1.33.1 (lut2p): Bericht der deutschen Delegation über die Konferenz in Locarno.

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Bericht der deutschen Delegation über die Konferenz in Locarno.

Der Reichswehrminister eröffnete in Vertretung des Reichskanzlers, der durch anderweitige Besprechungen verhindert war, die Sitzung.

Der Reichsminister des Auswärtigen bat, seine Mitteilungen, soweit sie sich auf die Form und den Inhalt der Besprechungen in Locarno bezögen, vertraulich zu behandeln. Er stellte daraufhin fest, daß die Richtlinien der Note[790] vom 20. September2 durchgängig und in jedem einzelnen Punkt in Locarno durchgeführt worden seien. Kein deutscher Antrag sei abgelehnt worden, nur die Rückwirkungen ständen noch aus.

Der Reichsminister des Auswärtigen gab sodann einen Überblick über den Sicherheitspakt, die Schiedsgerichtsverträge und die Frage des Eintritts Deutschlands in den Völkerbund. Eine Stellungnahme, eine Zustimmung oder Nichtzustimmung käme im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht in Betracht. Man müsse abwarten, wie sich die Zusagen bezüglich der Rückwirkungen auswirkten.

Der Preußische Ministerpräsident sprach der Delegation den Dank für ihre Arbeit in Locarno aus und beglückwünschte sie zu dem erzielten Erfolg.

Was die Rückwirkungen, die ihm das wichtigste zu sein schienen, anlange, so gehe er nicht so weit, seine Zustimmung von der Art der Rückwirkungen abhängig zu machen. In der gegebenen Situation sei schon das, was paraphiert worden sei, sehr günstig, und man könne sich nunmehr mit der darauf gegründeten Hoffnung begnügen. Gleichwohl komme es natürlich darauf an, in den nächsten Wochen das an Rückwirkungen herauszuholen, was herausgeholt werden könne. Der Geist von Locarno müsse sich auswirken und von hier aus müsse sehr nachgedrückt werden. Er halte es für dringend geboten, daß Erfolge erzielt würden. Die Gründe für die Besetzung seien in Wegfall gekommen.

Der Bayerische Ministerpräsident erkannte an, daß der Pakt als solcher ganz wesentliche Verbesserungen gegenüber den ersten Entwürfen enthalte. Er halte es jedoch für verfehlt, jetzt schon einen Siegesjubel anzustimmen. Die Einstellung der deutschen Presse sei sehr unglücklich.

Der Bayerische Ministerpräsident stellte sodann einige Anfragen bezüglich Mitteilungen der Neuen Freien Presse über Deutschlands Eintritt in den Völkerbund und bezüglich Erklärungen Beneschs über die Schiedsverträge3.

Der Reichsminister des Auswärtigen erklärte die Mitteilungen für erfunden.

[791] Der Bayer. Ministerpräsident erklärte darauf, daß ihm diese Mitteilung genüge.

Zurückkehrend zu den Vertragsentwürfen stellte der Bayerische Ministerpräsident fest, daß eine Stellungnahme für ihn noch nicht möglich wäre. Abgesehen davon, daß noch keine genügende Zeit zu einem Studium der Verträge gegeben gewesen sei, verbiete auch die Art der Behandlung der Rheinlandfragen, heute bereits zu einer Urteilsbildung zu gelangen. An sich sei er der Meinung, daß man ohne einen Pakt wohl nicht auskommen werde, wenn man in anderen Fragen zu einer Lösung kommen wolle. Er erkenne an, daß Land und Leute mit dem Pakt nicht abgetreten würden. Frankreich gewinne aber doch die Gewißheit, daß seine gegenwärtigen Grenzen jetzt von uns freiwillig gesichert würden. Angesichts dieser Situation müsse man fragen, was Locarno dem Rheinland biete. Diese Frage sei aber jetzt nicht zu beantworten. Daher müsse man zunächst abwarten, was die Gegenseite tue. Wichtig sei für ihn zu wissen, ob tatsächlich durch die Schiedsgerichtsverträge und den Sicherheitspakt Sanktionen für Frankreich künftig unmöglich gemacht seien. Die Frage der Besetzungsfristen sei die Kardinalfrage. Die Behandlung der Kriegsschuldlüge werde sich weiter als ein Erfolg herausstellen.

Der Sächsische Ministerpräsident erblickte in den Verträgen von Locarno einen wesentlichen Fortschritt. Die Minoritätenfrage werde für uns besser zu behandeln sein, wenn wir im Völkerbund vertreten seien. Der dauernden Handelsspionage durch das Ausland müsse stärker entgegengewirkt werden. In der Polizeifrage könnten die Länder nicht weiter zurück, hier müsse versucht werden, eine erträgliche Lösung zu finden. In der Schuldfrage seien wir durch unsere Erklärungen nicht vorwärts gekommen.

