1.3.2 (str2p): 2. Vorgänge in Sachsen.

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Die Kabinette Stresemann I und II. Band 2Gustav Stresemann und Werner Freiherr von Rheinhaben Bild 102-00171Bild 146-1972-062-11Reichsexekution gegen Sachsen. Bild 102-00189Odeonsplatz in München am 9.11.1923 Bild 119-1426

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2. Vorgänge in Sachsen.

Der Herr Reichswehrminister berichtete eingehend über die Vorgänge in Sachsen5. Am Dienstag trete der sächsische Landtag zusammen6. Es werde ein kommunistischer Antrag zur Verhandlung gelangen, der folgende Punkte enthalte:

a) Forderung des Rücktritts des Reichswehrministers,

b) die Frage der Zusammenarbeit der Reichswehr mit verbotenen Organisationen,

c) das Verhalten der Reichswehr im allgemeinen,

d) Reichswehrkommando 4 und sächsische Regierung.

Der sächsische Ministerpräsident habe öffentlich erklärt, der Reichswehrminister habe ihm verboten, am nächsten Dienstag im Landtage über die Zusammenarbeit der Reichswehr mit verbotenen Organisationen zu sprechen. Das Reichswehrministerium habe bereits in einer Denkschrift, die auch dem Herrn Reichskanzler zugänglich gemacht worden sei, seinen Standpunkt dargelegt7. Im Mai d. J. sei er, der Reichswehrminister, persönlich mit dem zuständigen Referenten des Reichswehrministeriums, Major von Schleicher, bei dem sächs. Ministerpräsidenten gewesen, um sämtliche Beschwerdepunkte, die Sachsen zu haben glaubte, aufzuklären. Der sächs. Ministerpräsident habe am Schlusse der Besprechung erklärt, es sei alles nunmehr erledigt. Dieser Erklärung ging eine Mitteilung des Wehrkreiskommandeurs General Müller voraus, in der betont wurde, daß die Reichswehr keine Beziehungen zu verbotenen Organisationen habe und auch keine geheimen Waffenlager unterhalte. Es wurde ferner vereinbart, daß versucht werden solle, in Zukunft alle Differenzen[496] auszugleichen. Nur ein Punkt blieb bei der Verhandlung offen, nämlich die Beteiligung von Reichswehrsoldaten an nationalsozialistischen Versammlungen in Freiberg. Er habe den Ministerpräsidenten ersucht, sein Material vorzulegen, habe es aber trotz wiederholter Erinnerungen bisher nicht erhalten können. Das Bestreben des Reichswehrministeriums sei, die etwa vorhandenen Verbindungen mit Organisationen zu lösen ohne Unterschied, ob man diese Organisationen als legale oder illegale ansprechen zu können glaube. Mit Rücksicht darauf, daß eine künftige Mobilmachung anders vor sich gehen werde wie die bisherigen, daß der Feind zweifellos versuchen werde, sofort mit leichten Kräften in das wehrlose Land einzufallen, habe die Regierung einen leichten Grenzschutz ins Auge gefaßt. Dieser Grenzschutz sei überall geregelt, nur in Sachsen nicht. Die sächsische Regierung habe verlangt, daß die proletarischen Hundertschaften in diesen Grenzschutz eingegliedert würden. Das habe die Reichswehr, die nur mit Behörden und Beamten verhandle, abgelehnt. Darauf habe Sachsen die Verhandlungen über den Grenzschutz abgebrochen und der sächsische Ministerpräsident habe sich gerühmt, er habe die Reichswehr aufs Eis gelockt. Ende Juni seien die scharfen Angriffe auf die Reichswehr seitens Sachsens erhoben worden. Das Reichswehrministerium habe wiederum Material einverlangt, auch diesmal im großen und ganzen vergeblich. Im Roßbach-Prozesse8 hätten Roßbach und von Graefe erklärt, sie hätten Beziehungen zur Reichswehr. Der sächs. Ministerpräsident habe sich in diese Akten Einblick verschafft9. In Königsbrück hätte im Frühjahr d. J. ein Ausbildungskursus von 50–60 Offizieren stattgefunden, deren Einstellung in die Reichswehr in Aussicht genommen worden sei. Damit sollten lediglich die Fehlstellen der Reichswehr ausgefüllt werden. Auch die Entente habe von diesem Kursus Kenntnis gehabt. Es handle sich lediglich um eine Prüfung der Geeignetheit der Offiziere für die Reichswehr. Der sächs. Ministerpräsident habe sich, wie bekannt, auch im Kabinett geweigert, sein Material vorzubringen, er wolle offenbar unter dem Schutz der Immunität seine Erklärung abgeben. Es sei jetzt so weit, daß das sächs. Vorgehen einen ungeheuren Schaden für das Reich anrichten könne, insbesondere, da eine neue Entwaffnungsnote Nollets unterwegs sei10. Die Zustände in Sachsen seien ebenso gefährlich wie die Zustände in Bayern. Er halte es für unmöglich, daß die Regierung eine derartige Ohrfeige seitens Sachsens ruhig einstecke. Er sei nicht in der Lage, im sächs. Landtag auf die Angriffe zu antworten, daher sei es Pflicht der Reichsregierung, nach dem[497] Rechten zu sehen und der sächs. Regierung die Verfassungswidrigkeit ihres Vorgehens klarzumachen.

