1.39 (str2p): Nr. 153 Otto Wolff an den Reichskanzler. Köln, 19. Oktober 1923

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Nr. 153
Otto Wolff an den Reichskanzler. Köln, 19. Oktober 19231

R 43 I /453 , Bl. 130–132

[Betrifft: Micum-Verhandlungen]

Sehr geehrter Herr Reichskanzler!

Gestatten Sie, daß ich im Anschluß an die am Donnerstag, den 18. Oktober in Gegenwart des Herrn Reichswirtschaftsminister Koeth und des Herrn Generaldirektor Dr. Haßlacher geführte Unterhaltung2, die Vorgänge bezügl. der Verhandlungen mit den fanzösischen Behörden über die Wiederinbetriebnahme der Werke Phönix und Rheinstahl schriftlich festlege, wie ich sie Ihnen mündlich auch vorgetragen habe.

Am Sonntag, den 7. Oktober habe ich meinen in Berlin weilenden Teilhaber, Herrn Geheimrat Strauss, beauftragt, dem Herrn Reichskanzler davon Mitteilung zu machen, daß die Verwaltungen der Werke Phönix und Rheinstahl mit der französischen Besatzungsbehörde in Besprechungen eingetreten seien über die Möglichkeit der Wiederaufnahme der Arbeit, und daß sich aus diesen Besprechungen Verhandlungen ergeben hätten, die wahrscheinlich zu einem Abschluß führen würden. Gleichzeitig habe ich erklären lassen, daß die vorgenannten Werke nicht beabsichtigen, durch die von dem bergbaulichen Verein gewählte Kommission3 verhandeln zu lassen, mit Rücksicht auf einzelne, in dieser Kommission vertretene Personen, die das Vertrauen der beiden Verwaltungen nicht besäßen4. Meinem Teilhaber ist es nicht möglich gewesen, vom Herrn Reichskanzler empfangen zu werden, wahrscheinlich infolge der damaligen Kabinettskrise. Es ist ihm nur gelungen, innerhalb weniger Minuten im Reichstag sich seines Auftrages dem Herrn Reichskanzler gegenüber zu entledigen.

[651] Am Dienstag, den 9. Oktober, sind in Düsseldorf die Verhandlungen zu einem vorläufigen Ende geführt worden. Es wurden Richtlinien aufgestellt. Die Klärung einiger wichtiger Punkte, sowie die redaktionelle Fassung, die in diesem Falle bei der schwierigen Materie und um Verletzungen deutscher Hoheitsrechte zu vermeiden, von besonderer Wichtigkeit war, sollte in einer späteren Verhandlung erfolgen. Die Verwaltungen haben diese Abmachungen nicht unterzeichnet.

Am Mittwoch, den 10. Oktober, habe ich Gelegenheit genommen, dem Herrn Reichskanzler in Gegenwart des Herrn Reichsfinanzminister Luther, des Herrn Reichswirtschaftsminister Koeth und des Herrn Geheimrat Ritter vom Auswärtigen Amt die Richtlinien der stattgehabten Verhandlungen zu erklären. Ich habe damals gleich betont, daß diese Vereinbarungen durch die Verwaltungen nicht unterschrieben seien, da noch verschiedene Punkte geklärt werden müßten. Im übrigen habe ich die Erklärung abgegeben, daß die Vereinbarungen in großen Zügen wohl dem entsprechen würden, was bei einem Abschluß Vertragsinhalt sein würde. Die Nachricht des Matin, die am selben Tage in der gleichen Sitzung durch den Herrn Reichskanzler mir bekannt gegeben worden ist, daß die beiden Werke definitive Abkommen geschlossen hätten, eilte den Tatsachen weit voraus und entsprach nicht den damaligen Verhandlungen. Sie, Herr Reichskanzler, haben mir dann gesagt, daß der Vertrag Ihre auswärtige Politik präjudiziert hätte und haben aus der Redewendung, die Verhandlungen seien effektiv, geschlossen, daß der Vertrag vollzogen sei. Diese Konferenz hat ebenfalls unter einer kolossalen Eile gestanden. Sie hat ungefähr 20 bis 30 Minuten gedauert, so daß ich nicht in die Lage kam, in Ruhe und Ausführlichkeit zu erklären und zu besprechen, was nun werden sollte5. Ich habe nur an den Herrn Finanzminister Luther die Frage gerichtet, ob er bereit wäre, die den Werken von den Franzosen abtransportierten Eisenmengen in Gold zurückzuvergüten, falls es nicht zu einem Vertragsabschluß käme. Diese Frage hat Herr Reichsfinanzminister Luther ebenso verneint, wie meine Frage, ob das Reich bereit wäre, irgendwelche Ersatzleistungen für Reparationskohle zu bewilligen. Ich bedauere, daß Sie unter dem Eindruck standen, daß die Verträge am Mittwoch eine vollendete Tatsache gewesen seien. Ich ersah diesen Eindruck zum ersten Mal aus Ihrem Interview, das Sie dem Korrespondenten der Kölnischen Zeitung am 12. Oktober gewährt haben. Ich stelle fest, daß die Äußerungen des Herrn Reichskanzlers:

