1.29 (vpa2p): Nr. 158 Sitzung des Ausschusses des Reichstages zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung („Überwachungsausschuß“) vom 27. September 1932, 15.05 Uhr

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[650] Nr. 158
Sitzung des Ausschusses des Reichstages zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung („Überwachungsausschuß“) vom 27. September 1932, 15.05 Uhr

R 43 I /1010 , Bl. 165–185 Druck1

Der Vorsitzende, Abgeordneter Löbe, eröffnet die Sitzung um 3 Uhr 5 Minuten.

Tagesordnung:

1. Zeugenvernehmungen zur Aufklärung der Vorgänge in der 2. Sitzung des Reichstags am Montag, dem 12. September 1932.

2. Beratung der Ausschußanträge Nr. 6 bis 82.

Der Vorsitzende stellt zu Punkt 1 der Tagesordnung fest, daß der Ausschuß zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung sich nach Artikel 35 der Reichsverfassung3 als Untersuchungsausschuß konstituiert habe, und zwar auf Grund des folgenden Beschlusses:

Der Ausschuß wolle beschließen:

Die Vorgänge in der Reichstagssitzung vom 12. September 19324 sind zu untersuchen.

Zu diesem Behufe wird beschlossen:

a)

es sind die unkorrigierten amtlichen Stenogramme des Reichstags über die Sitzung vom 12. September 1932 zu erholen;

b)

Zeugen sind darüber zu vernehmen:

1.

wie oft, in welcher Form und in welchem Zeitpunkte von einem Regierungsvertreter Wortmeldungen beim amtierenden Präsidenten erfolgt sind,

2.

wann und in welcher Form die Verordnung des Reichspräsidenten, betreffend Auflösung des Reichstags, zur Kenntnis des Reichstagspräsidenten gebracht wurde5.

Als Zeugen für die heutige Vernehmung sind folgende Herren geladen: Reichskanzler von Papen, Reichsminister des Innern Freiherr von Gayl, Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath, Staatssekretär in der Reichskanzlei Planck6, Mitglied des Reichstags Dreher, Dr. Hanfstengl, Sekretär[651] Schaub, Oberinspektor Probst, Walther Oehme, Kurt Karo, Dr. Paul Friedländer, Walter Krabb, Herbert Horch und Mitglied des Reichstags Kaufmann. Zwei Herren, der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath und der Journalist Kurt Karo, haben sich entschuldigt; sie halten sich augenblicklich nicht in Deutschland auf7.

Der Vorsitzende bittet, sich während der Zeugenvernehmung auf solche Fragen zu beschränken, die den Komplex der zu erhebenden Tatsachen umschreiben. Die Beweiswürdigung und die etwaige politische Auseinandersetzung könne erst nach der Zeugenvernehmung erfolgen.

[…]

Der Vorsitzende bittet, den Reichskanzler zu rufen. Die übrigen Zeugen bittet er, soweit sie nicht Ausschußmitglieder sind, den Saal zu verlassen.

(Der Reichskanzler betritt den Saal und nimmt am Zeugentische Platz.)

Vernehmung des Zeugen Reichskanzler von Papen.

Vorsitzender: Herr Reichskanzler, der Ausschuß zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung hat Sie als Zeugen geladen. Sie sind dem Ausschuß nach Alter, Beruf und Namen bekannt. Die Vereidigung ist ausgesetzt.

Es ist Ihnen bekannt, Herr Reichskanzler, daß die Rechtsgültigkeit der Abstimmung des Reichstags am 12. September zu einer Streitfrage geworden ist. Sie wird von Ihnen und dem Herrn Reichstagspräsidenten in entgegengesetzter Weise beantwortet. Zur Entscheidung dieser Frage sollen die Tatsachen festgestellt werden, ob Sie vor Eintritt in die namentliche Abstimmung den Versuch gemacht haben, die Auflösungsurkunde dem Reichstag zur Kenntnis zu bringen, sei es durch Wortmeldung, sei es durch Übergabe der Beurkundung, oder ob beides so spät erfolgt ist, daß die Abstimmungen inzwischen rechtswirksam gewesen sind. Wollen Sie sich zu dieser Frage äußern?

Zeuge Reichskanzler von Papen: Ich habe dazu folgendes zu sagen, Herr Präsident! In dem ersten Teil der Sitzung, als der Herr Reichstagspräsident den Antrag Torgler auf Abänderung der Tagesordnung zur Abstimmung stellte, hat er nach meiner Auffassung nicht festgestellt, daß durch Ausfallen des Einspruchs dieser Antrag auf Abänderung der Tagesordnung angenommen sei. Denn als Herr Frick sich meldete und den Antrag stellte, die Sitzung eine halbe Stunde auszusetzen, hat der Herr Reichstagspräsident festgestellt, daß der Antrag Frick als der weitestgehende Antrag zuerst zur Abstimmung komme. Darüber ist abgestimmt worden. Die Sitzung wurde eine halbe Stunde vertagt. Daraus geht zweifelsfrei hervor, daß der Herr Reichstagspräsident in diesem Augenblick selber die Auffassung hatte und haben mußte, daß über den Antrag Torgler endgültig nicht abgestimmt war. Als daher nach Ablauf der halben Stunde die Sitzung wieder eröffnet wurde, nahm ich ohne weiteres an, daß der Herr Reichstagspräsident zunächst über den formellen Antrag Torgler auf Abänderung der Tagesordnung noch einmal abstimmen würde. Das ist nicht erfolgt.[652] Nach meiner Erinnerung hat der Herr Reichstagspräsident, nachdem die Sitzung eröffnet war und ich auf meinem Stuhl Platz genommen hatte, nur festgestellt und gesagt: „Da sich Widerspruch nicht erhoben hat, kommen wir jetzt zur Abstimmung über den Antrag Torgler.“ Ich war mir einen Augenblick darüber im unklaren, ob es sich um den formellen Antrag Torgler auf Abänderung der Tagesordnung oder um den materiellen Antrag Torgler8 handeln würde, habe aber, da ich ja mit den parlamentarischen Gebräuchen nicht ganz unbekannt bin, durch die Redewendung „da sich Widerspruch nicht erhoben hat“ sofort feststellen können, daß es sich um den materiellen Antrag Torgler handelte. Daraufhin habe ich mich sofort erhoben und um das Wort gebeten. Der Herr Reichstagspräsident machte eine abwehrende Geste und sagte nach meiner Erinnerung: „Zu spät; wir sind in der Abstimmung!“ Inzwischen hatte der Staatssekretär Planck, der vorn neben dem Rednerpult saß, sich erhoben und war zu dem Herrn Reichstagspräsidenten hingetreten, um ihn darauf aufmerksam zu machen, daß ich mich zum Worte gemeldet hatte. Als auch das keinen Erfolg hatte, habe ich mich ein zweites Mal zu Worte gemeldet, worauf der Herr Reichstagspräsident gesagt hat: „Wir sind in der Abstimmung!“ Darauf bin ich auf seinen Platz zugeschritten und habe das Auflösungsdekret9 auf seinen Tisch gelegt, weil ich keine Möglichkeit hatte, zu Worte zu kommen, um das Auflösungsdekret zur Kenntnis des Reichstags zu bringen.

Vorsitzender: Herr Reichskanzler, haben Sie sich durch eine ausdrückliche Wortmeldung oder in der manchmal üblichen Form durch Aufstehen und Handaufheben zum Worte gemeldet oder haben Sie auch die Worte gebraucht: „Ich bitte ums Wort“?

Zeuge Reichskanzler von Papen: Ich habe auch gesagt: „Ich bitte ums Wort“, aber ich nehme an, daß in der Unruhe des Hauses das am Stenographentisch nicht verstanden worden ist.

Vorsitzender: Danke schön! Ich bitte, Platz nehmen zu wollen. Ich bitte diejenigen, die Fragen an den Herrn Reichskanzler zu richten wünschen, sich zum Worte zu melden, weil der frageberechtigte Kreis ja ziemlich groß ist.

Abgeordneter Torgler (KP): Ist dem Herrn Reichskanzler von Papen nicht bekannt, daß über einen Antrag auf Umstellung der Tagesordnung auf Neuansetzung oder Neuaufsetzung irgendwelcher Punkte nach der Geschäftsordnung gar nicht abgestimmt zu werden braucht, sondern daß der Widerspruch eines einzigen Abgeordneten genügt, um eine solche Änderung der Tagesordnung zu verhindern? Ist ihm also nicht bekannt, daß mit der Frage, ob ein Widerspruch sich gegen den Antrag erhebt, und mit der Feststellung, ein Widerspruch hat sich nicht erhoben, eine Abstimmung überflüssig geworden ist? Daran wird auch nichts geändert durch den Vertagungsantrag. Sind diese Tatsachen dem Herrn Reichskanzler bekannt oder nicht? Er hat nämlich die Äußerung getan, er habe erwartet, daß jetzt über den formellen Antrag Torgler abgestimmt werden würde.

[653] Präsident Göring: Herr Reichskanzler, ich habe folgende Fragen. Das erste hat mir der Abgeordnete Torgler schon vorweggenommen. Es stimmt durchaus, daß, wenn sich kein Widerspruch gegen einen Antrag auf Änderung der Tagesordnung erhebt, ich nicht abstimmen zu lassen brauche. Nach dem Stenogramm und nach der Aufnahme der Platte, die im Funkhaus von jeder Sitzung aufgenommen wird, ergibt sich, daß ich ohne Unterbrechung des Wortlauts gesagt habe: „Nachdem sich vorhin kein Widerspruch gegen die neue Tagesordnung geltend gemacht hat,“ – wenn jetzt noch einmal überhaupt jemand hätte Einspruch erheben wollen, so müßte es jetzt geschehen sein – „kommen wir jetzt zur Abstimmung über die Anträge Torgler. Wir stimmen ab.“ Das war in einem gesagt. Es war also hier für Sie, Herr Reichskanzler, gar nicht die Möglichkeit, selbst bei blitzartiger Erfassung der Situation, aufzustehen, sondern Ihr Aufstehen ist erfolgt, Herr Reichskanzler, nachdem ich gesagt habe: „Wir stimmen ab.“ Ich darf noch einmal bitten, mir ausdrücklich zu sagen, mit welchem Wortlaut Sie, Herr Reichskanzler, das erstemal um das Wort gebeten haben.

Für mich geht dann der Vorgang so weiter, daß, nachdem Sie sich erhoben haben, ich erst später, nachdem wir längst in der Abstimmung waren, auch den erhobenen Finger sah. Ich machte auch keine abwehrende Geste; das möchte ich ausdrücklich betonen. Das erstemal, daß ich mich geäußert habe, es sei zu spät, war, als der Staatssekretär Planck zu mir kam und sagte: „Der Herr Reichskanzler bittet um das Wort“. Darauf sagte ich: „Jawohl, nach der Abstimmung!“ Ich möchte betonen, daß das auch die Platte wiedergibt und vor allen Dingen die Photographie. Ich darf vielleicht bitten, daß dem Herrn Reichskanzler zur Stütze des Gedächtnisses die Photographie vorgelegt wird. Daraus geht nämlich eins klar hervor: der Herr Reichskanzler steht und der Herr Staatssekretär sitzt überhaupt noch und starrt nur nach dem Herrn Reichskanzler hinüber10. Das wichtigste und wesentlichste für mich ist: haben Sie, Herr Reichskanzler, nicht als erstes überhaupt gesagt: „Amtlich!“? Haben Sie nicht das Wort „amtlich“ gebraucht und nicht: „Ich bitte um das Wort“? Das Wort „amtlich“ ist gehört worden, sogar bis in die Tribünen hinauf. Ich hatte es als „namentlich“ verstanden, nicht als „amtlich“. Aber die Worte „Ich bitte um das Wort“ habe ich nicht verstanden. Es ist auch als Reichstagspräsident nicht meine Pflicht, zu verstehen, daß sich jemand zu Worte meldet, sondern die Wortmeldung muß so geschehen, das sie verstanden wird. – Das ist zunächst das, was ich zu fragen hätte.

Zeuge Reichskanzler von Papen: Ich habe zu den Äußerungen des Herrn Reichstagspräsidenten zu sagen, daß ich das Wort „amtlich“ überhaupt nicht gebraucht habe. Ich wüßte nicht, in welchem Zusammenhang das überhaupt möglich gewesen wäre.

(Zurufe.)

– Nein, Nein, es ist völlig ausgeschlossen. Ich wollte ja sprechen. Die Frage war ja noch gar nicht geklärt, was ich sprechen wollte.

[654] (Erneuter Zuruf.)

Nachdem im ersten Teil der Sitzung der Herr Reichstagspräsident gesagt hatte, nachdem sich kein Widerspruch erhoben hatte: „Ich stelle fest, daß damit …“, aber den Satz nicht zu Ende gesprochen hatte, daß die Tagesordnung geändert sei, mußte er nach meiner Auffassung bei Wiederbeginn der Sitzung die Feststellung erneut treffen, ob Widerspruch gegen den Antrag Torgler nicht erhoben werde, um dann auszusprechen, daß die Tagesordnung geändert sei.

Vorsitzender: Herr Reichskanzler, hier ist allerdings eine Lücke im amtlichen Stenogramm. Im amtlichen Stenogramm sagt der Herr Reichstagspräsident Göring: „Sie haben die beiden Anträge gehört. Ich frage, ob gegen den Antrag Torgler, die Abstimmungen jetzt als ersten Punkt auf die Tagesordnung zu setzen, Widerspruch erhoben wird.“ Dann folgt ein Gedankenstrich: das bedeutet eine kleine Pause. Dann fährt nach dem amtlichen Stenogramm der Herr Reichstagspräsident fort: „Ich stelle fest, daß damit“ und dann folgen zwei Striche. Nun nehme ich an, daß der Herr Reichstagspräsident den Satz vollendet hat, daß aber in der allgemeinen Unruhe die folgenden Worte nicht gehört wurden.

(Widerspruch. – Zuruf: Er hat den Satz nicht vollendet!)

Dann hat der Herr Abgeordnete Dr. Frick gleich dazwischengerufen: „zur Geschäftsordnung!“. Nach meiner Erinnerung ist es so, als wenn dann eine kleine tödliche Pause eingetreten wäre, nach welcher Herr Frick dann gerufen hat: „Ich beantrage, die Sitzung eine halbe Stunde zu unterbrechen.“

(Zuruf: Der Herr Reichstagspräsident hat den Satz nicht beendet. Er hat gewartet, ob jemand Einspruch erhebt. Das geschah aber nicht.)

Präsident Göring: Ich stelle nur fest, daß ich zu Anfang der zweiten Sitzung ausdrücklich gesagt habe: „Nachdem sich vorhin kein Widerspruch gegen die neue Tagesordnung geltend gemacht hat, kommen wir jetzt zur Abstimmung über die Anträge Torgler.“

Vorsitzender: Ein Irrtum konnte dadurch entstehen, Herr Reichstagspräsident, daß Sie vor der Unterbrechung gesagt hatten: „Der Antrag Dr. Frick ist in diesem Falle der weitestgehende; ich bringe ihn zur Abstimmung.“ Da konnte man annehmen, es ist noch ein anderer Antrag da, der unerledigt ist. Herr Torgler war der Meinung, daß sein Antrag erledigt war, nachdem sich kein Widerspruch erhoben hatte. Der Herr Reichskanzler war der Meinung, die Erklärung sei nicht zu Ende erfolgt, und ist in dieser seiner Auffassung durch die Wendung unterstützt worden: der Antrag Dr. Frick ist der weitestgehende.

Präsident Göring: Nach der Geschäftsordnung ist ein Zweifel nicht möglich; denn es heißt in § 118 über die Auslegung der Geschäftsordnung: „Zweifel über die Auslegung der Geschäftsordnung entscheidet der Präsident“.

(Zurufe.)

Vorsitzender: Bisher ist es allerdings immer so gewesen, daß, wenn im Hause Zweifel entstanden sind, in sich selbst entstandene Zweifel, das Haus entschieden hat.

(Reichstagspräsident Göring: Wozu sollen die Worte denn sonst dastehen?)

Abgeordneter Dr. Pfleger (BV): Ich wollte den Herrn Reichskanzler fragen, ob in der Zwischenzeit während der Pause der Versuch gemacht wurde, sofort dem Herrn Präsidenten des Reichstags eine Wortmeldung zugehen zu lassen.[655] Die Wortmeldung konnte doch sowohl beim Schriftführer erfolgen, der zur Entgegennahme der Wortmeldungen befugt ist, als auch durch Sie, Herr Reichskanzler, bzw. durch den Herrn Staatssekretär an den Herrn Reichstagspräsidenten. Es lag doch nahe, da eine Reichstagsauflösung immerhin ein staatsrechtlicher Akt von einiger Bedeutung ist, daß Sie sich das Wort unter allen Umständen gesichert hätten, um die Verordnung zur Verlesung zu bringen oder zu sprechen. Ich möchte also fragen, ob vor der von Ihnen erwähnten „Wortmeldung“ von Ihnen irgendein Versuch gemacht worden ist, unter allen Umständen das Wort zu erlangen.

Zeuge Reichskanzler von Papen: Ein solcher Versuch ist von uns nicht gemacht worden, und zwar aus dem einfachen Grunde nicht, weil ich fest angenommen habe, daß der Antrag Torgler auf Abänderung der Tagesordnung abgelehnt werden würde. Denn der Herr Reichstagspräsident hatte mir in einer eineinhalbstündigen Unterredung, die ich zwei oder drei Tage vor dieser Sitzung mit ihm hatte, gesagt, er werde dafür sorgen, daß die Regierungserklärung vom Hause entgegengenommen würde und daß es zur Debatte käme, die zwei Tage dauern würde. Ich habe nicht den geringsten Zweifel darein gesetzt, daß dieses Programm so ablaufen würde, und bin selbst durch den tatsächlichen Verlauf überrascht worden.

(Hört! Hört!)

Abgeordneter Dr. Frank II (NSDAP): Herr Reichskanzler, eine wesentliche Frage der Beweisaufnahme ist nicht beantwortet worden. Herr Zeuge, sind Sie selbst der Meinung, daß die Abstimmungen im Reichstag nicht rechtsgültig sind? Haben Sie selbst die Auffassung, daß die Abstimmung im Reichstag nicht rechtswirksam ist?

(Zuruf: Über die materielle Frage!)

Zeuge Reichskanzler von Papen: Nach meiner Auffassung ist die Abstimmung nicht rechtsgültig, weil sie erfolgt ist, nachdem ich das Auflösungsdekret dem Herrn Reichstagspräsidenten zur Kenntnis gebracht habe.

Abgeordneter Dr. Frank II (NSDAP): Sie meinen also, dann durfte die Abstimmung nicht mehr durchgeführt werden. Ist Ihnen aber nicht bekannt, daß während der Abstimmung Wortmeldungen nicht entgegengenommen werden dürfen?

(Zeuge Reichskanzler von Papen: Die Abstimmung hatte noch nicht begonnen!)

Haben Sie denn die Ausführungen des Präsidenten nicht gehört: „Wir stimmen ab“, und daß dann vom Abgeordneten Torgler gesagt wurde: „Namentlich!“, daß weiter darauf gesagt wurde: „Die Abstimmung ist namentlich“?

(Der Abgeordnete Koch [Ostpreußen] wird vom Vorsitzenden wegen eines gegen die Deutschnationalen gerichteten Zurufs zur Ordnung gerufen.)

Wir waren also schon mitten in der Abstimmung im Reichstag. Hatten Sie sich darüber gar keine Gedanken gemacht, Herr Reichskanzler, daß man während der Abstimmung das Wort nicht ergreifen kann? War Ihnen der betreffende Usus der Geschäftsordnung nicht bekannt? Sie stützten sich in Ihren öffentlichen Erklärungen auf die Reichsverfassung, die aber darüber nichts sagt, daß Sie während der Abstimmung das Wort erhalten können.

[656] Vorsitzender: Darf ich dazu gleich sagen: Es kommen zwei Vorgänge in Frage, die Bitte ums Wort und die Übergabe der Auflösungsurkunde.

(Sehr richtig!)

Beide werden Wirksamkeit auf den Zeitpunkt haben, in dem die Auflösung stattgefunden hat.

Abgeordneter Dr. Frank II (NSDAP): Da muß ich widersprechen, Herr Vorsitzender. Es gibt zwei Wege der Wirkamwerdung des Auflösungsdekrets: Entweder verliest der Herr Reichskanzler im Plenum das Auflösungsdekret. Diesen Weg wollte der Herr Reichskanzler ursprünglich wählen, doch konnte er ihn nicht durchhalten, weil ihm das Wort nicht erteilt wurde. Daraufhin erst, also mitten in der Abstimmung, wählte der Herr Reichskanzler den zweiten Weg, der ihm verfassungsmäßig zusteht, den der Zustellung, indem er das Auflösungsdekret übergab. Der Herr Reichskanzler hätte ja auch die Möglichkeit gehabt, einfach die Auflösungsurkunde zu verlesen, ohne sich darum zu kümmern, ob ihm das Wort erteilt wurde oder nicht, und in dem Augenblick wäre die Auflösung auch wirksam geworden.

Vorsitzender: Ich weiß nicht, ob ihn dann nicht der Herr Reichstagspräsident gehindert haben würde, wenn er ohne Wortmeldung das Wort ergriffen hätte. – Wollten Sie sich noch dazu äußern, Herr Reichskanzler?

Zeuge Reichskanzler von Papen: Ich wollte nur sagen: Es ist mir sehr wohl bekannt, daß während der Abstimmung oder nachdem die Abstimmung tatsächlich begonnen hat, das Wort nicht mehr erteilt wird. Aber ich behaupte ja, daß ich mich zum Wort gemeldet habe und auch das Dekret niedergelegt habe, bevor tatsächlich die Abstimmung eröffnet worden ist.

(Zustimmung bei den Deutschnationalen.)

Abgeordneter Dr. Frank II (NSDAP): Sie waren also der Meinung, daß der Reichstag rechtswirksam in dem Augenblick der Zustellung der Auflösungsurkunde aufgelöst war. Warum sind Sie dann nicht vor dem Überwachungsausschuß erschienen?

(Zeuge Reichskanzler von Papen: Ich bin ja heute erschienen!)

Wir sind heute im Untersuchungsausschuß. Sie haben sich damals geweigert, vor dem Überwachungsausschuß zu erscheinen11, und eine Erklärung des Herrn Reichstagspräsidenten gefordert, eines dem Ausschuß gegenüber Dritten, über irgendeine Rechtsauffassung, die der Reichstagspräsident vertreten sollte. Machten Sie denn die Rechtswirksamkeit Ihres eigenen von Ihnen so aufgefaßten Dekrets davon abhängig, daß der Reichstagspräsident Göring noch eine besondere Erklärung abgab? Das widerspricht doch dem, was Sie jetzt eben sagten. Sie haben öffentlich erklärt, Sie brauchen nicht vor dem Überwachungsausschuß zu erscheinen, insolange Herr Göring nicht eine bestimmte Erklärung abgegeben habe. Wenn Sie nun sagen, die Reichstagsauflösung sei rechtswirksam, so widerspricht dem Ihr Verhalten, daß Sie nicht vor dem Überwachungsausschuß erschienen sind.

