2.220 (feh1p): Nr. 220 Das Auswärtige Amt an Staatssekretär Albert. 27. März 1921

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[612] Nr. 220
Das Auswärtige Amt an Staatssekretär Albert. 27. März 1921

R 43 I /460 , Bl. 37

[Betrifft: Bemühungen des Vatikans um die Vermittlung der USA]1

Sehr verehrter Herr Albert!

In der Anlage schicke ich Ihnen zur ganz vertraulichen Kenntnisnahme Abschriften von zwei ungemein wichtigen Telegrammen von Herrn v. Bergen2. Ich habe gestern und heute vergeblich versucht, an Sie heranzukommen, habe soeben mit dem Reichsfinanzminister gesprochen und beabsichtige, wenn möglich, noch heute vormittag mit dem Herrn Reichskanzler zu sprechen.

[613] Nur ganz kurz unsere vorläufige Meinung:

Wir beabsichtigen, auf den Vorschlag im wesentlichen einzugehen. Herr v. Bergen wird Dienstag [29. 3.] in Lugano mit Minister Simons zusammentreffen3. Geheimrat Bücher soll morgen nachmittag von hier aus gleichfalls nach Lugano fahren. Inzwischen müßte morgen vormittag hier eine Besprechung der beteiligten Chefs stattfinden, entweder nur Reichskanzler, Auswärtiges Amt und Finanzminister oder, wenn Sie das für nötig halten, noch der Wirtschaftsminister4. Strengste Geheimhaltung der ganzen Sache scheint uns ebenso wie dem Finanzminister Wirth ein absolutes Erfordernis. Der Finanzminister, der nach meinem Eindruck vollkommen bereit zu dem Schritt ist, würde auch seinerseits die Teilnahme von Herrn Scholz nicht für unbedingt erforderlich halten. Meine Sorge ist, daß er sich irgendwie mit seiner Partei in Verbindung setzt, was ich für geradezu verhängnisvoll halten würde.

Ich hätte Ihnen dies alles lieber mündlich gesagt; stehe übrigens morgen früh gern zur Verfügung, eventuell auch heute nachmittag für telephonische Besprechung in meiner Wohnung5.

Mit besten Grüßen und allen guten Wünschen für Ostern bin ich

Ihr sehr ergebener

v. Simson

Fußnoten

1

Diesem Schreiben waren folgende Ereignisse vorausgegangen:

In die dt.-all. Auseinandersetzungen über die Reparationen hatte sich bald nach dem Scheitern der Londoner Konferenz auch der Vatikan eingeschaltet und hatte angeboten, sich um die Vermittlung der USA in dieser Frage zu bemühen. Dtld. hatte dieses Angebot angenommen und so war der apostolische Delegat in Washington angewiesen worden, entsprechende Schritte zu unternehmen. Dieser hatte sich zunächst des Einverständnisses des Präsidenten Harding versichert, hatte dann durch einen Mittelsmann, den als deutsch-freundlich geltenden republikanischen Senator McCormick, Fühlung mit maßgebenden amerik. Stellen aufgenommen und hatte anschließend die Ergebnisse seiner Erkundigungen nach Rom berichtet (Telegramm Nr. 77 v. 18. 3. und Nr. 84 v. 30.3.1921, Botschafter v. Bergen an das AA, PA/Büro RM/5 secr. Reparation, Bd. 1; s. dazu ferner RAM Simons vor dem RT am 26.4.1921, RT-Bd. 349, S. 3417 ).

2

In diesen Telegrammen berichtete der dt. Botschafter beim Vatikan, v. Bergen, über eine Unterredung mit dem Kardinalstaatssekretär Gasparri, in der dieser das Ergebnis der Besprechungen des päpstlichen Delegaten in Washington mitgeteilt hatte. Gasparri hatte v. Bergen auf dessen Bitte eine Abschrift der Mitteilung überreicht, die der amerik. Mittelsmann dem apostolischen Delegaten über die Haltung der USA zu einer Vermittlung hatte zukommen lassen.

