2.155 (bru1p): Nr. 155 Vermerk des Staatssekretärs Pünder über eine Unterredung des Reichskanzlers mit dem Bayerischen Gesandten wegen der bayerischen Postabfindung. 29. Oktober 1930

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Nr. 155
Vermerk des Staatssekretärs Pünder über eine Unterredung des Reichskanzlers mit dem Bayerischen Gesandten wegen der bayerischen Postabfindung. 29. Oktober 1930

R 43 I /2007 , Bl. 32–37 Durchschrift

Der Herr Reichskanzler empfing heute mittag im Beisein des Unterzeichneten in der Frage der bayerischen Postabfindung den Bayerischen Gesandten Dr. von Preger1. Die Unterhaltung begann mit der Bemerkung des Herrn Gesandten,[582] daß der Herr Reichskanzler dem Herrn Ministerpräsidenten noch die Beantwortung der Frage schuldig sei, ob die Reichsregierung bereit sei, auf die bayerische Forderung aus der Postabfindung den erbetenen Kassenvorschuß von 6 Millionen M bis zum 1. April 1931 in Raten zu zahlen2.

Der Herr Reichskanzler erwiderte, daß die Fragestellung so nicht gelautet habe, sondern daß vereinbart worden sei, die Bayerische Staatsregierung müsse zunächst ihre Gesamtforderung aus der Postabfindung auf einen noch zu vereinbarenden festen Betrag herabsetzen und die diesbezügliche Klage beim Staatsgerichtshof zurückziehen. Dies sei die erste Voraussetzung der Beantwortung der bayerischen Frage gewesen. Die zweite Voraussetzung sei die, daß die Bayerische Staatsregierung bereit sei, dem Wirtschafts- und Finanzplan der Reichsregierung – von Kleinigkeiten abgesehen – im ganzen zuzustimmen.

Gesandter von Preger erklärte, daß ihm die zweite Voraussetzung ganz unerfüllbar erscheine3 und auch die erste Voraussetzung die Angelegenheit schwierig mache. Immerhin könne er wegen der ersten Voraussetzung erklären, daß die Bayerische Staatsregierung sich wohl zu einer Herabsetzung der Gesamtforderung auf 120 Millionen bereitfinden lassen würde. Die zweite Voraussetzung, nämlich die vorherige Zustimmung zum Wirtschafts- und Finanzplan, würde seitens des Herrn Ministerpräsidenten Held zweifellos abgelehnt werden, da sich die Bayerische Staatsregierung selbstverständlich nicht bereitfinden könne, solche zwei völlig verschiedenartige Probleme durch ein Junktim miteinander zu verbinden und zu einem Handelsgeschäft zu machen.

Der Herr Reichskanzler wandte sich sehr scharf gegen diesen ihm gemachten Vorwurf eines beabsichtigten „Handelsgeschäftes“. Er sei nicht schuld, daß er diese Forderung stellen müsse. Vielmehr sei es ja Bayern, das in diesem Augenblick an ihn mit finanziellen Forderungen herantrete. Bei der gegenwärtigen Kassen- und Finanzlage des Reichs (die der Herr Reichskanzler an Hand einer ihm vorliegenden Aufzeichnung vom 13. d. Mts. näher erläuterte), sei es eben der Reichsregierung völlig unmöglich, der Bayerischen Staatsregierung die 6 Millionen zu versprechen, wenn sie nicht Gewißheit hätte über die Annahme ihres Finanz- und Wirtschaftsplans. Die Reichsregierung befürworte dabei keineswegs ein „Handelsgeschäft“, sondern sie handle nur entsprechend der auf ihr lastenden ungeheuren Verantwortung, wenn sie nicht nur ein finanzielles Versprechen abgebe, sondern gleichzeitig sich auch die Gewißheit verschaffen müsse, daß das Versprechen eingehalten werden könne. Letzteres sei aber auch schon in Höhe der erbetenen 6 Millionen völlig unmöglich, wenn nicht der Wirtschafts- und Finanzplan angenommen werde. Da aber für die Annahme dieses Plans die Haltung der Bayerischen Staatsregierung bekanntermaßen von größter Bedeutung sei, müsse er an der gestellten Forderung unbedingt festhalten.