Zeuge Reichskanzler von Papen: Ich konnte nicht vor dem Überwachungsausschuß erscheinen, Herr Abgeordneter, weil nach Ihrer Auffassung diese Regierung[657] ja nicht mehr zu Recht bestand. Ich hätte mich sonst der Möglichkeit ausgesetzt, daß, wenn ich erschienen wäre, Sie gesagt hätten: „Was wollen Sie! Da ist die Türe! Sie sind nicht mehr im Amt.“

Abgeordneter Dr. Hoegner (SPD): Der Herr Reichstagspräsident hat nach meinen Aufzeichnungen das letztemal bei seiner Vernehmung erklärt, daß nach seinem Eindruck es dem Herrn Reichskanzler darauf angekommen sei, unter allen Umständen eine Abstimmung zu verhindern, und daß er, der Herr Reichstagspräsident, verpflichtet war, eine Abstimmung durchzuführen. Es wäre also festzustellen, auf Grund welchen Verhaltens des Herrn Reichskanzlers der Herr Reichstagspräsident zu einer solchen Vermutung gekommen ist. Ich möchte infolgedessen folgende Fragen an den Herrn Reichskanzler stellen: Bestand bei der Reichsregierung die Absicht, den Reichstag schon vor der Aussprache über die Regierungserklärung aufzulösen? – Nach der Erklärung des Herrn Reichskanzlers, daß er eine bestimmte Vereinbarung mit dem Herrn Reichstagspräsidenten getroffen hatte, nehme ich an, daß das nicht der Fall war. Bestand sodann beim Herrn Reichskanzler die Absicht, den Reichstag nach der Aussprache über die Regierungserklärung auf alle Fälle auflösen zu lassen – also ohne Rücksicht auf das Ergebnis der Aussprache?

Zeuge Reichskanzler von Papen: Die erste Formulierung, ob die Absicht der Auflösung bestanden hätte nach Beendigung der Debatte –

(Vorsitzender: Ehe die Debatte begann!)

– Nein. Es war mit dem Herrn Reichstagspräsidenten verabredet, daß die Debatte ihren Verlauf nehmen sollte. Ich habe ja die Hoffnung gehabt, daß, trotzdem die Gegensätze sehr stark waren, doch noch ein modus vivendi zwischen dem Reichstag und der Reichsregierung zustande kommen würde.

Abgeordneter Dr. Hoegner (SPD): Damit ist meine zweite Frage auch beantwortet: Es bestand also nicht die Absicht, unter allen Umständen, ohne Rücksicht auf das Ergebnis der Aussprache, den Reichstag aufzulösen!

Zeuge Reichskanzler von Papen: Im Gegenteil, die Absicht bestand gar nicht!

Abgeordneter Dr. Hoegner (SPD): Dann die zweite Frage: Hat sich der Herr Reichskanzler die Auflösungsverfügung des Herrn Reichspräsidenten erst während der Unterbrechung der Sitzung verschafft?

Zeuge Reichskanzler von Papen: Jawohl!

Abgeordneter Dr. Hoegner (SPD): Dann habe ich eine dritte Frage: Es bestand also nicht die Absicht des Herrn Reichskanzlers, den Reichstag auf jeden Fall bei Wiederbeginn der Sitzung zur Auflösung zu bringen?

Zeuge Reichskanzler von Papen: Nein. Ich habe doch annehmen müssen, daß der Herr Reichstagspräsident dem Chef der Regierung es ermöglichen würde, wenigstens die Regierungserklärung zu verlesen.

(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen.)

Es ist noch in keinem Parlament der Welt vorgekommen, daß die Opposition den Chef der Regierung nicht einmal zum Worte gelassen hat.

Abgeordneter Dr. Hoegner (SPD): Noch eine weitere Frage! Dem Herrn Reichskanzler ist wohl die Äußerung in der „Germania“ bekannt, nach der Herr Reichstagspräsident Göring während der Unterbrechung der Sitzung plötzlich zu[658] Herren des Zentrums gekommen sei mit der Behauptung, daß der Reichstag auf jeden Fall jetzt sofort aufgelöst würde. Ich frage nun den Herrn Reichskanzler: ist eine derartige Absicht des Herrn Reichskanzlers irgendwie nach außen hervorgetreten? Hat der Herr Reichskanzler diese Absicht irgendwie gehabt

(Zeuge Reichskanzler von Papen: Nein!)

und nach außen kundgegeben?

Zeuge Reichskanzler von Papen: Wenn der Herr Reichstagspräsident diese Auffassung gehabt hat, so ist sie völlig unbegründet gewesen, denn wir haben nicht die Absicht gehabt, aufzulösen.

Abgeordneter Dr. Hoegner (SPD): Nun eine allerletzte Frage: Ist es richtig, daß der Herr Reichskanzler beim Betreten des Saales auf seinem Platz noch vor Beginn der Sitzung mit der roten Mappe herausfordernd einmal nach den Herren von der deutschnationalen Fraktion und sodann auch nach den Tribünen hin gewinkt hat?

Zeuge Reichskanzler von Papen: Ich erkläre das für eine absolut falsche Feststellung. Ich habe weder eine herausfordernde Bewegung gemacht noch sonst etwas. Ich habe die Mappe auf meinen Platz gelegt und habe mich hingesetzt.

Abgeordneter Torgler (KP): Ich habe drei Fragen an den Herrn Reichskanzler zu richten. Er hat uns vorhin von Abmachungen erzählt, die drei Tage vor der Reichstagssitzung zwischen ihm und Herrn Göring getroffen worden sind.

1. Ist ein Bestandteil dieser Abmachungen auch eine solche halbstündige Pause für den Fall, daß Unvorhergesehenes eintritt?

2. Wie hat der Herr Reichskanzler diese halbstündige Pause, d. h. den Antrag des Herrn Dr. Frick empfunden? Als Rettungsaktion? Ist es richtig, daß der Herr Reichskanzler in dieser halbstündigen Pause – ich glaube, die Frage ist schon bejaht – das Auflösungsdekret hat heranholen lassen?

3. Ist der Herr Reichskanzler bereit, vor dem Überwachungsausschuß sich über die Politik der Notverordnungen zu verantworten und wann? Wann ist er bereit, den Verfassungsbestimmungen genüge zu tun, die ja nicht abgestellt werden können auf Ihre liebenswürdige nachbarliche Kontroverse mit Herrn Göring? Der Ausschuß kann Ihre Anwesenheit nach den Bestimmungen der Verfassung verlangen. Ich frage den Herrn Reichskanzler, wann er bereit ist, diesen Bestimmungen genüge zu tun und sich hier vor dem Ausschuß für seine Politik der Notverordnungen, der Kontingentierungen, der Zollerhöhungen usw. zu verantworten.

Vorsitzender: Herr Abgeordneter Torgler, ich mache Sie darauf aufmerksam: das überschreitet den Rahmen der heute vorliegenden Beweisaufnahme.

(Zuruf des Abgeordneten Pieck.)

Herr Abgeordneter Pieck, Sie können nicht darüber entscheiden.

Präsident Göring: Was zunächst die Unterredung mit dem Herrn Reichskanzler angeht, so spielt hier, Herr Reichskanzler, sagen wir mal, der Zeitraum vor der Auflösung eine gewisse Rolle. Es war über acht Tage vorher, daß ich bei Ihnen war, und nicht drei Tage vorher. Ich bitte, da nachzusehen.

Wir sprachen zweitens über den Modus der Regierungserklärung. Selbstverständlich wird der Reichstagspräsident dem Regierungschef das Wort zur[659] Regierungserklärung erteilen, wenn er es gemäß der Geschäftsordnung und der Verfassung kann. Wenn ein Antrag vom ganzen Hause angenommen wird, dann ist der Reichstagspräsident nicht in der Lage, hiergegen zu verstoßen, sondern er muß diesem Antrag Folge leisten. Ich habe diesem Antrag Folge geleistet und bin in die Abstimmung eingetreten und war während der Abstimmung wiederum nicht in der Lage, Ihnen das Wort zu erteilen. Ich habe also in der Unterredung nicht gesagt: ich werde unter allen Umständen Ihnen das Wort erteilen. Das ist ja selbstverständlich gewesen, darüber brauchte gar nicht gesprochen zu werden. Ich konnte ja nicht wissen, was alles für Anträge kommen würden. Ich bin gebunden an die Geschäftsordnung, ich bin gebunden an die Verfassung und habe dementsprechend gehandelt. Ich kann doch nicht sagen, ich setze diesen Antrag außer Kurs und gehe darüber hinweg, weil ich dem Herrn Reichskanzler gesagt habe: selbstverständlich die Regierungserklärung! Ich habe Ihnen eins versprochen, Herr Reichskanzler, wenn Sie sich genau erinnern – und das will ich auch aufrechterhalten – : ich habe versprochen, daß ich alles tun werde, damit Sie keinen, sagen wir mal, ungehörigen Angriffen ausgesetzt sind, und daß ich alles tun würde, um Ihnen und Ihren Ministern in dieser Richtung den vollsten Schutz entsprechend der Würde des Hauses zu geben. Das habe ich versprochen, und das halte ich auch selbstverständlich aufrecht. Aber ich kann nicht etwas versprechen, was mir selbst nicht an die Hand gegeben ist, sonst wäre selbstverständlich die Worterteilung erfolgt.

Nun aber sind soeben von Herrn Abgeordneten Dr. Hoegner verschiedene Fragen gestellt worden. Ich glaube, er hat gefragt, ob das Dekret der Auflösung erst unterschrieben worden wäre in dieser halbstündigen Pause, und da sagten Sie, Herr Reichskanzler: jawohl. Ich hatte das Gefühl, Sie hätten diese Frage nicht richtig verstanden.

(Vorsitzender: Herbeigeschafft! Herangeholt!)

Abgeordneter Dr. Hoegner (SPD): Ich habe gefragt, ob die Auflösungsverfügung erst während der Pause beschafft worden ist. Das bedeutet natürlich zweierlei: es bedeutet einmal die Heranholung, es bedeutet aber auch den Akt der Unterschrift.

Zeuge Reichskanzler von Papen: Ich habe es nur bezogen auf die Heranholung.

Abgeordneter Dr. Hoegner (SPD): Es wäre vielleicht wesentlich, zu erfahren, ob eine Blankounterschrift des Herrn Reichspräsidenten vorlag, oder ob die Unterschrift erst in diesem Augenblick erholt worden ist.

Präsident Göring: Ich darf weiter folgende Frage stellen. In der Unterredung, die ich mit Ihnen, Herr Reichskanzler, hatte, war nur die Rede von der Regierungserklärung und vom Verlauf der Debatte. Herr Reichskanzler, Sie haben mir keinen Zweifel gelassen, daß Sie eine Abstimmung mit einem Mißtrauen nicht zulassen würden, sondern daß dann aufgelöst würde.

(Zeuge Reichskanzler von Papen: Das habe ich auch hier nicht anders behauptet!)

Dann will ich feststellen, Herr Hoegner: Der Herr Reichskanzler behauptet das hier auch nicht, sondern er war entschlossen, keine Abstimmung – das ist das, was ich behauptet habe – über das Mißtrauen zustande kommen zu lassen,[660] sondern, wie auch durch den Inhalt des Dekrets klargelegt ist, weil die Gefahr bestand.

Die weitere Frage, wieso ich die Auffassung haben konnte, daß es der Reichskanzler zu keiner Abstimmung kommen lassen würde, ist ja eben schon beantwortet worden.

(Abgeordneter Dr. Hoegner: Nein! Nein!)

Ich betone noch einmal: ich sagte, der Herr Reichskanzler hat mir in der Unterredung keinen Zweifel gelassen, daß er eine Abstimmung über ein Mißtrauensvotum nicht durchführen ließe, sondern vorher auflösen würde. Das ist doch klar und deutlich genug.

Und das Zweite! Ich habe hier die „New Yorker Staats-Zeitung“ vom 2. August 1932. Hiernach hat der Herr Reichskanzler am 1. August der „Associated Press“ ein Interview gegeben, und darin steht, daß er es nicht mit einer Koalitionsregierung versuchen würde, sondern sein Ministerium Ende dieses Monats dem Reichstage vorstellen und die Abgeordneten herausfordern würde, ihn zu stürzen. Weiter heißt es hier:

In einem exklusiven Interview machte der Reichskanzler es klar, daß er die Absicht hat, Deutschland ohne Parteiunterstützung weiter zu regieren. Sein Kabinett wurde am 1. Juni im Auftrage des Reichspräsidenten von Hindenburg gebildet, und sofort darauf wurde der Reichstag aufgelöst, damit die neue Regierung sich nicht einem Vertrauensvotum zu stellen brauchte. Wenn die gestrige Wahl überhaupt eine Bedeutung hat, so ist es die, daß das deutsche Volk die Bemühungen der Regierung, das Land von der Parteikontrolle zu befreien, gebilligt hat, sagte der Kanzler12.

Und dann geht das Interview weiter.

Also es war auch dies, was mich zu der Auffassung gebracht hat – und das hat der Herr Reichskanzler dankenswerterweise bestätigt –, daß eine Abstimmung über das Mißtrauensvotum nicht geduldet worden wäre.

Nun habe ich noch eine Frage, Herr Reichskanzler. Die Schallplatte, die aufgenommen worden ist und die von jeder Sitzung aufgenommen wird, wird aufgenommen von verschiedenen Mikrophonen. Eines dieser Mikrophone, das im Gang war, stand direkt vor Ihnen auf der Ministerbank. Das Mikrophon, das bei mir oben stand, war das einzige, das ausgeschaltet war. Trotzdem wurde meine Stimme noch bis zu den anderen Mikrophonen, die weiter abstanden, gehört und auf die Platte gebannt. Wenn Sie nun auch nur einigermaßen deutlich gesagt hätten: „Ich bitte ums Wort“, so müßte auf der Platte irgendeine Andeutung, irgendein Geräusch in dieser Beziehung sein. Denn meine Stimme ist sogar von dem vor Ihnen stehenden Apparat registriert worden, meiner war ausgeschaltet. Um so mehr hätte die Grammophonplatte als einwandfreiester Zeuge doch auch, wenn Sie nur irgendetwas gesagt hätten, dies wiedergeben müssen. Vielleicht hört der Herr Reichskanzler sich selbst diese Platte einmal an, um sich zu überzeugen.

Ich möchte weiter folgendes betonen. Herr Reichskanzler, ist es Ihnen nicht aufgefallen, daß ich nach Eröffnung der Sitzung eine ganze Zeitlang gewartet[661] habe, bis die Regierung Platz genommen hatte. Ich hätte ja nach der Geschäftsordnung nicht auf das Erscheinen der Regierung zu warten brauchen, sondern konnte von vornherein mit der Sitzung beginnen und damit die Abstimmung unzweideutig noch vorher vornehmen. Es ist nämlich von Herrn Hoegner gefragt oder behauptet worden, daß an der Eingangstür zur Regierungsbank jemand in Ihrem Auftrage auf mich gewartet habe, um mir Bescheid zu sagen, daß der Reichskanzler sich zum Wort melden würde, daß ich dies erfahren hätte und aus diesem Grunde den Weg durch das Plenum genommen hätte. Ich will feststellen, daß das nicht stimmt und auch von Ihrer Seite nicht beabsichtigt war.

Dann war noch eine Frage, die eigentlich mich anging, die Herr Hoegner gestellt hatte, nämlich: ich soll vorher zu irgendeinem Zentrumsabgeordneten gesagt haben –

(Abgeordneter Dr. Hoegner: Ihnen sei soeben die Mitteilung zugegangen, Herr Reichstagspräsident, der Reichstag würde unter allen Umständen aufgelöst werden, und daraufhin seien dann vom Zentrum und der Bayerischen Volkspartei die überstürzten Beschlüsse gefaßt worden, unmittelbar vor Wiederbeginn der Sitzung.)

– Nein, da täuschen Sie sich auch.

(Abgeordneter Dr. Hoegner: Ich habe das ja nicht behauptet.)

– Das Zentrum wird ja hierzu Stellung nehmen können. Es ist ganz etwas anderes besprochen worden. Es ist besprochen worden, welche Anträge weiter zu stellen sind, und man hat sich besprochen, ob man jetzt diese Abstimmung durchführt oder ob man sie nach Schluß der Debatte durchführt. Ich habe dann erst erfahren, daß aufgelöst werden solle, als ich allein auf meinen Platz gegangen bin, und ich habe erst für den Zeitpunkt – das werden die Herren bestätigen –, nachdem ich heraufkam, als alles im Gange war, das Dekret schon dagelegen hatte, gesagt: ich hatte den bestimmten Eindruck, daß der Reichskanzler den Reichstag auf jeden Fall auflösen wollte.

(Zuruf des Abgeordneten Torgler.)

– Ich brauche ja den betreffenden Herrn nicht zu nennen, der mir das gesagt hat.

(Abgeordneter Dr. Hoegner: Also doch eine Mitteilung! Dann besteht ein Widerspruch!)

– Nein, ich habe nicht dem Zentrum das vorher gesagt.

(Abgeordneter Dr. Hoegner: Es besteht dann ein Widerspruch, wenn Sie eine derartige Mitteilung erhalten haben, zwischen der Aussage des Herrn Reichskanzlers, daß er noch nicht die Absicht gehabt hat, von vornherein unter allen Umständen bei Wiederbeginn der Sitzung aufzulösen, sondern das Auflösungsdekret nur zu verlesen, wenn es zur Abstimmung kommt!)

Inzwischen hatte der Reichskanzler sich ja das Dekret verschafft.

(Abgeordneter Dr. Hoegner: Das war nach Auffassung des Reichskanzlers eine vorsorgliche Maßnahme!)

Wenn Sie auch noch so viel Entlastungsversuche machen –

(Abgeordneter Dr. Hoegner: Ich habe keine Entlastungsversuche zu machen, sondern nur Fragen zu stellen!)

Das eine stelle ich fest: Ich habe nur behauptet, der Reichskanzler war entschlossen,[662] unter allen Umständen aufzulösen, falls es zur Abstimmung kommt, und Sie wissen, daß der Antrag zur Abstimmung durchgegangen war, daß kein Widerspruch erfolgt war, daß also die Abstimmung erfolgen mußte.

Was den Vorgang mit der roten Mappe anlangt, so bitte ich darüber alle die Zeugen aus dem Plenum und von den Tribünen zu hören, die sich zu dem Vorgang melden.

Vorsitzender: Wollen Sie zu einzelnen der Fragen jetzt das Wort nehmen, Herr Reichskanzler?

Zeuge Reichskanzler von Papen: Es ist vielleicht zweckmäßig, Herr Präsident, wenn ich auf unser Gespräch zurückkomme. Ich will mich auf das Datum nicht festlegen, weil ich es nicht im Kopf habe. In diesem Gespräche habe ich Sie besonders gebeten, doch nach einem Weg zu suchen, der es uns ermöglichen würde, eine Art von Zusammenarbeit herzustellen.

(Reichstagspräsident Göring: Das bestreite ich nicht!)

Wir haben uns über die Frage sehr eingehend und sehr lange unterhalten. Ich habe Ihnen keinen Zweifel darüber gelassen – das stimmt durchaus –, daß die Regierung entschlossen wäre, falls die Notverordnungen aufgehoben würden und über einen Mißtrauensantrag gegen die Regierung abgestimmt würde, den Reichstag aufzulösen. Aber ich habe Sie ebenso eindringlich gebeten, einen Weg mit mir zu suchen, der das verhindert, und wir waren übereingekommen, daß, um diesen Weg zu finden, jedenfalls zunächst einmal die Regierungserklärung und dann die Debatte vor sich gehen solle. Ich habe also nicht im entferntesten daran denken können, daß es mir unmöglich gemacht werden würde, die Regierungserklärung zu verlesen.

(Reichstagspräsident Göring: Ich muß Sie gleich bitten –)

Vorsitzender: Vielleicht schreiben Sie sich das auf und lassen zunächst den Herrn Reichskanzler sprechen,

(Reichstagspräsident Göring: Ich muß das zurückweisen, daß ich meine Worte erst ins reine schreiben soll.)

damit auch der Herr Reichskanzler seine Aussage ununterbrochen zu Ende führen kann.

Der Herr Reichskanzler hat das Wort.

Zeuge Reichskanzler von Papen: Nun hat der Herr Reichstagspräsident gesagt, er habe sich in einer Zwangslage befunden, denn es sei über den formellen Antrag Torgler abzustimmen gewesen, er habe also die Abstimmung vornehmen müssen. Mir ist nachher bekannt geworden, daß der Herr Abgeordnete Prälat Leicht nach Verabredung mit anderen Parteien entschlossen gewesen sei, einen Antrag vorzubringen, die alte Tagesordnung wiederherzustellen. Das wird wahrscheinlich auch dem Herrn Reichstagspräsidenten bekannt gewesen sein. Und ich beziehe mich auf die Äußerung, die der Herr Reichstagspräsident unmittelbar nach der Auflösung der Presse hat zugehen lassen, worin er unzweideutig zum Ausdruck gebracht hat, daß er entschlossen gewesen sei, die Regierung nicht zu Wort kommen zu lassen, daß er die Abstimmung über die Notverordnungen und das Mißtrauensvotum habe vornehmen müssen, um eben die Regierung zu Fall zu bringen, bevor sie in der Lage gewesen sei, die Regierungserklärung abzugeben.

[663] (Hört! Hört!)

Abgeordneter Schmidt Hannover (DNV): Daß der Herr Reichstagspräsident seine Beweisführung auf ein wahrscheinlich ungenaues Interview mit einer ausländischen Zeitung stützt, entbehrt nicht des Reizes der Neuheit. Ich weiß nicht, ob es nicht zweckmäßig ist, in solchen Fragen, gerade angesichts des letzten Daily-Mail-Interviews Hitlers, etwas vorsichtiger zu sein.

Dann zum Verlauf der Sitzung: Es liegt mir an Klärung eines Punktes, der bisher in den ganzen Debatten keine Rolle spielte. Manchmal kommt es einem vor, als ob ein Teil der Herren des Ausschusses das eigentliche Stenogramm der Sitzung überhaupt nicht gelesen hat. Laut Stenogramm Seite 15 B ist der Reichstagspräsident noch nach den Worten „Wir stimmen ab, die Abstimmung hat begonnen“ – wonach dann erst die Niederlegung des Dekrets auf den Tisch des Präsidenten erfolgte und der Auszug der Regierung sich vollzog –, nochmals zur Fragestellung über die Abstimmung zurückgekehrt und hat jetzt erst, also nachdem die Regierung schon draußen war, die gemeinsame Abstimmung über die beiden Anträge eingeleitet.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Frank II.)

– Ja, Herr Frank, sehen Sie doch bitte ins Stenogramm.

(Abgeordneter Dr. Frank II: Das sind doch keine Fragen!)

Vorsitzender: Herr Abgeordneter Dr. Frank II, überlassen Sie mir das. Herr Reichstagspräsident Göring hat vorhin auch Ausführungen gemacht, die keine Fragen waren. Jetzt hat das Wort der Herr Abgeordnete Schmidt (Hannover).

