1.218.1 (bru3p): 1. Bericht über die Genfer Verhandlungen.

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1. Bericht über die Genfer Verhandlungen.

Der Reichskanzler wies darauf hin, daß ein Teil der Verhandlungen so vertraulich gewesen sei, daß in diesem Stadium noch keine Mitteilungen gemacht werden könnten. Zur Entwaffnungsfrage bemerkte er, daß die negative Kritik der Berliner Rechtspresse wohl stark auf die Preußenwahlen1 abgestellt gewesen sei. Er könne die bisherige Taktik und Verhandlungsart der deutschen Delegation, insbesondere auch ihres Führers, des Botschafters Nadolny, nur billigen. Es sei taktisch richtig gewesen, nicht gleich durch scharfe Reden die wichtigen Fragen zu einer vorzeitigen Krise zu bringen2. Auch müsse immer die Notwendigkeit im Auge behalten bleiben, den Boden für die Reparationsverhandlungen vorzubereiten. Die Franzosen seien in den letzten Wochen durch die bevorstehenden Kammerwahlen3 lahmgelegt worden. In dieser Zeit habe man, namentlich bei den Verhandlungen über die qualitative Abrüstung, d. h. der Beseitigung der schweren Waffen,[2481] durch enge Fühlungnahme mit den angelsächsischen Mächten4 und den Italienern5 einen taktischen Vorsprung vor den Franzosen erlangt.

Zur Reparationsfrage berichtete der Reichskanzler, daß es gelungen sei, den englischen Außenminister6 und Sir Frederick Leith Ross7 für die deutsche Auffassung zu gewinnen, daß nur die völlige Streichung deutscher Zahlungen die Wirtschaftssituation wieder herstellen könne. Mit Frankreich sei aus den oben erwähnten Gründen kaum zu verhandeln gewesen, immerhin sei man wohl in der französischen Regierung unter dem Druck der politischen Isolierung auf der Suche nach einer für Frankreich politisch möglichen Formel, um zur Beendigung der Reparationen zu kommen8.

Auch die Verhandlungen mit den kleinen Mächten hätten zu einer Verstärkung der deutschen Auffassung von der Reparationsfrage geführt. Allgemein sei durch die Angst vor einer Zusammenbruchskrise für Deutschland Boden gewonnen.

In der Donaufrage sei die französische Einsicht noch nicht genügend fortgeschritten, obwohl im Donauraum schon für die nächsten Wochen erneute Schwierigkeiten vorauszusehen seien9. Die deutsche Argumentation in London habe einen nachhaltigen Eindruck auf alle Beteiligten ausgeübt10. Anleihen für den Donauraum seien, mit Ausnahme einer Hilfsaktion für Österreich, wohl ausgeschlossen. Die Neigung, den Donauländern die Abkehr vom Goldstandard zu empfehlen, sei gewachsen. Die Empfehlungen des Finanzkomitees des Völkerbunds hätten bei den Sachverständigen der verschiedenen Regierungen keine Billigung gefunden11.

Der Reichskanzler äußerte die Meinung, daß nur eine Senkung des intereuropäischen Zollniveaus auch dem Donauraum wirkliche Hilfe bringen könne. In dieser Hinsicht sei der zweite Teil der bevorstehenden Konferenz von Lausanne besonders wichtig, der sich mit den Währungs- und Wirtschaftsfragen befassen soll. Es sei bedauerlicherweise allerdings wahrscheinlich, daß wegen der Konferenz von Ottawa12 diese Beratungen bis zum September vertagt werden müßten.

Ministerialdirektor von Krosigk berichtete, daß die vom Finanzkomitee des Völkerbunds vorgeschlagene kurzfristige Anleihe von allen Mächten abgelehnt worden sei, ehe nicht eine wirkliche Sanierung vorgenommen werde. England und Italien hätten Aufgabe des Goldstandards vorgeschlagen, wogegen sich naturgemäß Frankreich gewandt habe. Gegen den Vorschlag von Avenol, aus garantierten Anleihen der Regierungen eine Währungsreserve zu schaffen, hätten ebenfalls[2482] Engländer und Italiener gestimmt, da sie darin nur eine Erneuerung der französischen Donaupläne erblickten. Man werde sich höchstens auf einen gemeinsamen Fonds der Notenbanken bei der BIZ einlassen. Für Österreich werde vielleicht eine Sonderbehandlung eintreten, für die besonders England seiner dortigen Interessen wegen gestimmt habe. Wahrscheinlich würden unter Garantie der aufbringenden Länder 300 Millionen S.[chilling] auf dem Anleihwege zur Verfügung gestellt. Bei den Verhandlungen sei stets die wachsende Isolierung Frankreichs in Erscheinung getreten13. Abschließend berichtete der Reichskanzler daß seine Gespräche mit dem polnischen14 und dem tschechischen Außenminister15 die grundsätzliche Bereitschaft aller Länder ergeben hätte, jede Reparationslösung mitzumachen, auf die die Großmächte sich einigen könnten.

Fußnoten

1

Zum Ergebnis der pr. LT-Wahl siehe Dok. Nr. 728, Anm. 2.

2

Vgl. die Rede Nadolnys auf der Abrüstungskonferenz am 18.2.32 (WTB Nr. 366 vom 18.2.32, R 43 I /519 , Bl. 293–294; ausländische Pressestimmen zu Nadolnys Rede nach WTB a. a. O., Bl. 295–296). Vgl. auch die Erklärung Nadolnys am 24.2.32 in der öffentlichen Sitzung des Hauptausschusses der Abrüstungskonferenz (WTB Nr. 416 vom 24.2.32, R 43 I /519 , Bl. 296–297).

3

Vgl. Dok. Nr. 745, Anm. 9.

4

Hierzu Dok. Nr. 727.

5

Vgl. das Telegramm StS v. Bülows über die Unterredung zwischen dem RK und dem Ital. AM Grandi vom 19.4.32 in ADAP, Serie B, Bd. XX, Dok. Nr. 57.

6

Telegramm StS v. Bülows vom 18.4.32 über eine Unterredung zwischen dem Brit. AM Sir J. Simon und dem RK in ADAP, Serie B, Bd. XX, Dok. Nr. 56.

7

Vgl. die Aufzeichnung vom 19.4.32 von MinDir. Graf Schwerin v. Krosigk über ein Gespräch mit StS v. Bülow mit Sir Frederick Leith-Ross am 9.4.32 in ADAP, Serie B, Bd. XX, Dok. Nr. 61.

8

Diese Meinung äußerte auch Leith-Ross in der Unterredung am 9.4.32: siehe Anm. 7.

9

Vgl. Dok. Nr. 693 und Dok. Nr. 718.

10

Hierzu Dok. Nr. 718, Anm. 3.

11

Vgl. den Bericht des Finanzkomitees über die Lage Österreichs, Bulgariens, Griechenlands und Ungarns vom 1.4.32 in Schultheß 1932, S. 441.

12

Vgl. Dok. Nr. 698, Anm. 6.

13

Vgl. den Runderlaß des AA vom 27.7.32, ADAP, Serie B, Bd. XX, Dok. Nr. 254.

14

Vgl. das Telegramm StS v. Bülows Nr. 446 vom 25.4.32 über das Gespräch des RK mit dem Poln. AM Zaleski in R 43 I /126 , Bl. 125–127.

15

Vgl. die Aufzeichnung des RK Brüning in Genf mit dem tschechoslowakischen AM Benesch am 26.4.32, ADAP, Serie B, Bd. XX, Dok. Nr. 68.

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