1.126.2 (bru3p): 2. Entschuldung im Osthilfegebiet.

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2. Entschuldung im Osthilfegebiet.

Der Reichskommissar für die Osthilfe berichtete über die Verschuldungsverhältnisse im Osten, die trotz aller bisherigen Maßnahmen immer noch sehr schwierig wären9. Er habe vor allem große Sorge, ob die Betriebe, die unter dem Sicherungsverfahren ständen, bis zur nächsten Ernte durchgehalten werden könnten. Die bisherigen Wege der Entschuldung müsse man verlassen, weil die vorgesehenen Möglichkeiten der Finanzierung ausgeblieben wären. Die Industriebank habe die erwartete Geldbeschaffung nicht durchführen können. Er habe deswegen einen neuen Weg zur Finanzierung der Entschuldung suchen müssen und in weitem Umfang mit den in Frage kommenden Stellen der Reichsbank, der deutschen Rentenbank und der Rentenbank-Kredit-Anstalt eine Verständigung bereits erzielt. Er erwarte von dem neuen Weg, wie er in dem im Kabinett vorgelegten Verordnungsentwurf geregelt werde, daß ein großer Teil der Betriebe, die jetzt im Sicherungsverfahren sich befänden, in das Entschuldungsverfahren übergeleitet werden könnten.

Vor Erörterung der Einzelheiten des Entwurfs mache er auf die Hauptfrage der Lösung aufmerksam. Diese bestehe darin, wie die Ablösungsscheine, die den bisherigen Gläubigern der Landwirte gegeben werden sollten, zu Geld gemacht werden könnten, damit Handel und Gewerbe nicht zu sehr geschädigt würden10.

Er verlas sodann den dem Kabinett (als Anlage 1) beigefügten Entwurf der Entschuldungsverordnung und gab zu verschiedenen Bestimmungen nähere Erläuterungen11.

Zu § 5 Absatz 1 teilte er mit, daß er über die Wiedereinführung der Rentenbankgrundschuldzinsen mit den maßgebenden Organisationen des Ostens verhandelt und mit diesen zu einer Verständigung gelangt sei. Unter anderem habe er mit dem Verwaltungsrat der Rentenbankkreditanstalt darüber eingehend gesprochen. Auch Graf Kalckreuth und Präsident Brandes hätten sich einverstanden erklärt.

Zu § 7: bezüglich der Mobilisierung der Schuldverschreibungen sei die Reichsbank einverstanden. Die Einzelheiten sollten noch geregelt werden12.

[2207] Zu § 9 habe er schon vor einiger Zeit mit dem Ministerpräsidenten Braun ein grundsätzliches Einverständnis darüber erzielt, daß die betreffenden Organisationen geprüft werden und daß notwendige Rationalisierungsmaßnahmen durchgeführt werden sollten. Er lege bei diesen Maßnahmen großen Wert auf die psychologische Wirkung bei den nichtlandwirtschaftlichen Bevölkerungskreisen. Er wolle den Eindruck vermeiden, als ob die anderen Berufsorganisationen allein die Hilfe für die Landwirtschaft leisten sollten.

Der Reichsminister der Finanzen erklärte, gegenüber den Vorschlägen des Entwurfs schwere Bedenken zu haben.

Zunächst müsse die Frage aufgeworfen werden, wie denn die Schuldverschreibungen bewertet würden. Es müsse unbedingt eine Sicherheit geschaffen werden, daß die Gläubiger nicht ein zweites Mal Verluste zu tragen hätten. Daß die ersten Hypotheken bestehen bleiben sollten, halte er für selbstverständlich.

Der Reichskommissar für die Osthilfe erwiderte darauf, daß vorgesehen sei, die kleinen Forderungen (der Handwerker u. a.) aus den Mitteln des Betriebssicherungsfonds in bar zu tilgen.

Der Reichsminister der Finanzen fuhr fort, er habe in einer kurzen Unterredung mit dem Reichsbankpräsidenten festgestellt, daß dieser bei weitem nicht in dem Umfange einverstanden sei, wie Minister Schlange annehme. Präsident Luther habe namentlich Bedenken, die Rentenbank in dem vorgesehenen weiten Umfange in Anspruch zu nehmen.

Die Rentenbank selbst stelle auch noch Forderungen und lehne u. a. ab, dem Vorschlag bezüglich der Mobilisierung der Schuldverschreibungen nach § 713 zuzustimmen, solange nicht die Reichsbank einverstanden sei.

Ferner habe er Bedenken wegen der finanziellen Auswirkungen für das Reich. Die Rentenbank verlange, daß der Finanzminister für alle Ausfälle hafte.