Abgeordneter Schmidt (Hannover) (DNV): Ich verstehe Ihre Nervosität, ich bitte, mich aber ausreden zu lassen. – Ich sagte, erst danach ist der Herr Reichstagspräsident zur Fragestellung über die Abstimmung zurückgekehrt und hat jetzt erst die gemeinsame Abstimmung über die beiden Anträge 118/119 und danach in Verbindung hiermit die Abstimmung über das jetzt erst erwähnte Mißtrauensvotum verkündet. Zweifelsfrei beginnt also hiernach erst die Abstimmungshandlung, und zwar nachdem die Regierung bereits den Saal verlassen hatte.

(Zuruf: Die Stimmenabgabe!)

Ich bitte, sich in dem stenographischen Bericht zu orientieren. Die Schallplatte, die wir jetzt gehört haben und die nicht gerade einen besonderen Beweis für die Leistungsfähigkeit des Parlamentarismus bot, hat die gleichen Feststellungen ergeben. Ich verstehe dieses ganze Verhandeln, dieses Streiten um des Kaisers Bart nicht. Die Auflösung war bereits erfolgt, die Regierung war aus dem Saal heraus, als die Abstimmung begann.

Vorsitzender: Herr Abgeordneter, das ist eine Beweisführung. Ich bitte, sich das für später aufzuheben.

Abgeordneter Schmidt (Hannover) (DNV): Schön, ich füge mich und komme dann später darauf zurück.

(Zuruf von den Nationalsozialisten: Verstehen kommt von Verstand, wie es in einem Ufa-Film heißt!)

– Sprechen Sie sich ruhig aus, zu Hause kommen Sie vielleicht nicht dazu, in Ihrer Partei auch nicht, und da Sie, laut Goebbels, nur Ihre eigene Parteipresse lesen dürfen, habe ich volles Verständnis für Ihre erregten Ausführungen, denn es wird Ihnen vieles neu sein, was Sie hier hören.

[664] (Unruhe.)

Vorsitzender: Wenn wir so fortfahren, wird der Untersuchungsausschuß nicht weiter tagen können. Die Verhandlung muß auf Fragen beschränkt bleiben.

Abgeordneter Schmidt (Hannover) (DNV): Gewiß. Ich möchte also nach diesen Ausführungen über den Zeitpunkt des Beginns der Abstimmungshandlungen den Herrn Reichskanzler fragen, ob er meine Ansicht bestätigt, ob die Regierung von der gleichen Auffassung ausgegangen ist.

(Zustimmung des Reichskanzlers.)

Weiter! Herr Dr. Frank II und auch Herr Torgler, also die Vertreter der beiden Parteien, die den gemeinsamen Antrag auf Vernehmung der Minister gestellt haben, haben ja hier die Ausführungen etwas weiter ausgedehnt, als ursprünglich vorgesehen war, ich will Ihnen auf diesem Wege nicht folgen. Ich möchte nur auf eins hinweisen: Wir sind grundsätzlich anderer Meinung als Sie über die Kompetenzen des Ausschusses und auch über die Bedeutung des Ausschusses. Wir sind aber auch grundsätzlich anderer Meinung über die Berechtigung des Ausschusses zur Vernehmung der Regierung als Zeugen. Der Ausschuß hat nach Artikel 35 die Rechte des Reichstags nach erfolgter Auflösung zu wahren. Wenn nach Ihrer Meinung die Abstimmungen vor der Auflösung lagen, konnten Sie den Ausschuß ja gar nicht als Untersuchungsausschuß konstituieren.

(Zurufe: Das sind doch keine Fragen!)

– Sie müssen mir doch gestatten, da wir die einzige Partei sind, die entgegen den gesamten Parteien der Mehrheit eine andere Auffassung über diese Fragen hat, diese Auffassung hier vorzutragen.

(Unruhe und Zurufe.)

Vorsitzender: Herr Abgeordneter Schmidt, ich glaube, es geht einiges durcheinander. Wenn die Zeugenvernehmung beendet ist, wird der Ausschuß in die Beweiswürdigung eintreten; und dann werden die Argumente, Herr Abgeordneter Schmidt, die Sie jetzt vorbringen, ihre Würdigung finden können. Jetzt bitte ich Sie, sich auf Fragen zu beschränken.

Abgeordneter Schmidt (Hannover) (DNV): Ich hatte auch die Absicht. Ich habe nur auf die Ausführungen der Herren Torgler und Frank II geantwortet.

Nun noch eine weitere Frage! Hat der Herr Reichskanzler den Eindruck gehabt, daß der Herr Reichstagspräsident absichtlich und geflissentlich keinen Einblick in das Auflösungsdekret genommen hat? Ich werde zu der Frage veranlaßt durch die Ausführungen, die der Herr Reichstagspräsident vor zwei Tagen, am Sonntag, in einer Versammlung in Schleswig-Holstein, in Heide, gemacht hat. Er hat nach Presseberichten dort erklärt, daß es ein Hohn gewesen sei, ihm ein Schriftstück, das mit dreierlei verschiedener Tinte geschrieben, durchstrichen und mit unleserlichen Namen versehen sei, vorzulegen, er habe in diesem Augenblick nicht anders handeln können, als die Ehre des Volkes dadurch zu wahren, daß er dieses Schriftstück beiseite schob. Das steht im Widerspruch mit einigen anderen Ausführungen des Herrn Reichstagspräsidenten, und ich bitte, die Unterhaltung auch auf diesen Punkt auszudehnen.

(Präsident Göring: Auf meine Heider Versammlung?)

[665] Vorsitzender: Nein, ob der Herr Reichskanzler den Eindruck gewonnen hatte, daß Sie die Auflösungsorder absichtlich beiseite geschoben hatten.

Herr Reichskanzler, wünschen Sie darauf zu antworten?

Zeuge Reichskanzler von Papen: Ich habe zunächst noch zu meiner vorigen Aussage hinzuzufügen: Ich habe durch mein Büro feststellen lassen, daß meine mündliche Unterredung mit dem Herrn Reichstagspräsidenten am 8. September, also vier Tage vor der Reichstagssitzung gewesen ist, und das eine telephonische Unterhaltung am 10. September, zwei Tage vor der Reichstagssitzung stattgefunden hat.

(Reichstagspräsident Göring: Verzeihung, daß muß ein Irrtum sein!)

Wir haben uns telephonisch unterhalten über die Frage des Prozedere.

Präsident Göring: Nein, ausschließlich über etwas anderes. Da hat es sich gehandelt über den Empfang der Parteiführer beim Reichspräsidenten.

Zeuge Reichskanzler von Papen: Ich lege kein Gewicht darauf. Aber die andere Unterhaltung war am 8. September.

Abgeordneter Wolkersdörfer (NSDAP): Herr Reichskanzler, Sie haben vorhin verneint, daß Sie sich bei Ihrem Erscheinen in der Sitzung, die hier zur Untersuchung steht, nicht zu den Deutschnationalen und zur Fremdenloge verbeugt haben. Es steht doch einwandfrei fest, daß Sie bei Ihrem zweiten Erscheinen die gesamte Volksvertretung ignoriert und verbindlich lächelnd sich vor der Fremdenloge verbeugt haben. Wir haben schon damals dieses Ihr Verhalten als eine Beleidigung des gesamten deutschen Volkes empfunden.

Abgeordneter Dr. Frank II (NSDAP): Ich möchte den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Schmidt (Hannover) entgegentreten. Seine Auslegung des Stenogramms, daß die Abstimmung noch nicht begonnen hatte, als der Reichskanzler sich angeblich zum Wort gemeldet hat, ist aus dem Stenogramm selbst zu widerlegen. Wenn er sich auf die späteren Ausführungen des Herrn Reichstagspräsidenten stützt, so ist festzustellen, daß der Herr Reichstagspräsident gesagt hat: wir waren bereits in der Abstimmung. Er stützte sich auf den formellen Beginn, der darin liegt: „Wir stimmen ab,“ „Die Abstimmung ist namentlich.“ Ich muß ausdrücklich feststellen, daß die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Schmidt (Hannover) hier vollkommen fehlgehen.

Des weiteren bitte ich den Herrn Vorsitzenden, den Reichskanzler auf den Widerspruch seiner Ausführungen zu den Ausführungen des Zeugen Harnisch aufmerksam machen zu wollen. Herr Harnisch – der doch Vertreter der regierungsfreundlichen Presse ist, so daß seine Aussage regierungsseits beachtlich ist – will ausdrücklich von der Pressetribüne beobachtet haben, daß der Herr Reichskanzler gesagt habe: „amtlich, Herr Reichstagspräsident, wünsche ich mein Wort.“ Mit dem Fernglas will er das von oben aus an der Mundbewegung festgestellt haben. Wir würden bitten, daß noch einmal klargelegt wird, daß der Herr Reichskanzler bestimmt sagt, er habe den Ausdruck „amtlich“ oder „namentlich“ in diesem Zusammenhang nicht gebraucht.

Vorsitzender: Herr Reichskanzler, Sie halten wohl Ihre erste Aussage aufrecht?

(Zeuge Reichskanzler von Papen: Jawohl!)

Abgeordneter Dr. Frank II (NSDAP): Herr Reichskanzler, Sie haben dem[666] Herrn Reichstagspräsidenten den Vorwurf des Verfassungsbruches wenigstens in der Form der wissentlich falschen Anwendung der Verfassung gemacht. Ich wollte schon vorhin fragen – Sie haben die Antwort noch nicht gegeben –: worin erblicken Sie diesen angeblichen, von Ihnen behaupteten Verstoß des Herrn Reichstagspräsidenten gegen die Verfassung Ihnen gegenüber im Zusammenhang mit der Abstimmung?

Zeuge Reichskanzler von Papen: Gehört das zur Beweisführung heute?

Vorsitzender: Insofern eine solche Bemerkung von Ihnen sich auf die Nichtworterteilung bezieht.

Zeuge Reichskanzler von Papen: Weil ich der Auffassung bin, daß der Herr Reichstagspräsident entsprechend den geltenden Bestimmungen der Verfassung und Geschäftsordnung mir unter allen Umständen das Wort geben mußte.

(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen.)

Abgeordneter Dr. Frank II (NSDAP): Die Meinung haben Sie?

(Zeuge Reichskanzler von Papen: Jawohl!)

Dann, Herr Reichskanzler, ist vorhin die Frage des einen Abgeordneten hier berührt worden im Wege dieser gemeinschaftlichen deutschnational-sozialdemokratischen Entlastungsoffensive.

(Abgeordneter Dr. Hoegner: Das verbitten wir uns!)

Wann, Herr Reichskanzler, ist denn eigentlich von dem Herrn Reichspräsidenten die Auflösungsordre unterzeichnet worden? Diese Frage würde das deutsche Volk sehr interessieren. Denn wenn Ihnen eine halbe Stunde Zeit zur Verfügung stand, die den Inhalt der Gründe für diese Auflösung in sich barg, so wäre es für das deutsche Volk interessant, zu erfahren: war die Auflösungsordre bereits unterzeichnet, als Sie bei Beginn der Sitzung am 12. September in den Saal kamen, oder wurde sie erst unterzeichnet im Verlauf der halbstündigen Pause?

Zeuge Reichskanzler von Papen: Ich bedauere, die Neugierde des Herrn Abgeordneten nicht befriedigen zu können. Das Reichskabinett hat mich lediglich ermächtigt auszusagen zu den Punkten, die hier zu Debatte stehen13.

Abgeordneter Dr. Frank II (NSDAP): Diese Ausführungen genügen mir vollkommen; denn sie bestätigen das, was anderweitig bekannt war.

Vorsitzender: Ich bitte, nicht zu unterstellen, was nicht gesagt ist.

Abgeordneter Dr. Frank II (NSDAP): Wir haben eine gewisse prozessuale Erfahrung. Wenn ein Zeuge auf eine solche Vorhaltung nicht aussagt, weiß man, was man aus dem Schweigen zu schließen hat.

Abgeordneter Torgler (KP): Ich möchte zunächst den Herrn Vorsitzenden fragen: ist der Zeuge berechtigt, nur auf Fragen ihm genehmer Abgeordneter zu antworten und die Beantwortung von Fragen ihm politisch nicht genehmer Abgeordneter zu verweigern? Ich bin zu dieser Vorfrage veranlaßt, da ich erlebt habe, daß der Herr Zeuge auf sehr konkrete, von mir gestellte Fragen nicht geantwortet hat.

[667] (Vorsitzender: Er hat das eben auch hier nicht gemacht!)

Ich möchte dann, selbst auf die Gefahr hin, keine Antwort zu bekommen, an den Herrn Reichskanzler noch folgende zwei Fragen stellen.

1. Wie hat der Herr Reichskanzler die Pause, die von Herrn Frick beantragt wurde, aufgefaßt? Hat er die Pause als im Rahmen der Verständigung mit dem Herrn Reichstagspräsidenten gelegen aufgefaßt? Hat er gemeint, daß diese Pause, von Herrn Frick beantragt, sich im Rahmen jener Verständigungsabsichten bewegte, die zwischen dem Herrn Reichskanzler und dem Herrn Reichstagspräsidenten getroffen worden sind?

2. Der Herr Reichskanzler hat vorhin auf Fragen, die ihm vorgelegt wurden, gesagt, daß die Regierung keineswegs die Absicht hatte, unbedingt und vor der Debatte den Reichstag aufzulösen. Wie ist es dann zu erklären, daß der Herr Reichskanzler die Pause von einer halben Stunde nicht dazu benutzt hat, dem Herrn Reichstagspräsidenten mitzuteilen, daß er nach Wiederbeginn der Sitzung sofort das Wort wünsche, sondern statt dessen sofort jemand losgeschickt hat, der das Auflösungsdekret herangeholt hat. Diese Heranholung des Auflösungsdekrets scheint doch ein Widerspruch zu sein gegenüber dem, was der Herr Reichskanzler vorhin gesagt hat, daß vor der Debatte und vor der Rede, die er selbst halten wollte, eine Auflösung nicht beabsichtigt war?

Vorsitzender: Also zuerst die Frage von Herrn Torgler, wie Sie die Pause aufgefaßt haben, die da plötzlich eingelegt wurde.

Zeuge Reichskanzler von Papen: Darauf kann ich sagen, Herr Präsident, daß ich allerdings der Auffassung gewesen bin, der Herr Reichtagsspräsident und seine politischen Freunde würden versuchen, in der Pause vielleicht jemanden zu finden, der Einspruch erhob, um die Änderung der Tagesordnung hintanzuhalten; denn ich habe, wie gesagt, nicht annehmen können, daß die Herren unter allen Umständen entschlossen waren, die Regierungserklärung nicht zu hören. Infolgedessen war ich des Glaubens – und insbesondere nach den Verhandlungen, die die Herren mit dem Zentrum gepflogen haben, mußte ich der Auffassung sein –, daß man während der Pause einen modus vivendi zu finden bestrebt sei, der den Reichstag noch eine Weile am Leben ließ.

[…]

Abgeordneter Dr. Goebbels (NSDAP): Ich habe drei Fragen zu stellen, Herr Reichskanzler, und zwar beziehe ich mich auf eine Reihe von Pressemeldungen, die bisher von der Reichskanzlei nur sehr unvollkommen dementiert worden sind.

1. Haben Sie, Herr Reichskanzler, einige Tage nach dem 13. August eine Unterredung mit dem jüdischen Bankier Jakob Goldschmidt gehabt?

(Heiterkeit.)

2. Haben Sie in dieser Unterredung auf die Einwendungen einer Reihe von Wirtschaftsführern erklärt, Sie würden den Reichstag nicht zu einem Mißtrauensvotum kommen lassen? Sie würden zwar Ihre Regierungserklärung verlesen, aber eine Debatte nicht zulassen, sondern zuvor den Reichstag auflösen?

3. Haben Sie auf die Einwände der Wirtschaftsführer, daß die Gewerkschaften dann gegen die Notverordnung mit Streiks vorgehen würden, erklärt, daß Sie notfalls auch zu einer Auflösung der Gewerkschaften schreiten würden?

[668] Vorsitzender: Die Fragen überschreiten etwas das Beweisthema. Ich stelle aber dem Herrn Reichskanzler anheim, ob er darauf antworten will. Die mittlere Frage, daß Sie es nicht zu einer Aussprache würden kommen lassen, daß Sie in irgendeiner Gesellschaft gesagt haben sollen: ich werde es nicht zu einer Aussprache der Parteien kommen lassen, sondern werde vorher auflösen – das war doch der Sinn –, diese Frage gehört zweifellos zum Beweisthema.

Abgeordneter Dr. Goebbels (NSDAP): Ich bitte doch, alle drei Fragen an den Herrn Reichskanzler zu stellen.

Vorsitzender: Zur Beantwortung von Fragen, die nicht zum Beweisthema gehören, kann ich den Herrn Reichskanzler nicht zwingen. Aber ich stelle es ihm anheim.

Zeuge Reichskanzler von Papen: Ich will mich lediglich zu der zweiten Frage äußern. Es ist ausgeschlossen, daß ich irgend jemandem gesagt habe, die Reichsregierung würde zur Auflösung schreiten, bevor es zu einer Debatte gekommen wäre. Das hat gar nicht im Sinne der Regierung und aller Anstrengungen, die wir gemacht haben, gelegen; das wird mir Herr Präsident Göring auch bestätigen.

Abgeordneter Dr. Goebbels (NSDAP): Ich stelle also fest, daß die beiden nicht beantworteten Fragen damit auch beantwortet sind.

Vorsitzender: Das ist eine sehr subjektive Feststellung, Herr Abgeordneter.

[…]

Präsident Göring: Ich muß noch einmal auf die Unterredung zurückkommen. Herr Reichskanzler, Sie vermischen hier zwei Dinge miteinander, die nicht zusammengehören: Erstens die rein formale Besprechung darüber, daß am 12. September, nachmittags 3 Uhr, die Regierungserklärung erfolgen sollte. Wir haben darüber gesprochen, wie lange voraussichtlich die Debatte dauern werde und haben uns dann auch bezüglich der Abstimmung miteinander unterhalten. Sie sprechen jetzt die ganze Zeit von dem Weg, der gesucht werden sollte. Ich stelle ausdrücklich fest, daß es sich hier aber um etwas ganz anderes gehandelt hat, nämlich um eine Besprechung zwischen uns, in der ich als Vertreter meiner Partei, nicht in meiner Eigenschaft als Reichstagspräsident, bei Ihnen war. Sie sprachen damals davon, es müßte doch ein Weg gefunden werden, damit die Nationalsozialisten nicht sofort die Regierung stürzten. Sie waren aber der Auffassung, daß der uns nächstliegende Weg nicht beschritten werden könne. Darauf sagte ich: das bedauern wir, aber dann sehe ich keine Möglichkeit. Es ist also nicht so, daß ich als Reichstagspräsident Ihnen gesagt habe: wir werden jetzt zusammen einen Weg suchen, um die Abstimmung zu verhindern, sondern Sie haben erklärt, daß nach der Regierungserklärung die Debatte beginnen könne, daß Sie aber eine Abstimmung nicht zulassen würden.

Zweitens muß ich Sie aber trotz Ihrer wiederholt geäußerten gegenteiligen Auffassung nochmals darauf aufmerksam machen, daß ich gebunden war und daß Sie nichts anderes erwarten konnten. Ich hätte, selbst wenn ich Ihnen zunächst etwas anderes gesagt hätte, in dieser Lage gar nicht anders handeln können.

Was nun noch einmal das Wegsuchen anlangt, so hat es sich in allen Besprechungen immer um das gleiche gehandelt, nämlich daß Sie geglaubt haben,[669] es gäbe doch die Möglichkeit einer Verständigung mit der N.S.D.A.P., wenigstens insoweit, daß sie nicht in scharfe Opposition trete. Das hat aber nicht hierher gehört, und ich bedauere, daß Sie es mit hereingezogen haben; das war eine rein private Unterhaltung.

Nun zu der Verbindung der beiden Anträge, auf die Herr Schmidt (Hannover) gekommen ist. Ich habe das letzte Mal deutlich gesagt: der Abstimmungsakt hat für mich begonnen mit dem Augenblick – wie das bisher auch üblich war –, als ich sagte: wir stimmen ab. Alles, was dann innerhalb dieses Abstimmungsaktes gesprochen wurde, waren Modalitäten. Es ist wiederholt vorgekommen, daß, während eine Abstimmung schon im Gange war, noch Fragen bezüglich der Abstimmung an den Präsidenten gestellt wurden, wenn Irrtümer vorlagen, wenn der eine oder der andere Abgeordnete nicht genau wußte, ob positiv oder negativ über den Antrag abgestimmt wurde, wenn nicht genau verstanden war, um welche Anträge es sich handelte, ob die Anträge verbunden oder geteilt abgestimmt würden.

Also das ist ein Vorgang, wie er xmal nachzuweisen ist. Ich habe ja auch nur auf den Zuruf eines Abgeordneten, ob die Anträge verbunden abgestimmt würden, erklärt: jawohl, sie werden verbunden abgestimmt! und habe das dann noch ausdrücklich von dem Antragsteller bestätigen lassen.

Abgeordneter Schmidt (Hannover) (DNV): Nein, Sie haben eine Frage gestellt.

Präsident Göring: Nein. Es handelte sich nur um die Aufklärung eines Irrtums, ob die Anträge verbunden abgestimmt würden. Darauf habe ich erklärt: jawohl!

Abgeordneter Schmidt (Hannover) (DNV): Nein, Sie haben die Frageform gewählt: „Ihre beiden Anträge, Herr Torgler, waren doch zur gemeinsamen Abstimmung gestellt?“ – Ihre Beweisführung wird durch Wiederholungen nicht richtiger.

Präsident Göring: Wollen Sie bestreiten, daß zu mir heraufgerufen wurde: sind die Anträge verbunden? und daß ich darauf gesagt habe: jawohl, sie sind verbunden! und mich dann zur Bekräftigung der Aufklärung noch einmal an den Abgeordneten Torgler gewandt habe? Ich habe nicht gefragt: sind die Anträge verbunden?, sondern habe von vorneherein gesagt: nicht wahr, Herr Abgeordneter Torgler, Sie hatten die beiden Anträge doch verbunden?

Abgeordneter Schmidt (Hannover) (DNV): Daß Stenogramm ist sehr genau und spricht gegen Sie.

Präsident Göring: Ja, aber Sie sind doch im Irrtum. Lesen Sie auch das andere vor, damit kein Irrtum obwaltet! Es handelte sich um eine Frage über die Modalitäten der Abstimmung, die aus dem Saale gekommen war. Hier steht ja auch ausdrücklich: auf Zuruf.

Vorsitzender: Meine Herren, darüber kann kein Streit bestehen: der Abstimmungsakt beginnt in dem Augenblick, in dem der Präsident sagt: wir stimmen ab, unabhängig davon, ob nachher noch Fragen darüber gestellt werden, in welcher Form abgestimmt wird. Diese Auslegung muß man nach der bisherigen Praxis des Reichstags gerechterweise annehmen.

