2.71 (mu11p): Nr. 71 Das Altenburger Staatsministerium an den Reichspräsidenten. Altenburg, 28. April 1920

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 3). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Das Kabinett Müller IHermann Müller Bild 146-1979-122-28APlakat der SPD zur Reichstagswahl 1920Plak 002-020-002Wahlplakat der DNVP Plak 002-029-006Wahlplakat der DDP Plak 002-027-005

Extras:

 

Text

RTF

[172] Nr. 71
Das Altenburger Staatsministerium an den Reichspräsidenten. Altenburg, 28. April 1920

R 43 I /2313 , Bl. 69-71 Abschrift1

1

Das Altenburger StMin. sandte die Abschrift dem RK am 29.4.20 zu (R 43 I /2313 , Bl. 68).

[Betrifft: Gerüchte über die Vorbereitungen eines kommunistischen Aufstands.]

Dem Herrn Reichspräsidenten gestatten wir uns, folgendes zu unterbreiten:

Durch die ganze deutsche Presse macht ein Artikel der reaktionären „Deutschen Zeitung“ die Runde, in welchem „geheimes Material“ über einen angeblich von Kommunisten geplanten Aufstand, der die Eroberung Mitteldeutschlands und Thüringens bezwecken soll, veröffentlicht wird. Die „Deutsche Zeitung“ behauptet, der geplante kommunistische Aufstand solle sich über eine Reihe von Städten, die einzeln aufgeführt werden, erstrecken2. Unter ihnen werden auch thüringische Städte wie Erfurt, Jena, Gera, Zeitz, Naumburg und insbesondere Altenburg genannt. Die Staatsregierung Sachsen-Altenburgs kann die Versicherung abgeben, daß im Freistaate Sachsen-Altenburg nicht die leisesten Anzeichen für die Anbahnung eines Unternehmens der von der „Deutschen Zeitung“ geschilderten Art bis jetzt bemerkbar sind. Vielmehr herrscht im Freistaate absolute Ruhe. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung steht noch immer hinter der sozialistisch-demokratischen Koalitionsregierung. In der Stadt Altenburg selbst ebenso wie in anderen Städten des Freistaates zeigen auch die linksradikalen Minderheiten der Bevölkerung durchaus keine Neigung zu gesetzwidrigen Gewaltangriffen gegen die Republik und die derzeitige Regierung. Die Führer beider linksradikaler Gruppen, sowohl der Unabhängigen Sozialdemokratie wie der Kommunisten, sind besonders in der Stadt Altenburg der Staatsregierung als anständige, aufrichtige Männer bekannt, die erfahrungsgemäß eine Teilnahme an illoyalen Gewaltaktionen zurückweisen, zumal sie wissen wie sehr die reaktionären Drahtzieher von linksradikalen Unbesonnenheiten in dieser Zeit gerade ihr[173] Heil erhoffen. Der Umstand, daß trotz dieser friedlichen Verhältnisse unseres Freistaates Altenburg in dem angeblichen kommunistischen Plane des Enthüllungsartikels der „Deutschen Zeitung“ als einer der Brennpunkte des beabsichtigten Aufstandes genannt wird, scheint nach Auffassung der altenburgischen Staatsregierung nicht nur die Glaubwürdigkeit der ganzen Enthüllung zu erschüttern, sondern direkt darauf hinzudeuten, daß man in dem „Geheimdokument“ ein Lügenfabrikat von einem Söldling der Reaktion verfaßt zu erblicken hat. Gewisse reaktionäre Militärkreise scheinen die Öffentlichkeit auf militärische Expeditionen vorbereiten zu wollen, die zum Zwecke der Rache an den verfassungstreuen Teilen der thür., bezw. der altenburgischen Bevölkerung in Aussicht genommen sein mögen. Der altenburgischen Staatsregierung will scheinen, daß nicht irgend welche politisch ernst zu nehmende Kommunisten oder gar USP Leute einen Aufstand zur Eroberung Thüringens und Mitteldeutschlands planen, sondern daß vielmehr von den von der Reichsregierung noch nicht beherrschten Teilen des Militärs eine militärisch-strategische Durchdringung Mitteldeutschlands geplant wird, um zwischen reaktionären Streitkräften in Bayern und denen in den ostelbischen und gewissen norddeutschen Provinzen eine militärisch gesicherte geographische Brücke herzustellen, die im Falle eines neuen Militärputsches die Reichshauptstadt und die Reichsregierung von den treuen republikanischen Teilen Deutschlands abschneiden würde. Die altenburgische Staatsregierung ist durch Kenntnisnahme von Geheimberichten der wohlorganisierten politischen Militärspionage schon seit Monaten davon unterrichtet, daß in militärischen Kreisen Altenburg als „spartakistisch verseucht“ angesehen wird. In einem der sogen. Lageberichte wurde schon vor Monaten gesagt: Von Altenburg aus würden Kommunisten bewaffnet. Auch in den letzten Tagen sind hier Äußerungen von Militärs bekannt geworden, die eine einseitige und unzutreffende Beurteilung der Verhältnisse unseres ruhigen und friedlichen Landes kundgaben und gleichzeitig zeigten, daß das Verlangen nach Rache an den verfassungstreuen Teilen der Bevölkerung und an den verfassungstreuen Landesjägern in bestimmten Kreisen fortbesteht.

