1.13 (str2p): Nr. 127 Der Reichsfinanzminister an den Preußischen Finanzminister. 10. Oktober 1923

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[541] Nr. 127
Der Reichsfinanzminister an den Preußischen Finanzminister. 10. Oktober 1923

R 43 I /2358 , Bl. 15–16 Abschrift

[Betrifft: Deckung des preußischen Finanzbedarfs1.]

Unter Bezugnahme auf die Unterredung von Herrn Ministerialdirektor von Schlieben mit den zuständigen Referenten des Preußischen Finanzministeriums muß ich nochmals mit allem Nachdruck darauf hinweisen, daß der Umfang, in dem das Reich gegenwärtig genötigt ist, die preußischen Staatsschulden auf die Reichskasse zu übernehmen, zu den erheblichsten Bedenken in politischer Beziehung Veranlassung gibt und die Reichsfinanzverwaltung zwingen wird, in dem formalen Verfahren, das den preußischen Kassen gestattete, durch blaue Schecks bei den Reichsbankstellen ihre Betriebsmittel in beliebiger Höhe zu verstärken, eine grundsätzliche Änderung eintreten zu lassen. Die Möglichkeit, daß die preußischen Regierungshauptkassen ihre Betriebsmittel ohne Beschränkung bei den Reichsbankstellen verstärken konnten, hat in Friedenszeiten und bei normaler Finanzwirtschaft zu finanzpolitischen Bedenken keine Veranlassung geben können. Dies ist gegenwärtig durch die Entwickelung der Verhältnisse ganz anders geworden. Da die Entwickelung der Geldentwertung zur Inanspruchnahme immer größerer Papiermarksummen zwingt und die Anforderungen an die Kassenbetriebsmittel im voraus nicht mit Sicherheit bemessen werden können, entsteht die Gefahr, daß eine Beschränkung der Ausgabenwirtschaft überhaupt nicht mehr stattfindet und daß diejenigen Regierungsstellen, die sich ihrer Verantwortung nicht bewußt sind, Reichsmittel in weit höherem Umfange in Anspruch nehmen, als dies bei Anlegung eines strengen Maßstabes gerechtfertigt wäre2. Aber auch wenn diese Gefahr nicht bestünde, würde es auf die Dauer ein unerträglicher Zustand sein, daß sämtliche preußische Regierungspräsidenten im voraus über die Mittel des Reichs verfügen, ohne daß die Reichsfinanzverwaltung die Möglichkeit hat, die Anforderungen der Regierungshauptkassen nachzuprüfen und mit der allgemeinen Darlehnspolitik des Reiches gegenüber den Ländern in Einklang zu bringen. Tatsächlich ist der gegenwärtige Zustand so, daß alle anderen Länder, wenn sie Darlehen des Reichs benötigen, den Verwendungszweck dieser Darlehen angeben und sich Streichungen der Reichsfinanzverwaltung sowie die Einhaltung bestimmter Bedingungen gefallen lassen müssen. Preußen dagegen erhält, abgesehen von besonderen Darlehenszuwendungen für Besoldungszwecke und zur Aufrechterhaltung der Liquidität der preußischen Kommunen, im Verlauf immer kürzerer Zeitabstände sein gesamtes Debetsaldo bei der Reichsbank aus Reichsmitteln abgedeckt, ohne daß irgendwelche Möglichkeit einer Nachprüfung bestände,[542] wofür und in welchem Umfange die verausgabten Geldmittel verwendet wurden. Ich werde mich also genötigt sehen, kassentechnisch eine Änderung in diesem Verfahren eintreten zu lassen und werde fordern müssen, daß den preußischen Regierungshauptkassen für die Zukunft das Recht der Betriebsmittelverstärkung durch blauen Scheck wesentlich eingeschränkt wird. Ich verkenne die gegen meine Absicht von den preußischen Herren Vertretern geltend gemachten schweren Bedenken in keiner Weise, ich muß aber mit Nachdruck hervorheben, daß die Herren Vertreter des Landes Preußen mir keinen Weg angeben konnten, auf welchem die auch von ihnen anerkannten Mängel des bisherigen Verfahrens beseitigt werden könnten. Auch ich bin mir darüber klar, daß sie nicht allein auf dem Wege einer Veränderung der Kassentechnik gesucht werden können. Ich möchte daher jetzt schon mit dem größten Nachdruck darauf hinweisen, wie ich das ja auch schon in einem früheren Schreiben getan habe3, daß nach meinem Dafürhalten auch in Preußen sofort eine einschneidende Finanzreform einsetzen muß. Wenn im Reich die Währungsbank in Kraft tritt4 und das zur Deckung seines Bedarfs auf den beschränkten Kredit der Währungsbank und Steuereinnahmen angewiesen ist, so läßt sich jetzt schon mit Sicherheit übersehen, daß für die Länder und Gemeinden weitere Zuwendungen in Darlehnsform nicht mehr möglich sind und daß sich die Länder, also auch Preußen, mit den vom Reiche gegebenen Besoldungszuschüssen und Steuerüberweisungen begnügen müssen. Es ist also für das Gelingen der Währungsreform von höchster Bedeutung, daß die Preußische Staatsregierung sich vom Preußischen Landtag besondere finanzielle Vollmachten, wie sie das Reich jetzt erhalten hat, geben läßt5 und ihrerseits unverzüglich alle Anstrengungen macht, um alle Einnahmen des Staates auf Goldgrundlage zu stellen und auch sonst in jeder Weise zu erhöhen, auf der anderen Seite aber die Ausgaben in schärfster Weise zu beschränken. Ich lege diesen Darlegungen solches Gewicht bei, daß ich das Preußische Finanzministerium bitten muß, sie ungesäumt zur Kenntnis des preußischen Gesamtkabinetts zu bringen. Ich habe meinerseits dem Herrn Reichskanzler Abschrift dieses Schreibens vorgelegt6.

