1.253.1 (bru3p): Beratungsgegenstand: Vorbereitung der Lausanner Konferenz.

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Beratungsgegenstand: Vorbereitung der Lausanner Konferenz.

Die Aussprache hatte im wesentlichen folgendes Ergebnis1:

Es erscheint untunlich, bestimmte Pläne auszuarbeiten, die eine Beendigung der Reparationen durch eine irgendwie geartete Abschlußzahlung vorsehen. Wenn der Verlauf der Konferenz zur Erörterung solcher Pläne2 führen sollte, so wäre die Delegation zu klarer Stellungnahme binnen kurzer Zeit ohne weiteres in der Lage.

Bei den Verhandlungen wird Deutschland an seinem bisherigen Standpunkt festhalten müssen, daß wir weder jetzt noch in absehbarer Zeit zu irgendwelchen zusätzlichen Reparationsleistungen in der Lage sind. Darum werden wir die Streichung[2576] der Reparationen fordern müssen. Diese Forderung wird sich allerdings kaum sofort durchsetzen lassen, wenigstens noch nicht auf dieser Konferenz. Die Gegenseite wird nicht bereit sein anzuerkennen, daß Deutschland auch in aller Zukunft nicht mehr in die Lage kommen wird, Überschüsse für die Reparationsleistungen zu erzielen. Darum muß von vornherein verhütet werden, daß die Gegenseite eine Handhabe erhält, für ein etwaiges Scheitern der Konferenz in den Augen der Öffentlichkeit Deutschlands negative Haltung verantwortlich zu machen.

Aus taktischen Gründen wird die deutsche Delegation deshalb gut daran tun, möglichst stark den zweiten Teil des Konferenzthemas zu betonen, der der Konferenz die Lösung „der wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten zuweist, welche die gegenwärtige Weltkrisis verursacht haben und sie verlängern könnten“. Bezüglich der Kredit- und Handelsfragen müßte Deutschland konkrete Thesen aufstellen. Wenn dann auch bezüglich dieser Punkte eine befriedigende Einigung nicht zustande kommen sollte, würde es für Deutschland erheblich leichter sein, einen negativen Ausgang der Konferenz mit der mangelnden Bereitwilligkeit der Gegenseite zu einer Verständigung auf diesen Gebieten zu begründen.

Zur Begründung des deutschen Standpunkts in der Reparationsfrage soll von den Ressorts in der Hauptsache das Material zur Widerlegung der von der Gegenseite immer wieder vertretenen These vorbereitet werden, daß Deutschland wegen seiner geringeren inneren Verschuldung nach einer Streichung der Reparationen einen wirtschaftlichen Vorsprung vor den Gläubigerländern haben würde. Ferner soll das statistische Material über das Ausmaß des Eindringens von Auslandskapital in die deutsche Wirtschaft und Industrie zusammengestellt werden. Es soll bewiesen werden, daß die jährliche Zinsbelastung von 1,5 Milliarden für die ausländische Privatverschuldung letzten Endes nur durch die Reparationsbelastung entstanden ist und daß diese Summe schon über die Leistungsfähigkeit Deutschlands hinausgeht, und ferner daß diese Last sich durch die fortschreitende Deflation immer drückender gestaltet. Schließlich soll auch Material für die spezielle schwierige Lage der deutschen Landwirtschaft, insbesondere ihre hohe Zinsbelastung, beigebracht werden3.

In der Aussprache wurde auch die alte Streitfrage behandelt, ob zur Abtragung der Auslandsverpflichtungen ein formaler Ausfuhrüberschuß genüge oder ob es darüber hinaus notwendig ist, daß der Überschuß auch durch das Außenhandelsgeschäft verdient sein muß. Dabei wurde darauf hingewiesen, daß zur Ermöglichung der Devisentransferierung der formale Überschuß allein genüge, daß es aber nicht notwendig sei, den Überschuß allein aus dem Exportgeschäft zu verdienen. Vielmehr kann zur Aufbringung der Summe auch das Gesamtvolumen der im Inlande erzielten Verdienste herangezogen werden.