Nun hatte Herr Dr. Hoegner noch eine Frage.

[670] Abgeordneter Dr. Hoegner (SPD): Herr Kollege Ersing hat hier etwas von bestimmten Besprechungen gesagt. Der Herr Abgeordnete Frick sei gekommen und habe gesagt, die Nationalsozialisten hätten positive und bestimmte Nachrichten bekommen, daß es überhaupt nicht zur Abstimmung komme, sondern daß der Reichstag sofort aufgelöst würde. Ich möchte fragen, ob dem Herrn Reichskanzler als Zeugen bekannt ist, woher die Nationalsozialisten diese bestimmten und positiven Nachrichten bekommen haben.

(Zuruf: Er hat es doch selbst zugegeben!)

Vorsitzender: Es kann niemand für den Herrn Reichskanzler antworten, nur er selber.

Zeuge Reichskanzler von Papen: Ich weiß nicht, wer dem Herrn Reichstagspräsidenten diese Mitteilung überbracht hat.

Abgeordneter Dr. Hoegner (SPD): Ich darf also feststellen: Aus den Kreisen der Reichsregierung ist den Herren Nationalsozialisten eine derartige Mitteilung nicht gemacht worden.

(Abgeordneter Dr. Pfleger: Soweit der Herr Reichskanzler das weiß!)

– Selbstverständlich, soweit der Herr Reichskanzler das weiß.

Dann möchte ich die andere bedeutsame Frage stellen: Hält es der Herr Reichskanzler als Zeuge für möglich, daß eine derartige Nachricht aus dem Büro des Herrn Reichspräsidenten an die Herren Nationalsozialisten gegeben worden ist?

Zeuge Reichskanzler von Papen: Nein.

(Abgeordneter Dr. Frank II: Das ist die „Entlastung“ des Herrn von Papen seitens der Sozialdemokratischen Partei!)

Abgeordneter Dr. Hoegner (SPD): Meine Herren, das hat mit Entlastung nichts zu tun. Wir haben als Mitglieder des Ausschusses weder zu belasten noch zu entlasten, sondern wir sind hier eine Art Behörde und haben die Wahrheit zu erforschen. Aber die Fragen, die ich gestellt habe, sind politisch bedeutsam, gleichgültig, ob sie den Herren Nationalsozialisten angenehm sind oder nicht.

(Zuruf von den Nationalsozialisten: Sozibarone!)

Vorsitzender: Herr Abgeordneter, ich rufe Sie zur Ordnung! Solche Beschuldigungen gehören nicht hierher.

Herr Abgeordneter Dreher hatte sich noch zum Wort gemeldet.

Abgeordneter Dreher (NSDAP): Herr Reichskanzler, darf ich um Auskunft bitten, ob Ihnen Herr Staatssekretär Planck über die Verhandlungen des Ältestenrats berichtet hat? Es wurden dort Beschlüsse darüber gefaßt, wie die Tagesordnung gehandhabt werden sollte. Auch hier erklärte der Abgeordnete Torgler, daß er voraussichtlich im Plenum beantragen werde, seine beiden Anträge zuerst, ohne Debatte, zur Abstimmung zu bringen. Hierauf erklärte Herr Oberfohren, daß er gegen beide Anträge im Plenum sofort Widerspruch erheben werde.

(Abgeordneter Dr. Oberfohren: Das hat er nicht erklärt!)

– Das ist ja auch allgemeine Annahme des gesamten Plenums in der Nachmittagsverhandlung gewesen.

(Abgeordneter Dr. Oberfohren: Ich habe einer Änderung der Tagesordnung widersprochen!)

[671] Es handelte sich also um einen Wortbruch des Herrn Oberfohren.

(Lachen bei den Deutschnationalen.)

Herr Oberfohren hat im Ältestenausschuß erklärt, er werde gegen die Anträge auf Umstellung der Tagesordnung Widerspruch erheben. Ich habe hier festzustellen, daß die Herren Deutschnationalen durch ihr Verhalten im Plenum es gewesen sind, die den Herrn Reichskanzler verhindert haben, seine Regierungserklärung abzugeben.

Vorsitzender: Ob Herr Staatssekretär Planck dem Herrn Reichskanzler Bericht erstattet hat, ist eigentlich eine Frage, die er selbst beantworten müßte.

Abgeordneter Dr. Oberfohren (DNV): Ich kann für den Herrn Reichskanzler nicht antworten.

Vorsitzender: Nein, Sie sind auch nicht Zeuge. – Ist Ihnen, Herr Reichskanzler, darüber Mitteilung gemacht worden?

Zeuge Reichskanzler von Papen: Darüber kann Herr Staatsekretär Planck vernommen werden.

Abgeordneter Dreher (NSDAP): Ich hatte den Herrn Reichskanzler gefragt, ob Herr Staatsekretär Planck ihm von der Änderung der Tagesordnung Mitteilung gemacht hat.

Zeuge Reichskanzler von Papen: Ich kann darauf nur antworten: Ich bin über diese Verhandlungen im Ältestenrat dahingehend unterrichtet worden, daß von kommunistischer Seite ein solcher Antrag eingebracht, daß dagegen aber Widerspruch erhoben werden würde. Durch wen, habe ich nicht gehört.

Abgeordneter Torgler (KP): Ich möchte noch zwei Fragen an den Herrn Reichskanzler richten.

1. Der Herr Reichskanzler hat vorhin zugegeben, daß das Auflösungsdekret erst in der Pause herangeschafft wurde. Wie ist es zu erklären, daß der Herr Reichskanzler dieses Auflösungsdekret nicht schon zu Beginn der Sitzung gehabt hat? Waren die Abmachungen oder die Zusicherungen – von welcher Seite, will ich hier jetzt ununtersucht lassen; der Herr Reichskanzler wird darüber besser informiert sein als ich und wird es vielleicht auch sagen – so bindend, daß für den Herrn Reichskanzler die Gefahr einer Abstimmung über die Mißtrauensanträge oder über die Anträge auf Aufhebung der Notverordnung nicht gegeben war?

2. Der Herr Reichskanzler hat sich bei seinen Bemerkungen vorhin wiederholt auf verfassungsrechtliche Bestimmungen berufen. Ich möchte nun den Herrn Reichskanzler fragen, wie er es mit diesen verfassungsrechtlichen Bestimmungen vereinbaren kann, daß er einen Reichstag auflöst, bevor dieser von den ihm nach der Verfassung zustehenden Rechten der Aufhebung von Notverordnungen oder der Erteilung eines Mißtrauensvotums gegenüber einer amtierenden Regierung Gebrauch gemacht hat. Ist der Herr Reichskanzler der Meinung, daß ein solches Verfahren, wie er und seine Regierung es beliebt haben, mit diesen verfassungsrechtlichen Bestimmungen irgendwie in Einklang zu bringen ist.

Vorsitzender: Wollen Sie antworten, Herr Reichskanzler?

Zeuge Reichskanzler von Papen: Ich habe lediglich auf die erste Frage zu antworten: Die Tatsache, daß die Reichsregierung oder ich persönlich das Auflösungsdekret[672] zu der Auflösung nicht mitgenommen hat, manifestiert nur den guten Glauben, daß der Reichstag oder der Reichstagspräsident die Regierung zu Wort kommen lassen würde.

(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen.)

Präsident Göring: Ich muß noch einmal aufs Schärfste dem Herrn Reichskanzler gegenüber Protest erheben, wenn er hier immer feststellt, ich hätte eine Abmachung durchbrochen, derzufolge ich ihm das Wort hätte geben müssen. Ich stelle ausdrücklich noch einmal fest: Wenn die Tagesordnung geändert wird, und es wird nicht widersprochen, vermag ich als Reichstagspräsident daran keine Änderung vorzunehmen. Ich habe aber auch niemals eine bindende Erklärung abgegeben, dahingehend: ich werde unter allen Umständen, auch gegen Geschäftsordnung und Verfassung, Ihnen, Herr Reichskanzler, das Wort zur Regierungserklärung geben. Das konnte ich auch nicht tun. Ich habe Ihnen nur eins versprochen, daß ich Ihnen allerdings garantiere, daß Sie nicht beleidigt werden. Wir haben über den Modus gesprochen: Sie sollten die Regierungserklärung abgeben, und dann sollte die Debatte beginnen. Wenn Sie im guten Glauben gekommen sind, so ist das eine Sache für sich. Aber jedenfalls können Sie jetzt nicht sagen, ich hätte eine mit Ihnen getroffene Abmachung gebrochen und darauf nun die Schuld schieben. Im übrigen möchte ich viel eher sagen, daß durch die Tatsache, daß im Ältestenrat von deutschnationaler Seite erklärt worden war, man werde einem solchen Antrag auf Umstellung der Tagesordnung widersprechen,

(Abgeordneter Dr. Oberfohren: Von Umstellung ist gar keine Rede gewesen!)

die Sicherheit für Sie gegeben war, daß es nicht zur Abstimmung kommen würde. Eine andere Sicherheit war für Sie ja nicht gegeben.

Der Herr Abgeordnete Dr. Hoegner hat jedesmal nach einer seiner Fragen gesagt: ich stelle fest! Er hat also nicht nur gefragt, sondern auch Feststellungen getroffen, wobei er unterbrochen werden mußte, weil die Feststellungen nicht einwandfrei waren. Aber jetzt stelle ich einmal fest, daß der Herr Reichskanzler ausdrücklich zugegeben hat, daß er es nicht zur Abstimmung hätte kommen lassen. Das habe ich ja immer behauptet, daß der Herr Reichskanzler noch vor der Abstimmung auflösen würde.

Nun muß ich aber noch eine Frage an den Herrn Reichskanzler stellen. Herr Reichskanzler, Sie haben in der Öffentlichkeit, im Radio und, wenn ich nicht irre – ich entsinne mich dessen jetzt nicht genau – auch in dem Briefe an mich14, jedenfalls wiederholt ausgesprochen, daß ein Vertreter der Reichsregierung jederzeit das Recht habe, das Wort zu ergreifen, und Sie haben sich dabei auf die Verfassung berufen. Ist Ihnen bekannt, Herr Reichskanzler, daß das Wort „jederzeit“ in der Verfassung gestanden hat, im Jahre 1920 aber durch verfassungsändernde Mehrheit aus der Verfassung extra gestrichen worden ist, und zwar, wie ich glaube, auf Antrag des Abgeordneten Gröber?

[673] Vorsitzender: Dafür ist gesetzt worden „außerhalb der Tagesordnung“15.

Präsident Göring: Das Wort „jederzeit“ stand in der alten Verfassung und ist auch für die neue beantragt gewesen. Auf Antrag des Abgeordneten Gröber ist es dann aber ausdrücklich fortgelassen worden. Es heißt also jetzt nicht mehr „jederzeit“, sondern statt dessen ist gesetzt worden „außerhalb der Tagesordnung“. Hingegen lautet aber der letzte Satz dieses § 33 auch: „Sie“ – nämlich die Vertreter der Reichsregierung – „unterstehen der Ordnungsgewalt des Vorsitzenden“. Das heißt also, daß der Präsident bzw. der Vorsitzende auch die Worterteilung an Vertreter der Reichsregierung zu regeln hat. Ich bin sogar der Auffassung, daß es durchaus nicht einmal feststeht, daß der Herr Reichskanzler unter allen Umständen jederzeit vom Präsidenten das Wort bekommen muß, sondern ich bin der Meinung, daß das nur im Rahmen der Debatte geschehen kann, daß er allerdings, im Gegensatz zu den Abgeordneten, das Recht besitzt, auch zu anderen Gegenständen als zu denen der Tagesordnung zu sprechen. Das sieht die Verfassung in § 33 vor. Darum ist das Wort „jederzeit“ gestrichen und die Einschränkung gemacht worden: „außerhalb der Tagesordnung“.

Und nun eine konkrete Frage, die wichtigste, zum Abschluß. Herr Reichskanzler, können Sie sich ganz genau erinnern, in welchem Zeitpunkt der zweiten Sitzung – ich darf Ihnen vielleicht das Stenogramm noch einmal vorlegen –, in welchem Augenblick Sie aufgestanden sind und gesagt haben: ich bitte ums Wort!? Ich darf Ihnen das Stenogramm vielleicht überreichen.

(Zeuge Reichskanzler von Papen: Ich habe es selber!)

Es handelt sich um die einleitenden Worte. Ich habe da gesagt:

Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist wieder eröffnet. Nachdem sich vorhin kein Widerspruch gegen die neue Tagesordnung geltend gemacht hat, kommen wir jetzt zur Abstimmung über die Anträge Torgler. Wir stimmen ab.

In welchem Augenblick haben Sie sich da zum Wort gemeldet?

Zeuge Reichskanzler von Papen: zunächst einmal zu der Frage der Verfassung und der Geschäftsordnung des Reichstags. Ich glaube allerdings, daß ich im Recht bin, wenn ich auf dem Standpunkt stehe, daß dem Chef der Regierung jederzeit – wenn ich mich recht entsinne, steht das auch in § 97 der Geschäftsordnung, ich habe sie nicht hier –, auch außerhalb der Tagesordnung das Wort gegeben werden muß.

Präsident Göring: Nein, in § 97 steht:

Anträge auf Besprechung.

Ergreift ein Reichsminister oder Regierungsvertreter oder Bevollmächtigter des Reichsrats das Wort außerhalb der Tagesordnung, so wird auf Verlangen von 30 anwesenden Mitgliedern die Besprechung über seine Ausführungen eröffnet. Sachliche Anträge dürfen hierbei nicht gestellt werden.

[674] Vorsitzender: Nein, Herr Reichskanzler, daß ist ganz klar. In der alten Verfassung stand „jederzeit“. In der Beratung der neuen Verfassung wurde dagegen eingewandt, „jederzeit“ sei ein falscher Ausdruck, denn dann könnten die Regierungsvertreter mitten in der Rede eines anderen oder mitten in einer Abstimmung das Wort verlangen. Deshalb – nur zur genaueren Feststellung des wirklichen Tatbestandes –: nicht „jederzeit“, sondern „außerhalb der Tagesordnung“, also nach der Rede, nach der Abstimmung.

(Abgeordneter Dr. Frank II: Das bedeutet, daß nicht zur Sache gerufen werden kann!)

– Das involviert das auch.

Zeuge Reichskanzler von Papen: Zweitens zu der Frage, wann nach dem Stenogramm meine Wortmeldung erfolgt ist.

Präsident Göring: Verzeihung, ich muß dagegen protestieren, daß hier der Eindruck erweckt wird, als hätte ich Ihnen unberechtigterweise das Wort nicht erteilt.

Zeuge Reichskanzler von Papen: Darauf kann ich noch zurückkommen. Wenn ich nun zunächst kurz die Frage des Stenogramms erledigen darf: nach meiner Auffassung haben Sie den Satz „Wir stimmen ab“ erst gesprochen, als ich den Arm erhob und das Wort erbat. Darauf haben Sie mit einer abwehrenden Bewegung geantwortet.

Präsident Göring: Das geht ja aus der Platte klar hervor!

Zeuge Reichskanzler von Papen: Meine Worte sind wahrscheinlich nicht darauf, weil ich mit dem Rücken zum Mikrophon sprach.

Präsident Göring: Dann darf ich meine Frage anders formulieren. Halten Sie, Herr Reichskanzler, es technisch für möglich – wir können es ja vielleicht einmal probieren –, daß Sie in dem Augenblick als ich die Worte sagte:

„Nachdem sich vorhin kein Widerspruch gegen die neue Tagesordnung geltend gemacht hat, kommen wir jetzt zur Abstimmung über die Anträge Torgler. Wir stimmen ab.“,

daß Sie in diesem Augenblick aufsprangen und sagten: Ich melde mich zum Wort! und daß ich das verstanden haben sollte?

Zeuge Reichskanzler von Papen: Das zweite weiß ich nicht. Aber ich bin aufgestanden und habe mich zu diesem Zeitpunkt zum Wort gemeldet.

Präsident Göring: Sie haben ja da unten gestanden, und ich habe dort oben gesessen. Aber sind Sie nicht der Meinung, daß, wenn Sie gesagt hätten: Ich melde mich zum Wort! oder: Ich bitte um das Wort!, die nächstsitzenden Abgeordneten oder die direkt links sitzenden Stenographen das gehört haben müßten?

Zeuge Reichskanzler von Papen: Die Stenographen sitzen unten.

Präsident Göring: Aber müßten nicht die unterhalb der Regierungsbank sitzenden Abgeordneten das unter allen Umständen gehört haben? Ich komme immer wieder darauf, weil der eine Zeuge sich auf die Behauptung versteift, er habe sogar an Ihrer Mundbewegung festgestellt, daß Sie die Worte „amtliche Verlautbarung“ oder so etwas ähnliches gesagt hätten.

Zeuge Reichskanzler von Papen: Ich habe schon ausgesagt, daß ich nicht „amtlich“ gesagt habe. Ich habe nur gesagt: Ich melde mich zum Wort! oder Ich[675] bitte ums Wort! Die genaue Fassung kann ich nicht mehr angeben. Aber in dem Moment, in dem Sie feststellten, daß Sie jetzt zur Abstimmung über die Anträge Torgler schreiten würden, und zwar nachdem Sie gesagt hatten: „Nachdem sich kein Widerspruch erhebt,“ war mir klar, daß Sie nicht nur über den formalen Antrag Torgler auf Änderung der Tagesordnung abstimmen würden, sondern über den materiellen. Da habe ich mich sofort erhoben und zum Wort gemeldet.

Die letzte Frage darf ich so beantworten, Herr Präsident: Ich bin allerdings der Auffassung, daß, wenn Sie den Wunsch und den Willen gehabt hätten, die Regierung zum Wort kommen zu lassen, Sie anders hätten verfahren müssen, als Sie in der Tat verfahren sind.

(Sehr richtig! bei den Deutschnationalen.)

Nach allgemeiner Auffassung war durchaus die Möglichkeit dazu gegeben; denn ich stehe ja, wie Sie wissen, auf dem Standpunkt, daß Sie, nachdem Sie diesen Satz vor der Pause nicht zu Ende geführt hatten, nach Wiedereröffnung der Sitzung gezwungen waren, den formellen Antrag Torgler auf Änderung der Tagesordnung nochmals zur Debatte zu stellen, um festzustellen, ob sich ein Einspruch erhob. Dann wäre nämlich das eingetreten, was die Herren inzwischen verabredet hatten, nämlich die Einbringung des Antrags Leicht. Dann hätte die Debatte ihren ordnungsmäßigen Verlauf genommen, und damit hatte ich gerechnet.

Präsident Göring: Aber, Herr Reichskanzler, ich muß hier betonen, daß mir mittlerweile die absolut sichere Nachricht geworden war, daß Sie unter keinen Umständen die Abstimmung in diesen Tagen zulassen würden. Selbst wenn ich mich jetzt auf den Standpunkt stelle, daß Sie die Abstimmung nicht dulden würden, so nahm ich ja doch der Volksvertretung nach meiner Auffassung geradezu ein Recht fort, indem ich mich auf die Seite der Regierung stellte, während ich doch die Aufgabe habe, die Volksvertretung gegenüber der Regierung zu schützen.

Zeuge Reichskanzler von Papen: Herr Präsident, es ist doch in allen Parlamenten üblich – – –

Präsident Göring: Nein. Der Reichstagspräsident ist nicht Exponent der Regierung, sondern, wenn Sie so wollen, in gewissem Sinne sogar der Gegenspieler der Regierung, wenn die Regierung sich verfassungswidrige Übergriffe erlaubt.

Zeuge Reichskanzler von Papen: Gut, Herr Präsident. Aber die Erklärung des Chefs der Regierung ist kein Übergriff, und es ist in allen Parlamenten der Welt üblich, daß eine Regierung zum Wort gelassen wird, daß darauf eine Debatte entsteht und daß nach Abschluß dieser Debatte über die Anträge abgestimmt wird. Ich habe es aber noch nie erlebt – – –

Präsident Göring: Ich konnte aber keinen Zweifel haben, daß Sie unter allen Umständen den Reichstag auflösen wollten, um der Gefahr einer Abstimmung zu entgehen. Was verlangen Sie eigentlich vom Reichstag? Erst soll er Sie anhören, und dann wollen Sie ihn einfach nach Hause schicken!

Zeuge Reichskanzler von Papen: Da Sie genau wußten, daß ich auflösen würde, wenn das Mißtrauensvotum zur Abstimmung gestellt würde – das wußten Sie doch aus unseren Besprechungen – – –

[676] Präsident Göring: Das stand ja doch zur Debatte!

Zeuge Reichskanzler von Papen: Eben deswegen mußten Sie es doch verhindern, wenn Sie die Regierung zu Wort kommen lassen wollten.

Präsident Göring: Ich mußte dafür sorgen, daß das Parlament zu Wort kam und die Abstimmung durchgeführt wurde. Das Parlament ist in diesem Falle doch entscheidend gewesen, sonst wäre es doch überhaupt ein Spielball in der Hand der Regierung.

Vorsitzender: Das ist keine reine Tatsachenfeststellung mehr.

Herr Dr. Oberfohren wünscht noch das Wort.

Abgeordneter Dr. Oberfohren (DNV): Ich habe keine Frage an den Herrn Reichskanzler zu richten. Aber da mein Name hier wiederholt ins Gemenge gebracht worden ist, ist es vielleicht erlaubt, daß ich meine Auffassung über die Vorgänge, die der Auflösung des Reichstags vorausgingen, soweit ich daran beteiligt war, kurz mitteile.

(Zuruf von den Nationalsozialisten: Als Zeuge!)

Wenn Sie mich als Zeuge hören wollen, ist es mir ebenso lieb.

Also erstens, Herr Abgeordneter Dreher, werden im Ältestenrat keine Beschlüsse gefaßt, sondern der Ältestenrat ist eine weder in der Geschäftsordnung noch in der Verfassung begründete Einrichtung, die der Überlegung dient über den äußeren Verlauf der Reichstagstagungen. Hochpolitische Abmachungen weden im Ältestenrat nicht getroffen.

Im übrigen habe ich Widerspruch dagegen angekündigt, daß eine Veränderung der Tagesordnung im Sinne einer Neuaufsetzung vollzogen würde, und zwar ausgehend von einer Mitteilung oder Erwägung des Herrn Reichstagspräsidenten, man könne doch eigentlich durch den Reichstag und seine Mehrheitsparteien die Erklärung des Reichskanzlers nicht unwidersprochen am nächsten Morgen durch die Presse gehen lassen; man schlage vor, hinterher noch einige gegnerische Parteien reden zu lassen.

(Widerspruch des Reichstagspräsidenten Göring.)

– Verzeihung, so ist es gewesen. Darauf habe ich gesagt: Dem widerspreche ich; denn derartige Absichten billige ich nicht.

(Erneuter Widerspruch von den Nationalsozialisten.)

– Jawohl, so ist es gewesen.