Er fürchte, daß mit dem Aufkommen der Industriebelastung in zu weiterm Umfange gerechnet werde. Der Reichstag habe am Tage vorher, am 20. d. Mts., noch die Forderung aufgestellt, daß die Industrie von der Industrieabgabe weitgehend entlastet werde.

Das Tempo, wie es im Entwurf vorgesehen sei, sei nicht möglich.

Sodann bleibe die Frage offen, was mit den Gütern geschehen solle, die im Sicherungsverfahren sich befänden.

Vor allem lasse auch die jetzige Vorlage wieder die Frage offen, was mit den Gütern geschehen solle, die in großer Zahl auf die Dauer nicht zu halten seien. Die Erwerbslosenzahl wachse dauernd. Die Etatausgaben dafür beliefen sich bereits auf 3 Milliarden RM14. Diese Sachlage zwinge dazu, umgehend daranzugehen, solche Güter durch Erwerbslose wieder nutzbar zu machen.

[2208] Sein Hauptbedenken richte sich dagegen, daß die Rentenbank in diesem Umfang eingespannt werde, auf die das Reich in besonderer Notlage vielleicht noch zurückgreifen müsse.

Der Reichskommissar für die Osthilfe meinte, der Reichsminister der Finanzen habe bestätigt, daß der bisherige Weg der Entschuldung nicht weiter möglich sei. Insofern habe er die Berechtigung seines Entwurfs anerkannt. Was die Kritik angehe, so sei eine Hilfe ohne Nachteile nicht möglich. Der Entwurf scheine ihm der verhältnismäßig am wenigsten schlechte Weg zu sein. Das Aufkommen der Industriebank dürfe man nicht zu pessimistisch beurteilen. Der letzte Istbetrag habe sich auf 4,1 Millionen belaufen. Der Entwurf beanspruche nur 3 Millionen. Das vorgesehene Entschuldungstempo sei möglich, weil Entschuldungsfälle in solchem Umfang vorbearbeitet seien, daß es nur noch an den nötigen Mitteln fehle. Auch die Umorganisation der Oststelle ermögliche, das Tempo durchzuhalten. Die Siedlungsfrage solle sofort angefaßt werden, sobald der vorgelegte Entwurf erledigt sei.

Reichsbankdirektor Knaack wies darauf hin, daß der Reichsbankpräsident zu einer Osthilfelösung sein Einverständnis gegeben habe, unter der Voraussetzung, daß die Ablösungsscheine den Umfang von 100 Millionen RM nicht übersteigen würden15.

Bezüglich der Mobilisierung der Schuldverschreibungen habe der Reichsbankpräsident sein Einverständnis nicht dahin verstanden wissen wollen, daß die Reichsbank ohne weiteres und unbegrenzt diskontieren werde. Der Betrag solle beschränkt bleiben. Die Reichsbank wolle Schuldverschreibungen gegen Wechsel zudem nur nehmen, soweit sie im einzelnen Falle interessiert sei.

Die Reichsbank wolle Ablösungsscheine im Werte von 100 Millionen lombardieren. Sie gehe von einem fingierten Kurswert von etwa 80% aus und habe die Lombardgrenze auf 40 bis 50% vorgesehen. In bar wolle die Reichsbank bei dieser Berechnung insgesamt 40 Millionen zur Verfügung stellen.

Auch er halte für ausgeschlossen, daß das vorgesehene Tempo durchgehalten werden könne.

Staatssekretär Dr. Weismann erklärte, bei diesem Standpunkt der Reichsbank entfalle die ganze Grundlage des Entwurfs.

Zu § 9 des Entwurfs16 müsse er feststellen, daß die Preußische Staatsregierung bei der Verständigung mit Minister Schlange zugesagt habe, bis zum 20. März selbst die betreffenden Mißstände zu beseitigen. Er bäte infolgedessen, daß dieser Termin abgewartet werde.

Von der Wiedereinführung der Rentenbankgrundschuldzinsen befürchte er, daß der Eingang der preußischen Grundsteuern darunter leiden würde. Die Grundbesitzer würden aus verständlichen Gründen die Rentenbankabgaben zunächst leisten.

Der Reichsminister der Finanzen der die Leitung der Besprechung übernommen hatte, nachdem der Reichskanzler die Sitzung hatte verlassen müssen17, erklärte[2209] zum § 9 des Entwurfs, der Wortlaut müsse konkreter gefaßt werden, weil die jetzige Fassung Anlaß zu Mißverständnissen biete.