In einer leichten Umstellung lautete die Mitteilung: „Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika annahm nicht, lehnt es aber auch nicht ab, in dem Streitpunkt zwischen Deutschland und der Entente im Reparationskonflikt zu vermitteln. Dieselbe Regierung will auch nicht von Vermittlungsvorschlag offiziell Kenntnis nehmen, es wäre denn, daß Deutschland angesichts des Plebiszits in Schlesien die Summe, die es zu zahlen bereit, und die Garantie dem Heiligen Stuhl anvertrauen und dem Delegaten mitteilen wollte. Die Mitteilung dieser Summe wird als ‚prova importante di buona fede‘ angesehen.“

Gasparri hatte v. Bergen anschließend einen Vorschlag für eine mögliche dt. Antwort gemacht. Dtld. solle seine Bereitschaft zeigen, Reparationen in Höhe von 50 Mrd. GM Gegenwartswert zu zahlen. Diese Zahlungen sollten so abgewickelt werden, daß Dtld. die all. Schulden bei Amerika übernehmen und für deren Bezahlung bestimmte Sicherheiten (Häfen, Bergwerke, Zölle, Eisenbahnen) bieten sollte. Nähere Einzelheiten sollten Verhandlungen vorbehalten bleiben.

In einer anschließenden eigenen Stellungnahme hatte v. Bergen empfohlen, die dt. Antwortnote in einen weiteren Rahmen zu spannen und ihr den Charakter einer programmatischen Erklärung zu geben. Betont werden sollte dabei die Bereitwilligkeit Dtlds. zur Erfüllung des Vertrages von Versailles, zur Durchführung der Entwaffnung und zum Wiederaufbau Nordfrankreichs. Ferner hatte v. Bergen empfohlen, den Wert der dt. Vorleistungen von den 50 Mrd. GM nicht einfach abzuziehen, sondern diesen zunächst von den USA abschätzen zu lassen. Abschließend hatte v. Bergen erklärt, daß ohne die Hilfe der USA eine Befreiung Dtlds. aus seiner schwierigen Lage so bald nicht möglich sei (Telegramme Nr. 81 und 83 v. 24.3.1921, v. Bergen an das AA, PA/Büro RM/5 secr. Reparation, Bd. 1).

3

RAM Simons befand sich zu dieser Zeit auf einem Erholungsurlaub in Lugano in der Schweiz.

Bereits am 26. 3. hatte v. Simson in dieser Angelegenheit einen Brief an den RAM gesandt und hatte über den Stand der Beratungen berichtet. In dem Brief v. Simsons hieß es u. a.: „Wir beabsichtigen, die Angelegenheit mit dem Reichskanzler, dem Reichsfinanzminister und eventuell dem Reichswirtschaftsminister zu besprechen. Geheimrat Bücher wird, sobald diese Besprechung stattgefunden hat, nach Lugano fahren, um gleichzeitig mit Herrn v. Bergen mit Ihnen die Sache mündlich erörtern zu können. Ich bin persönlich der Meinung, daß alle Bedenken zurücktreten müssen gegenüber der Möglichkeit, vielleicht auf diesem Wege zu einer Gesamtregelung des Problems zu gelangen und aus den Händen der Erpresserbande, die uns umklammern, befreit zu werden. Ich habe soeben (Sonntag vormittag) ausführlich mit Herrn Wirth gesprochen, der ganz für den Gedanken eingenommen ist, und werde gleich noch den Versuch machen, den Reichskanzler zu informieren.“ (PA/Büro RM/5 secr. Reparation, Bd. 1).

4

Diese Besprechung fand am 28. 3. statt. Zu dieser Besprechung waren von verschiedenen Seiten Entw. für eine dt. Antwortnote eingereicht worden. Angenommen wurde schließlich der Entw. B, der am 29. 3. durch GehR Bücher RAM Simons nach Lugano überbracht wurde. Der Text dieses Notenentw. findet sich in PA/Büro RM/5 secr. Reparation, Bd. 1.

Zum Text der endgültigen Note s. u. Anm. 5.

5

Die endgültige Note kam erst nach langen Verhandlungen in Lugano und in Berlin zustande und wurde unter dem Datum des 12. 4. an Botschafter v. Bergen nach Rom übermittelt.