Dann ist noch einiges von Herrn Torgler angeführt worden, und darauf habe ich gerufen: Dem werde ich auch widersprechen. Ich habe es aber nicht nötig, derartige Bemerkungen als bindend anzusehen. In der Zielsetzung meiner Partei und meiner Person lag die Auflösung des Reichstags. Die habe ich erreicht, und wenn die Herren Nationalsozialisten mir dabei dienlich gewesen sind, dann ist das ihre Sache.

Abgeordneter Dr. Pfleger (BV): Ich wollte den Herrn Reichskanzler fragen: Nach dem Augenschein, den man nach der Sitzung in das Auflösungsdekret nehmen konnte, mußte man wohl zu der Überzeugung kommen, daß die Unterschrift des Herrn Reichspräsidenten bereits geraume Zeit vorher geschrieben worden war, während der Text des Auflösungsdekrets wohl erst während der Pause, die nach dem Antrag Dr. Frick eingelegt wurde, zur Ausfüllung gekommen ist. Nun ist in der letzten Sitzung vom Herrn Reichstagspräsidenten behauptet[677] worden, daß, als Sie das Dekret auf den Tisch des Präsidenten gelegt haben, der Textteil nach unten gelegen sei und der leere Teil oben. Ich will mich jetzt nicht über die rechtliche Tragweite und den rechtlichen Unterschied unterhalten; meines Erachtens liegt keiner vor. Aber ich möchte die Frage richten, ob Sie sich erinnern.

Zeuge Reichskanzler von Papen: Ich erinnere mich, Herr Abgeordneter, daß ich das Dekret mit der Aufschrift nach oben hingelegt habe.

(Reichstagspräsident Göring: Das bestreite ich!)

Das haben auch Tribünenbesucher oben gesehen und mitgeteilt; die Unterschrift des Herrn Reichspräsidenten, die bekanntlich immer sehr groß ist, hätte man auch von oben lesen können.

(Heiterkeit.)

Abgeordneter Dr. Pfleger (BV): Dann hätte ich die andere Frage hinsichtlich der Wortmeldung: Wenn das Dekret vorgelegen hat, dann lag es doch nahe – ich komme darauf zurück –, daß unter allen Umständen Ihrerseits die Wortmeldung gesichert worden wäre. Ich kann nur wiedergeben, was in den Kreisen der in der nächsten Nähe von mir sitzenden Abgeordneten gesprochen wurde, und da ging die Auffassung dahin, Sie hätten die Mappe mit dem Dekret zunächst zu den Herren Deutschnationalen und dann auf die Tribüne hinaufgezeigt; das wurde vielfach als eine Brüskierung der Reichstagsabgeordneten empfunden. Außerdem hat man gesagt: Gerade mit diesem Dekret-Hinhalten zu den Deutschnationalen usw. hätten Sie eigentlich versäumt – ich kann das aus meiner eigenen Beobachtung nicht sagen –, rechtzeitig die Worte des Herrn Reichstagspräsidenten zu hören: „Wir kommen jetzt zur Abstimmung“. Zu diesem, in meiner Nähe festgestellten Tatbestand, möchte ich Sie bitten, sich zu äußern.

Zeuge Reichskanzler von Papen: Ich habe ja schon festgestellt, Herr Abgeordneter, daß ich mich mit der Mappe in der Hand an meinen Tisch gesetzt habe und keinerlei Bewegungen zu irgendwelcher Partei gemacht habe.

(Unruhe.)

Präsident Göring: Ich möchte zunächst feststellen, daß im Ältestenrat der Herr Abgeordnete Dr. Oberfohren keine schwungvollen Reden gehalten hat, daß er dem absolut widerspreche; sondern er hat dagesessen und nur einmal gesagt: „In Ihrem Interesse, meine Herren, würde ich Ihnen nicht empfehlen, daß Sie das unternehmen, denn dann würde der Reichstag aufgelöst werden“. Zweitens täuschen Sie sich: Nicht ich habe gesagt, man könnte die Rede des Reichskanzlers nicht unwidersprochen hinausgehen lassen, sondern das ist von Herrn Dr. Frick gesagt worden.

(Widerspruch des Abgeordneten Dr. Oberfohren.)

– Nein, Sie täuschen sich. Sie täuschen sich auch darin: Sie haben zum Schluß ganz unabhängig von allem gesagt: „Ich jedenfalls werde den Anträgen Torgler widersprechen.“

(Abgeordneter Dr. Oberfohren: Von Torgler ist gar keine Rede gewesen!)

Jawohl, doch!

Was das Dekret angeht, – –

(Abgeordneter Dr. Oberfohren: Nun ist aber doch aufgelöst worden! Was machen Sie denn nun?)

[678] Was das Dekret angeht, so ist das Dekret – von dem Herrn Reichskanzler vielleicht in der Meinung: nach oben – tatsächlich aber mit der weißen Seite nach oben mit zitternder Hand hingeschoben worden.

(Lachen bei den Deutschnationalen.)

– Jawohl! Darüber bitte ich doch Zeugen zu vernehmen, die das bekunden können!

Wenn Sie erklären, man habe das von der Tribüne gesehen, – jawohl, in der Presse hat gestanden, man habe das Dekret von oben liegen sehen, der Reichsadler habe ordentlich geleuchtet! Sie wissen wohl selbst, was das für ein Dekret war und inwieweit ein Reichsadler darauf war oder andere Dinge.

Abgeordneter Torgler (KP): Eine letzte Frage an den Herrn Reichskanzler, die er vorhin nicht beantwortet hat! Der Vertagungsantrag Frick ist ja von der Regierung als eine Hilfe aus der Verlegenheit empfunden worden. Was hätte nun der Herr Reichskanzler getan, wenn dieser Vertagungsantrag nicht gekommen wäre, wenn unsere Anträge sofort zur Abstimmung gekommen wären? Hätte dann der Herr Reichskanzler auch erklärt: Die Notverordnung ist nicht aufgehoben, und die Regierung ist nicht gestürzt? Das ist immerhin eine wichtige Frage, die zu der Feststellung des Tatbestandes in der Sitzung vom 12. September gehört.

Vorsitzender: Wünschen Sie sich dazu zu äußern? (Wird verneint.)

Der Herr Reichskanzler sagt, daß er diese Frage nicht beantworten könne.

(Zuruf von den Kommunisten: Kann sie nicht beantworten? Das glauben wir!)

Abgeordneter Schmidt (Hannover) (DNV): Nur zur Aufklärung von Widersprüchen! Der Herr Reichstagspräsident hat erklärt, er bestreite die Ausführungen des Herrn Reichskanzlers. Er hat von der zitternden Hand gesprochen – von uns hat das keiner bemerkt – und dann erklärt, er bestreite, daß der Herr Reichskanzler das Auflösungsdekret mit der Schrift nach oben hingereicht hätte. An anderer Stelle aber hat der Herr Reichstagspräsident Göring gesagt, daß er sogar erkannt habe, daß das Dekret mit zweierlei Tinte geschrieben war.

(Präsident Göring: Hinterher, Menschenskind!)

– Sie sind von einer entwaffnenden Liebenswürdigkeit.

(Präsident Göring: Sie werden mich noch ganz anders kennen lernen!)

Ich frage nun, ob der Herr Reichskanzler diesen Widerspruch – es ist ja nicht der einzige auf diesem Gebiet – aufklären kann.

[…]

Vorsitzender: Damit ist die Zeugenvernehmung beendet.

Wir werden jetzt den Herrn Reichsminister des Innern bitten. Ich danke Ihnen, Herr Reichskanzler!

(Der Reichskanzler erhebt sich und verläßt den Saal. – Zurufe von den Nationalsozialisten: Deutschnationale aufstehen! – Gegenrufe von den Deutschnationalen: Nazis, umdrehen! Nazi erwache!)

Abgeordneter Dr. Frank II (NSDAP): Ich stelle den Antrag, den Zeugen Harnisch nachträglich über seine Aussage zu beeidigen. Es haben sich durch die Erklärungen des Reichskanzlers von Papen so außergewöhnliche Widersprüche herausgestellt, daß die Vereidigung notwendig erscheint.

Vorsitzender: Wir werden über den Antrag nachher entscheiden. Aber da[679] noch mehr Zeugen zu vernehmen sind, werde ich den Antrag – um so mehr, als ich nicht weiß, ob der Zeuge Harnisch überhaupt anwesend ist – nachher dem Ausschuß unterbreiten.

Vernehmung des Reichsministers des Innern Freiherr von Gayl.

Vorsitzender: Herr Minister, der Ausschuß zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung hat Sie als Zeugen geladen über die Vorgänge im Reichstag am 12. September.

Dem Ausschuß ist der Zeuge nach Namen, Alter und Stand bekannt. Die Beeidigung ist ausgesetzt.

Es handelt sich darum, ob die Beschlüsse des Reichstags an jenem Tage noch rechtsgültig sind; Sie kennen ja die Streitfrage, und die Entscheidung wird davon abhängig gemacht, zu welcher Zeit die Wortmeldung des Reichskanzlers und die Übergabe des Dokuments erfolgt ist. Können Sie etwas darüber aussagen?

Zeuge Reichsminister des Innern Freiherr von Gayl: Meine persönlichen Wahrnehmungen an dem Tage gehen dahin, daß in dem Augenblick, in dem seitens des Herrn Reichstagspräsidenten das Wort fiel „Wir kommen nunmehr zur Abstimmung“ – das war im Zusammenhang mit den ersten Worten nach der Wiedereröffnung der Sitzung, als der Reichstagspräsident sagte: „Da sich gegen den Antrag Torgler kein Widerspruch erhoben hat, so schreiten wir nunmehr zur Abstimmung“ –, als er das Wort Abstimmung aussprach, sah ich, daß sich der Herr Reichskanzler erhob und sich zum Wort meldete. Ob er in dem Augenblick etwas gesagt hat, habe ich nicht beobachten oder hören können. Als sich daraufhin der Präsident nach links drehte und von dieser Wortmeldung anscheinend keine Notiz nahm, sah ich, daß sich der Herr Staatssekretär Planck erhob und in der Richtung auf den Herrn Reichstagspräsidenten etwas sagte. Dann meldete sich der Herr Reichskanzler noch einmal zum Wort und sagte dabei, soweit ich das von meinem Platz aus im Augenblick habe hören können, dem Sinne nach nochmals: „Ich bitte um das Wort!“. Das vollzog sich alles in wenigen Sekunden. Ich saß etwas seitwärts und konnte andere Beobachtungen von dort aus nicht machen. Aber jedenfalls habe ich aus der Verhandlung den Eindruck mitgenommen, daß der Herr Reichskanzler sich persönlich zweimal zum Wort gemeldet hat und zwischendurch der Herr Staatssekretär Planck auch noch einmal die Wortmeldung zu übermitteln versucht hat.

Vorsitzender: Und unmittelbar darauf erfolgte die Übergabe der Urkunde?

Zeuge Reichsminister des Innern Freiherr von Gayl: Und als daraufhin das Wort nicht erteilt wurde, trat der Herr Reichskanzler zwei Schritte, da er sich vorher von seinem Platz etwas entfernt hatte, wieder an seinen Platz zurück, nahm die Mappe, nahm das Blatt heraus und legte es dem Herrn Reichstagspräsidenten auf den Tisch. Auf meine Frage: „Wollen Sie sich noch einmal zum Wort melden?“ sagte er: „Sie sehen ja, das geht nicht mehr, ich bekomme das Wort nicht.“ Und damit legte er die Mappe hin.

Präsident Göring: Herr Minister, Sie haben genau gehört, als ich sagte: „Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die Anträge Torgler.“ Haben Sie[680] auch gehört, daß ich im selben Atemzuge – wie es das Protokoll und die Grammophonplatte festgelegt haben – gesagt habe: „Wir stimmen ab!“?

Vorsitzender: Das hat wohl der Herr Minister schon bejaht.

Zeuge Reichsminister des Innern Freiherr von Gayl: Darauf möchte ich antworten, daß ich in den Ohren nur habe die Worte des Herrn Reichstagspräsidenten: „Wir kommen nunmehr zur Abstimmung“ und daß dann die Wortmeldung des Herrn Reichskanzlers und die eben geschilderten Dinge folgten.

Präsident Göring: Haben Sie beobachtet, daß in dem Augenblick, wo ich das Wort „Abstimmung“ gesprochen habe, der Herr Reichsaußenminister den Herrn Reichskanzler angestoßen hat?

Zeuge Reichsminister des Innern Freiherr von Gayl: Nein, das habe ich nicht bemerkt. Ich selber wollte aufspringen, um zum Reichskanzler zu gehen, blieb aber an dem Schlüssel, der an dem Pulte war, einen Augenblick hängen und riß mir dabei den Rock auf. Das hat einige Sekunden Verzögerung gegeben. In dem Augenblick war ich noch anderweitig in Anspruch genommen.

Präsident Göring: Sie sagten, Sie hätten gesehen, wie sich der Herr Reichskanzler erhoben hatte und sich zum Wort meldete. Sie konnten aber nicht hören, was er gesagt hat – das erste Mal!

(Zustimmung.)

Dann, sagten Sie, hätten Sie beobachtet, wie ich ihm das Wort nicht gegeben habe und wie darauf der Herr Staatssekretär Planck aufgestanden und zu mir hingekommen ist.

(Erneute Zustimmung.)

Das dauerte doch aber eine ganze Zeit! Denn ich habe eine Photographie, auf der man ausdrücklich sehen kann, wie der Herr Reichskanzler bereits steht und sich etwas erstaunt umsieht und wie der Herr Staatssekretär der Reichskanzlei mit von mir abgewandtem Rücken auf den Reichskanzler fixierend hinstiert. Es war also eine ziemliche Zeit vergangen, bevor er zu mir gekommen ist. Als sich nun der Herr Reichskanzler zum zweiten Male zum Wort meldete – sagten Sie eben –, konnten Sie nicht genau hören, was der Reichskanzler sagte, aber dem Sinne nach hätte er gesagt, er bäte ums Wort. Darf ich um die Aufklärung bitten: Was soll das heißen „dem Sinne nach“? Was haben Sie tatsächlich gehört?

Zeuge Reichsminister des Innern Freiherr von Gayl: Deutlich gehört habe ich das Wort „Wort“. Darauf legte der Reichskanzler den Hauptakzent. Was er vorher gesagt hat, habe ich nicht deutlich verstehen können.

Vorsitzender: Wird sonst noch eine Frage an den Herrn Minister gerichtet?

Abgeordneter Torgler (KP): Der Herr Minister ist sozusagen Verfassungsminister. Nun hat sich der Herr Reichskanzler, Ihr Herr Vorzeuge, vorhin wiederholt auf die verfassungsrechtlichen Bestimmungen berufen. Ich möchte eine Frage, die ich schon an den Herrn Reichskanzler gestellt habe, auch an den Herrn Verfassungsminister richten: Ist der Herr Reichsinnenminister, der Reichsverfassungsminister, der Meinung, daß die Tatsache, daß die Reichsregierung den Reichstag auflösen wollte, bevor der Reichstag von seinem ihm nach der Verfassung zustehenden Rechte, nämlich der Regierung das Mißtrauen auszusprechen und eine Notverordnung, die auf Grund des Artikels 48 Abs. 2 erlassen[681] ist, aufzuheben, Gebrauch gemacht hat, mit den verfassungsrechtlichen Bestimmungen irgendwie in Einklang zu bringen ist?

Zeuge Reichsminister des Innern Freiherr von Gayl: Jawohl!

(Bewegung.)

Ich brauche wohl nichts weiter dazuzusetzen.

(Abgeordneter Torgler: Wie?)

Vorsitzender: Der Herr Minister beantwortet die Frage mit Ja.

(Abgeordneter Torgler: Er sagt „Ja“? Hm!)

Die Zeugenvernehmung ist geschlossen. Ich danke Ihnen, Herr Minister.

Ich bitte, Herrn Staatssekretär Planck zu holen.

Vernehmung des Staatssekretärs der Reichskanzlei Planck.

Vorsitzender: Herr Staatssekretär, der 1. Ausschuß des Reichstags hat Sie als Zeuge geladen. Ihre Personalien sind bekannt, die Vereidigung ist ausgesetzt.

Sie kennen den Gegenstand der Untersuchung: die Vorkommnisse im Reichstag am 12. September, die Wortmeldung des Herrn Reichskanzlers, die Übergabe des Auflösungsdekrets. Es ist strittig, um welche Zeit sich der Herr Reichskanzler gemeldet hat. Es soll geklärt werden, um welche Zeit Sie seine Meldung unterstützt haben, um welche Zeit er die Urkunde übergeben hat. Wollen Sie bitte mal aussagen, was Sie von diesen Vorkommnissen wissen, Herr Staatssekretär!

Zeuge Staatssekretär Planck: Als der Herr Reichstagspräsident nach der Wiedereröffnung der Sitzung die Worte, die auch nach meiner Erinnerung so gefallen sind, sagte: „Nachdem sich vorhin kein Widerspruch gegen die neue Tagesordnung geltend gemacht hat, kommen wir jetzt zur Abstimmung über die Anträge Torgler,“ war ich zuerst überrascht, daß nicht die Änderung der Tagesordnung zuerst ausdrücklich festgestellt wurde.

(Zuruf von den Deutschnationalen: Sehr richtig!)

Ich hatte das erwartet. Während ich mir das noch überlegte, sah ich, wie sich der Herr Reichskanzler durch Erheben des Armes und Aufstehen und durch die Worte „Ich bitte um das Wort“ zum Worte meldete. Nach meiner bestimmten Erinnerung machte der Herr Reichstagspräsident eine abwehrende Handbewegung und wendete sich nach der linken Seite des Hauses, von wo wohl von Herrn Abgeordneten Torgler gefragt wurde „namentlich“. Ich bin darauf aufgesprungen und bin zum Herrn Reichstagspräsidenten hingetreten und habe ihm gesagt: „Der Herr Reichskanzler hat sich zum Wort gemeldet!“ Darauf hat der Herr Reichstagspräsident meiner Erinnerung nach geantwortet: „Wir stimmen ab!“ oder: „Wir sind in der Abstimmung!“ Der Herr Reichskanzler hat sich dann sofort wieder zum Wort gemeldet, noch einmal von seinem Platz aus, ohne daß der Herr Reichstagspräsident ihm Gehör gab. Der Herr Reichskanzler hat sich dann nach meiner Erinnerung gleich mit der Auflösungsurkunde zum Sitz des Herrn Präsidenten begeben und die Auflösungsurkunde hingelegt. Darauf verließen die Mitglieder der Regierung den Saal. Das ist meine Erinnerung von der Sache.

[682] Präsident Göring: Ich möchte einige Fragen an Sie stellen, Herr Staatssekretär. Sie haben also gehört, wie ich gesagt habe: „Wir kommen zur Abstimmung über die Anträge Torgler.“

(Zustimmung des Zeugen Staatssekretär Planck.)

Nun setzte bei Ihnen der Gedankengang ein, warum ich eigentlich nicht eine Abstimmung vorgenommen hätte.

Zeuge Staatssekretär Planck: Warum Sie nicht ausdrücklich, Herr Präsident, festgestellt haben, daß die Tagesordnung geändert war. Denn die war ja noch gar nicht geändert.

Präsident Göring: Gut, das ist eine Sache für sich. Gut! Sie überlegen das, und nun sehen Sie, wie sich der Herr Reichskanzler erhebt und zum Wort meldet. Glauben Sie nun – ich muß das auch Sie wieder fragen –, daß in der Pause, die ich gemacht habe zwischen den Worten „Wir kommen zur Abstimmung über die Anträge Torgler“ und „Wir stimmen ab,“ daß Ihnen in dieser Pause die eben erwähnte Überlegung gekommen ist, daß in dieser Pause soviel Zeit war, daß der Reichskanzler aufgestanden ist, sich zum Worte gemeldet und gesagt hat: „Ich bitte um das Wort“ und daß ich dann erst gesagt habe: „Wir stimmen ab“?

Zeuge Staatssekretär Planck: Ja, das glaube ich; denn wir waren ja darauf vorbereitet.

Präsident Göring: Glauben Sie das, wenn Ihnen die Grammophonplatte vorgeführt wird und diese einwandfrei angibt, daß zwischen meinen Worten „Wir kommen zur Abstimmung über die Anträge Torgler“ und „Wir stimmen ab“ auch nicht der Bruchteil einer Sekunde Pause gewesen ist?

Zeuge Staatssekretär Planck: Das braucht gar keine Pause gewesen zu sein. Das Wort „Abstimmung“ war schon das Signal für den Herrn Reichskanzler, sich zum Wort zu melden.

(Zuruf von den Deutschnationalen: Sehr richtig!)

Präsident Göring: Wenn ich sage „Wir stimmen ab“, so ist damit der Abstimmungsvorgang eingeleitet gewesen, und es ist ja doch nach meiner Auffassung praktisch gar nicht möglich, wenn ich sage „Wir kommen zur Abstimmung über die Anträge Torgler. Wir stimmen ab,“ daß in dem Augenblick zwischen den beiden Sätzen der Reichskanzler aufsteht und noch einen ganzen Satz dazwischen werfen soll, einen Satz vor meinen Worten „Wir stimmen ab.“

Zeuge Staatssekretär Planck: Es geht sehr schnell, den Arm zu heben.

Präsident Göring: Aber es geht noch schneller, zu sagen: „Wir kommen zur Abstimmung über die Anträge Torgler. Wir stimmen ab.“ Ich meine, die Pause zwischen den beiden Sätzen ist zu kurz. Und da wollen Sie sagen, daß der Reichskanzler blitzartig aufgestanden ist und gesagt hat „Ich bitte um das Wort“? Ist Ihnen die Photographie bekannt, wo Sie noch weiter sitzen, mit dem Rücken zu mir gewandt, und auf den Reichskanzler starren und den Reichskanzler, der die beiden Arme angezogen hat, stehen sehen?

Zeuge Staatssekretär Planck: Da waren Sie schon nach links gewendet.

Präsident Göring: Jawohl, da kam der kommunistische Zuruf „Namentliche Abstimmung!“

Zeuge Staatssekretär Planck: Ich habe die bestimmte Erinnerung, daß Sie[683] sich erst nach links wendeten, als sich der Reichskanzler zum Wort gemeldet hatte.

(Zuruf von Deutschnationalen: Hört! Hört!)

Präsident Göring: Ich hatte es gar nicht nötig, den Reichskanzler zu ignorieren. Nachdem ich gesagt hatte „Wir stimmen ab“, da hätte er sich zehnmal zum Worte melden können.

Zeuge Staatssekretär Planck: So weit war es aber noch nicht.

Präsident Göring: Halten Sie es für möglich, daß entgegen dem Protokoll und der Wachsplatte zwischen den Worten: „Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Anträge Torgler“ und den Worten „Wir stimmen ab“ eine Pause entstanden ist, in der praktisch der Herr Reichskanzler hätte aufstehen und sagen können „Ich bitte um das Wort“?

Zeuge Staatssekretär Planck: Ich bin sogar überzeugt davon, daß es so gewesen ist, allerdings auch ohne Pause; denn es genügte das Wort „Abstimmung“. Daß die Worte des Herrn Reichskanzlers nicht auf der Wachsplatte sind, erklärt sich wohl daraus, daß er ja mit dem Rücken gegen das Plenum gesprochen hat.