[583] Nachdem unsere Unterhaltung auf dieser Basis längere Zeit ohne Förderung hingegangen war, trat schließlich der Gedanke in den Vordergrund, ob nicht in einer auszutauschenden Erklärung auf die feste Zusicherung des Herrn Reichskanzlers verzichtet werden könne (weil die hierzu notwendige Voraussetzung in Gestalt der bayerischen Erklärung über ihre Haltung zum Wirtschafts- und Finanzplan nicht zu erhalten sei), und statt dessen der Herr Reichskanzler sich auf eine Zusicherung für die Zeit nach Annahme des Wirtschafts- und Finanzplans beschränke. Diesen Gedanken habe ich dann in dem anliegenden Entwurf einer beiderseitigen Erklärung vom heutigen Tage zu Papier zu bringen versucht; da in diesem Gedankengang die entsprechende bayerische Erklärung über die Haltung zum Wirtschafts- und Finanzplan fehlt, ist die Erklärung des Herrn Reichskanzlers auch nur auf seine eigene Person abgestellt.

Nachdem diese Formulierung flüchtig zu Papier gebracht worden war, haben wir aus dieser Besprechung heraus mit Herrn Reichsminister der Finanzen Dietrich telefoniert. Nachdem ich ihm die beiderseitige Erklärung vorgelesen hatte, erklärte er sich telefonisch bereit, der Erklärung des Herrn Reichskanzlers beizutreten, wenn die Herabsetzung der bayerischen Forderung nicht nur auf 120 Millionen, sondern auf 110 Millionen ausgesprochen würde. Er fügte aber hinzu, daß diese seine Erklärung in der Öffentlichkeit nicht bekanntwerden dürfe. In der anliegenden schriftlichen Formulierung wurde darauf die Erklärung des Herrn Reichskanzlers auf den Betrag von 110 Millionen abgestellt4.

Gesandter Dr. von Preger verließ kurz vor 2 Uhr den Herrn Reichskanzler, um sich auf Grund dieser Formulierung sofort mit Herrn Ministerpräsidenten Held in Verbindung zu setzen, der über diese Dinge bereits um 3 Uhr nachmittags im Bayerischen Landtag Auskunft geben müsse. Ehe er fortging, wurde auf seine eigene Frage nochmals festgestellt, daß in der anliegenden Formulierung die bayerische Zustimmung zum Wirtschafts- und Finanzplan nicht mehr eine Voraussetzung der Erklärung des Herrn Reichskanzlers sei, sondern daß diese zunächst vorgesehene Voraussetzung nunmehr dadurch ersetzt worden sei, daß sich die Zusicherung erst auf die Zeit nach Annahme des Wirtschafts- und Finanzplans beziehe und auch nur auf die Person des Herrn Reichskanzlers abgestellt sei. Es wurde ausdrücklich der theoretische Fall erwähnt, daß es – vorbehaltlich der Billigung der Erklärung des Herrn Reichskanzlers durch das Reichskabinett – nunmehr möglich sei, daß die 6 Millionen an Bayern zur[584] Auszahlung kämen, obschon die Bayerische Staatsregierung dem Wirtschafts- und Finanzplan nicht zugestimmt hätte. Der Herr Reichskanzler erklärte diesen theoretischen Fall auch nach seiner Meinung als durchaus möglich, wies allerdings in aller Loyalität darauf hin, daß er in diesem theoretischen Fall natürlich in keiner Weise übersehen könne, wie sich das Reichskabinett dann zu seiner Erklärung stellen werde.

Gegen 3 Uhr nachmittags teilte Gesandter Dr. v. Preger dem Herrn Reichskanzler fernmündlich mit, daß Herr Ministerpräsident Held den Vorschlag in der heute gefundenen Formulierung ablehnen müsse. In einem folgenden unmittelbaren Ferngespräch zwischen der Reichskanzlei und München wurde verabredet, daß Herr Ministerpräsident Dr. Held und der Landesparteivorsitzende der Bayerischen Volkspartei, Abgeordnete Schäffer, sich morgen früh zu einer Aussprache mit dem Herrn Reichskanzler in der Reichskanzlei einfinden werden5.