2

Die Kreuzzeitung kommentierte die Meldung der „Deutschen Zeitung“ am 27. 4.: „Von seiten des preußischen StKom. zur Überwachung der öffentlichen Ordnung wird zugegeben, daß diese Nachrichten zum Teil einen wörtlichen Abdruck eines Geheimberichts des StKom. darstellen. Auf der anderen Seite wird im Widerspruch von derselben Stelle dazu mitgeteilt, daß die Nachrichten ‚maßlos übertrieben und aufgemacht!‘ seien. Der StKom. kenne die Vorgänge seit langem und habe alle erforderlichen Maßnahmen getroffen, um ihrer Entfaltung entgegenzuwirken.“ (Nr. 194). Demgegenüber hatte der Vorwärts am 26. 4. mitgeteilt: „Wie wir von zuständiger Seite erfahren, hält man an amtlichen Stellen und namentlich auch im RWeMin. die Behauptungen der ‚Deutschen Zeitung‘ zum mindesten für maßlos übertrieben. Man müsse wohl auf Mitteldeutschland, wo ja immer einige Unruhezentren seien, ein wachsames Auge haben, aber die Aufschneidereien der ‚Deutschen Zeitung‘ tragen zu deutlich den Stempel der Wahlmache, als daß man ihnen irgendwelches Gewicht beimessen könnte“ (Nr. 213).

Von den reaktionären Militärs wird außerdem jeder Arbeiter und jeder Republikaner, einerlei, welcher Parteirichtung er sonst angehören mag, als Spartakist oder Bolschewist angesehen, wenn er seine republikanische Überzeugung oder auch seine Interessen als Arbeiter energisch vertritt.

Wir bitten den Herrn Reichspräsidenten einzugreifen und zu erwirken, daß den provokatorischen Veröffentlichungen der reaktionären Presse von Seiten der Regierungsorgane nachgespürt wird. Es muß festgestellt werden, wer den angeblichen kommunistischen Plan, den die „Deutsche Zeitung“ enthüllt, fabriziert, wer ihn in die reaktionäre Presse lanciert und Altenburg mit ihm in Verbindung gebracht hat. Dies ist umsomehr notwendig, als die angeblichen Enthüllungen weiteste Kreise des Volkes, insbesondere auch in unserem Freistaate, wo man einhellig den Zweck und Sinn solch verworfener lügenhaften Machenschaften herausfühlt, beunruhigen. Wir bitten ferner unser ruhiges Altenburger Land, das im Kampfe gegen die Kapp-Lüttwitz-Regierung gemeinsam mit den verfassungstreuen Landesjägern die Reichsregierung nachdrücklich[174] unterstützt hat, gegen Verleumdungen und noch mehr gegen etwa geplante Rache-Expeditionen unter allen Umständen zu schützen. Kein freiheitlich gesinnter Mann im deutschen Lande würde verstehen, wenn reaktionäre Militärformationen, die ja leider immer noch nicht aufgelöst sind, es wagen dürften, den Freistaat Sachsen-Alterburg oder andere ruhige und verfassungstreue Teile des Thüringer Landes zu einem Kriegsschauplatz zu machen. Wir sind überzeugt, daß der Herr Reichspräsident, dem ja die republikanische und streng verfassungstreue Gesinnung der weit überwiegenden Mehrheit der altenburgischen Bevölkerung bekannt ist, nicht zugeben wird, daß das Altenburger Land irgendwann schutzlos den Verdächtigungen und dem brutalen rachsüchtigen Unterdrückungsdrange reaktionärer Desperados ausgeliefert wird3.

3

Kempner notierte auf dem Anschreiben: „Altenburg ist durch ein Schreiben aus dem Büro des RPräs. beruhigt worden.“

gez. Frölich

Extras (Fußzeile):