Präsident Göring: Wissen Sie, daß meine Worte von dem Mikrophon des Herrn Reichskanzlers aufgenommen worden sind? Mein Mikrophon war nämlich abgestellt.

Zeuge Staatssekretär Planck: Das ist durchaus möglich, aber Sie haben nach vorn gesprochen.

Präsident Göring: Das Mikrophon des Reichskanzlers stand rechts neben ihm, und warum sind ausgerechnet, während Worte und Geräusche, die ganz abseits waren, gehört worden sind, die Worte des Reichskanzlers nicht auf der Platte? Ich habe hier gleich noch eine Frage an Sie zu richten: Ist Ihnen bekannt, Herr Staatssekretär, daß von der Reichskanzlei aus an die Behörde, die die Platten hergestellt hat, der Wunsch ergangen ist, daß die Platten vernichtet werden sollten, bevor sie hier vorgeführt wurden?

(Hört! Hört! bei den Nationalsozialisten.)

Zeuge Staatssekretär Planck: Das ist mir nicht bekannt; das halte ich auch für ganz unmöglich.

Präsident Göring: Weiter habe ich noch die eine Frage: Sie haben also genau gehört, wie der Herr Reichskanzler gesagt hat: Ich bitte um das Wort?

Zeuge Staatssekretär Planck: Ja, das habe ich genau gehört.

Präsident Göring: Wie erklären Sie sich dann, daß kein anderer außer Ihnen, weder ein Abgeordneter noch ein Schriftführer,

(Zuruf)

– selbst nicht der Reichsinnenminister, der dem Reichskanzler doch näher gesessen hat, gehört hat, was der Herr Reichskanzler gesagt hat, daß nur Sie es so ausgezeichnet gehört haben, obwohl Sie unter mir saßen, die Schallwellen aber nach oben gingen?

Zeuge Staatssekretär Planck: Ich habe es klar hören können, weil ich in diesem Augenblick den Herrn Reichskanzler und die Vorgänge mit besonders gespannter Aufmerksamkeit verfolgt habe.

Abgeordneter Dr. Frank II (NSDAP): Ich wundere mich nicht, daß der Herr[684] Zeuge nach links schaute. Sie sagten ja auch selbst, daß Sie gehört haben, wie der Abgeordnete Torgler gesagt hat: „Namentlich Herr Präsident!“ Sie mußten dann doch nach links schauen!

Zeuge Staatssekretär Planck: Ich erinnere mich bestimmt, Herr Abgeordneter, daß Herr Präsident Göring bei der ersten Wortmeldung des Herrn Reichskanzlers eine abwehrende Handbewegung gemacht hat.

(Zuruf. – Präsident Göring: Wann habe ich die Handbewegung gemacht?)

– Bei der ersten Wortmeldung!

Präsident Göring: Sie haben ja noch unten gesessen. Sie können doch nicht um die Ecke sehen, Herr Staatssekretär!

(Große Heiterkeit)

Zeuge Staatssekretär Planck: Ich habe es genau gesehen.

Präsident Göring: Dann beantrage ich einen Lokaltermin abzuhalten, dergestalt, daß jemand gemäß der Photographie den Platz des Herrn Staatssekretärs einnimmt und ein anderer sich auf meinen Platz stellt, um festzustellen, ob es möglich ist, daß der unten Sitzende sehen kann, welche Handbewegung der oben Stehende macht.

Vorsitzender: Auch über diesen Beweisantrag werden wir später entscheiden müssen.

Abgeordneter Schmidt (Hannover) (DNV): Ich möchte an den Herrn Staatssekretär einige Fragen richten. Er hat hier die Frage der Änderung der Tagesordnung – oder vielmehr Nichtänderung der Tagesordnung – kritisiert; nach meiner Meinung mit Recht. Er hat also erwartet, daß der Mißtrauensantrag des Abgeordneten Torgler noch besonders auf die Tagesordnung gesetzt werden würde. Ich möchte ihn fragen, ob wir mit dem Verlauf der Dinge mit ihm in folgender Weise konform gehen: Der Abgeordnete Torgler hatte zu Beginn der Sitzung die Umstellung der Tagesordnung beantragt, und zwar lagen zwei Anträge vor, als erster Punkt die Abstimmung über die Anträge 118 und 119, als zweiter Punkt Mißtrauensantrag Nr. 44. Dieser Mißtrauensantrag ist vom Herrn Reichstagspräsidenten erst nachher erwähnt worden, nachdem er erklärt hatte: „Wir stimmen ab“ und weiter: „Die Abstimmung hat begonnen“. Wie vorhin schon behandelt ist, ist dann diese neue Fragestellung in die Abstimmungshandlung hineingekommen. Nun stellt sich uns die Sache so dar – und ich möchte den Herrn Staatssekretär fragen, ob sie sich ihm in gleicher Weise dargestellt hat –: Der Präsident nimmt das Mißtrauensvotum jetzt auf; erst jetzt wird also der Mißtrauensantrag überhaupt erwähnt. Da er gemäß dem Antrag Torgler als zweiter Punkt auf die Tagesordnung kommen sollte, hätte nach der Wiedereröffnung der Sitzung – ich glaube, Sie da richtig verstanden zu haben – unbedingt vom Präsidenten die Zustimmung des Hauses darüber herbeigeführt werden müssen, ob a) der erste und zweite Punkt der Tagesordnung miteinander verbunden werden sollen und b) ob über die Anträge Nr. 118 und 119 und Nr. 44, den Mißtrauensantrag, gemeinsam abgestimmt werden soll. Ein dahingehender Antrag ist nicht gestellt worden. Damit berechtigt sich Ihre Frage, warum die Änderung der Tagesordnung nicht vorgenommen ist. Damit wäre aber auch für den Herrn Reichskanzler, wenn hier richtig nach dem Geschäftsgang[685] verfahren wäre, Zeit gewesen, sich früher zu melden, so daß diese ganzen Debatten überflüssig geworden wären.

Zeuge Staatssekretär Planck: Ich könnte dem nur zustimmen. Ich hatte gerade erwartet, daß dies der entscheidende Moment in der beginnenden Sitzung werden würde, die Feststellung nämlich, ob die Tagesordnung nun geändert sei oder nicht.

[…]

Abgeordneter Dr. Albrecht (Thüringen) (NSDAP): Ich möchte den Zeugen fragen, ob er bei seiner Ansicht von vorhin beharren will, daß nämlich der Herr Reichskanzler sich sofort gemeldet habe, als der Herr Reichstagspräsident das Wort „Abstimmung“ sagte: „Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Anträge Torgler. – Wir stimmen ab.“, daß sich also der Herr Reichskanzler, als beim erstenmal gesagt wurde: „Wir kommen jetzt zur Abstimmung“, gemeldet habe, wenn ich dem Herrn Zeugen folgendes sage: Es ist allseits beobachtet worden, daß der Herr Reichskanzler erst veranlaßt worden ist, sich von seinem Platze zu erheben, nachdem der Herr Reichsaußenminister ihn wiederholt angestoßen hat. Der Herr Reichsinnenminister hat das zwar nicht gesehen. Er hat eben erklärt, daß auch er zum Reichskanzler hätte hingehen wollen, um ihm Bescheid zu sagen, er müsse jetzt etwas unternehmen. Beim Herrn Reichsaußenminister wie auch beim Reichsinnenminister kann der Gedankengang: Jetzt muß der Reichskanzler etwas unternehmen! erst in dem Moment gekommen sein, als dazu gewissermaßen das Stichwort durch den Herrn Reichstagspräsidenten gegeben worden ist: „Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag Torgler. – Wir stimmen ab.“ Der Herr Reichsaußenminister hat also bei dem ersten Mal „Abstimmung“ den Gedanken gehabt: der Herr Reichskanzler tut ja gar nichts, er müßte jetzt doch etwas tun! Bei dem Herrn Reichsaußenminister kann dieser Gedankengang nicht in einer so kurzen Zeitspanne gekommen sein,

(Zuruf von den Deutschnationalen: Warum denn nicht?)

einer Zeitspanne, die zwischen den Worten: „Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag Torgler. – Wir stimmen ab“ liegt. Bis dahin kann der Außenminister sich nicht gesagt haben: der Reichskanzler tut nichts. Der Reichsinnenminister wollte aufspringen, hatte dabei aber das kleine Mißgeschick, daß er mit dem Rock am Schlüssel seines Pultes hängen geblieben ist und sich den Rock aufgerissen hat. Nach meiner Ansicht kann die Auffassung, die Sie geäußert haben, unmöglich zu Recht bestehen, daß der Herr Reichskanzler sich sofort bei dem Wort „Abstimmung“ erhoben und gemeldet hat.

Zeuge Staatssekretär Planck: Ich glaube mich zu erinnern, daß der Reichsaußenminister den Herrn Reichskanzler irgendwie gedrängt hat. Ich konnte das sehen. Ich glaube aber, daß das erst zu einem späteren Zeitpunkt war, nämlich entweder während oder kurz vor der zweiten Wortmeldung, die also stattfand, nachdem ich beim Herrn Reichstagspräsidenten für den Reichskanzler ums Wort gebeten hatte, oder es war im Zusammenhang mit der Übergabe der Auflösungsurkunde. Ich kann mich daran nicht mehr genau erinnern. Ich glaube mich aber zu erinnern, daß dieses Drängen des Herrn Außenministers zu einem späteren Zeitpunkt war. Vom Herrn Reichsinnenminister habe ich nichts gesehen.

Abgeordneter Dr. Goebbels (NSDAP): Der Zeuge spricht immer von einer[686] abwehrenden Handbewegung. Hat diese abwehrende Handbewegung auch zwischen den beiden Sätzen: „Wir kommen zur Abstimmung“ und „Wir stimmen ab“ stattgefunden, oder war der Satz „Wir stimmen ab“ schon ausgesprochen?

Zeuge Staatssekretär Planck: Dessen kann ich mich nicht entsinnen.

Abgeordneter Dr. Goebbels (NSDAP): Denn dann wäre es ja ganz natürlich gewesen. Dann mußte der Reichstagspräsident zu der Auffassung gekommen sein: wir sind in der Abstimmung und hätte recht gehabt, abzuwehren.

Abgeordneter Dr. Albrecht (Thüringen) (NSDAP): Herr Zeuge, der Herr Reichsinnenminister hat den Vorgang geschildert, daß er aufstehen wollte, um den Herrn Reichskanzler darauf aufmerksam zu machen, er müsse sich jetzt zum Wort melden, und gesagt, daß dieser Vorgang sofort geschehen sei, nämlich in dem Augenblick, als der Kanzler sich beim erstenmal zum Wort gemeldet hatte, also nicht, wie Sie es auslegen, zum zweitenmal, nachdem der Kanzler auf seinen Platz wieder zurückgegangen war. Denn der Reichsinnenminister sagte: Es war nicht mehr nötig, daß ich hinging; inzwischen ist der Kanzler aufgestanden! – Diese Verspätung ist also ganz bestimmt das erstemal gewesen.

Zeuge Staatssekretär Planck: Beim Reichsinnenminister mag es sein. Er ist an seinem Rock hängengeblieben, und infolgedessen hat er sich nicht erhoben.

Abgeordneter Dr. Albrecht (Thüringen) (NSDAP): Der Reichsinnenminister ist deshalb nicht mehr zum Reichskanzler gegangen, weil dieser inzwischen, durch den Reichsaußenminister veranlaßt, sich gemeldet hatte.

Zeuge Staatssekretär Planck: Das mit dem Reichsaußenminister war später.

Abgeordneter Torgler (KP): Der Reichskanzler hat uns vorhin etwas von Abmachungen erzählt, die zwischen ihm und dem Herrn Reichstagspräsidenten vier oder fünf Tage vor der Reichstagssitzung getroffen worden sind. Ist dem Herrn Staatssekretär davon etwas bekannt? Wenn ja, welcher Art waren diese Abmachungen? Erschienen sie ihm so bindend, daß er der Meinung war, daß in der Reichstagssitzung alles nach Wunsch und Willen der Regierung vonstatten gehen würde?

Zeuge Staatssekretär Planck: Ich habe der Unterredung des Herrn Reichskanzlers mit dem Herrn Präsidenten des Reichstags beigewohnt. Ich glaube, sie fand vier oder fünf Tage vor der Reichstagssitzung statt.

(Zuruf: Am 8. September!)

Präsident Göring: Das Datum muß noch festgestellt werden. Es war genau der Tag, als Sie den rumänischen Gesandten empfangen haben.

(Vorsitzender: Das wird sich nachträglich feststellen lassen!)

Zeuge Staatssekretär Planck: Wir führen in der Reichskanzlei über diese Unterredungen genau Tagebuch. Soweit die Reichstagssitzung in Frage kam, wurde dabei nach meiner Erinnerung zur Sprache gebracht, es sei der Regierung erwünscht, daß sie ihre Erklärung abgeben könne, und auch die Durchführung der anschließenden Debatte sei erwünscht. Ich erinnere mich, daß der Herr Reichstagspräsident gesagt hat, er werde für eine ruhige und ordnungsmäßige Durchführung der Debatte Sorge tragen. Ich glaube, das waren die einzigen Ausführungen, die sich darauf bezogen.

Präsident Göring: Der Herr Staatssekretär hat bereits gesagt, was ich sagen[687] wollte, daß ich meine Abmachung dahin getroffen habe, daß ich sagte, ich würde dafür sorgen, daß in keiner Weise Radau stattfinde.

Abgeordneter Dr. Goebbels (NSDAP): Ich habe noch zwei Fragen an den Herrn Zeugen. Erstens: Herr Staatssekretär, haben Sie festgestellt, mit welcher Seite das Auflösungsdekret auf den Tisch des Reichstagspräsidenten gelegt ist? War die Schrift nach oben oder nach unten, als es hingelegt wurde vom Reichskanzler?

Zeuge Staatssekretär Planck: Ich habe zu diesem Zeitpunkt gesessen, kann also nur sagen, wie es aussah, als der Herr Reichskanzler mit dem Dekret kam. Meiner Erinnerung nach hatte er es so in der Hand, daß die Schrift nach oben lag, und dann hat er es nach oben gehoben.

(Reichstagspräsident Göring: Können Sie das ganz genau sagen?)

– Ja, ich habe das Bild noch vor mir.

Abgeordneter Dr. Goebbels (NSDAP): Haben Sie irgendwie im Verlauf der Unterhaltung des Herrn Reichskanzlers mit dem Herrn Reichstagspräsidenten das Wort „amtlich“ aus dem Munde des Reichskanzlers gehört?

Zeuge Staatssekretär Planck: Nein!

[…]

Abgeordneter Torgler (KP): Waren denn die vom Herrn Reichstagspräsidenten mit dem Herrn Reichskanzler getroffenen Abmachungen so bindend und verpflichtend, daß der Reichskanzler nicht dafür sorgte, daß die Regierung schon zu Beginn, zur Eröffnung der Reichstagssitzung das Auflösungsdekret zur Stelle hatte? Zweite Frage: ist dieses Auflösungsdekret in der Pause herbeigeholt worden, die mit gütiger Hilfe des Herrn Frick zustandegekommen ist, oder aber ist in dieser Pause das Auflösungsdekret erst ausgefüllt worden? War es eine Blankovollmacht, oder was kann uns der Herr Zeuge über diese Tatsache mitteilen? Wir haben schon einiges vom Herrn Reichskanzler gehört, wir wollen aber auch von dem Herrn Staatssekretär Näheres darüber wissen.

Vorsitzender: Über die frühere Zeugenaussage bitte ich dem gegenwärtigen Zeugen keine Mitteilungen zu machen. Deshalb bleiben nämlich die Zeugen, die noch nicht vernommen sind, draußen.

Abgeordneter Torgler (KP): Ich habe mich wohl gehütet, solche Suggestivfragen zu stellen, wie es Herr Schmidt (Hannover) vorhin getan hat.

Zeuge Staatssekretär Planck: Zur zweiten Frage kann ich nur sagen, daß ich darauf nichts erwidern kann, weil das Reichskabinett nicht die Aussagegenehmigung über diese Vorgänge gegeben hat.

(Hört! Hört!)

Zur ersten Frage möchte ich nur sagen: ich hatte aus dem Verlauf der Sitzung des Ältestenrats den bestimmten Eindruck gewonnen, daß eine Änderung der Tagesordnung im Sinne der Anträge des Herrn Abgeordneten Torgler mehreren Parteien nicht angenehm sein würde.

Präsident Göring: Sie sagten eben, Herr Staatssekretär, Sie hätten aus dem Ältestenrat den Eindruck gewonnen. Darf ich fragen, wodurch Sie den Eindruck gewonnen haben, daß die Tagesordnung nicht geändert würde.

Zeuge Staatssekretär Planck: Ich weiß im Augenblick nicht, ob ich ermächtigt bin, über die Vorgänge im Ältestenrat etwas mitzuteilen.

[688] (Vorsitzender: Das hat keine Bedenken, Herr Staatssekretär.)

Es war von eigentlich allen Parteien des Ältestenrats mit Ausnahme der Herren Kommunisten dem Wunsch Ausdruck gegeben worden, daß auf jeden Fall nicht nur die Regierungserklärung abgegeben werden, sondern auch die Debatte vor sich gehen könne. Ich erinnere an die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Frick, der besonders Wert darauf legte.

Präsident Göring: Ich frage ja: haben Sie nicht den Eindruck gewonnen, daß im Ältestenrat direkt gesagt worden ist, es würde ein Widerspruch erfolgen, wenn die Anträge vom Abgeordneten Torgler gestellt würden.

Zeuge Staatssekretär Planck: Nach meiner Erinnerung wurde von verschiedener Seite der Wunsch geäußert oder die Erwartung ausgesprochen, daß ein Widerspruch erhoben werde.

(Lachen bei den Deutschnationalen.)

Präsident Göring: Verzeihung, können Sie mir dann sagen, von welcher Seite und in welcher Form das gesagt wurde? Ein Abgeordneter hat dann doch nach Ihren Ausführungen gesagt: Ich erwarte, daß von irgendeinem der Herren oder irgendeiner der Parteien ein Widerspruch erhoben würde.

Zeuge Staatssekretär Planck: Ich glaube, das hat der Abgeordnete Torgler gesagt.

(Stürmische Heiterkeit.)

– Ich war noch nicht ganz fertig. Es war – darin kann ich mich aber irren – auch von irgendeiner Seite – –

(Zuruf: Nennen Sie doch die Seite; Sie kennen sie doch ganz genau!)

– Nein, ich weiß es nicht genau.

(Zurufe. – Der Vorsitzende bittet um Ruhe.)

Ich glaube, es wurde von irgendeiner Seite gesagt, es würde wohl der Abgeordnete Oberfohren sein, der Widerspruch erhöbe. Ich glaube mich aber zu erinnern, daß der Abgeordnete Oberfohren sich dazu nicht geäußert hat.

Abgeordneter Dr. Oberfohren (DNV): Nein, der Herr Abgeordnete Oberfohren hat gesagt: Das ist ein ganz gefährlicher Antrag! und hat sogar eine Warnung ausgestoßen, die die Herrschaften nicht mal erfaßt haben.

(Hört! Hört!)

Präsident Göring: Sie haben nicht gesagt zum Schluß: Ich meinerseits werde Widerspruch erheben?

Abgeordneter Dr. Oberfohren (DNV): Nein, ich habe sogar gesagt: Dann muß ich in Ihrem Interesse Widerspruch erheben.

(Abgeordneter Ersing: Das ist nicht wahr!)

– Das sind Gespräche über den Tisch gewesen.

Vorsitzender: Das können wir ja auch nicht bei dieser Zeugenvernehmung klären. Darüber müssen wir uns nachher unterhalten.

(Abgeordneter Dr. Oberfohren: Laden Sie mich doch als Zeugen!)

Abgeordneter Dr. Hoegner (SPD): Zunächst möchte ich zu der Sache noch sagen, daß Herr Torgler auch im Plenum des Reichstags erklärt hat: wir, die Kommunisten, erwarten auch diesen Widerspruch!

(Zurufe!)

– Er ist im Ältestenrat schon angekündigt worden.

[689] Ich habe aber eine andere Frage an den Herrn Zeugen. Am 16. Oktober 1919 ist im Reichstag ein Beschluß gefaßt worden – ich sage das nur, weil wir jetzt schon die zweite Zeugnisverweigerung haben –:

Die Regierung wird ersucht, zu veranlassen, daß sämtliche von den Untersuchungsausschüssen zu vernehmenden jetzigen und früheren Beamten von der Pflicht zur Amtsverschwiegenheit entbunden werden16.

Damals wurde von der Reichsregierung die Erklärung abgegeben, daß sie mit diesem Antrag einverstanden sei. Ich frage nun: ist der Herr Zeuge der Auffassung, daß sich diese Bindung der damaligen Reichsregierung nicht auf spätere Reichsregierungen bezieht?

(Zuruf: Das war eine ganz andere Verhandlungslage!)

Vorsitzender: Es waren die Untersuchungsausschüsse, die der Reichstag damals eingesetzt hatte.

Zeuge Staatssekretär Planck: Ich kann nur sagen, daß die gegenwärtige Reichsregierung jedenfalls die Aussagegenehmigung nicht erteilt hat.

Abgeordneter Dr. Hoegner (SPD): Ich habe noch eine weitere Frage. Ich hatte den Eindruck, daß der Herr Reichskanzler, nachdem er wiederholt versucht hatte, zu Worte zu kommen, zunächst ratlos war und daß ihm ein Herr der Reichsregierung den Rat gegeben hat, das Schriftstück dann kurzerhand zuzustellen und dadurch die Auflösung des Reichstags herbeizuführen. Ist dem Herrn Zeugen etwas davon bekannt, daß etwa der Herr Reichsaußenminister – ich glaube, er war es – diesen guten Rat gegeben hat?

Zeuge Staatssekretär Planck: Das habe ich nicht so genau beobachten können. Ich habe nur beobachten können, daß der Herr Reichsaußenminister zu einem mir nicht mehr ganz erinnerlichen Zeitpunkt den Herrn Reichskanzler irgendwie gedrängt oder mit ihm gesprochen hat. Ich war aber zu weit ab von der eigentlichen Regierungsbank, weil ich, unter dem Herrn Reichstagspräsidenten sitzend, das nicht genau verfolgen konnte.

Abgeordneter Dr. Hoegner (SPD): Später haben Sie davon nichts gehört?

Zeuge Staatssekretär Planck: Nein!

Abgeordneter Dr. Frank II (NSDAP): Haben Sie nicht mit dem Herrn Reichskanzler später über diese Vorfälle Rücksprache genommen? Es wurde doch eine ungefähre Sachdarstellung gemeinschaftlich festgelegt!

Zeuge Staatssekretär Planck: Ich bin hier nur nach meinen eigenen Erinnerungen gefragt worden und kann nur diese mitteilen.

Abgeordneter Dr. Frank II (NSDAP): Wer hat Sie damals danach gefragt?

Vorsitzender: Der Ausschuß.