„Herr Otto Wolff hat uns von den getroffenen Abmachungen Mitteilung gemacht. Sie waren bereits vollendete Tatsache, als wir davon Kenntnis erhielten. Sie können selbstverständlich die Stellung der Regierung zu den Wiederherstellungsleistungen und anderen Fragen nicht präjudizieren. Ich muß den Abschluß derartiger Verhandlungen ohne Kenntnisgabe an die Reichsregierung bedauern“

dem objektiven Tatbestand nicht entsprachen6.

[652] Am Donnerstag, den 18. Oktober, wurden Herr Generaldirektor Dr. Haßlacher der Rheinischen Stahlwerke sowie ich von dem Herrn Reichskanzler und dem Herrn Reichswirtschaftsminister Koeth empfangen. Wir haben darüber Klage geführt, daß durch die Auffassung der Regierung die beiden Werke durch die Reichsbehörden gegenüber den andern deutschen Eisenwerken differenziert worden seien. Zum Beispiel hätte das Reichswirtschaftsministerium Veranlassung genommen, die Lohnsicherungen, sowie die Kredite der Stahlfinanz und der Kohlenfinanz beiden Werken zu sperren7. Dazu kam eine Bekanntmachung der lokalen Behörden in Duisburg, die erklärten, daß das Notgeld von Krupp, Thyssen und der Stadt Duisburg als Zahlungsmittel anzunehmen wäre, unter Hinweglassung der in Ruhrort liegenden Phönix- und Rheinstahl-Werke, die den größten Arbeiterstamm dort haben, was bedeutete, daß deren Geldzeichen nicht mehr Zahlungsmittel wären. Herr Hasslacher und ich haben gleichzeitig festgestellt, daß ein Vertrag mit der Besatzungsbehörde bis zur Stunde noch nicht zustandegekommen war.

Sie waren so loyal, Herr Reichskanzler, den beiden Generaldirektoren, Herrn Fahrenhorst und Herrn Haßlacher ein Schreiben zuzustellen, des Inhalts, daß es nicht die Absicht der Reichsregierung wäre, die beiden Werke von anderen Werken zu differenzieren. Ich persönlich, der ich in Gemeinschaft mit den anderen, durch die Gesellschaftsstatuten bevollmächtigten Vertreter der Gesellschaften, an diesen Verhandlungen teilgenommen habe, bin in der Presse in der unerhörtesten Weise heruntergerissen worden, obwohl bei den Verhandlungen mit peinlicher Sorgfalt jedes politische Moment von unserer Seite ausgeschaltet worden ist. Wir haben es z. B. vermieden, die Frage der Regie-Bahn zu diskutieren, oder sie zum Verhandlungsgegenstand zu machen8. Es ist[653] mir und meinen Freunden in der Presse unterstellt worden, daß finanzielle oder sonstige Motive die Triebfeder unseres Handelns gewesen wäre. Ich muß demgegenüber feststellen, daß nur die Sorge um das Schicksal der bei uns beschäftigten ca. 100 000 Arbeiter und die Sorge um die davon abhängige Bevölkerung, sowie die Erhaltung des wirtschaftlichen und sozialen Lebens in einem großen Teile unserer Heimatprovinz uns gezwungen hat, diesen Weg zu gehen, nachdem die Regierung nach Aufhebung des passiven Widerstandes außer der Erklärung, keine Lohnsicherungsgelder mehr zahlen zu können, andere Richtlinien nicht gegeben hat.

Ich bin mir vollständig bewußt, sehr geehrter Herr Reichskanzler, daß meine Freunde und ich weiter von denjenigen werden angegriffen werden, die während des Ruhrkampfes in unverantwortlicher Weise das damalige Kabinett durch ihre Ratschläge irregeleitet haben und deren Ratschläge noch heute von zweifelhaftem Wert für die Industrie sind9.

Mit dem Ausdrucks der vorzüglichen Hochachtung habe ich die Ehre, zu zeichnen als Ihr sehr ergebener

Otto Wolff

Fußnoten

1

Das Tagesdatum ist unterstrichen und von Kiep mit dem Zusatz versehen worden: „Eingegangen am 25. 10. Nachm.“

2

Über diese Unterredung waren in R 43 I keine Unterlagen zu ermitteln.

