1.71.2 (bru3p): 2. Gehaltskürzung.

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2. Gehaltskürzung.

Der Reichsminister der Finanzen erläuterte den Entwurf der den Reichsministern zugegangenen Vorlage zu diesem Kapitel der Notverordnung3.

Ministerialrat Sölch ergänzte diese Ausführungen und teilte mit, daß in Erweiterung des vorliegenden Entwurfs die Absicht bestehe, einen neuen Paragraphen 2 a einzufügen, demzufolge die Abgleichung der Wartegelder usw. unter Zugrundelegung der ungekürzten Bezüge zu erfolgen hat. Die Fassung dieses neuen Paragraphen 2 ist in der Anlage beigefügt (Anlage 1)4.

Der Reichsarbeitsminister erklärte sich mit der Vorlage grundsätzlich einverstanden. Voraussetzung für diese Zustimmung sei jedoch die Abgleichung der Etats durch Heranziehung der Erhöhung der Umsatzsteuer und die Durchführung der übrigen auf Wirtschaftsbelebung abzielenden Programmpunkte, insbesondere die Zinssenkung und die Mietsenkung. Er erklärte weiter, daß er die schematische Senkung der Gehälter an sich für einen Fehler halte und daß er es lieber gesehen hätte, wenn ein anderer Weg gegangen worden wäre. Er habe schon bei früheren Gelegenheiten auf andere Lösungsmöglichkeiten hingewiesen. So zum Beispiel habe er angeregt, den Reichssparkommissar mit einer gutachtlichen Äußerung darüber zu betrauen, ob und inwieweit man auf den Stand des Jahres 1913 zurückgehen könne. Ferner würde er es für empfehlenswert gehalten haben, auf die Verhältnisse vor der Besoldungsreform des Jahres 19275 zurückzugreifen und auf dieser Basis einen zeitgemäßen Ausgleich zu suchen. Für solche Wege sei es indes jetzt zu spät.

Der Reichswirtschaftsminister führte aus, daß nach seiner Auffassung als Kardinalpunkte des Wirtschaftsprogramms anzusehen seien das Zinsproblem und die Kreditfrage. Er übte scharfe Kritik an der beabsichtigten Erhöhung der Umsatzsteuer, da diese der Preissenkungsaktion direkt zuwiderlaufe6. Er meinte, daß man sich[2052] unter Umständen lieber mit einem Defizitetat abfinden könne, wenn die Notenbanken in der Lage seien, den Fehlbetrag zu überbrücken7.

Der Reichswehrminister erklärte sich mit der Vorlage über die Gehaltskürzung grundsätzlich einverstanden unter der Bedingung, daß die Wehrmacht und die Polizei von den Kürzungen ausgeschlossen werden8.

Der Reichskanzler erwiderte, daß er es unter keinen Umständen zulassen könne, das Wirtschaftsprogramm mit einem nicht ausgeglichenen Reichshaushalt zu verabschieden. Ein Defizitetat sei gleichbedeutend mit einem Kassendefizit, für dessen Deckung es keine Möglichkeiten gebe. Die Folge werde alsdann die Unmöglichkeit sein, überhaupt Gehälter zu zahlen.

Der Reichsverkehrsminister wies darauf hin, daß die schematische gleichmäßige Senkung der Gehälter die Folge zeuge, daß gerade die höheren Beamten am empfindlichsten getroffen würden.

Ministerialdirektor Graf Schwerin von Krosigk trug die Zahlen der vergleichenden Darstellung der Beamtenbesoldung 1913, 1923 bis 1931 in Anlage 2 vor9.

Der Reichsarbeitsminister erklärte zu der vom Reichswehrminister gewünschten Herauslassung der Reichswehr und der Schutzpolizei aus der Gehaltskürzung, daß auch er die Einbeziehung von Reichswehr und Schupo in die Kürzung im jetzigen Augenblick nicht für möglich halte10. Ob man diese Ausnahmebehandlung jedoch in Zukunft werde durchhalten können, sei eine andere Frage. Darüber werde man sich später auseinandersetzen müssen. Jedenfalls für die nächsten sechs Monate halte auch er eine Kürzung bei Reichswehr und Schupo für nicht angängig.

Der Reichsminister der Justiz schloß sich den Ausführungen des Reichsverkehrsministers insofern an, als er erklärte, daß das Ergebnis der schematischen Senkung der Gehälter gerade für die höheren Beamten mit akademischer Vorbildung ruinös sei. Er machte nähere Ausführungen über die neueste Rechtsprechung des Reichsgerichts über die Kürzungsmöglichkeit von Beamtengehältern. Das Reichsgericht habe die Widerrufsfähigkeit von Besoldungserhöhungen für zulässig erklärt. Es sei aber fraglich, ob das Reichsgericht nicht eines Tages sagen werde, daß durch schematische Senkungen, speziell bei den höheren Beamten, ein derartiges Maß von Mindereinkommen eintrete, daß der standesgemäße Unterhalt des Beamten nicht mehr gewährleistet sei. Bemerkenswert sei, daß das Reichsgericht die von dem Rechtslehrer Carl Schmitt vertretene Theorie der institutionellen Garantie rundweg verworfen habe11.