Pünder

Fußnoten

1

Durch Art. 88 RV war das Post- und Telegraphenwesen von den Ländern auf das Reich übertragen worden. Bayern und Württemberg hatten aufgrund des § 2 der Staatsverträge vom 29. und 31.3.20 Forderungen gegen das Reich in Höhe von 620 Mio bzw. 250 Mio RM (RGBl. 1920, S. 644 , 659 ). Da das Reich den Zahlungsverpflichtungen nicht nachgekommen war, hatten Bayern und Württemberg im Dezember 1928 beim Staatsgerichtshof Klage gegen das Reich erhoben. Die Klage war noch anhängig.

2

Preger hatte am 25. 10. in der Rkei angerufen und gebeten, daß der RK baldmöglichst eine Entscheidung über die Postabfindung durch das Kabinett herbeiführen möge, und zwar in der Form eines Kassenvorschusses von 5,6 Mio RM an Bayern. Am 28. 10. hatte Preger um ein Gespräch mit dem RK über diese Angelegenheit gebeten (R 43 I /2007 , Bl. 30–31).

3

Zur Stellungnahme Bayerns zum Wirtschafts- und Finanzplan der RReg. s. Dok. Nr. 139.

4

Die Erklärung hatte folgenden Wortlaut: „Ministerpräsident Dr. Held erklärte, daß die Bayerische Staatsregierung unter der Voraussetzung der Zahlung des erbetenen Vorschusses von 6 Millionen bis zum 1. April 1931 durch das Reich bereit sei, die bayerischen Forderungen aus der Postabfindung in Bezug auf Kapital und Zinsen auf 120 Millionen herabzusetzen und die diesbezügliche Klage beim Staatsgerichtshof zurückzunehmen. Reichskanzler Dr. Brüning erklärt, daß er vor Annahme des Wirtschafts- und Finanzplans der Reichsregierung unter dem Zwang der gegenwärtigen Finanzlage eine Zusicherung über die Zahlung des erbetenen Kassenvorschusses von 6 Millionen bis zum 1. April 1931 nicht geben könne, daß er aber bereit sei, nach Annahme des Wirtschafts- und Finanzplans sich für seine Person für eine Einigung mit Bayern dahin einzusetzen, daß die Verpflichtung des Reichs aus der Postabfindung auf einen Betrag von 110 Millionen festgesetzt und der oben erwähnte Kassenvorschuß in der erbetenen Frist und Höhe vom Reich ausgezahlt werde“ (R 43 I /2007 , Bl. 38).

5

Eine Aufzeichnung über die Besprechung vom 30. 10. ist in den Akten der Rkei nicht vorhanden. Als Ergebnis dieser Besprechung wurde eine vom RK, RFM und Bayer. MinPräs. unterzeichnete Urkunde aufgesetzt. Der Text der Urkunde ist mit der in Anm. 4 zitierten Erklärung identisch; außerdem wurde der folgende Zusatz in die Urkunde aufgenommen: „Die Abfindungssumme wird verrechnet mit Wirkung vom 1. April nächsten Jahres mit den Forderungen, welche die Post an das Land Bayern unmittelbar hat. Der Rest wird mit 4½% verzinst. Über die Abtragung bleibt nähere Regelung vorbehalten. Die endgültige Regelung der Postabfindung zwischen Reich und Bayern erfolgt durch Reichsgesetz. Der unterzeichnete Reichsfinanzminister schließt sich der Erklärung des Herrn Reichskanzlers an“ (R 43 I /2007 , Bl. 40).

Am 5.11.30 verhandelte der Württ. FM Dehlinger mit dem RK über eine, der dem Übereinkommen vom 30. 10. ähnliche Regelung der Postabfindung für Württemberg. Den Vorschlag des RK, Württemberg solle nach dem in den Staatsverträgen mit Bayern und Württemberg festgelegten Verhältnis 1 : 2½ insgesamt 48 Mio RM erhalten, lehnte Dehlinger ab. Eine Einigung wurde nicht erzielt (Vermerk des MinR Vogels vom 10. 11. in R 43 I /2007 , Bl. 48–49).

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