1.232.2 (mu22p): 2. Finanzfragen.

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 6). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Kabinett Müller II. Band 2 Hermann Müller Bild 102-11412„Blutmai“ 1929 Bild 102-07709Montage  von Gegnern des Young-Planes Bild 102-07184Zweite Reparationskonferenz in Den Haag Bild 102-08968

Extras:

 

Text

RTF

2. Finanzfragen.

Der Reichskanzler berichtete sodann in großen Zügen über das Ergebnis der mit den Parteien geführten Verhandlungen über die Finanzfragen. Er unterschied 3 Hauptfragenkomplexe, nämlich

1. die Sicherung der Arbeitslosenversicherung,

2. die Steuersenkung und Ausgabenersparnis,

3. die Deckungsvorlagen für den Reichshaushaltsplan 19302.

Bezüglich der Deckungsvorlagen für den Reichshaushalt 1930 bemerkte er, daß hierüber im großen und ganzen Einverständnis bestehe. Jedenfalls könne gehofft werden, daß die Vorlagen im Steuerausschuß alsbald verabschiedet werden könnten. Bedenken bestünden in der Hauptsache gegen die Mineralwassersteuer. Er habe erklärt, daß die Reichsregierung auf die Beibehaltung dieser Steuer kein entscheidendes Gewicht lege, sofern in anderer Weise ein äquivalenter Ersatz geboten werde. Gefährdet erscheine ferner die Biersteuer, da, wie bekannt, die Bayerische Volkspartei gegen sie stimmen werde. Es sei in den Verhandlungen erklärt worden, daß wahrscheinlich auch die in Bayern gewählten Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei sich der Haltung der Bayerischen Volkspartei anschließen würden3. Ein Beschluß der Sozialdemokratischen Fraktion nach dieser Richtung liege jedoch nicht vor.

Die Durchbringung der Deckungsvorlagen hänge aber ausschlaggebend von einer vorherigen Einigung über die beiden anderen Fragenkomplexe ab.

Bezüglich der Steuersenkungen seien die übriggebliebenen Differenzen weniger groß, so daß Aussicht bestehe, daß die Parteien bezüglich der Überwindung dieses Punktes keine besonderen Schwierigkeiten machen würden. Es sei zu dem in der Anlage 1 formulierten Vorschlag gekommen4. In der Hauptsache handle es sich wohl nur noch darum, daß die Deutsche Volkspartei statt der im Vorschlag vorgesehenen 600 Millionen Ersparnisse für Steuersenkungen eine Summe von 700 Millionen RM eingesetzt wissen wolle. Die übrigen Parteien seien im großen und ganzen, trotz starker Bedenken in Einzelheiten, einverstanden.

Die größten Schwierigkeiten bestünden zweifellos bezüglich der Sicherung der Arbeitslosenversicherung. In diesem Punkte sei eine Annäherung der Parteien noch nicht gelungen. Es sei zu der in Anlage 2 beiliegenden Formulierung von Vorschlägen gekommen5, über die die endgültige Stellungnahme der Fraktionen[1607] noch ausstehe. Materiell laufe diese Formulierung darauf hinaus, daß die sachliche Entscheidung über die Sanierung der Reichsanstalt um einige Monate hinausgezogen werde. Den Fraktionen sei aufgegeben worden, bis zum Nachmittag mit Ja oder Nein auf die vorliegenden Vorschläge zu den 3 Fragenkomplexen zu antworten.

Über den materiellen Inhalt der Verhandlungen sei im übrigen weiter nichts besonderes zu bemerken. Aufgabe des Kabinetts sei es nunmehr, zur politisch-taktischen Lage Stellung zu nehmen. Nach seiner Meinung müsse das Kabinett selbstverständlich an seinen früheren Beschlüssen festhalten und abwarten, ob es zu einer Einigung der Parteien komme oder nicht. Keinesfalls könne das Kabinett die Entscheidung über den Nachmittag hinaus weiter verschleppen lassen.

Der Reichsarbeitsminister erklärte, daß er es für sehr fraglich halte, ob die Parteien dem in der Anlage 2 enthaltenen Vorschlage zur Sicherung der Arbeitslosenversicherung zustimmen würden. Er halte die in Artikel 1 des Gesetzentwurfs der Reichsregierung zur Vorbereitung der Finanzreform gefundene Lösung jedenfalls für besser6 und müsse es für seine Person ablehnen, dem Vorschlage der Anlage 1 zuzustimmen.

Der Reichsminister der Finanzen erwiderte, daß auch er die Regierungsvorlage für besser halte, daß er aber keine Möglichkeit sehe, die Parteien auf diesen Vorschlag zu einigen. Die Regierung müsse sich nach seiner Meinung daher mit der Lösung in Anlage 2 abfinden, wenn die Parteien sich darauf einigen würden.

Der Reichsminister der Justiz und der Reichsverkehrsminister äußerten sich in gleichem Sinne.

Der Reichsminister des Innern führte aus, daß auch nach seiner Meinung unbedingt eine Einigung auf ein Gesamtprogramm angestrebt werden müsse.

Der Reichskanzler erklärte nochmals, daß die Reichsregierung in erster Linie an ihren früheren Kabinettsbeschlüssen festhalten müsse. Das Kabinett müsse sich im Augenblick nur darüber schlüssig werden, welche Haltung es einnehmen wolle, wenn die Parteien sich auf die ihnen vorgelegten Formulierungen einigen würden. Nach seiner Meinung müsse den Fraktionen gesagt werden, daß die Reichsregierung sich für den Fall, daß eine Mehrheit für die Regierungsvorlage nicht zustande komme, sich mit dem Programm der Parteien abfinden und weitere Schwierigkeiten nicht machen werde, sofern die Parteien sich ihrerseits auf ein festes Programm, das heißt, auf die ihnen jetzt zur Beschlußfassung vorliegenden Vorschläge einigen würden. Komme es nicht zur Einigung, so bliebe nur der Rücktritt der Regierung übrig.

Die Abstimmung über diesen Vorschlag des Reichskanzlers ergab die Zustimmung des Reichskabinetts mit allen Stimmen gegen die Stimme des Reichsarbeitsministers.

Der Reichskanzler vertagte sodann die Weiterberatung auf Nachmittag 5 Uhr zwecks Stellungnahme zu den bis dahin erwarteten Entscheidungen der Fraktionen7.

Fußnoten

2

Siehe Dok. Nr. 484, 486 und 487.

3

In den vorliegenden Niederschriften der Rkei und Schäffers wurde diese Erklärung nicht ermittelt; siehe aber auch Anm. 5 zu Dok. Nr. 469.

4

Siehe Anlage III zu Dok. Nr. 484.

5

Siehe Anlage II zu Dok. Nr. 487.

6

Siehe Dok. Nr. 462.

7

Siehe Dok. Nr. 489, P. 2.

Extras (Fußzeile):