In dieser Note erklärte die RReg. zu Beginn, daß sie der Vermittlung der Vereinigten Staaten vollkommenes Vertrauen entgegenbringen werde. Die dt. Regierung werde jeden Vermittlungsvorschlag bereitwillig entgegennehmen und eingehend behandeln. Die Note fuhr dann fort, daß Dtld. nach Art. 232 Abs. 1 VV Reparationen nur innerhalb der Grenzen seiner Leistungsfähigkeit zu erbringen habe. Diese Leistungsfähigkeit sei aber zwischen Dtld. und den Alliierten umstritten. Nach dt. Schätzung dürfte die Gesamtverpflichtung nicht mehr als 50 Mrd. GM Gegenwertswert betragen. Sollte sich eine Einigung auf eine bestimmte Summe nicht erzielen lassen, so würde die dt. Regierung empfehlen, einen Zahlungsplan durch eine Kommission von unparteiischen Sachverständigen unter Leitung der USA aufstellen zu lassen.

Weiter erklärte die dt. Regierung sich bereit, eine internationale Goldanleihe aufzunehmen, deren Gegenwert den reparationsberechtigten Staaten zur Verfügung gestellt werden sollte. Dtld. sei auch bereit, an Stelle der Geldleistungen Sach- und Dienstleistungen zu erbringen. Sollte die geplante Anleihe den geforderten Gesamtbetrag nicht erreichen, so erklärte Dtld. seine Bereitschaft, die Verpflichtung der Alliierten aus ihrem Schuldverhältnis zu Amerika gemäß seiner Leistungsfähigkeit zu übernehmen. Dtld. verpflichtete sich, für jeden Kredit entsprechende Sicherheiten zu gewähren (Telegramm Nr. 64 v. 12.4.1921, AA an Botschaft Vatikan, PA/Büro RM/5 secr. Reparation, Bd. 1).

Zu einer Weiterleitung der Note durch den Vatikan an die USA kam es jedoch nicht mehr. Bereits am 14. 4. veröffentlichte die „Germania“ die Nachricht von einem „Vermittlungsversuch einer neutralen Macht“, und daraufhin lehnte es der Vatikan ab, die Note nach Washington weiterzuleiten (handschriftl. Notiz MinR Kempners, R 43 I /460 , Bl. 44; Germania Nr. 181).

RIM Koch notierte darüber in seinen „Aufzeichnungen“: „Die Vermittlung des Vatikans ist gescheitert. Die Germania hat die Note vom Mittwoch [13. 4.] am Donnerstag veröffentlicht und hat dadurch am Freitag Briands Widerspruch hervorgerufen, ehe der Papst überhaupt nur die Vermittlung hätte versuchen können. Als der [Botschafter] zum Kardinal Gasparri gekommen ist, hat er, wie Fehrenbach mir erzählte, ihm die Note auf den Tisch geworfen und gefragt: ‚Was soll ich noch damit?‘ Fehrenbach sagt, daß die Veröffentlichung auf eine ‚halbe Indiskretion‘ Wirths zurückzuführen sei. Ich fürchte, es steckt der Erzbergersche Gedanke dahinter, zu einem Linkskabinett zu kommen und deswegen das jetzige scheitern zu lassen.“ (Nachlaß Koch-Weser  27, Bl. 455).

Einen anderen Informanten glaubte der StKom. für die Überwachung der öffentlichen Ordnung ermittelt zu haben. Er war von RAM Simons mit der Untersuchung des Falles beauftragt worden und berichtete am 27. 4. dem RAM, daß die Meldung bereits am 11. 4. in der „Zentrums-Parlamentskorrespondenz“ erschienen sei. Dieser Artikel habe die Grundlage für die Veröffentlichung der „Germania“ gebildet. In dem Schreiben des StKom. hieß es dann weiter: „Außer auf diesem Wege sind der ‚Germania‘, wie ich durch einen Vertrauensmann zuverlässig ermittelt habe, weitere Informationen in derselben Angelegenheit auf folgendem Wege zugegangen: Der Reichsminister Dr. Brauns hat sich über die in dem Artikel behandelten Fragen mit dem Verlagsdirektor der ‚Germania‘, Herrn Müller, unterhalten. Müller hat seinerseits seine Informationen an den Chefredakteur der ‚Germania‘, Herrn Dr. Hommerich, weitergegeben, der dann die Notiz verfaßt hat.“ (PA/Büro RM/5 secr. Reparation, Bd. 1).

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