Es sei im übrigen notwendig, die Besprechung am anderen Tage fortzusetzen und gleichzeitig in die Erörterung einzuschließen, die mit der Angelegenheit zusammenhängenden Fragen der Beschaffung der Kredite für Düngemittel18 wie auch die Frage der Betriebe, die bisher sich nicht im Sicherungsverfahren befänden.

Der Reichswirtschaftsminister bestätigte, daß die Frage der Betriebsmittelbeschaffung gleichfalls sehr wesentlich sei und eine gesetzliche Regelung erforderlich mache. Die Vorverhandlungen darüber hätten im Zusammenhang gestanden mit den Verhandlungen über die Finanzierung der Entschuldung. Nur aus diesem Zusammenhang scheine ihm die jetzige Entschuldungsvorlage des Reichskommissars für die Osthilfe verständlich zu sein.

Der Reichskommissar für die Osthilfe erklärte, die Divergenz wegen der Reichsbank habe er vorhergesehen. Er müsse aber mit der Reichsbank zu einer Klärung kommen. Ohne Mobilisierung der Ablösungsscheine sei die ganze Aktion nur eine halbe Maßnahme.

Der Reichsminister der Finanzen vertagte die Fortsetzung der Besprechung auf den anderen Tag19.

Fußnoten

9

Hierzu Dok. Nr. 624.

10

Vgl. Dok. Nr. 624, Anm. 6 und 7.

11

Die Vorlage mit Anschreiben vom 19.1.32 hatte die Einwände der Rkeivgl. Dok. Nr. 624, Anm. 11 – berücksichtigt: So war § 2 über die Schuldverschreibungen präziser gefaßt worden; auf die Gründung einer „Landwirtschaftlichen Diskontbank AG“ hatte Schlange verzichtet (R 43 I /1812 , Bl. 37–42). MinR Feßler hatte in seinem Referentenvortrag allerdings auf die Gefahr einer inflationistischen Wirkung hingewiesen und wegen der Schaffung des neuen Kredits in dieser Höhe reparationspolitische Bedenken geäußert. Die von der Landwirtschaft und der Rkei kritisierten Rentenbankzinsen waren im überarbeiteten VoEntw. weggefallen. Wegen der vorgesehenen Vollmacht für die Verbilligung und Einsparung von Osthilfeausgaben hatte Feßler Konflikte mit den Ländern befürchtet (R 43 I /1812 , Bl. 43–44).

12

Die Rbk hatte sich bereiterklärt, 100 MioRM Ablösungsscheine aufzunehmen und 100 MioRM Schuldverschreibungen bei einem angenommenen Kurs von 80% mit 50% zu lombardieren. Gegen die weitere Forderung Schlanges an die Rbk, weitere 250 MioRM der Schuldverschreibungen zu finanzieren, hatte RbkVPräs. Dreyse erhebliche Bedenken erhoben, eine Prüfung des Gesamtplans jedoch zugesagt (Vermerk MinR Feßlers über die Chefbesprechung vom 22.1.32 mit der Rbk über die Mobilisierung der Schuldverschreibungen in R 43 I /1812 , Bl. 73). Vgl. hierzu auch Dok. Nr. 643.

13

§ 7 des VoEntw. lautete: „Um den nach § 1 durch Hingabe von Schuldverschreibungen abgefundenen Gläubigern die Beschaffung von Bargeld aufgrund der Schuldverschreibungen in dem unbedingt notwendigen Umfange zu ermöglichen, wird die Deutsche Rentenbank ermächtigt, Wechselverbindlichkeiten einzugehen und sonstige damit im Zusammenhange stehende Hilfsgeschäfte zu betreiben“ (Vorlage vom 19.1.32, R 43 I /1812 , Bl. 37–42, hier Bl. 40).

14

Vgl. dagegen die Aussage des RK in Dok. Nr. 644, die ALV erfordere einen Gesamtbetrag von 3,3 Mrd. RM.

15

Vgl. hierzu Anm. 12.

16

§ 9 des VoEntw. vom 19.1.32 ermächtigte den ROsthilfeKom. Beiträge, Gebühren usw. zur Entlastung der landwirtschaftlichen Betriebe des Osthilfegebiets herabzusetzen (R 43 I /1812 , Bl. 37–42, hier Bl. 40).

17

Der RK hatte Besprechungen mit Präs. Gelpcke von der Berliner Handelskammer sowie mit den SPD-RT-Abgg. Hilferding, Wels und Breitscheid.

18

Hierzu Dok. Nr. 641, P. 5.

19

Nach der hier nicht abgedruckten Chefbesprechung vom 22.1.32 (siehe Anm. 12) fand die nächste Besprechung über Schlanges NotVoEntw. am 5.2.32 statt: Dok. Nr. 662, P. 6.

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