Der Reichswehrminister führte aus, daß er es für richtiger halte, in der Beamtenbesoldung eine Anlehnung an den Lebenshaltungsindex zu suchen. Wenn man bei der Besoldungsreform des Jahres 1927 eine gesunde Staffel gefunden habe12, so müßte man auch jetzt an dieser Staffel festhalten.

[2053] Der Reichsarbeitsminister erkannte an, daß der Eingriff in die Besoldung der höheren Beamten besonders schwer sei und erklärte weiter, daß er bereit sei, einen anderen Weg zu gehen, wenn man ihn finden könne.

Der Reichswehrminister erwiderte, daß er nach Lage der Dinge zur Zeit nur den Weg der schematischen Senkung für möglich halte.

Der Reichsjustizminister erklärte, daß er an seinem grundsätzlichen Standpunkt festhalte, daß aber auch er für den Augenblick keine andere Möglichkeit als den in der Vorlage vorgeschlagenen Weg sehe. Der Fehler, der sich im gegenwärtigen Augenblick besonders schwer auswirke, sei schon bei der Besoldungskürzung vom Juni 1931 gemacht worden insofern, als man damals eine zu Ungunsten der oberen Beamten gestaffelte Besoldungskürzung eingeführt habe13. Er sehe ein, daß man diesen Fehler im gegenwärtigen Augenblick nicht ausgleichen könne.

Der Reichskanzler stimmte diesen Ausführungen mit dem Bemerken zu, daß man die Rückkehr zu gerechteren Verhältnissen einer späteren Gelegenheit vorbehalten müsse14.

Fußnoten

3

Der RFM hatte der Rkei am 1.12.31 den Entw. zum Kapitel Gehaltskürzung übersandt. Der Entw. sah eine Gehaltskürzung um 9% ab 1.1.32 vor; die Lohnsätze der Arbeiter im Reichsdienst und in der Post sollten um 10% herabgesetzt werden. Die Kürzung galt ebenfalls für Länder, Gemeinden und Körperschaften des öffentlichen Rechts (R 43 I /2572 , Bl. 351–356).

4

Hier nicht abgedruckt, vgl. den Siebenten Teil, Kapitel VI § 3 der NotVo. vom 8.12.31 (RGBl. I, S. 739 ).

5

Besoldungsgesetz vom 16.12.27 (RGBl. I, S. 349 ).

6

Gegen die von den Zeitungen gemeldete beabsichtigte Umsatzsteuererhöhung hatten auch der RLB (Schreiben vom 1.12.31, R 43 I /2407 , Bl. 376–377), der Reichsverband des dt. Handwerks (Schreiben vom 1.12.31, a.a.O., Bl. 378–381), das Reichskartell des selbständigen Mittelstandes (Schreiben vom 1.12.31 sowie Telegramm vom 8.12.31, a.a.O., Bl. 382–384), der Z-RT-Abg. Tremmel (Schreiben vom 1.12.31, a.a.O., Bl. 385) und der RdI (Schreiben vom 2.12.31, a.a.O., Bl. 386–387) protestiert; alle Verbände hatten die Erhöhung der Umsatzsteuer als Schlag gegen die Preissenkung bezeichnet. Auch der DIHT hatte in seiner Eingabe vom 3.12.31 die Umsatzsteuererhöhung sowie die Einführung einer zusätzlichen Kapitalertragssteuer abgelehnt (R 43 I /2375 , S. 447–467, hier S. 448–449).

Vgl. auch das gemeinsame Protesttelegramm des Langnamvereins, der Nordwestlichen Gruppe des Vereins dt. Eisen- und Stahlindustrieller, des Bergbauvereins, der Niederrheinischen und der Rheinisch-Bergischen Handelskammern gegen die Umsatzsteuererhöhung und die Neuregelung der Kapitalertragssteuer vom 1.12.31 in R 43 I /2401 , Bl. 110–114.

7

Zum Alternativvorschlag des RWiM siehe Dok. Nr. 588, P. 4.

8

Hierzu auch Dok. Nr. 589.

9

Als Anlage zu diesem Dok. abgedruckt.

10

Vgl. auch Dok. Nr. 595, P. 1.

11

Hierzu Dok. Nr. 467, Anm. 3.

12

Vgl. die Anlagen zum Besoldungsgesetz vom 16.12.27 (RGBl. I, S. 349 , hier S. 356–484).

13

Zweiter Teil, Kapitel I, § 2 der NotVo. vom 5.6.31 (RGBl. I, S. 279 , hier S. 282).

14

Zur Fortsetzung der Beratung siehe Dok. Nr. 589.

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