1.226.1 (bru3p): Fortsetzung der Generalaussprache über die weiteren Kabinettsarbeiten.

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Fortsetzung der Generalaussprache über die weiteren Kabinettsarbeiten.

Die Beratungen befaßten sich im wesentlichen mit der Frage der möglichen Reformen auf dem Gebiet der Arbeitslosenhilfe sowie mit den Lösungsmöglichkeiten für die Deckung der Arbeitslosenfürsorgekosten1.

[2500] Oberbürgermeister Dr. Goerdeler verbreitete sich eingehend über seine in mehrfachen schriftlichen Eingaben niedergelegten Auffassungen zur Sache2. An seinen Ausführungen war besonders wesentlich die Empfehlung der Einführung der Bedürftigkeitsprüfung in die Arbeitslosenversicherung. Er berechnete die Ersparnisse einer derartigen Maßnahme auf 100–150 Millionen RM. Ferner glaubte er, damit rechnen zu können, daß durch organisatorische Reformen in der Arbeitslosenhilfe sowie durch weitgehende Einführung von Naturallieferungen an Stelle von Bargeldunterstützungen weitere Einsparungen von 200–250 Millionen gemacht werden könnten. Demgegenüber führten die Vertreter des Reichsarbeitsministeriums und der Präsident der Reichsanstalt für Arbeitslosenversicherung, Herr Syrup, aus, daß die Einführung der Bedürftigkeitsprüfung der Arbeitslosenversicherung höchsten 35 Millionen Ersparnisse bringen werde.

Der Reichsarbeitsminister bemerkte hierzu, daß er zu der Frage der etwaigen Bedürftigkeitsprüfung in der Arbeitslosenversicherung noch nicht endgültig Stellung nehmen könne, zweifellos werde eine solche Maßnahme ganz außerordentliche politische Rückwirkungen erzeugen3. Wenn die erzielbaren Ersparnisse wirklich nur 30–35 Millionen RM ausmachen sollten, müsse man ernstlich abwägen, ob diese Summe die politischen Rückwirkungen aufwiege.

In der weiteren Aussprache wurde sodann erwogen, ob nicht die in der voraufgegangenen Sitzung vom Reichsminister der Finanzen vorgeschlagene Notabgabe zur Deckung der Arbeitslosenhilfe4 dadurch vermieden werden könne, daß man den Gemeinden von Reichs wegen die Möglichkeit eröffne, die Bürgersteuer für das laufende Jahr zu verdoppeln. Es wurde festgestellt, daß die Bürgersteuer den Gemeinden im letzten Jahr ein Aufkommen von rund 275 Millionen RM erbracht habe, d. h. also im wesentlichen den Betrag, um den die Gemeinden im kommenden Jahr von den Lasten für die Arbeitslosenfürsorge befreit werden sollen. Die tatsächliche Belastung der Gemeinden betrug nämlich im letzten Jahr 877 Millionen RM. Hiervon sollen sie im laufenden Jahr nur 600 Millionen tragen, während für die überschießenden 277 Millionen RM noch neue Deckungsmöglichkeiten gesucht werden.

Oberbürgermeister Dr. Goerdeler vertrat die Auffassung, daß von diesen 277 Millionen 200–250 Millionen durch die organisatorischen Reformen des Reichs eingespart werden könnten und daß die zusätzlichen Deckungsmittel daher in Höhe von 250 Millionen einem Reservefonds zugeführt werden könnten. Sollte sich dann am Schluß des Jahres herausstellen, daß der Reservefonds nicht in Anspruch genommen werden brauchte, so solle der Fonds an die Gemeinden zur Ausschüttung gelangen.

Da in der Sitzung eine abschließende Einigung über die ziffernmäßige Höhe der Ersparnismöglichkeiten und über die Höhe der erforderlichen Deckungsmittel nicht erzielt werden konnte, wurde die Sitzung abgebrochen, zumal, da auch der Herr Reichskanzler durch andere Dienstgeschäfte dringlich in Anspruch genommen[2501] wurde5. Die Besprechung wurde anschließend an die Kabinettssitzung in einem kleineren Kreise unter Zuziehung von Oberbürgermeister Dr. Goerdeler und Vertretern des Deutschen Städtetags fortgesetzt6.

Fußnoten

1

Zum Stand der Beratungen siehe Dok. Nr. 736.

2

Vgl. Goerdelers Meinungsäußerung in Dok. Nr. 644 sowie die Denkschrift Goerdelers zur Wirtschaftsankurbelung und Arbeitsbeschaffung, die er mit dem RK mit Schreiben vom 21.4.32 übersandt hatte (R 43 I /2405 , Bl. 67–90); vgl. auch Schulz, Politik und Wirtschaft in der Krise, Dok. Nr. 417.

3

Vgl. hierzu den Standpunkt der Gewerkschaften in Dok. Nr. 743.

4

Vgl. Dok. Nr. 736, Anm. 1.

5

Der RK stattete dem Frz. Botschafter François-Poncet wegen der Ermordung des Frz. Präs. Doumer (vgl. Dok. Nr. 745, Anm. 2) einen Beileidsbesuch ab (Nachl. Pünder , Nr. 44, Bl. 26).

6

Der Dt. Städtetag hatte mit Schreiben vom 30.4.32 zur Erzielung von Ersparnissen die Zusammenlegung von Krisenfürsorge und Wohlfahrtserwerbslosenfürsorge vorgeschlagen (R 43 I /2043 , Bl. 2–8). Zur Fortsetzung der Beratung siehe Dok. Nr. 747.

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