1.132.1 (bru2p): Wirtschaftslage.

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Wirtschaftslage.

Der Reichskanzler faßte seine Ansicht über die Lage zusammen, wie er sie nach dem Ergebnis der mittlerweile abgeschlossenen Verhandlungen bei der BIZ in Basel sehe. Die französische Diplomatie versuche seiner Ansicht nach planmäßig, uns von Verhandlungen zwischen den Notenbanken abzudrängen auf Verhandlungen zwischen den Regierungen, um Gelegenheit zu erhalten, politische Forderungen durchzudrücken1. Deswegen sei das Kommuniqué der BIZ über die abends beendigte Tagung2 für Deutschland sehr schädlich. Wir würden dadurch auf eine politische Bahn gedrängt, was dauernd vermieden werden sollte. Andererseits habe der Reichsbankpräsident am Telefon unmißverständlich nachdrücklich mitgeteilt, „Rediskontkredit ausgeschlossen“. Dann ergebe sich die Anleihefrage, die aber in Amerika wegen der entgegenstehenden Bestimmungen und in England wegen der Finanzlage nicht zu lösen sei. Es sei zu befürchten, daß auch Frankreich später der Situation nicht mehr gewachsen sein werde, wenn es vielleicht mehr zur Einsicht komme.

Aus all dem ergebe sich die Notwendigkeit, daß wir auf eigene Hilfe bedacht wären. Er mache folgende Vorschläge:

1.

Die Stimmung des Volkes müsse auf die wahren Ursachen der Situation gerichtet werden, die an sich zu bewältigen gewesen wäre. Die Presse müsse darüber Aufklärung schaffen. Mit Verboten allein komme man nicht weit genug.

2.

Die Rücksicht auf die Bevölkerung erfordere ferner jetzt die Aktienrechtsreform3, die schon länger vorgesehen sei, wenigstens zum Teil in Kraft zu setzen.

3.

Schließlich wäre eine besondere Kommission einzusetzen, wie sie von Staatssekretär Trendelenburg gelegentlich vorgeschlagen wurde4, um eine Reihe von Punkten im deutschen Wirtschaftsleben mit aller Offenheit aufzuklären und zu beantworten.

Staatssekretär BülowBülow bestätigte die Auffassung des Reichskanzlers über die französische Diplomatie, und daß man dem Volk die Aussichtslosigkeit[1355] einer Auslandsanleihe zeigen müsse. Auch seine Ansicht sei, daß die politischen Bindungen Frankreichs sich nicht auf kleine Abschlagsleistungen beschränken würden, sondern bestimmt u. a. umfassen würden:

1.

weitgehende Maßnahmen im Innern, wie Auflösung des Stahlhelms, außerdem

2.

Bekräftigung und Verankerung des Versailler Vertrages durch ein Ostlocarno.

Der Reichsfinanzminister unterstrich die Vorschläge wegen Aufklärung der Volksmeinung über die Ursachen der Lage und wegen Reform des Aktienrechts. Außerdem müsse beschleunigt mit allerschärfsten Mitteln gegen Auswüchse der Wirtschaftsunternehmungen, namentlich Aktiengesellschaften vorgegangen werden. Besonders gegen die „Nordwolle“ müsse alle Schärfe angewandt werden. Die Bücher müßten unbedingt gesichert werden sowie die weiteren Aufklärungen. Es scheine Anlaß zu der Befürchtung, daß in Bremen nicht mit dem nötigen Nachdruck eingeschritten werde.

Staatssekretär SchäfferSchäffer erörterte die Finanzlage in London und in anderen Ländern. Er rechne damit, daß die Lage sich in einem Ausmaß und einem Tempo verschärfe, wie der Reichskanzler angedeutet habe.

Staatssekretär TrendelenburgTrendelenburg äußerte gleichfalls Befürchtungen, daß die Lage sich so auswachsen werde, daß die Mittel bald nicht mehr vorhanden sein könnten, um ihr abzuhelfen. Daraus ergebe sich der Zwang, keine Mittel zu scheuen, auch außergewöhnliche. Deswegen sei Ausgabe von Ersatzzahlungsmitteln eine Notwendigkeit. Die Aktienreform könne seiner Ansicht nach nicht genau entsprechend dem Entwurf gemacht werden, sondern müsse auf die neue Lage besonders zugeschnitten werden.

Staatssekretär JoëlJoël wies darauf hin, daß die Justizpflege große Schwierigkeiten habe, in den kommenden Zeiten zu helfen. Eine Aktienreform im Wege der Notverordnung einzuführen, halte er für bedenklich. Im Fall „Nordwolle“ habe trotz gewisser Hemmungen von Bremen aus das Reichsjustizministerium bereits insofern eingegriffen, als Kommissare nach Bremen gesandt worden seien, um Erkundigungen einzuziehen und über den Verlauf des Verfahrens Bericht zu erstatten5.

Der Reichsfinanzminister wünscht unter Zustimmung anderer Kabinettsmitglieder im Fall „Nordwolle“ möglichst ein noch schärferes Vorgehen.

Staatssekretär PünderPünder berichtete sodann noch über ein Telefongespräch, das er in der Zwischenzeit mit dem Reichsbankpräsidenten gehabt habe. Der Reichsbankpräsident habe nach der BIZ-Sitzung selbst bereits eine Pressekonferenz abgehalten, um das Mißverständnis in dem Protokoll klarzustellen. Er sei auch mit der Ausgabe eines Kommuniqués hier vollkommen einverstanden und habe nicht etwa Bedenken wegen seiner Person.

Staatssekretär SchäfferSchäffer gab dann noch sein Urteil über die Lage von wirtschaftlichen Gesichtspunkten aus gesehen „ohne Rücksicht auf alle politischen[1356] Erwägungen“. Er meinte, von diesem Standpunkt aus gesehen müsse man die Finanzlage dahin beurteilen, daß ein Rediskontkredit nicht das abgeflossene Gold ersetzen könne. Ein Ersatz dafür könne nur durch eine Anleihe oder auf ähnliche Weise erfolgen.

Staatssekretär PünderPünder verlas dann das Kommuniqué der BIZ über ihre Sitzung vom 13. Juli6.

Der Reichskanzler stellte unter Zustimmung des Kabinetts fest, daß das Kommuniqué so mißverständlich sei, daß es nicht durch WTB verbreitet werden dürfe7. Der Reichsbankpräsident habe telefonisch kommentiert, es sei nicht eine einzige Meinung für Rediskontkredit an Deutschland vorhanden gewesen8.

Fußnoten

1

S. Dok. Nr. 382, Anm. 1.

2

Vgl. Dok. Nr. 382, Anm. 2.

3

Vgl. Dok. Nr. 380, Anm. 8.

4

S. Dok. Nr. 339, P. 3.

5

Am 13. 7. waren MinDir. Schäfer und ORegR Lehmann vom RJMin. in Bremen, um sich über den Stand der Ermittlungen im Fall „Nordwolle“ zu informieren (DAZ Nr. 315–316 vom 15.7.31).

6

S. Dok. Nr. 382, Anm. 1.

7

Das Kommuniqué wurde in WTB Nr. 1470 am 14.7.31 veröffentlicht (R 43 I /315 , Bl. 44).

8

Die Sitzung schloß gegen 1 Uhr (Nachl. Pünder Nr. 43, Bl. 121), nach den Erinnerungen Hans Schäffers gegen 2.30 Uhr früh (Nachl. Dietrich Nr. 308, Bl. 31). Zum Ablauf dieses Tages vgl. auch Brüning, Memoiren, S. 320–322.

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