlesien: „Beunruhigende Nachrichten kamen zuerst aus Schlesien. Dort sollte in Hindenburg ein Fackelzug stattfinden, der von der Arbeiterschaft als eine faschistische Bewegung betrachtet worden wäre. Er wurde verboten. Die Führer erklärten dem Polizeipräsidenten, die Schupo werde sich für sie erklären. Es kam dann zum Zusammenstoß. Der Fackelzug wurde verhindert. Dann wurden Bomben auf die Schupo-Kaserne geworfen. Die erste richtete nur Sachschaden in der Wohnung eines Abgeordneten an, die zweite explodierte nicht. Wäre es zur Explosion gekommen, so wäre schwerstes Unglück entstanden. Nun entschloß ich mich zu schärfstem Durchgreifen gegen den schlesischen Selbstschutz. Das war rechtlich um so leichter, als der Ausnahmezustand dort nicht aufgehoben war. Mehrere Leute wurden festgenommen, wie Heydebreck, Kling u. a. […] In Breslau wurden besonders wichtige Akten von einem Agenten einem der Vertrauensleute [v. Tettenborn] abgenommen.“ Auf den folgenden acht Seiten der Aufzeichnung wird aus dem in Breslau und in Berlin bei der DVF-Zentrale gefundenen Material zitiert, das Severing zur Einsichtnahme der Rkei überlassen hatte. Es wird zum großen Teil in der LT-Rede Severings vom 23. 3. (PrLT-Protokolle Bd. 12, Sp. 16206 ff.) und in der RT-Rede Scheidemanns vom 12. 5. (RT-Bd. 360, S. 11001  ff.) angesprochen und zitiert.

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Zur Besprechung Rossbachs mit dem RK s. Anm. 3 zu Dok. Nr. 172.

Rossbach hat, nach dem was Weismann sagt, lange mit Hitler verhandelt; schließlich ordnete sich Hitler ein und schloß Abmachung auf gemeinsames Losschlagen10. Die Rossbach-Organisation besteht aber neben der Hitlerschen. Wulle, Henning und Graefe standen hinter Rossbach und finanzierten sie. Wieweit sie die letzten Ziele kannten, darüber erklärte Weismann sich nicht aussprechen zu wollen, das müsse der Oberreichsanwalt selbst feststellen. Es liege aber soviel Material vor, daß man zur Zeit gegen die drei Haftbefehl erlassen könne. In der Tat war offenbar schon Haftbefehl erlassen. Am Freitag [23. 3.] mittag sagte Wulle zu Kunze11 im Reichstag, daß Haftbefehl gegen ihn vorlag. Kunze benachrichtigte Oeser. Oeser war dann mit Severing nachmittags 4 Uhr beim Reichspräsidenten und erklärte nach der Rückkunft Kunze, er könne amtlich mitteilen, daß kein Haftbefehl besteht. Kunze schrieb darauf an Wulle nach Rücksprache mit Oeser in diesem Sinne. Wulle bleibt darauf bestehen, daß der Haftbefehl aber schon erlassen sei und dann eben nicht mehr bestehe.

10

In seinem Bericht vom 19. 3. hatte Kuenzer über die Verbindungen zwischen DVF und NSDAP berichtet und dabei die parteioffiziöse Mitteilung zitiert: „Zwischen der Führung der NSDAP und der Führung der DVF ist aufgrund eingehender Aussprachen in Berlin und München ein Übereinkommen erzielt worden über gemeinsames Zusammenarbeiten bei Lösung der bevorstehenden großen Aufgaben im deutschen Freiheitskampfe.“ (R 43 I /2669 , Bl. 51-74.)

11

Gemeint ist wohl Richard Kunze, der Führer der Deutsch-Sozialen Bewegung, 1924 MdR.

Davon, daß, wie vor 8 Tagen bestimmt behauptet und insbesondere von Herrn Weismann erklärt wurde, das Leben Severings sehr ernst bedroht sei, hört man jetzt weniger.

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