gez. Dr. Luther

Fußnoten

1

Zu den finanziellen Beziehungen zwischen Reich und Ländern s. die Äußerung Hilferdings in Dok. Nr. 97, P. d.

2

S. hierzu auch die Vorstellungen des RSparKom. Saemisch in seinem Schreiben an den RK vom 31.8.23 (Dok. Nr. 35).

3

Das Schreiben wurde nicht ermittelt.

4

Die Rentenbank wurde am 16. Oktober errichtet.

5

Im RT war vom 9.–13. 10. ein Ermächtigungsgesetz für wirtschaftliche, soziale und finanzielle Maßnahmen beraten worden; s. Kabinettssitzungen und Parteiführerbesprechungen vom 1.–6.10.23. Am Rande des Referentenberichtes zu diesem Schreiben vermerkte Kempner, ein preußisches Ermächtigungsgesetz werde ergehen (R 43 I /2358 , Bl. 17).

6

Im Auftrag des RK erbat MinR Kempner vom RFM am 18.10.23 Mitteilung über den weiteren Fortgang (R 43 I /2358 , Bl. 17). In einem Schreiben des PrFM an das RFMin. wurde am 30.10.23 mitgeteilt, daß durch Abhebungen der Regierungshauptkassen die Generalstaatskasse bei der Reichsbank mit 100 Billionen M verschuldet sei, ohne daß alle Bezüge bereits ausgezahlt worden seien. Darin heißt es: „Ich bitte versichert zu sein, daß alles geschieht, den Kreditbedarf des Staates so sehr wie möglich zu beschränken. Solange es aber nicht gelungen ist, den Haushalt auf wertbeständiger Grundlage auszugleichen, bleibt nur übrig, an dem bisherigen Verfahren der Anforderung vom Reichsdarlehen festzuhalten. Da mir nicht bekannt ist, mit welchen Einnahmen an Steueranteilen Preußen künftig zu rechnen hat, ist es mir nicht möglich, den Geldbedarf für einen längeren Zeitraum im voraus einigermaßen zutreffend zu schätzen. Ich möchte aber bemerken, daß – abgesehen von den Besoldungskrediten – Preußen seit dem 1. August 1923 rund 227 Millionen Goldmark, mithin durchschnittlich rund 76 Millionen Goldmark monatlich an Krediten für allgemeine Staatszwecke vom Reich in Anspruch nehmen mußte.“ Für die nächste Zeit wurde ein weiteres Darlehen von 500 000 Billionen M entsprechend 33 Mill. Goldmark erbeten (R 43 I /2358 , Bl. 98–102). Der RFM unterrichtete den PrFM am 14.11.23 davon, daß das Reich nun auf kontingentierte Zuschüsse der Rentenbank und Steuereinnahmen beschränkt sei. Die Rbk sei in Kenntnis gesetzt worden, „daß die Abdeckung des Debetsaldos der Preußischen Generalstaatskasse durch die Reichshauptkasse fortan auf die bewilligten Reichszuschüsse beschränkt wird, daß dagegen die Reichshauptkasse die wöchentliche Abdeckung der hierüber hinausgehenden preußischen Schuld gegen einfache Quittung der Generalstaatskasse mit sofortiger Wirkung einstellen wird“ (R 43 I /2358 , Bl. 51).

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