Präsident Göring: Sie sagten eben, Sie saßen zu weit ab, um das verfolgen zu können, was der Reichsaußenminister mit dem Reichskanzler besprach und behandelte. Es ist die gleiche Entfernung, auf der Sie vorhin als einziger die Worte des Herrn Reichskanzlers: „Ich melde mich zum Wort“ gehört haben. Wenn Sie also da so hervorragend fein gehört haben, was nicht einmal die Platte, obwohl das Mikrophon doch daneben stand, aufgenommen hat, warum haben Sie denn das zweitemal bei der gleichen Entfernung nichts feststellen können?

[690] Zeuge Staatssekretär Planck: Die Erklärung dafür ist, daß Herr von Neurath schon deshalb seine Bemerkungen, die er dem Herrn Reichskanzler gemacht hat, nicht so laut gemacht hat, weil er wohl nicht wollte, daß sie vom Herrn Reichstagspräsidenten gehört würden.

(Sehr gut! und Heiterkeit.)

Vorsitzender: Weitere Fragen sind nicht mehr zu stellen. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.

Nun ist als nächster Zeuge Herr Abgeordneter Dreher genannt.

(Abgeordneter Dreher tritt als Zeuge vor.)

Vernehmung des Zeugen Abgeordneten Dreher.

Herr Abgeordneter Dreher, was wissen Sie zu diesen Vorkommnissen auszusagen?

Zeuge Abgeordneter Dreher (NSDAP): Ich darf eines feststellen: nachdem die zweite Sitzung begonnen hatte, habe ich mich an meinem Platz befunden, der ungefähr zwei bis zweieinhalb Meter von dem des Herrn Reichskanzlers abliegt. Ich habe mich sofort von meinem Sitze erhoben und habe die ganze Sache stehend beobachtet. Ich habe besonders mein Augenmerk auf den Herrn Reichskanzler gerichtet gehabt. Es war mir immerhin interessant, weil der Herr Reichskanzler ja noch wenige Wochen vorher in ganz Deutschland unbekannt war, da wollte ich ihn mir doch näher anschauen. Im selben Augenblick – die Sitzung war eröffnet, der Herr Reichstagspräsident erklärte: wir stimmen ab – im selben Augenblick saß der Herr Reichskanzler noch. In der gleichen Zeit hatte sich Herr von Neurath zu ihm etwas hinübergewandt und sprach auf ihn ein. Ich habe selber den Eindruck gewonnen, daß, wenn der Herr Reichskanzler auflösen will, wie allgemein im Hause bekannt war, er es jetzt tun müsse, sonst könnte er etwas zu spät kommen. Der Herr Staatssekretär Planck saß an der rechten Seite des Rednerpults, vom Präsidentensitz aus gesehen, und schaute nach vorn. Erst nachdem die Worte des Herrn Torgler „namentlich, Herr Präsident!“ gefallen waren, erhob sich der Herr Reichskanzler – das war ein Moment – und hob die Hand hoch. Ich habe weder das Wort gehört: „Ich melde mich zum Wort!“, noch habe ich irgendwie gesehen, daß er eine Wortmeldung mit den Lippen aussprach. Der Herr Reichstagspräsident hatte sich in dem Augenblick nach links zu den Kommunisten gewandt, und in demselben Augenblick ist der Herr Staatssekretär Planck aufgestanden und ist dann zum Reichstagspräsidenten hingegangen und hat da etwas hinaufgeredet, was ich natürlich nicht verstehen konnte. Inzwischen hatte sich der Herr Reichskanzler wiederum gesetzt. Der Herr Staatssekretär Planck hat sich wieder auf seinen Platz begeben. Inzwischen hat der Herr Reichskanzler sich noch einmal erhoben, und, wie er wieder das Wort nicht bekam, weil nach meiner Auffassung wir in der Abstimmung waren, ist er hinübergegangen mit dem Dekret und hat es dort auf den Platz gelegt.

Ich habe die Vorgänge ganz genau beobachtet und ganz genau in Erinnerung. Das Wort war gefallen: „Namentlich!“ Erst dann hat sich der Reichskanzler erhoben, denn er ist erst, nachdem der Reichstagspräsident erklärt hatte:[691] „Wir kommen zur Abstimmung, wir stimmen ab,“ von dem neben ihm sitzenden Herrn von Neurath aufmerksam gemacht worden. Ihm war im Augenblick nicht klar, was vor sich geht. Den Eindruck habe ich gewonnen von seinem Aussehen.

Vorsitzender: Der Ausschuß hat die Zeugenaussage gehört. Werden Fragen gewünscht?

Abgeordneter Dr. Frank II (NSDAP): Haben Sie die rote Mappe gesehen?

Zeuge Abgeordneter Dreher (NSDAP): Als der Reichskanzler kam, nahm er kurz die Mappe, schaute nach oben und schmiß sie wieder hin.

Vorsitzender: Weitere Fragen werden nicht gewünscht. Ich danke.

Als nächster Zeuge käme Herr Dr. Hanfstengl. Wird Wert auf seine Vernehmung gelegt?

(Wird bejaht.)

Vernehmung des Zeugen Dr. Hanfstengl.

Der Zeuge gibt zur Person an: Ich heiße mit Vornamen Ernst, bin 45 Jahre alt, wohne in München, Pienzenauerstr. 50, bin von Beruf Pressechef bei Hitler.

Vorsitzender: Haben Sie selber den Vorkommnissen im Reichstag beigewohnt?

(Zeuge Dr. Hanfstengl: Ja!)

Es ist strittig, zu welcher Zeit der Herr Reichskanzler sich gemeldet hat, zu welcher Zeit er die Urkunde übergeben hat. Wollen Sie einmal Ihren Eindruck, den Sie gewonnen haben, uns mitteilen.

Zeuge Dr. Hanfstengl: Der Eindruck ist doch ziemlich eindeutig der, daß die zweite Hälfte dieser Reichstagssitzung in einem ziemlichen Tempo anging, weil es gleich am Anfang jedem klar war, daß eine Abstimmung beabsichtigt und eine solche im Gange war. Dann habe ich allerdings gesehen, wie sich die Herren der Regierung, die sich notabene hingesetzt hatten, wieder erhoben haben. Ich habe das nicht verstehen können, denn im Grunde genommen habe ich doch mit dem Hinsetzen die Idee verknüpft, daß z. B. der Herr Reichskanzler von Papen zuzuhören beabsichtigen würde. Dann haben sich alle erhoben, damit war aber schon die Situation da, wo die Urnen herumgetragen wurden. Das habe ich deutlich von der Galerie gesehen. Das ist ein Akt, also eine Abstimmung, die für jeden harmlosen Zuschauer erkennbar ist.

Vorsitzender: Die Hauptsache war doch – das scheinen Sie nicht genau beobachtet zu haben –, zu welcher Zeit der Herr Reichskanzler sich gemeldet hat.

Zeuge Dr. Hanfstengl: Ich muß sagen, ich habe das eigentlich nicht als eine Meldung empfunden.

Vorsitzender: Was haben Sie gesehen?

Zeuge Dr. Hanfstengl: Eine Meldung ist doch damit verknüpft, daß ich spreche.

Vorsitzender: Das haben Sie nicht gehört?

Zeuge Dr. Hanfstengl: Das habe ich weder gehört noch beobachtet.

Vorsitzender: Aber Sie haben gesehen, daß der Herr Reichskanzler aufstand?

[692] Zeuge Dr. Hanfstengl: O ja, ich habe schon gesehen, daß er sich erhob.

Präsident Göring: Ich möchte den Zeugen fragen. Ich habe nach dem Protokoll bei Beginn der zweiten Sitzung folgendes gesagt: „Nachdem sich vorhin kein Widerspruch gegen die neue Tagesordnung geltend gemacht hat, kommen wir jetzt zur Abstimmung über die Anträge Torgler. Wir stimmen ab.“ Ich habe diesen Komplex in einem Satze gesagt. Jetzt kommt es darauf an, ob der Zeuge beobachtet hat, daß, während ich noch sprach, also ungefähr mitten in diesem Satz und bereits also gleich zu Anfang bei den ersten Worten, der Herr Reichskanzler sich erhoben und gesagt hat: Ich bitte ums Wort. Haben Sie da irgend etwas beobachtet?

Zeuge Dr. Hanfstengl: Durchaus nicht. Das war sicher nicht zu beobachten.

Präsident Göring: Hat er sich später erhoben?

Zeuge Dr. Hanfstengl: Erhoben hat er sich natürlich, wie er fortgegangen ist.

(Heiterkeit.)

Präsident Göring: Haben Sie gehört, daß der Reichskanzler etwas gesagt hat?

Zeuge Dr. Hanfstengl: Gehört habe ich kein Wort.

Präsident Göring: Haben Sie gesehen, daß er sich gemeldet hat, nur daß Sie nichts hören konnten?

Zeuge Dr. Hanfstengl: Nein.

Präsident Göring: Haben Sie beobachtet, daß der Reichskanzler von einem seiner Minister angestoßen worden ist?

Zeuge Dr. Hanfstengl: Das kann ich wohl nicht sagen.

Präsident Göring: Haben Sie beobachtet, wie der Reichskanzler das Dekret auf meinen Tisch gelegt hat, ob die Schrift nach oben war oder ob eine weiße Seite nach oben war?

Zeuge Dr. Hanfstengl: Ich bin nicht entfernt auf diese Sache gekommen. Ich habe nur gewöhnliche Augen. Ich bin überzeugt, da müßte schon ein Matador oben sitzen mit scharfen Augen, der so etwas sehen könnte.

(Heiterkeit. – Zuruf von den Sozialdemokraten: Das ist der Kronzeuge!)

Vorsitzender: Weitere Fragen werden nicht gewünscht.

Der nächste Zeuge ist Herr Sekretär Schaub.

Vernehmung des Zeugen Schaub.

Der Zeuge gibt zur Person an: Ich heiße mit Vornamen Julius, bin 34½ Jahre alt, wohne in München, Braystraße, bin von Beruf Privatkanzleisekretär.

Vorsitzender: Sie waren an dem Tage im Reichstag? Auf der Journalistentribüne?

Zeuge Schaub: Ich war auf der Publikumstribüne gegenüber vom Präsidenten.

Vorsitzender: Welchen Eindruck hatten Sie über die Wortmeldung und von den einzelnen Vorkommnissen?

Zeuge Schaub: In der zweiten Sitzung kam Herr Präsident Göring herein. Vorher murrten schon die Kommunisten, weil sie ein oder zwei Minuten warten mußten. Es waren verschiedene Zwischenrufe. Herr Präsident Göring kam[693] herein, die Minister waren noch nicht da. Herr Präsident Göring wartete eine Zeitlang, darauf kam der Kanzler, der Herr Minister von Neurath und eine Anzahl anderer Herren. Was mich gewundert hat, war, daß der Reichskanzler sofort seinen Platz eingenommen hat, obwohl er die bekannte rote Mappe in der Hand hatte.

(Vorsitzender: Die haben Sie gesehen?)

Ja. Ich habe auch zu meinem Nebenmann noch gesagt: also es wird doch aufgelöst. Er nahm Platz und wartete. Göring hat dann die Sitzung eröffnet, es spielte sich ziemlich rasch alles ab, sozusagen in ein paar Minuten. Ich habe nicht gesehen, daß sich der Reichskanzler zum Wort gemeldet hat, und zwar möchte ich das somit begründen: Göring eröffnete die Sitzung, stellte den Antrag zur Abstimmung, und dann stand erst der Reichskanzler auf. Warum er aufgestanden ist, war mir nicht klar.

(Vorsitzender: Nicht erkennbar?)

Nein. Jedenfalls ist er aufgestanden, nachdem bereits die Abstimmungsschalen herumgetragen wurden. Die Abstimmung hatte schon begonnen, das kann ich jederzeit unter Eid aussagen.

Vorsitzender: Sie haben jedenfalls um die Zeit erst gesehen, daß er sich erhoben hatte?

Zeuge Schaub: Ja.

Präsident Göring: Haben Sie, Herr Zeuge, gesehen oder gehört, daß der Herr Reichskanzler irgend etwas gesagt hat?

Zeuge Schaub: Es wurde laut das Wort „namentlich“ geschrieen, ich glaube von Herrn Torgler, jedenfalls auf der rechten Seite von mir aus. Ich habe jedenfalls von dieser Richtung das Wort „namentlich“ gehört und zugleich auch von der Ministerbank das Wort „namentlich“.

Präsident Göring: Sie haben das Wort „namentlich“ gehört sowohl von der kommunistischen Seite wie auch von da oben?

(Zustimmung des Zeugen.)

Abgeordneter Dr. Goebbels (NSDAP): Haben Sie beobachtet, daß der Reichskanzler, als er den Saal betrat, ostentativ seine rote Mappe gezeigt und zur Tribüne gewinkt hat?

Zeuge Schaub: Jawohl. Er kam so mit der Mappe herein, nahm sie so, daß sie dem ganzen Publikum und der Tribüne sichtbar war, legte sie auf den Tisch, und dann hat er irgendein Blatt daraufgelegt.

Vorsitzender: Haben Sie gesehen, daß der Herr Reichskanzler direkt nach oben gewinkt hat mit der Mappe?

Zeuge Schaub: Daß er nach oben gewinkt hat, kann ich nicht sagen. Er hat die Mappe nicht hingelegt wie man gewöhnlich ein Aktenstück hinlegt, sondern auffällig, mit einer richtigen Handbewegung.

Vorsitzender: Weitere Fragen werden nicht gewünscht. Ich danke Ihnen.

Herr Oberinspektor Probst!

Vernehmung des Zeugen Probst.

Der Zeuge gibt zur Person an: Ich heiße mit Vornamen Ludwig, bin 47 Jahre alt, Ministerialobersekretär in München, Obermenzing.

[694] Auf die Frage des Vorsitzenden nach seinem Eindruck über die fraglichen Vorkommnisse erklärt

Zeuge Probst: Mir ist vor allem etwas aufgefallen bei Wiederbeginn der Sitzung. Da habe ich zu einem Nachbar, der neben mir stand, eine Bemerkung gemacht, die dahin lautete: mir scheint, die Reichsregierung bleibt weg, weil, während der Reichstagspräsident Göring das Glockenzeichen gegeben und zu sprechen begonnen hatte, die Plätze noch leer waren. Der Reichstagspräsident Göring hat dann gesprochen: „Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist wieder eröffnet. Nachdem sich gegen die Anträge des Herrn Torgler kein Widerspruch erhoben hat, beginnen wir mit der Abstimmung.“ Ich habe dann, während das gesprochen wurde, gesehen, daß die Reichsregierung den Sitzungssaal wieder betreten hatte und Platz genommen hatte, und dann sah ich, nachdem das bereits vorüber war und der Herr Reichstagspräsident Göring weitergesprochen hat – man kann ziemlich viel Sätze in kurzer Zeit sprechen – auf einmal, daß der Herr Reichskanzler von Papen aufstand und seinen Finger erhob. Ich bemerkte – das ist mir aufgefallen –, daß das nicht beobachtet wurde, und der Reichskanzler von Papen hat dann über die Treppe hinweg – über den Zwischenraum – zu einem Herrn hinübergesprochen – ich kenne den Herrn nicht, ich habe gehört, es sei der Staatssekretär Planck gewesen –, und dann setzte er sich wieder auf seinen Platz. Und dann stand Herr Staatssekretär Planck auf und machte sich bemerkbar zu Herrn Reichstagspräsidenten Göring. Das war aber schon ziemlich spät. Ich habe wieder zu meinem Nachbar, der neben mir stand – ich hatte einen Stehplatz oben – gesagt: Herr von Papen meldet sich aber sehr spät zum Wort. Ich habe diesen Eindruck gehabt. Ich war das erstemal in einem Parlament, ich war noch nie in einer Sitzung. Ich habe den Eindruck gehabt, daß es sehr spät war, und ich war der Meinung, er hätte sich ebenso rechtzeitig zum Wort melden können und sich auf dieselbe Weise bemerkbar machen können, wie es vorher der Herr Abgeordnete Torgler und der Herr Vorsitzende getan hatten.

Ich habe, als die Sitzung vorüber war – für mich war das ja alles etwas Neues – eine Karte an meine Frau geschrieben, und zwar unmittelbar, nachdem ich den Sitzungsaal verlassen hatte. Ich habe diese Karte mitgebracht, es war der unmittelbare Eindruck von mir. Hier steht:

Reichstag, Wandelhalle, 4 Uhr 20. Wir kommen soeben aus der Sitzung, in der mit Riesenmehrheit ein Mißtrauensvotum gegen Herrn von Papen ausgesprochen wurde. Herr von Papen war selbst schuld, daß es soweit kam, weil er sich zu spät zum Wort meldete. Habe den Vorgang ganz genau beobachtet, alles hochinteressant und unvergeßlich.

Und dann kommt ein Gruß an meine Frau. Das ist für mich als Laie der Eindruck gewesen. Ich wußte nicht, daß ich einmal als Zeuge in dieser Sache auftreten würde. Das war damals meine persönliche Auffassung von dem Verlauf der Sitzung.

Vorsitzender: Ich glaube, die Aussage ist sehr klar. – Werden Fragen an den Zeugen gewünscht.

Abgeordneter Dr. Frank II (NSDAP): Wesentlich ist, daß Sie genau wissen, daß der Herr Reichstagspräsident bereits die Abstimmung eröffnet hatte. Und[695] nun sagten Sie, daß während dieser ersten Ausführungen des Reichstagspräsidenten die Reichsregierung erst den Saal betrat.

Zeuge Probst: Jawohl. Herr Reichstagspräsident hatte das Glockenzeichen gegeben. Die ersten Sätze waren: „Meine Damen und Herren!“ Da war die Reichsregierung noch nicht im Saal und noch nicht auf ihren Plätzen.

Abgeordneter Dr. Frank II (NSDAP): Also die Reichsregierung setzte sich erst, meinen Sie, nachdem schon das erstemal die Worte „Wir kommen zur Abstimmung“ seitens des Herrn Reichstagspräsidenten gesprochen waren?

Zeuge Probst: Nein, die Regierung ist in den Saal gekommen, als Reichstagspräsident Göring sprach: „Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist wieder eröffnet. Nachdem sich gegen den Antrag des Herrn Torgler kein Widerspruch erhoben hat, kommen wir zur Abstimmung.“ Während dieses gesprochen wurde, im Verlauf dieser Sätze, ist erst die Reichsregierung mit Herrn von Papen hereingekommen.

Abgeordneter Dr. Goebbels (NSDAP): Es scheint, daß der Zeuge sehr scharf die Dinge als Neuling beobachtet hat. Vielleicht kann er auch auf folgende Frage Antwort geben. Haben Sie beobachtet, Herr Zeuge, daß, als der Herr Reichskanzler den Saal betrat – er hatte ja, wie Sie gesehen haben, die rote Mappe in der Hand – irgendwie zur Tribüne hinaufgewinkt hat?

Zeuge Probst: Von der Mappe habe ich nichts gesehen. Ich sage, ich bin ein Neuling. Ich wußte nicht, daß hier etwas Besonderes vorgehen sollte. Der Reichskanzler hat eine Handbewegung gemacht, ob zu mir oder nach der Mitte, das weiß ich nicht.

(Heiterkeit.)

Ich sage, ich bin das erstemal in einem Parlament gewesen. Mir war die Sache etwas Neues.

Vorsitzender: Sie hatten die Meinung, der Reichskanzler winkt mit der Hand oder mit der Mappe, oder haben Sie das nicht bestimmt in Erinnerung?

Zeuge Probst: So bestimmt, daß ich darüber eine Aussage machen könnte, nicht. Aber das, was ich angegeben habe, was ich verlesen habe, war mein Eindruck als Laie, als ich den Sitzungssaal verließ.

Abgeordneter Dr. Frank II (NSDAP): Sie hätten es anders gemacht!

(Heiterkeit.)

Sagen Sie eines: wie war das oben auf der Regierungsbank? Einige Zeugen haben gesehen, daß der Herr Reichskanzler erst auf Drängen seiner Ministerkollegen vorwärts trat. Haben Sie das gesehen?

Zeuge Probst: Ich kannte die Herren nicht, ich habe vorher nicht einmal Bilder von ihnen gesehen. Ich habe nur gesehen, daß der Herr neben dem Reichskanzler ziemlich nahe in Tuchfühlung bei ihm saß, mehr nicht. Ich weiß auch nicht, wer der Herr war.

Abgeordneter Dr. Frank II (NSDAP): Haben Sie beobachtet, daß der Reichstagspräsident dauernd nach links schaute?

Zeuge Probst: Das war das Gespräch, das ich mit meinen Bekannten, die mit mir im Reichstag oben auf der Tribüne waren, hatte. Herr Reichstagspräsident Göring konnte unmöglich den Reichskanzler von Papen überhaupt sehen. Denn erstens ist der Platz ganz bedeutend erhöht, und der Reichskanzler von[696] Papen war rechts drüben, während der Reichstagspräsident Göring durch den andauernden Lärm der Kommunisten gezwungen war, immer nach links zu sehen. Das habe ich beobachtet. Für mich stand es fest, daß es für den Reichstagspräsidenten Göring unmöglich war, daß er den Herrn Reichskanzler gesehen hat. Ich habe darüber auch gleich, als ich aus dem Reichstag herausging, gesprochen. Ich habe ja hintennach alles gehört, wie die Vorgänge gewesen sein sollen. Ich möchte auch ausdrücklich bemerken: ich gehöre keiner Partei an, ich bin Beamter und habe nicht nachträglich meine Informationen aus der Münchener Presse geholt, denn ich war noch einige Tage in Berlin. Es ist ja meine Pflicht, daß ich die Sache ganz objektiv schildere, wie sie für mich tatsächlich gewesen ist.

Vorsitzender: Ich danke Ihnen. Es werden weitere Fragen nicht gewünscht.

Herr Walter Oehme!

Vernehmung des Zeugen Oehme.

Der Zeuge gibt zur Person an: Ich heiße mit Vornamen Walter, bin Journalist, 40 Jahre alt, wohne Hoffmann-von-Fallersleben-Platz 1.

Auf die Frage des Vorsitzenden über seinen Eindruck von den fraglichen Vorgängen erklärt

Zeuge Oehme: Ich glaube, es ist ziemlich schwierig, sich heute nach den vielen Aussagen, die man gehört und gelesen hat, die Vorgänge zu rekonstruieren. Ich habe deshalb meine ursprüngliche Darstellung der Situation, die in dem Augenblick telephoniert worden ist, in dem die Sache sich ereignet hat, hier mitgebracht. Ich darf die Sätze verlesen.