3

Gemeint ist die Sechser-Kommission mit Stinnes und Vögler.

4

Vgl. dazu Stresemann an Marx am 16.1.24, in: K. D. Erdmann, Adenauer in der Rheinlandpolitik, Dok. Nr. 32, hier S. 364.

5

Die Besprechung mit Wolff begann um 16.30 Uhr; ihr folgte um 17 Uhr eine Kabinettssitzung. S. zum Verlauf Dok. Nr. 123.

6

In diesem Interview mit der „Kölnischen Zeitung“ hatte Stresemann u. a. auch ausgeführt: „Ich muß den Abschluß derartiger Verhandlungen ohne Kenntnisgabe an die Reichsregierung bedauern. So wenig wir in der Lage sind, unmittelbar auf die Verhandlungen einzuwirken, so selbstverständlich ist es – und man nimmt das auch auf französischer Seite an –, daß Verhandlungen von den örtlichen Behörden oder von Organisationen nur im Einvernehmen mit der Reichsregierung geführt werden. Diese Einstellung muß um so mehr für Verhandlungen maßgebend sein, als wir namentlich die widerrechtliche Besetzung und die heutigen Verhältnisse im Rheinland nur als eine vorübergehende Erscheinung ansehen, der die Einsetzung der rechtmäßigen Autorität und Souveränität der Reichsregierung folgen muß.“ S. dazu H. Luther, Politiker ohne Partei, S. 188.

7

Schon am 13.10.23 hatte Pressechef Kalle dem RK mitgeteilt, in einer Besprechung mit Otto Wolff habe dieser ausgeführt, ein Vertreter der RReg. aus dem RWiMin. habe vor einem größeren Kreis, in dem sich auch Vertreter der Stinnes-Gruppe befunden hätten erklärt, die Wolff-Gruppe habe die Gewährung von Krediten verwirkt. Allgemein habe der Eindruck vorgeherrscht, daß eine Maßregelung der Wolff-Gruppe vorliege, der von dieser gegenüber der Stinnes-Gruppe nicht zu ertragen sei. Der Kredit-Anspruch müsse formal zugestanden werden; auch wenn dieser in der Höhe von 3000 Dollar dann nicht erhoben werde. Kalle hatte hinzugefügt: „Ich darf geneigter Erwägung anheimstellen, ob es bei den augenblicklichen Verhältnissen im Reiche und in den Rheinlanden politisch klug wäre, die Wolf-Gruppe durch eine Haltung, die sie, und anscheinend auch andere Industrie-Gruppen als ‚Maßregelung‘ ansehen, in eine scharfe Abwehrstellung gegen das Reich und die Reichsregierung hineinzutreiben“ (Pol.Arch.: NL Stresemann  262).

8

Auf Grund des Berichts über die Unterredung Wolff–Stresemann (Dok. Nr. 123) wurde von der wirtschaftspolitischen Abteilung der Botschaft in Paris auf einen weiteren Verhandlungspunkt nachdrücklich verwiesen: „Frantzen hat nach dem Bericht in seiner Verhandlung mit Otto Wolff die Ansicht geäußert, daß es in der Absicht der Besatzungsbehörden läge, die deutsche Eisenproduktion in einem bestimmten Verhältnis zur Produktion der französischen Eisenindustrie zu halten. Otto Wolff schätzt den augenblicklichen Beschäftigungsgrad der französischen Eisenindustrie auf etwa 40% ihrer Kapazität und hat anscheinend diese Zahl bei den Verhandlungen mit den Besatzungsbehörden als Basis angenommen. Nach hier angestellten Berechnungen hat sich der Prozentsatz der Ausnutzung der Normalleistungsfähigkeit der französischen Stahlwerke zwar im Februar d. Js. nur auf 49,7% gestellt, ist dann aber kräftig gestiegen und hat im August d. Js. 77,7% erreicht. Der Unterschied gegenüber der Wolffschen Schätzung ist so gewaltig, daß bei Zugrundelegung seiner Zahlen für die deutsche Industrie verhängnisvolle Folgen entstehen können.“ Nachrichtlich wurde die Korrektur der Ziffern Wolff am 31.10.23 mitgeteilt (Pol.Arch.: Wirtschaftsreparationen, Friedensvertrag Allg. Verhandlungen der Ruhrindustriellen).

9

Eine Antwort auf dieses Schreiben konnte in R 43 I nicht ermittelt werden.

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