2.85.12 (feh1p): [Anlage]

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Text

RTF

[226] [Anlage]

Zum Zwecke der Gesundung der Reichsfinanzen soll:

A.

Die Stellung des Reichsministers der Finanzen in formeller Hinsicht in folgender Weise gestärkt werden:

1. Es dürfen von keinem Reichsministerium und keiner nachgeordneten Reichsbehörde oder Reichsstelle oder einzelnen Beamten irgendwelche Maßnahmen, Neueinrichtungen oder Anordnungen, welche neue, durch den Reichshaushalt oder sonstige gesetzliche Vorschriften nicht bereits genehmigte Ausgaben zur Folge haben oder haben können, ohne vorherige rechtzeitig eingeholte Zustimmung des Reichsministers der Finanzen getroffen werden. Insbesondere haben alle Maßnahmen zu unterbleiben, welche der endgültigen Entscheidung des Reichsministers der Finanzen über die Bereitstellung neuer Mittel in irgendeiner Weise vorzugreifen geeignet sind.

2. Wird die Zustimmung von dem Reichsminister der Finanzen versagt und ist auch durch erneute Verhandlungen des Fachministeriums mit dem Reichsfinanzministerium eine Einigung nicht zu erzielen, so steht es dem Fachminister frei, die Entscheidung des Reichskabinetts herbeizuführen, sofern es sich um eine Angelegenheit von grundsätzlicher Bedeutung oder besonderer Wichtigkeit handelt.

3. Beschließt die Reichsregierung in einer Frage von finanzieller Bedeutung gegen die Stimme des Reichsministers der Finanzen, so kann dieser gegen den Beschluß ausdrücklich Widerspruch erheben. Wird der Widerspruch erhoben, so ist über die Angelegenheit in einer weiteren Kabinettssitzung erneut abzustimmen. Bei dieser Abstimmung sind nur die persönlich anwesenden Reichsminister stimmberechtigt; gegen die Stimme des Reichsministers der Finanzen kann nur durch die Mehrheit sämtlicher Reichsminister in Anwesenheit des Reichskanzlers oder in dessen Behinderung seines Vertreters Beschluß gefaßt werden15.

4. In Angelegenheiten des Haushalts meldet das Fachministerium seine Forderungen bei dem Reichsfinanzministerium innerhalb der von diesem gestellten Frist an. Das Reichsfinanzministerium stellt nach Abschluß der Verhandlungen den Haushaltsentwurf endgültig fest und legt ihm dem Reichskabinett zur Beschlußfassung vor. Verspätet eingegangene Anmeldungen finden – von besonders liegenden Ausnahmefällen abgesehen – keine Berücksichtigung. Bei strittigen Forderungen ist zunächst eine Einigung zu versuchen. Gelingt eine solche nicht, so hat die Aufnahme der von dem Fachministerium gestellten Forderung in den Haushaltsplan zu unterbleiben. Die Anrufung des Reichskabinetts zur Entscheidung über die Meinungsverschiedenheiten über einzelne Anmeldungen ist nur in Fällen von grundsätzlicher Bedeutung oder besonderer[227] Wichtigkeit zulässig. Für eine Überstimmung des Reichsministers der Finanzen gilt die Regelung unter Ziffer 3).

5. Die von dem Reichskabinett endgültig getroffenen Entscheidungen sind von sämtlichen Reichsministerien und nachgeordneten Behörden und Stellen sowie von den einzelnen Beamten einheitlich und geschlossen als Wille der Reichsregierung zu vertreten. Es ist insbesondere nicht zulässig, daß die überstimmten Ministerien ihre Beamten oder nachgeordneten Stellen durch Einwirkung auf Reichsratsbevollmächtigte oder Reichstagsabgeordnete die Verwirklichung der Durchführung der Entscheidung der Reichsregierung zu verhindern suchen oder bei der Vertretung der Vorlage im Reichsrat oder Reichstage eine von der Entscheidung der Reichsregierung abweichende Ansicht des überstimmten Fachministeriums oder einzelner Beamter vertreten. Verstöße gegen diese Vorschriften sind als Schädigung der Autorität der Reichsregierung anzusehen und die betreffenden Beamten demgemäß zur Verantwortung zu ziehen.

B.

In sachlicher Hinsicht soll sich die gesamte Finanzgebarung und Wirtschaftsführung des Reiches streng nach folgenden Leitsätzen richten:

1.

Der Aufgabenkreis des Reiches ist innerhalb der Grenzen der Verfassung so eng wie irgend möglich zu halten.

Neue Aufgaben dürfen nur aufgenommen und von Ländern, Gemeinden oder sonstigen öffentlichen oder privaten Organisationen auf das Reich übernommen werden, wenn ihre Inangriffnahme ohne jede persönlichen oder sachlichen Kosten für die Reichskasse möglich ist oder es sich um unbedingt lebenswichtige Interessen des Reiches handelt und die Übertragung der Aufgaben auf andere Schultern (Länder, Gemeinden oder öffentliche oder private Körperschaften) ausgeschlossen ist.

Bereits in Angriff genommene Aufgaben müssen eingestellt, eingeschränkt oder überwälzt werden, wenn sie diesen Anforderungen nicht entsprechen.

Der weit verbreiteten Ansicht, die Länder und Gemeinden seien wegen des Überganges der Steuerhoheit auf das Reich weniger leistungsfähig wie dieses, ist mit größtem Nachdruck entgegenzutreten, da die Ansicht, wenigstens für absehbare Zeit, unrichtig ist und sie nur zur Übernahme neuer Aufgaben auf das Reich führt.