Der Badische Staatspräsident glaubte, daß der erzielte Erfolg nicht so sehr auf dem Paragraphenwerk beruhe, sondern mehr darin zu suchen sei, daß sich die Völker wieder verständnisbereit und mit der Absicht, gemeinsam vorwärtszuarbeiten, gegenüberträten. Er möchte weiter wünschen, daß der Anfang auch dazu gemacht sei, daß es in außenpolitischen Fragen keine Parteien mehr gäbe. Für diese beiden Erfolge spreche er den Delegationsführern seinen Dank aus.

Nach einer Erwiderung des Reichsministers des Auswärtigen bat der Bürgermeister Petersen-Hamburg, von einer weiteren Aussprache abzusehen. Man könne im großen und ganzen mit dem Erreichten einverstanden sein und müsse dafür der Delegation danken. Über den Geist, der Locarno beherrscht habe, müsse man erfreut sein, man erwarte aber auch, daß nunmehr die anderen Nationen auch diesen Geist weiter förderten.

Der Reichskanzler der inzwischen erschienen war, bezeichnete das Eintreten für die Rückwirkungen und die Herbeiführung von Erfolgen bis zum 1. Dezember als das politische Programm, mit dem die Delegationsführer zurückgekommen seien. Was herauskommen werde, sei heute noch nicht zu übersehen. Sicher sei, daß noch große Schwierigkeiten überwunden werden müßten. Der Pakt werde auf alle Fälle für uns erst dann annahmereif werden, wenn man ein Bild gewonnen habe von den Dingen, die sich alsbald im Rheinland vollziehen sollen.

[792] Herr v. Brandenstein erklärte daraufhin, daß er sich im wesentlichen dem Standpunkt Bayerns anschließe.

Der Reichskanzler schloß darauf die Sitzung. Es wurde ein Redaktionskomitee zur Abfassung eines Presse-Kommuniqués eingesetzt, bestehend u. a. aus: Ministerialdirektor Dr. Kiep, Ministerialdirektor Dr. Pünder, Oberbürgermeister Dr. Adenauer, Dr. Meyer.

Das veröffentlichte Kommuniqué hatte folgenden Wortlaut:

„Heute vormittag traten die Staats- und Ministerpräsidenten der Länder mit den Mitgliedern der Reichsregierung unter Vorsitz des Reichskanzlers zu einer Aussprache über das Ergebnis der Ministerzusammenkunft von Locarno in der Reichskanzlei zusammen.

Nach Berichterstattung durch den Reichskanzler und den Reichsminister des Auswärtigen fand ein eingehender Gedankenaustausch über die mit dem Werk von Locarno zusammenhängenden Fragen statt; insbesondere wurden die für die besetzten Gebiete zu erwartenden Rückwirkungen ausführlich erörtert.

Die Erschienenen sprachen den deutschen Delegierten für die im Interesse der Sicherung des Weltfriedens und der Verständigung der Völker in Locarno getätigten Arbeiten ihren Dank aus, gaben dabei jedoch übereinstimmend der Überzeugung Ausdruck, daß das Vertragswerk erst dann als endgültig abgeschlossen angesehen werden könne, wenn, insbesondere in den besetzten Gebieten, Maßnahmen erfolgten, die dem verkündeten Geist des Friedens entsprächen und den berechtigten Erwartungen des deutschen Volkes Rechnung trügen“4.

Fußnoten

2

So im Original. Es muß wohl heißen: Note vom 20. Juli. Vgl. die einleitenden Darlegungen Stresemanns im Kabinettsrat vom 19. 10. (Dok. Nr. 201).

3

Gemeint sind offenbar 1) die Meldung der „Neuen Freien Presse“ (Wien) vom 17. 10., am 15.12.25 werde eine außerordentliche Völkerbundsversammlung zusammentreten, „um die Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund vorzunehmen“, und 2) die folgende, am 18. 10. von dieser Zeitung veröffentlichte Erklärung Beneschs: „Es wäre ein Irrtum, nicht das große Aktivum zu sehen, das aus der Konferenz von Locarno der Tschechoslowakei und Polen zugute kommt. Sobald man Einblick in den Text sämtlicher Dokumente und insbesondere auch in den Text unseres Arbeitragevertrages mit Deutschland gewinnen wird, wird man auch die große Tragweite dieser Vereinbarungen erfassen. Mag auch ein Unterschied zwischen dem Rheinpakt und den Ostverträgen bestehen, so ist doch aus den gesamten Verhandlungen klar ersichtlich, daß sämtliche Dokumente der Ausdruck der Einheitlichkeit der Lage und der Ungeteiltheit der Verhandlungen sind, daß ihre wechselseitige Erfüllung eng zusammenhängt, daß der Westpakt indirekt auch Europa garantiert, daß er der tschechoslowakischen Republik integral alle ihre ursprünglichen Garantien wahrt und denselben eine Reihe anderer hinzufügt, daß unser neuer Arbitragevertrag mit Deutschland als Bestandteil der Vereinbarungen von Locarno die moralische Garantie aller übrigen beteiligten Staaten besitzt.“

4

Mit diesem Wortlaut veröffentlicht z. B. in „Tägliche Rundschau“ vom 22. 10.

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