2.89.1 (ma31p): 1. Außenpolitische Lage.

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1. Außenpolitische Lage.

Der Reichsminister des Auswärtigen erstattete Bericht über den Stand der in Thoiry begonnenen Verhandlungen1. Nach dem ihm zugegangenen Berichte schienen die Meinungsverschiedenheiten im französischen Kabinett groß zu sein. Man werde abzuwarten haben, ob Ministerpräsident Poincaré der innerpolitischen Schwierigkeiten, die ihm bevorstünden, Herr werde. Bezüglich der Vereinigten Staaten habe sich als sicher herausgestellt, daß vor der Ratifizierung des französisch-amerikanischen Schuldenabkommens2 an eine Genehmigung der Amerikaner für die geplante Verfügung über die Eisenbahn-Obligationen nicht zu denken sei. An sich erscheine eine Teillösung vor der allgemeinen Revision des Dawesabkommens und der Neuregelung der alliierten Schulden aber durchaus möglich. Parker Gilbert habe sich jedenfalls in diesem Sinne geäußert.

In der amerikanischen Öffentlichkeit werde man von deutscher Seite dafür sorgen müssen, daß nicht die Meinung entstehe, es bilde sich ein antiamerikanischer Block der europäischen Staaten. Außerdem sei es nicht empfehlenswert, daß Deutschland in den Augen der Amerikaner schon jetzt eine allzu enge Verbindung mit Frankreich eingehe. Die Stimmung in Nordamerika sei zur Zeit so antifranzösisch, daß es für Deutschland nicht vorteilhaft sei, als mit Frankreich eng verbunden angesehen zu werden.

Der französische Geschäftsträger habe in zwei Einzelfällen Wünsche von Herrn Briand vorgebracht. Der erste betreffe eine Mitteilung, die Herr Ruppel der Reparationskommission über die Verhandlungen von Thoiry gemacht und die im französischen Außenministerium erstaunt habe. Der Reichsminister des Auswärtigen teilte mit, daß er diesen Fall durch die Aufklärungen, die er gegeben habe, für erledigt halte3. Zweitens habe der französische Geschäftsträger auf den 1926 erschienenen Leitfaden für den Unterricht im Reichsheer hingewiesen, der in einem Anhang außenpolitische Betrachtungen enthalte, die in Frankreich Besorgnis und Bedauern hervorgerufen hätten4. Der Reichsminister[249] des Auswärtigen erklärte, daß auch er diese Ausführungen des Leitfadens für ungeschickt halte.

Der Reichswehrminister führte aus, daß der Leitfaden schon lange vor den Verhandlungen von Genf und Thoiry, nämlich im Jahre 1924, verfaßt worden sei; er werde aber für Bereinigung der Angelegenheit Sorge tragen. Er erwäge Zurückziehung des Leitfadens. Bei einer Neuauflage werde jedenfalls den Bedenken des Reichsministers des Auswärtigen Rechnung getragen werden. Dabei stelle er jedoch anheim, in der dem französischen Geschäftsträger zu gebenden Antwort auch unsererseits darauf hinzuweisen, wie sehr die deutschen Empfindungen durch die neuerliche Rede des französischen Ministerpräsidenten mit ihren beleidigenden Äußerungen über den deutschen Generalstab verletzt worden seien, durch die implicite auch der Herr Reichspräsident angegriffen sei5.

Der Reichsminister des Auswärtigen sagte zu, in seiner mündlichen Antwort mit dem französischen Geschäftsträger hierüber zu sprechen6.

Fußnoten

1

Siehe dazu ADAP, Serie B, Bd. I,2, Dok. Nr. 106–109, 112–117, 119–121, 123, 127, 129–142.

2

Zum frz.-amerik. Schuldenabkommen, das am 29.4.26 in Washington unterzeichnet worden war, siehe Schultheß 1926, S. 450.

3

Siehe dazu die Aufzeichnung Stresemanns über seine Unterredung mit dem frz. Geschäftsträger de Laboulaye vom 11.10.26., in: Stresemann, Vermächtnis, Bd. III, S. 41.

4

Siehe die Aufzeichnung des MinDir. Köpke über eine Unterredung mit dem frz. Geschäftsträger vom 3.10.26., in: ADAP, Serie B, Bd. I,2, Dok. Nr. 128; in der Anlage zu diesem Dok. sind die von frz. Seite beanstandeten Ausführungen im „Leitfaden für den Unterricht im Heer“ abgedruckt.

5

In einer Rede auf dem Kongreß der Kriegsverletzten in St. Germain am 26.9.26 hatte Poincaré u. a. ausgeführt: „Es kam euch damals, als die Mittelmächte den grausamsten Umsturz, den die Weltgeschichte kennt, entfesselten, nicht in den Sinn, alle Deutschen ohne Unterschied für diesen Angriff verantwortlich zu machen. […] Aber ihr dürft nicht vergessen, daß uns der Krieg erklärt worden war und daß er auf unserem Boden ausgetragen wurde dank der Vergewaltigung eines neutralen Staates, und daß er auf Befehl des kaiserlichen Generalstabes mit einer unerbittlichen Grausamkeit geführt wurde.“ (nach DAZ Nr. 450/451 vom 28. 9.).

6

Siehe die Aufzeichnung Stresemanns über seine Unterredung mit Laboulaye vom 18. 10. mit Nachtrag vom 20.10.26., in: ADAP, Serie B, Bd. I,2, Dok. Nr. 151. In einer Unterredung mit Stresemann am 1. 11. brachte der frz. Botschafter de Margerie erneut den beanstandeten „Leitfaden“ zur Sprache; er, Margerie, habe erst vor wenigen Tagen festgestellt, daß das Buch jederzeit im Buchhandel zu kaufen sei (Aufzeichnung Stresemanns vom 11. 11., in: ADAP, a.a.O., Dok. Nr. 176). Am 20. 11. schrieb der RK an RWeM Geßler: „In der ausländischen Presse ist letzthin der in der Sitzung des Reichsministeriums vom 13. Oktober 1926 besprochene Leitfaden für den Unterricht im Reichsheere häufig zum Anlaß unerwünschter Ausführungen in Sachen der Militärkontrolle gemacht worden. Sie sprachen in dieser Kabinettssitzung unter Würdigung der gegenwärtigen außenpolitischen Lage Ihre Bereitwilligkeit aus, diese Angelegenheit in irgendeiner Form aus der Welt zu schaffen. Es ist mir nun mitgeteilt worden, daß noch in letzter Zeit in Auswirkung der Presseartikel zahlreiche Angehörige von Ententestaaten, die sich in Berlin aufhalten, wie z. B. Zeitungskorrespondenten oder Mitglieder des diplomatischen Korps, sich im Buchhandel diesen Leitfaden beschafft haben. Es liegt nahe, zu befürchten, daß sich aus diesem sich immer mehr erweiternden Kreise von Persönlichkeiten, die den Leitfaden in der Hand haben, immer neue Anregungen für die öffentliche Polemik ergeben. […] Sie würden, wie ich glaube, die Fortführung unserer Außenpolitik in großem Maße erleichtern, wenn Sie eine baldige Zurückziehung des Leitfadens aus dem Handel bewerkstelligen könnten.“ (R 43 I /421 , Bl. 114; im selben Band – Bl. 130 f., 155 ff. – Aufzeichnungen über die Zurückziehung des Leitfadens).

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