2.61 (ma11p): Nr. 61 Vereinbarung zwischen der Reichsregierung und der Thüringischen Landesregierung. 14.15. Januar 1924

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Nr. 61
Vereinbarung zwischen der Reichsregierung und der Thüringischen Landesregierung. 14.15. Januar 19241

R 43 I /2314 , Bl. 377 f.

Die zahlreichen Beschwerden, die bei der Reichsregierung über die Thüringische Landesregierung aus dem Lande Thüringen eingegangen sind, sowie das immer dringlicher von dort gestellte Verlangen nach Einsetzung eines Reichskommissars haben die Reichsregierung veranlaßt, auf Grund des Artikels 15 der Reichsverfassung Beauftragte zu den Thüringischen Landeszentralbehörden zu entsenden. Die Berichte der Beauftragten2 sind in eingehenden Verhandlungen mit den Thüringischen Ministerien erörtert worden. Auf Grund dieser Verhandlungen erklärt die Reichsregierung:

Die Thüringische Landesregierung entspricht in ihrer gegenwärtigen Zusammensetzung objektiv nicht den Vorschriften der Thüringischen Landesverfassung3. Die gegen die Thüringische Landesregierung erhobenen Beschwerden haben sich auch nach der eingehenden Aussprache mit den Vertretern der Landesregierung zu einem erheblichen Teil als begründet erwiesen. Namentlich gibt die Beamtenpolitik der Thüringischen Landesregierung der Reichsregierung zu schweren Bedenken Anlaß, weil die Grundsätze des Artikels 130 der Reichsverfassung vielfach außer acht gelassen sind. Verfehlungen gegen das Reichsstrafgesetzbuch im Thüringischen Ministerium des Innern, welche im Zusammenhang[240] mit der Beamtenpolitik stehen, bilden zur Zeit den Gegenstand strafrechtlicher Untersuchung4.

Die Thüringische Landesregierung nimmt von diesen Erklärungen Kenntnis und erklärt dazu Folgendes:

Die Thüringische Landesregierung bestreitet nach wie vor, daß die gegen sie erhobenen Vorwürfe begründet sind und daß Anlaß vorliegt, mit Maßnahmen auf Grund des Artikels 48 der Reichsverfassung gegen sie vorzugehen. Die Landesregierung ist verfassungsmäßig, obwohl sie in der Zahl ihrer Mitglieder der Landesverfassung zur Zeit nicht ganz genügt. Es ist aber vor der Neuwahl des Landtags nicht möglich, eine Ergänzungswahl vorzunehmen oder eine Vertrauenskundgebung der jetzigen Regierung durch den Landtag herbeizuführen. Die Tätigkeit der Landesregierung hat die breite Öffentlichkeit nicht zu scheuen. Die Landesregierung hat deshalb folgende Maßnahmen beschlossen:

I.

Die Thüringische Landesregierung wird Anstellungen, Beförderungen, Entlassungen (Versetzungen in den Wartestand oder Ruhestand) sowie Versetzungen von Beamten einschließlich der Hochschullehrer und Lehrer bis zur Neubildung der Landesregierung5 nur mit Zustimmung eines Ausschusses von fünf Mitgliedern vornehmen und die nach dem Thüringischen Notgesetz über die Herabminderung der Personalausgaben vom 28. Dezember 1923 (Gesetzsammlung Seite 839) dem Staatsministerium oder einem einzelnen Ministerium zustehenden Befugnisse nur mit Zustimmung dieses Ausschusses ausüben.

Vorsitzender des Ausschusses ist der Präsident des Oberlandesgerichts in Jena6. Von den übrigen Mitgliedern des Ausschusses werden zwei von den vereinigten bürgerlichen Parteien, zwei von der vereinigten sozialdemokratischen Partei des Landes Thüringen benannt. Kommt der Ausschuß in dieser Zusammensetzung nicht zustande, so werden zwei Mitglieder von der Reichsregierung, zwei von der Thüringischen Landesregierung ernannt7.

Der Ausschuß faßt seine Beschlüsse mit Stimmenmehrheit.

II.