Zum Punkt 2 des Konferenzthemas, betreffend Kredit- und Handelsfragen, wurde ausgeführt, daß eine Besserung der handelspolitischen Beziehungen der Völker undenkbar ist, solange die Unordnung der Währungen und die Unsicherheit auf dem freien Kapitalmarkt in der Welt fortbesteht. Bei jeder Diskussion müßte daher stark in den Vordergrund geschoben werden, daß eine Wiederbelebung der[2577] Weltwirtschaft nur erwartet werden kann, wenn sich auf diesen Gebieten geordnete Verhältnisse wieder eingestellt haben. Wegen der langen Dauer der Krise ist die Störung der normalen Warenbewegung, der Zusammenbruch der Kapitalbeziehungen in der Weltwirtschaft bereits soweit fortgeschritten, daß nicht einmal die vollständige Bereinigung der Reparationsfrage allein genügen wird, speziell Deutschland eine glatte Abwicklung seiner privaten Auslandsverschuldung zu ermöglichen. Der richtigste Weg zur Neubelebung eines freien Weltmarktes wäre die grundsätzliche Rückkehr zur handelspolitischen Meistbegünstigungsklausel. Zu bedenken ist allerdings, daß die zukünftige Handelspolitik Europas sehr wesentlich vom Ausgang der Ottawa-Konferenz abhängen wird. Es sind starke Kräfte am Werk, die dort ein Präferenzialsystem für das britische Weltreich durchsetzen wollen4. Auf einen Erfolg dieses Systems würde Europa durch einen stärkeren handelspolitischen Zusammenschluß zu reagieren haben. Praktische Erfolge nach dieser Richtung sind aber nicht von einer großen allgemeinen Konferenz zu erwarten, vielmehr nur von einem allmählichen Ausbau regionaler Einigungen. Gleichwohl erscheint es aus taktischen Gründen unbedingt notwendig, daß Deutschland für die Lausanner Konferenz bestimmte Thesen aufstellt und verfolgt, die als eine Art Sofort-Programm angesehen werden können. Dabei muß der Gedanke unterstrichen werden, daß die handels- und kreditpolitischen Störungen nur dann wirksam bekämpft werden können, wenn die Schwierigkeiten auf der Kapitalseite behoben sind. Devisenzwangsbewirtschaftung und Einfuhrbeschränkungen sind Störungsfaktoren, die eine freie Weltwirtschaft nicht aufkommen lassen. Den Ressorts wurde aufgegeben, bestimmte Thesen vorzubereiten. Das Reichsfinanzministerium übernahm es, die ersten Vorarbeiten zu leisten und diese alsdann mit den übrigen Ressorts zu erweitern. Sobald bestimmte Formulierungen vorliegen, sollen die Beratungen des reparationspolitischen Ausschusses fortgesetzt werden5.

Zum Schluß wurde noch die Frage erörtert, ob es zweckmäßig sei, wegen der beschränkten Devisenlage etwa notwendig erscheinende Beschränkungen des Auslandszinsen- oder Kapitaldienstes schon vor der Lausanner Konferenz eintreten zu lassen. Die allgemeine Auffassung ging dahin, daß es richtiger sei, von derartigen Einschränkungen solange wie irgend möglich abzusehen, der Gegenseite aber bereits in Lausanne keinen Zweifel daran zu lassen, daß ein etwaiger Mißerfolg der Konferenz in mehr oder weniger ferner Zukunft Einschränkungen im deutschen Auslandskapitaldienst nötig machen wird.

Fußnoten

1

Das Dok. ist auch veröffentlicht in ADAP, Serie B, Bd. XX, Dok. Nr. 97.

2

Mit einer Note vom 25.4.32 hatte die Brit. Reg. zur Lausanner Konferenz am 16.6.32 eingeladen. Zu den Themen der Konferenz vgl. Dok. Nr. 669, Anm. 3. (Abschrift der Note mit Anschreiben von MinDir. Köpke vom 26.4.32 in R 43 I /337 , Bl. 129–133).

3

Am 30.5.32 übersandte der RWiM der Rkei eine Ausarbeitung „Pläne und Stimmen des Auslands zur Reparationsfrage“ als Material für die Lausanner Konferenz (R 43 I /337 , Bl. 291–380).

4

Die britische Empirekonferenz tagte vom 21. 7.–20.8.32 in Ottawa. Sie beschloß die Einführung englischer Lebensmittelzölle und Gefrierfleischkontingentierungen bei gleichzeitiger Einräumung von Präferenzzöllen für die Dominien (Schultheß 1932, S. 373).

5

Vgl. hierzu diese Edition, Das Kabinett v. Papen, Dok. Nr. 22, Dok. Nr. 30 und Dok. Nr. 56, Anm. 2.

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