1.200 (bru2p): Nr. 452 Vermerk des Ministerialdirektors v. Hagenow über eine Besprechung des Reichskanzlers mit Vertretern des Handwerks vom 21. August 1931

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Nr. 452
Vermerk des Ministerialdirektors v. Hagenow über eine Besprechung des Reichskanzlers mit Vertretern des Handwerks vom 21. August 1931

R 43 I /1015 , Bl. 204–205

Am 21. August empfing der Reichskanzler in Gegenwart des Staatssekretärs Dr. Trendelenburg und des Unterzeichneten Vertreter des Handwerks, nämlich die Herren

1.

Derlien, Vorsitzender des Reichsverbandes des Deutschen Handwerks,

2.

Pflugmacher, Präsident des Deutschen Handwerks- und Gewerbekammertages,

3.

Prof. Dr. Stein, Anwalt des Deutschen Genossenschaftsverbandes,

4.

Dr. Meusch, Generalsekretär des Deutschen Handwerks- und Gewerbekammertages.

Nach Eröffnung der Aussprache bedankten sich die Vertreter des Handwerks für den Empfang beim Reichskanzler. Sie legten den Wunsch nahe, in Zukunft zu das Handwerk berührenden Fragen die Spitzenvertretung hinzuzuziehen, um Wünsche an höchster Stelle vorbringen zu können. Z. Zt. sei man im Handwerk der Meinung, daß die Spitzenorganisation nicht genügend an den Besprechungen beteiligt sei, dies habe natürlich zu einer Radikalisierung des Handwerks geführt, insbesondere benutze man diese Stimmung dazu, die Organisation zu zerschlagen. Die Handwerker seien zur Zeit in eine schwierige Lage geraten, als bei den gegenwärtigen Verhältnissen wenig Reparaturen ausgeführt würden. Auch regierungsseitig sei man leider dazu übergegangen, die Bezahlung der Rechnungen in letzter Zeit zu stoppen. Auch dieser Zustand müsse beseitigt werden.

Der Reichskanzler erwiderte, daß er volles Verständnis für die Wünsche des Handwerks habe. Auf der anderen Seite müsse er aber erklären, daß an der Notlage, unter der zur Zeit auch das Handwerk zu leiden habe, das Handwerk[1599] selbst sehr viel Schuld trage. Das erkläre sich vor allem daraus, daß die Preise für die Reparaturen viel zu hoch seien. Die Organisation müsse darauf dringen, daß die Handwerker die Preise den tatsächlichen Verhältnissen anpaßten. Die Vertreter des Handwerks bemerkten demgegenüber, daß sie nicht zugeben könnten, daß die Preise für Reparaturen zu hoch seien. Wenn diese Preise allgemein als zu hoch empfunden werden, so erkläre sich das nicht aus den Tatsachen, für die die Handwerker verantwortlich seien, sondern aus den Löhnen, die zu hoch seien. Man müsse bei der Einstellung auch berücksichtigen, daß auch der Meister verdienen müsse, um leben zu können. Schon heute sei im Handwerk die Preisunterbietung sehr stark. Selbstverständlich müsse man anstreben, die zur Zeit bestehenden Preisbindungen fallen zu lassen. In diesem Zusammenhang kam der Herr Reichskanzler auf die Löhne der Bauarbeiter zu sprechen und betonte, daß diese Löhne viel zu hoch seien. Die Regierung sei aber für diese Löhne nicht verantwortlich, sondern die Unternehmer selbst, die seinerzeit eigenmächtig vorgegangen seien. Die Arbeitgeber seien dem Reichsarbeitsministerium einfach in den Rücken gefallen.

Aus den Kreisen der Handwerker wurde bemerkt, daß selbstverständlich die Bindungen des Marktes gelöst werden müßten. Ein hohes Preisniveau nütze nichts, wenn Arbeit fehle.

Staatssekretär Dr. Trendelenburg führte aus, daß die zur Zeit bestehenden Schwierigkeiten in der Bindung lägen.

Die Grundlage der Wirtschaft beruhe auf Fiktionen. Diese Fiktionen müßten beseitigt werden. Sowohl an die Lohnbildungsfrage sowie auch an die Preisbildungsfrage müßte mit Energie herangetreten werden. Vor allen Dingen müsse die Preisbildung freier gestellt werden. Der Wettbewerb müsse gefördert werden. Hinzu komme, daß die Handwerker keine Versuche machten, um sich nach Arbeit umzusehen, im Gegensatz zu den Arbeitslosen, die sich sehr um Reparaturarbeit bemühten. Er könne nur im Interesse des Mittelstandes sagen, daß der Mittelstand sich seiner Haut wehren müsse. In der heutigen Notzeit gehe jeder kaputt, der sich nicht seiner Haut wehrt. Die Vertreter des Handwerks betonten, daß schon jetzt die Handwerker viel Besuche machten, um sich nach Reparaturen umzusehen.

Ein Vertreter kam sodann auf die Brotpreise zu sprechen und bemerkte, daß die Brotpreise schon wieder stiegen, nachdem es nicht möglich gewesen sei, Roggen zu billigen Preisen einzukaufen. Im übrigen müßten überhaupt die hohen Zölle und die Subventionen an die Landwirtschaft aufhören. Die gegenwärtige Politik auf dem Gebiete der Landwirtschaft brächten den Bäckern nur die größten Schwierigkeiten. Im übrigen könnten sie ihre Leute im Lande nur noch bei der Stange halten, wenn sie nach außen hin über das Ergebnis der heutigen Aussprache mit dem Reichskanzler etwas sagen, vor allen Dingen eine Zusage mitteilen könnten, wonach die Reichsregierung bereit sei, die Sachverständigen des gewerblichen Mittelstandes bei wichtigen Fragen anzuhören.

Der Reichskanzler erwiderte, daß er gern bereit sei, die Vertreter des Handwerks anzuhören, aber er könne sich nicht damit einverstanden erklären,[1600] daß diese Zusage nach außen in der Presse bekannt gegeben werde. Eine solche Bekanntgabe müsse zur Folge haben, daß auch andere Berufsgruppen gleiche Wünsche äußerten. Es würden dann schließlich so viele Verhandlungen und Besprechungen stattfinden, daß für die Regierung keine Zeit mehr sei, sich tatsächlich den Fragen zu widmen. Um Mißverständnisse auszuschließen, weise er darauf hin, daß zu wichtigen Fragen des Bankwesens auch nicht Vertreter des Bankiergewerbes hinzugezogen seien.

Am Schluß der Aussprache kamen die Vertreter des Handwerks noch auf die Frage des Bankverkehrs zu sprechen und wiesen darauf hin, daß der Personalkredit äußerst eingeschränkt sei, eigentlich überhaupt gedrosselt sei. Dieser Zustand sei ein Ding der Unmöglichkeit und berühre die Lebensinteressen des Handwerks auf das äußerste. Es könne vielleicht ein Kreditinstitut geschaffen werden, das mehr den Interessen des Handwerks diene.

Nachdem Herr Staatssekretär Dr. Trendelenburg und Herr Professor Stein sich zu diesen Fragen noch eingehend geäußert hatten, schloß der Herr Reichskanzler die Sitzung.

H[a]g[enow]

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