Er stelle den Antrag, für den Fall, daß vorher keine Verständigung mit Sachsen möglich sei, am Montag durch W.T.B. eine Notiz herauszugeben, die auf die Vorgänge in Sachsen hinweise und von vornherein betone, daß das Material Sachsens auf Unwahrheit beruhe, daß ferner Sachsen sich geweigert habe, dieses Material der Reichsregierung im einzelnen zur Kenntnis zu bringen. Dann müsse die Reichsregierung die sächsische Regierung absetzen und einen Reichskommissar ernennen. Die Reichsexekutive müsse gegen Sachsen angewendet werden.

Der Reichskanzler erklärte, wenn der sächs. Ministerpräsident die Absicht habe, die Frage des Grenzschutzes aufzurollen und die Vorsichtsmaßregeln der Reichsregierung zu publizieren, so sei das zweifellos Landesverrat; er könne hierfür keinen anderen Ausdruck finden. Dem Vorschlage des Herrn Reichswehrministers könne er jedoch nicht beitreten. Er halte es für taktisch nicht richtig, vorher eine Erklärung durch die Presse herauszugeben, das würde in der Öffentlichkeit so aussehen, als ob die Reichsregierung etwas zu verbergen habe und die sächs. Verhandlungen fürchte. Nach seinem Dafürhalten müsse man erst abwarten, was am Dienstag im sächs. Landtage passiere. Von Interesse sei die rechtliche Seite der Angelegenheit. Man müsse doch in der Lage sein, von Reichs wegen gegen ein derartiges Vorgehen Sachsens die schärfsten Maßnahmen zu ergreifen. Er ersuchte den Reichsminister der Justiz die Frage zu prüfen.

Der Reichsminister der Justiz erklärte, das Material des sächs. Ministerpräsidenten habe bereits zum Teil vorgelegen, es sei nicht viel. Auch er befürworte nicht das Prävenire zu spielen, sondern abzuwarten, wie die Verhandlungen im Landtag sich gestalten würden.

Der Reichsminister des Innern gab seiner Auffassung dahin Ausdruck, daß er das Urteil des Reichswehrministers über das geplante Vorgehen des sächs. Ministerpräsidenten voll billige. Ebenso jedoch müsse er hinsichtlich der Frage des taktischen Vorgehens den Erklärungen des Herrn Reichskanzlers beitreten. Er habe soeben im Reichstag mit sächs. Abgeordneten gesprochen. Es handle sich um kommunistische Anträge, die der sächs. Ministerpräsident beantworten wolle. Es hätten interne Verhandlungen in der Partei stattgefunden, in denen dem sächs. Ministerpräsidenten nahegelegt worden sei, sich zu mäßigen. Im übrigen könne er mitteilen, daß die Stellung des sächs. Ministerpräsidenten erschüttert sei. Er werde heute abend noch mit dem sächs. Gesandten Dr. Gradnauer hierüber reden.

Der Reichswehrminister betonte, daß es sich um einen Kampf auf der ganzen Linie gegen das Reich handle. Dieser Kampf gründe sich auf die Schwäche des Reiches. Das Vorgehen Sachsens sei von großer prinzipieller Bedeutung. Er erkläre sich damit einverstanden, daß man vor den Verhandlungen in Sachsen nichts veranlasse; nachher müsse man aber die letzten Konsequenzen ziehen11.

[498] Der Reichskanzler betonte, daß es sich bei dem sächs. Fall um einen ähnlichen Vorgang handle wie in Nürnberg hinsichtlich des Reichsbankgoldes12. Auch hier lasse er keinen Zweifel darüber aufkommen, daß die Reichsregierung mit den schärfsten Maßnahmen durchgreifen werde13.

Fußnoten

5

S. dazu die Darlegungen des RWeM in Dok. Nr. 115.

6

S. Anm. 11 zu Dok. Nr. 115.

7

S. Dok. Nr. 17.

8

Einen Roßbach-Prozeß hatte es nicht gegeben, sondern eine Untersuchung, die jedoch nicht zur Eröffnung des Verfahrens führte.

9

S. hierzu Dok. Nr. 53 mit Anm. 24.

10

Geschäftsträger von Hoesch hatte dem AA am 4.10.23 mitgeteilt, die Botschafterkonferenz habe gefordert, es sei unbedingt sicherzustellen, daß frz. und belg. Offiziere als Vertreter der IMKK in Deutschland tätig werden könnten. Hierzu unterrichtete StS von Maltzan die Botschaften in London und Rom am 6.10.23, daß diese Forderung während der Regierungskrise eingetroffen sei. Werde das Kabinett ihr nachgeben, werde eine neue Krise ausgelöst und zwar nicht durch die Reichswehr, sondern durch die rechtsgerichtete Bevölkerung insbesondere in Bayern. Die Regierungen in England und Italien sollten entsprechend in freundschaftlichem Sinn auf Frankreich einwirken (Pol. Arch.: Büro RM 28). S. hierzu Anm. 12 zu Dok. Nr. 150 sowie Anhang Nr. 1.

11

S. zum Fortgang Dok. Nr. 147.

12

S. Dok. Nr. 96.

13

Vgl. dazu Dok. Nr. 130.

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