Das Thüringische Finanzministerium wird beauftragt, mit Beschleunigung für die Zeit vom 16. Januar bis 31. März 1924 einen Bedarfsnachweis aufzustellen und den ordentlichen und außerordentlichen Bedarf aller Ministerien auf eine festbegrenzte Summe zu kontingentieren. Es wird Sorge tragen, daß der Zugriff der Behörden auf die öffentlichen Kassen auf die Höhe eines für die Dauer von vierzehn Tagen voraus zu berechnenden Bedarfs begrenzt wird.

[241] Das Thüringische Staatsministerium wird dem Finanzminister erweiterte Vollmachten übertragen. Gegen den Einspruch des Finanzministers oder seines Beauftragten dürfen Ausgaben nicht geleistet und finanzielle Verpflichtungen nicht übernommen werden.

Das Thüringische Staatsministerium wird der Reichsregierung über die in Ausführung dieser Beschlüsse getroffenen Maßnahmen Mitteilung zugehen lassen und ihr den aufgestellten Bedarfsnachweis zur Kenntnisnahme vorlegen.

Die Reichsregierung nimmt von den Erklärungen der Thüringischen Landesregierung Kenntnis und sieht davon ab, dem Herrn Reichspräsidenten Maßnahmen auf Grund des Artikels 48 der Reichsverfassung vorzuschlagen.

Die Thüringische Landesregierung gibt der Erwartung Ausdruck, daß der Militärbefehlshaber in Weimar durch Vermittlung der Reichsregierung veranlaßt wird, in den dem Zusammenwirken der Landesregierung und des Ausschusses unter Nr. I vorbehaltenen Aufgabenkreis nicht einzugreifen8.

Für die Reichsregierung:

Berlin, den 15. Januar 1924

Der Reichskanzler

Marx

Der Reichsminister des Innern

Dr. Jarres

Für die Regierung des Landes Thüringen:

Weimar, den 14. Januar 1924

Der Vorsitzende des Staatsministeriums

Frölich

Fußnoten

1

Über diese Vereinbarung hatten am 8. 1. in der Rkei Verhandlungen zwischen Vertretern der RReg. und der thür. Landesreg. stattgefunden (vgl. Dok. Nr. 55, Anm. 17). Am 9. 1. wurde die Vereinbarung von der Rkei dem thür. StMin. zur Vollziehung übersandt. Die Zustimmung des thür. StMin. erfolgte am 13. 1. (vgl. Dok. Nr. 55, Anm. 19). Teilabdruck bei Huber, Dokumente zur dt. Verfassungsgeschichte, Bd. 3, Dok. Nr. 277, S. 300 f. (hier irrtümlich auf den 12.1.24 datiert).

2

Vgl. Dok. Nr. 47, Anm. 11.

3

Vgl. Dok. Nr. 19, bes. Anlagen 2 und 3.

4

Im Zusammenhang mit den Ermittlungen der nach Weimar entsandten Reichsbeauftragten waren der thür. IM Hermann und sein Personalreferent unter dem Verdacht der Urkundenfälschung im Amt in Haft genommen worden.

5

Nach den thür. Landtagswahlen (10. 2.) wird das gegenwärtige sozialdemokratische Rumpfkabinett Frölich am 21. 2. durch ein bürgerliches Beamtenministerium unter MinPräs. Leutheußer (DVP) abgelöst.

6

Stichling.

7

Da die bürgerlichen Parteien (DNVP, DVP, DDP, Landbund) es ablehnen, sich an dem Ausschuß zu beteiligen, ernennt die RReg. als ihre Vertreter im Ausschuß Oberlandesgerichtsrat Prof. Fischer und Oberverwaltungsgerichtsrat Knauth, beide Jena. Die thür. Reg. ernennt zu ihren Vertretern StM i. W. Baudert und MinDir. Rittweger.

8

Auch nach dem Zustandekommen dieser Vereinbarung gehen bei der RReg. mehrfach Beschwerdeschreiben der thür. Landesreg. über Eingriffe des Militärbefehlshabers, Genlt. Hasse, in die Landesverwaltung ein (in R 43 I /2314 , 2315).

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