Die Zuständigkeiten des Reiches, der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände und sonstigen öffentlichen oder privaten Körperschaften ist auf allen Gebieten scharf gegeneinander abzugrenzen, so daß eine Überwälzung von Aufgaben und Kosten, die anderen Körperschaften zufallen, auf das Reich ausgeschlossen ist.

Soweit sich das Reich zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe an den den Ländern, Gemeinden oder sonstigen öffentlichen oder privaten Körperschaften entstehenden Kosten beteiligt, ist das Maß seiner Beteiligung so scharf abzugrenzen, daß die Höhe der von dem Reiche zu übernehmenden Ausgaben genau feststeht und Mehrkosten für das Reich völlig ausgeschlossen werden.

[228] 2.

Neue Verwaltungseinrichtungen dürfen nicht geschaffen, bestehende nicht vergrößert werden. Insbesondere dürfen grundsätzlich neue Stellen nicht geschaffen, vorhandene Ausgabeposten anderer Art nicht erhöht werden.

Ausnahmen von diesem Leitsatz sind nur zulässig, sofern es sich um unbedingte Lebensnotwendigkeiten für das Reich handelt.

Demgemäß hat auch jede Maßnahme zu unterbleiben, welche die Schaffung neuer oder die Vergrößerung bestehender Einrichtungen entgegen diesem Grundsatz nach sich zu ziehen geeignet sind. Insbesondere dürfen in keinem Falle ohne vorherige Zustimmung des Reichsfinanzministeriums von Reichsbeamten, Reichsbehörden oder Reichsstellen irgendwelche Zusicherungen persönlicher oder sachlicher Art abgegeben werden, welche die Einrichtung neuer Stellen oder die Übernahme sonstiger Mehrausgaben auf das Reich zum Ziele haben.

3.

Die bestehenden Verwaltungseinrichtungen und Stellen vorübergehender oder dauernder Natur sind soweit als irgend möglich einzuschränken und abzubauen und die Kosten der Verwaltung in jeder Weise zu vermindern.

Demgemäß sind die Verwaltungseinrichtungen und Stellen in ihrem gesamten Umfange nach rein verwaltungstechnischen Gesichtspunkten auf ihre Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit nachzuprüfen und im Falle des Bedürfnisses nach einem festen Plan abzubauen oder nach einheitlichen Grundsätzen und unter Vermeidung jeder Mehrausgabe zu ändern.

Im Laufe des Etatjahres 1920 bei den Zentralbehörden freiwerdende Stellen dürfen nur mit Zustimmung des Reichsministers der Finanzen wieder besetzt werden.

Der beschleunigte Abbau der Kriegsorganisationen, insbesondere der Kriegsgesellschaften und Kriegsstellen, ferner der Kriegsfonds und der Einrichtungen der alten Wehrmacht ist mit größtem Nachdruck zu betreiben.

Alle Einrichtungen, Behörden und Stellen, welche gleichen oder ähnlichen Zwecken dienen, sind soweit wie möglich zusammenzulegen.

4.

Bei Leistung sonstiger Ausgaben ist sowohl auf persönlichem wie auf sachlichem Gebiete die allergrößte Sparsamkeit zu üben und mit allen Mitteln darauf hinzuwirken, daß die Ausgaben tunlichst niedergehalten und Ersparnisse gegenüber den Voranschlägen erzielt werden.

Demgemäß haben alle nicht zu den Lebensnotwendigkeiten unmittelbar gehörenden Ausgaben vollständig zu unterbleiben oder sind auf das Mindestmaß einzuschränken.

Alle Anträge auf Bewilligung von Reichsmitteln sind auf jede mögliche Kürzung scharf nachzuprüfen, und zwar nach rein sachlichen, nicht nach persönlichen oder politischen Gesichtspunkten.

Grundsätzlich dürfen keine Ausgaben in den Haushalt eingestellt oder aus Mitteln des ordentlichen Haushalts bestritten werden, für welche eine Deckung durch ordentliche Einnahmen nicht vorhanden ist.

[229] Überschreitungen der Ansätze oder außerplanmäßige Ausgaben haben grundsätzlich zu unterbleiben. Nur in seltesten Ausnahmefällen dürfen sie insoweit stattfinden, als es sich um die Bestreitung unbedingter Lebensnotwendigkeiten des Reiches handelt. Die erforderlichen Mehrmittel sind auch in diesem Falle grundsätzlich im Wege des Haushaltsgesetzes nachträglich anzufordern und dürfen nur in ganz besonders dringenden Fällen von dem Reichsminister der Finanzen vorher bewilligt werden.

Zur Sicherung der Durchführung dieser Leitsätze werden folgende Maßnahmen beschlossen:

1.

Sämtliche Ministerien haben sofort in eine eingehende Prüfung ausschließlich nach sachlichen Gesichtspunkten einzutreten, ob ihre jetzige Finanzwirtschaft und Geschäftsführung mit den Leitsätzen in Einklang steht und ob und an welcher Stelle Einschränkungen gemacht und Ersparnisse erzielt oder zweckmäßige Änderungen vorgenommen werden können.

2.

Für eine Übergangszeit wird ein Reichskommissar ernannt, der dem Reichsminister der Finanzen beigeordnet ist und unter dessen Verantwortung und unter Mitarbeit der Ministerien für die strengste Durchführung der Leitsätze, insbesondere für die Aufstellung von Plänen und Grundsätzen und ihre gleichmäßige Anwendung, zu sorgen hat.

Fußnoten

15

Diese Bestimmung wurde später als § 32 in die GO der RReg. aufgenommen. Siehe dazu die GO der RReg. vom 3.5.1924 in dem Band „Das Kabinett Marx I“ dieser Edition, Dok. Nr. 192.

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