2.233.1 (feh1p): 1. Wiederaufbau der zerstörten Gebiete (Rundschreiben des Reichsministers für Wiederaufbau vom 5. April 1921).

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1. Wiederaufbau der zerstörten Gebiete (Rundschreiben des Reichsministers für Wiederaufbau vom 5. April 1921).

Staatssekretär Dr. Müller erläuterte an der Hand der Denkschrift den deutscherseits zu machenden Vorschlag für den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete in Nordfrankreich1 und erörterte auch die Anregungen, die von verschiedenen Seiten (Kriegslastenkommission2, Silberschmidt3) ergangen seien. Er bat das Kabinett, den Vorschlägen in der Denkschrift des Wiederaufbauministeriums zuzustimmen und ihn zu ermächtigen, den Präsidenten Guggenheimer telegraphisch zu ersuchen, auf der vorgetragenen Grundlage mit führenden Persönlichkeiten in Frankreich, nicht mit der französischen Regierung, Fühlung zu nehmen. Im Anschluß hieran fand eine eingehende Erörterung statt.[642] Staatssekretär Dr. Hirsch vertrat die Auffassung, daß der Vorschlag zwar besser sei als alle früher gemachten, daß die Arbeit aber wohl vergeblich sei, weil Frankreich einen beschleunigten Aufbau der zerstörten Gebiete in Wahrheit gar nicht wünsche. Sein Chef empfehle, den Franzosen ihre eigene Untätigkeit vorzuhalten, ihnen unsere große Aufbauaktion in Ostpreußen vor Augen zu halten4 und ihnen vorzuschlagen, uns einen kleinen Teil des wiederaufzubauenden Gebietes zum Wiederaufbau zur Verfügung zu stellen. Der Reichsminister des Auswärtigen war der Auffassung, daß diese Frage nur ein Teil der gesamten Reparationsaktion sei und daß es schwierig sei, diesen Teil zu publizieren, solange man noch nicht den Plan der Gesamtaktion veröffentlichen könne. Außerdem glaube er, daß der vorliegende Aufbauplan nicht genug in die Augen fallend sei und daß man vielleicht in dieser Beziehung einige Änderungen vornehmen solle. Auch würde es sich vielleicht empfehlen, sich nicht ausschließlich auf diesen Standpunkt zu stellen, sondern die bekannten verschiedenen Systeme zur Wahl zu stellen. Vielleicht könne man sich bereit erklären, jedem Sinistré5, der den Wunsch ausspräche, seine Wohnung mit deutscher Arbeit und deutschem Material aufgebaut zu erhalten, den Wunsch zu erfüllen. Im übrigen bitte er, heute keinen endgültigen Beschluß [zu] fassen, sondern das Ergebnis der morgigen Besprechung mit den Gewerkschaften bei dem Herrn Reichspräsidenten abwarten zu wollen6. Der Reichsschatzminister wies auf die zusammenlegbaren Häuser der Firma Mannesmann hin und bat um Auskunft, ob etwas geschehen sei, um die Welt auf die deutscherseits in Ostpreußen geleisteten Arbeiten hinzuweisen.

Staatssekretär Dr. Müller entgegnete, daß in Ostpreußen noch nicht alles wiederhergestellt sei, daß im übrigen die Denkschrift der Preuß. Regierung nicht geeignet sei, den Franzosen übergeben zu werden. Staatssekretär Dr. Hirsch wies darauf hin, daß unsere Wiederaufbautätigkeit in Ostpreußen im Auslande viel bekannter sei, als wir glaubten. Wir sollten daher damit Propaganda machen. Der Außenminister empfahl, die in die Augen fallenden Beweise in Ostpreußen in einer knappen und kurzen Denkschrift zu vereinigen.

Nach weiterer Erörterung wurde die Weiterberatung und Beschlußfassung heute ausgesetzt, um das Ergebnis der morgigen Beratung mit den Gewerkschaften abzuwarten7.

Fußnoten

1

Es handelte sich hier um eine Denkschrift über den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete, zu dem Dtld. nach Anlage IV zu Teil VIII VV verpflichtet war. Der RMWiederaufbau hatte diese Denkschrift mit Anschreiben vom 5. 4. an den RK gesandt mit der Bitte, diese Angelegenheit auf die TO der nächsten Kabinettssitzung zu setzen (R 43 I /343 , Bl. 2).

Zunächst waren in der Denkschrift ausführlich die Verhältnisse in den zerstörten Gebieten geschildert worden. Sodann waren die bereits bestehenden Pläne für den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete eingehend erörtert worden und, darauf aufbauend, ein neuer Vorschlag gemacht worden. Der Plan des RMWiederaufbau ging davon aus, daß eine Lösung des Problems nur auf dem Wege des freien privaten Verkehrs der Geschädigten mit den Lieferanten zu finden sei, wie dies bereits von dem frz. Delegierten Seydoux auf der Konferenz von Brüssel vorgeschlagen worden sei. Im einzelnen sah der Plan des RMWiederaufbau vor: 1. Zwischen Dtld. und Frankreich sollte ein Staatsvertrag geschlossen werden, in dem Frankreich sich bereit erklärte, dahin zu wirken, daß dt. Bauunternehmer und dt. Facharbeiter in den zerstörten Gebieten beschäftigt werden sollten. Dtld. sollte dafür eine Organisation zur Vermittlung solcher Aufträge aufbauen sowie finanzielle Mittel für einen Teil der Leistungen auf das Reparationskonto überweisen. 2. Die dt. Regierung würde mit den dt. Unternehmern und den dt. Arbeitern Tarifverträge für diese Arbeiten vereinbaren, so daß die schwierigen Fragen des Lohn- und Versicherungswesens eine rein innerdt. Angelegenheit seien. 3. In den zerstörten Gebieten würde ein dt.-frz. Büro eingerichtet, das für das gesamte Vertragswesen zuständig sei. 4. Für Streitigkeiten sollte ein dt.-frz. Schiedsgericht mit einem neutralen Obmann eingesetzt werden.

In bezug auf das taktische Vorgehen empfahl der RMWiederaufbau, die Denkschrift nicht eher zu veröffentlichen, als bis die frz. Regierung ihre Zustimmung gegeben habe. Ferner sollte der dt. Plan nicht sofort offiziell der frz. Regierung übergeben werden, sondern zunächst nur inoffiziell mit den Hauptinteressenten, so dem Minister Loucheur, besprochen werden. Diese Aufgabe sollte der Präs. der Reichsrücklieferungskommission, Guggenheimer, übernehmen (Text der Denkschrift, R 43 I /343 , Bl. 3–10).

2

Die Klko hatte empfohlen, den direkten Verkehr zwischen den Geschädigten und den dt. und frz. Lieferanten zuzulassen (handschriftl. Notiz MinR Kempners, R 43 I /343 , Bl. 27).

3

Darüber war in R 43 I nichts zu ermitteln.

4

Gemeint waren die Wiederaufbauarbeiten in den vom Kriege überzogenen Gebieten Ostpreußens. Mit diesen Arbeiten war jedoch bereits im Jahre 1915 begonnen worden.

5

Die „Sinistrés“ waren die Belgier und Franzosen, die in den während des Krieges von den dt. Truppen besetzten Gebieten Belgiens und Frankreichs gewohnt und dort irgendwelche Schäden erlitten hatten. Dtld. hatte diese Schäden nach dem VV zu ersetzen.

6

Über diese Besprechung war in R 43 I nichts zu ermitteln.

7

Siehe dazu weiter Dok. Nr. 234, P. 1.

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