(Der Zeuge verliest aus der Zeitung „Telegraf“ vom 12. September 1932:)

Als nach mehr als 40 Minuten die Sitzung wieder eröffnet wurde, mußte der Präsident feststellen, daß der kommunistische Antrag nunmehr als erster Punkt auf der Tagesordnung stünde und daß er jetzt zur Abstimmung schreite. Der außerordentlich geschickte Abgeordnete Torgler, der einen der größten parlamentarischen Siege errungen hatte, verlangte plötzlich namentliche Abstimmung. Der Reichskanzler war leichenblaß im Sitzungssaal erschienen und hatte in der Hand die rote Mappe, in der er das Auflösungsdekret barg. Jetzt sah er die Gefahr und versuchte sich von seinem Platz zu erheben und bat ums Wort. Der Reichstagspräsident verweigerte ihm jedoch das Wort mit der Begründung, daß es zu spät sei, denn man befände sich mitten in der Abstimmung. Der Reichskanzler war darüber außerordentlich erschrocken und wußte zunächst nicht, was hier zu tun sei. Da eilte der Minister von Gayl auf ihn zu, sprach ein paar Minuten mit ihm, dann entnahm der Reichskanzler von Papen ganz aufgeregt und zitternd der Mappe das Auflösungsdekret und überreichte es dem Reichstagspräsidenten. Nachdem der Reichskanzler das Auflösungsdekret dem Präsidenten überreicht hat, winkt er sämtlichen Ministern zu, die sich von den Plätzen erheben und fluchtartig den Saal verlassen unter dem höhnischen Gelächter der Kommunisten und eines Teiles der Sozialdemokraten. Ungeheure Erregung tobt durch das Haus. Reichstagspräsident Göring fährt jedoch in aller Ruhe in der Abstimmung fort.

[697] Vorsitzender: Wünscht jemand im Anschluß an diese Darstellung eine Frage zu stellen?

Präsident Göring: Herr Zeuge, darf ich fragen: wo haben Sie selber auf der Pressetribüne gesessen?

Zeuge Oehme: Ich habe gestanden und zwar in der zweiten Reihe auf der seitlichen Tribüne.

Präsident Göring: Hatten Sie von da einen genauen Überblick sowohl auf den Präsidentenplatz wie auf die Ministerbank?

Zeuge Oehme: Ich habe mich ausdrücklich, weil mir von vornherein klar war, daß die Situation interessant würde, so hingestellt, daß ich sowohl den Reichskanzler als auch den Präsidenten sehen konnte.

Präsident Göring: Erinnern Sie sich, daß ich die Sitzung eröffnete und feststellte, daß gegen den Antrag Torgler sich kein Widerspruch erhoben habe und daß ich deshalb die Anträge Torgler abstimmen lassen müßte, und daß ich in dem Atemzuge feststellte: Wir stimmen ab?

(Zeuge Oehme: Jawohl.)

Welchen Eindruck hatten Sie nun: In welchem Augenblick hat sich der Reichskanzler von seinem Sitz erhoben, während ich noch sprach oder nachdem ich diese ersten Sätze gesprochen hatte?

Zeuge Oehme: Der Kanzler hat sich nach meinem Eindruck ziemlich zögernd und langsam erhoben; nach meinem Eindruck in dem Augenblick etwa, in welchem der Satz gefallen war: Wir kommen also jetzt zur Abstimmung. Nach diesem Wort „Abstimmung“ erhob sich zögernd der Kanzler, und darauf fiel von dem Abgeordneten Torgler der Zuruf: „Namentliche Abstimmung.“

Präsident Göring: Also nachdem ich geendet hatte.

(Zeuge Oehme: Jawohl!)

Das ist mir wichtig.

Dann eine zweite Frage! Sie sagten, der Reichskanzler habe sich zögernd erhoben. Haben Sie beobachtet, daß der Reichskanzler durch den Reichsaußenminister irgendwie aufmerksam gemacht wurde, etwas zu unternehmen?

Zeuge Oehme: Ich habe gesehen, daß vorher zwischen den Herren auf der Regierungsbank gesprochen wurde. In welcher Form, das läßt sich von oben schwer erkennen.

Präsident Göring: Hat der Reichskanzler gleich in demselben Augenblick, als er sich erhoben hat, gesprochen?

Zeuge Oehme: Nein, sprechen hören konnte man ihn oben überhaupt nicht. Ich habe aber auch keine Mundbewegung gesehen. Eine solche Aussage ist aber vielleicht nicht ganz zuverlässig.

Präsident Göring: Ist Ihnen zuverlässig noch im Bewußtsein die Haltung des Staatssekretärs Planck?

Zeuge Oehme: Ja, das weiß ich zufällig, weil ich mich gewundert habe; ich habe ursprünglich geglaubt, daß der Herr Staatssekretär Planck die Wortmeldung des Kanzlers vorbereitet hätte, da ich aus früheren Situationen wußte, daß sie im allgemeinen auf diesem Wege erfolgt. Herr Staatssekretär Planck saß mit dem Rücken zum Rednerpult in dem Augenblick, mit dem Kopf nach dem Präsidentenstuhl gewandt, und ich nahm eigentlich an, daß er aufstehen würde. Er[698] blieb aber sitzen und sah nachher den Kanzler an, nachdem er sich erhoben hatte.

Präsident Göring: Haben Sie gesehen – ich nehme an, Sie haben mich auch gleichzeitig beobachtet –, daß der Herr Reichskanzler in dem Augenblick, als er sich zum erstenmal erhob, gesagt hat: ich bitte ums Wort! und daß ich daraufhin eine abwehrende Geste gemacht und ihm das Wort abgeschnitten hätte?

Zeuge Oehme: Ich muß sagen, daß ich diese Geste nicht gesehen habe. Aber das kann ich natürlich übersehen haben, weil ich in dem Augenblick den Kanzler beobachtet habe. Ich habe in dem Augenblick hingesehen, als der Präsident sich dem Abgeordneten Torgler zuwandte und erklärte: Selbstverständlich ist die Abstimmung namentlich!

Präsident Göring: Haben Sie dann noch beobachtet und gehört, daß der Herr Reichskanzler, als er sich, nachdem wir bereits in der Abstimmung waren, noch einmal zum Wort meldete, etwas sagte?

Zeuge Oehme: Es schien zum mindesten so, als ob er etwas sprach. Das war von oben deutlich zu sehen, zu hören war es aber natürlich nicht.

Präsident Göring: Das erstemal haben Sie das nicht gesehen?

Zeuge Oehme: Nein, das erstemal nicht. Beim zweitenmal aber konnte man deutlich sehen, daß der Kanzler etwas sprach.

Präsident Göring: Noch eine Schlußfrage: Haben Sie beobachtet, wie der Herr Reichskanzler an mein Pult herangetreten ist und das Dekret darauf gelegt hat?

Zeuge Oehme: Ja.

Präsident Göring: Und haben Sie da zufällig beobachtet, ob das Geschriebene nach oben war oder nicht?

Zeuge Oehme: Nein. Ich habe sehr gute Augen, aber das konnte ich nicht sehen.

Präsident Göring: Ihre Antwort ist mir interessant. Sie sind doch wiederholt oben auf der Pressetribüne?

Zeuge Oehme: Ja.

Präsident Göring: Halten Sie es überhaupt für möglich, von Ihrem Platze aus, von der Pressetribüne aus und bei der Beleuchtung, die da geherrscht hat, zu erkennen, ob, wenn mir an dieser Ecke (Handbewegung) ein Schreiben heraufgeschoben wird, die Schrift oder das Weiße oben ist?

Zeuge Oehme: Ohne ein Fernglas ist das nach meiner Auffassung ganz ausgeschlossen. Ich glaube, daß ich in bezug auf meine guten Augen mit jedem in Konkurrenz treten kann. Aber ohne Fernglas ist das ganz ausgeschlossen.

Vorsitzender: Weitere Fragen werden nicht gewünscht. – Ich danke Ihnen.

Herr Dr. Friedländer!

Vernehmung des Zeugen Dr. Friedländer.

Vorsitzender: Herr Dr. Friedländer! Wie aus der Vorladung hervorgeht, sind Sie vor den Reichstagsausschuß geladen, um über die Vorkommnisse im Reichstag am 12. September auszusagen. Sie heißen?

[699] Zeuge Dr. Friedländer: Dr. Paul Friedländer.

Vorsitzender: Sie sind im Beruf Redakteur?

Zeuge Dr. Friedländer: Ja.

Vorsitzender: Darf ich nach dem Alter fragen?

Zeuge Dr. Friedländer: 41 Jahre.

Vorsitzender: Und die Wohnung?

Zeuge Dr. Friedländer: Berlin-Schöneberg, Voßbergstr. 6.

Vorsitzender: Sie sind informiert, worum der Streit geht. Wollen Sie uns einmal Ihre Eindrücke, die Sie von der Tribüne des Reichsstags aus über die Vorkommnisse hatten, schildern!

Zeuge Dr. Friedländer: Es handelt sich wohl um den zweiten Teil dieser Sitzung?

Vorsitzender: Jawohl, um die Sitzung, in der die Auflösung erfolgt sein soll.

Zeuge Dr. Friedländer: Ich habe die Vorgänge von dem rechten Teil der mittleren Tribüne aus beobachtet, und zwar habe ich von vornherein Herrn von Papen, den Kanzler und den Reichstagspräsidenten ins Auge gefaßt, weil sie mir die Hauptpersonen des Schauspiels schienen. Herr von Papen kam herunter, hielt in der Hand, im Gegensatz zur ersten Sitzung, sein Manuskript und die rote Mappe. Ja, er fächelte sogar ein wenig mit der roten Mappe und warf sie dann etwas schwungvoll auf seinen Platz, was große Unruhe und auch Bewegung im Hause hervorrief.

In diesem selben Augenblick hat Präsident Göring die Sitzung eröffnet mit den Worten: „Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist wieder eröffnet!“ und gleich die Sätze angefügt: „Da sich gegen den Antrag Torgler oder gegen den Antrag auf Umänderung der Tagesordnung – das weiß ich nicht genau – kein Widerspruch erhoben hat, kommen wir zur Abstimmung“. Ich habe besonders Papen beobachtet, weil ich annahm, daß er, dank dem Vertagungsantrage Fricks, sich nun sofort zum Wort melden würde. Das hat er aber nicht getan, sondern er sah noch während dieses Satzes ins „Publikum“, also in die Reihen der Abgeordneten. Als dann Göring sagte: Wir stimmen ab! gab es ihm einen kleinen Ruck, und er wendete sich, noch sitzend, etwas zur Tribüne hin. Dann kam der Ruf Torglers: „Namentliche Abstimmung!“ Göring sah in die Richtung auf Torgler, Sie (zum Präsidenten gewandt) wiederholten: „Jawohl, namentliche Abstimmung!“

In diesem Augenblick erhob sich, nach meiner Erinnerung, der Kanzler. Papen stand erst noch einen Augenblick da – ich glaube, Göring sagte noch: Ruhe!, denn es war große Unruhe im Saal –, und dann gab er ein Zeichen mit der Hand, soweit man von oben sehen konnte.

Präsident Göring: Verzeichung, wer gab das Zeichen?

Zeuge Dr. Friedländer: Der Reichskanzler! Und zwar nachdem Sie schon gesagt hatten: Wir stimmen ab! und nachdem, meiner Erinnerung nach, schon der Vorgang der namentlichen Abstimmung festgestellt war. Dann haben Sie wohl, wenn ich nicht irre, Auskunft gegeben über den Modus der Abstimmung, d. h. was Ja und Nein ist, und in diesem Augenblick machte der Kanzler seine Anstrengungen, sich doch zur Geltung zu bringen. Es wurde dann noch darüber gesprochen, daß die Anträge verbunden werden sollten, und dann, glaube ich,[700] ging der Kanzler zum Tisch des Präsidenten und legte, etwas unwillig, die Auflösungsorder hin. Nach meiner Erinnerung hat der Präsident nur einen flüchtigen Blick darauf geworfen. Papen machte wieder kehrt und gab den Kollegen Ministern einen Wink mit der Hand. Diese standen dann auf und verließen einer nach dem anderen den Saal.

Präsident Göring: Herr Zeuge, Sie haben gesagt, daß Sie die Vorgänge sehr genau beobachtet haben.

Zeuge Dr. Friedländer: Soweit es den Präsidenten und Papen betraf.

Präsident Göring: Jawohl. Haben Sie beobachtet, daß der Herr Reichskanzler, als er sich zum erstenmal erhob, sehr rasch aufgestanden ist und sofort gesagt hat: Ich bitte ums Wort!?

Zeuge Dr. Friedländer: „Ich bitte ums Wort!“ hat man überhaupt nicht gehört, was an der Unruhe im Saal gelegen sein mag. Rasch hat er sich auch nicht erhoben, sondern eher zögernd. Die Handbewegung kam nach meiner Erinnerung auch nicht gleich, sondern er hat sich erst durch das Aufstehen – nach meinem Eindruck, nicht wahr – zur Geltung bringen wollen.

Präsident Göring: Haben Sie, nachdem Sie nichts gehört haben, vielleicht an der Mundbewegung gesehen, daß er sofort etwas gesagt hat?

Zeuge Dr. Friedländer: Eine Mundbewegung habe ich nicht gesehen. Ich habe nur eine Handbewegung gesehen.

Präsident Göring: Dann, Herr Zeuge: Haben Sie gesehen, daß ich, als der Kanzler aufstand, sich zu mir wandte und zu mir heraufrief: Ich bitte ums Wort!, ihm mit einer Handbewegung das Wort abgeschnitten hätte?

Zeuge Dr. Friedländer: Das habe ich auch nicht beobachtet. Ich habe eher bemerkt, daß Sie krampfhaft weggeschaut haben, d. h. den kommunistischen Abgeordneten zu.

Präsident Göring: Haben Sie weiter beobachten können, welche Stellung und Haltung der Staatssekretär einnahm?

Zeuge Dr. Friedländer: Nein, das habe ich nicht beobachtet. Ich habe den Eindruck gehabt – er ist doch ein sehr glatzköpfiger Herr –, daß er sich erst dann zur Geltung brachte, als Papen aufgestanden war. Da sah ich ihn etwas geschäftig dort umhergehen.

Präsident Göring: Nun habe ich noch eine Frage, die mich sehr interessiert. Sie sagten auch, der Herr Reichskanzler habe das Dekret unwirsch heraufgelegt. Ich hatte nämlich den Eindruck, daß seine Hand zitterte, als er mir das Dekret hinschob. Haben Sie zufällig auch sehen können, ob die Schrift oder ob die weiße Seite nach oben war?

Zeuge Dr. Friedländer: Das letztere konnte man von oben nicht sehen. Ob die Hand zitterte, weiß ich nicht. Aber sie muß irgendwie gezittert haben, denn schon als der Reichskanzler hereinkam und mit dem Dokument fächelte, fragte ich mich: ist das nun Nervosität oder Grazie?

(Heiterkeit.)

Präsident Göring: Herr Zeuge, waren Sie schon wiederholt auf der Pressetribüne?

Zeuge Dr. Friedländer: Ja, wiederholt.

Präsident Göring: Halten Sie es überhaupt für möglich – Sie kennen ja[701] wohl aus der Presse das photographierte Dokument und haben es wohl gesehen –, daß man mit bloßem Auge von der Pressetribüne erkennen kann, ob die Schrift nach oben war oder nicht?

Zeuge Dr. Friedländer: Ich halte das für ausgeschlossen, weil das Manuskript ja so fein geschrieben ist.

Präsident Göring: Danke.

Vorsitzender: Auch den Namen würden Sie nicht von oben erkennen?

Zeuge Dr. Friedländer: Nichts konnte man von oben sehen.

Vorsitzender: Weitere Fragen an den Zeugen werden nicht gewünscht. – Ich danke Ihnen.

Herr Abgeordneter Dr. Frank?

Abgeordneter Dr. Frank II (NSDAP): Ich wiederhole meinen Antrag von vorhin, daß der Zeuge Harnisch beeidigt wird.

Vorsitzender: Jawohl, wir haben ja noch eine ganze Reihe von Zeugen.

Herr Krabb!

Vernehmung des Zeugen Krabb.

Vorsitzender: Herr Krabb! Sie sind hier als Zeuge über die Vorkommnisse im Reichstag am 12. September vorgeschlagen worden. Ich stelle zuerst Ihre Personalien fest. Sie heißen?

Zeuge Krabb: Walter Krabb.

Vorsitzender: Wie alt?

Zeuge Krabb: 27.

Vorsitzender: Was für einen Beruf üben Sie aus?

Zeuge Krabb: Ungelernter Arbeiter.

Vorsitzender: Und wo wohnen Sie in Berlin?

Zeuge Krabb: Keplerstraße 9.

Vorsitzender: Herr Krabb! Sie haben sich an dem Tage auf der Tribüne des Reichstags befunden. Die Vorkommnisse sind Ihnen ja bekannt. Es ist ein Streit darüber entstanden, wann der Herr Reichskanzler sich zum Wort gemeldet hat und wie und zu welcher Zeit der Herr Präsident die Meldung entgegengenommen hat. Können Sie uns etwas von Ihren Beobachtungen über diese Dinge sagen?

Zeuge Krabb: Durch einen Bekannten, einen Abgeordneten der NSDAP, kam ich von der Mitteltribüne zu der ersten Tribüne gleich neben der Diplomatenloge. Da stritt ich mich mit den Nazis und sagte: Seht mal, Ihr toleriert doch Papen! Es gab gerade Auseinandersetzungen darüber, da erscholl von der linken Seite ein Zuruf: Göring, die Instruktionsstunde ist rum, anfangen! Hierauf begab sich der Reichstagspräsident auf seinen Platz und eröffnete die Sitzung mit den Worten: Meine Damen und Herren! Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Anträge Torgler. Ich glaube, er sagte auch noch wörtlich: über die Anträge 118, 119 in Verbindung mit 44. Als der Zuruf „Namentliche Abstimmung!“ von Herrn Torgler schon gefallen war, da meldete sich – ich hatte den Eindruck, wie ein Schüler in der Schule – Herr Papen. Das sah von oben ein bißchen komisch aus, direkt witzig, und oben auf der Tribüne wurde Herr Papen ein bißchen lächerlich gemacht, was auch der Situation angepaßt war.[702] Dann machte er noch einmal so (Handbewegung) mit dem Finger. Oben sagte man: der hat ja noch nicht einmal die einfachste parlamentarische Befähigung, zu Wort zu kommen.

Daraufhin kam, ich weiß nicht, so ein Glatzkopf, ein Doktor oder Staatssekretär oder so, man sah die Glatze so schön leuchten. Der ging dann an den Präsidententisch heran. Aber die Abstimmung hatte meines Erachtens schon begonnen.

Ich weiß nicht, warum der Herr Reichskanzler sich nicht gleich zum Wort gemeldet hat. Er mußte doch sehen, daß der Abgeordnete Torgler einen Vorstoß machte, und meinem Gefühl nach mußte er auch wissen, wie die Sache stand. Er kann sich doch nicht immer auf Gott verlassen, sondern muß sich doch auch auf sich selber verlassen.

(Heiterkeit.)

Wenn er sich gleich gemeldet hätte, hätte er doch das Wort bekommen.

Ich habe nun von den Beschuldigungen gehört, die gegen den Abgeordneten Reichstagspräsidenten Göring erhoben worden sind, daß er Herrn von Papen ignoriert hätte. Das möchte ich eigentlich, obwohl ich nicht seiner Partei angehöre, bestreiten; denn ich glaube, Herr Göring hätte nicht den politischen Mut gehabt, den Reichskanzler zu ignorieren. Dann hätte Herr Frick ja nicht die Pause eintreten lassen. Sie war doch nur dazu geeignet, Herrn Papen irgendwie die Möglichkeit zu geben, daß er zu Wort kam. Ich habe den Eindruck, wenn Herr Papen in einem Geschäft angestellt gewesen wäre, hätte man – – –

Vorsitzender: Das geht über Ihre Zeugenaussage hinaus, solche Dinge dürfen Sie hier nicht vorbringen.

Wünscht jemand eine Frage an den Zeugen zu stellen?

Herr Reichstagspräsident Göring.

Präsident Göring: Herr Zeuge, haben Sie ziemlich genau beobachtet, daß der Herr Reichskanzler sich erst erhoben hat, als ich meinen ersten Satz fertig gesprochen und dahinter noch gesagt hatte: Wir stimmen ab!?

Zeuge Krabb: Natürlich. Er hat sich viel später erhoben und ganz klein, mit dem Schulkindfinger, sich gemeldet.

Präsident Göring: Haben Sie gehört, daß der Herr Reichskanzler, als er aufstand, irgendetwas gesagt hat, zum Beispiel: Ich bitte ums Wort?

Zeuge Krabb: Hören konnte man nichts. Er hat mit so einem Glatzkopf gesprochen und dann mit dem Zweiten, den er bei sich hatte. Ich weiß nicht, welcher Minister es war, jedenfalls der, der im Reichstag als zweiter neben ihm saß. Wer, das konnte man nicht erkennen. Mit dem unterhielt er sich, und dann ging er bebend wie ein Schüler, nahm dieses Blatt und schmiß es so (Handbewegung) auf den Tisch.

(Zuruf.)

– Den Eindruck, den ich persönlich hatte, können Sie doch nicht bestreiten. Jeder andere hätte das Wort gekriegt mit Ausnahme von Herrn von Papen.

(Erneuter Zuruf.)

Sie können doch den Eindruck, den man in der Öffentlichkeit hat, nicht ignorieren wollen!

[703] Vorsitzender: Ich bitte, hier nicht solche Zwiegespräche zu führen.

Abgeordneter Schmidt (Hannover) (DNV): Ich wollte nur die Frage an den Herrn Zeugen richten, ob und von wem er instruiert worden ist.

Zeuge Krabb: Ich bin weder instruiert noch sonstwie beeinflußt. Ich habe, wenn es Sie genau interessiert, mit dem Abgeordneten Thesen im Rheinland zusammengearbeitet und habe ihn an diesem Tage besucht. Er konnte mir aber keine Karte mehr besorgen. Zufällig habe ich dann von einem anderen Abgeordneten eine Karte bekommen, bin auf die Tribüne A gegangen und habe dort den ersten Teil miterlebt, habe aber nichts sehen können und bin dann durch Vermittlung eines Bekannten von der Nazipartei herübergegangen und habe gleich in dem ersten Gang neben der Diplomatenloge die Vorfälle beobachten können.

Vorsitzender: Weitere Fragen werden dazu nicht gewünscht; ich danke Ihnen.

[…]

Vernehmung des Zeugen Schriftführers Abgeordneten Kaufmann.

Herr Abgeordneter Kaufmann, wollen Sie uns, sofern Sie noch etwas Wichtiges zu der Beweiserhebung beizutragen haben, Ihre Beobachtungen mitteilen!

Zeuge Schriftführer Abgeordneter Kaufmann (NSDAP): Nach meiner Auffassung ist eine Abstimmung eine geschlossene Handlung. Sie beginnt mit der Erklärung des Präsidenten: Die Abstimmung ist eröffnet! und findet ihr Ende, wenn der Präsident erklärt: Sie ist geschlossen. Ich habe an dem fraglichen Tage oben auf dem Sitz am weitesten links gesessen. Reichstagspräsident Göring kam herein, eröffnete die Sitzung und ging dann auch gleich zu der Erklärung über, daß der Antrag Torgler nunmehr zur Abstimmung stehe. Er hat dann auch sogleich durch einen Satz – des Satzes entsinne ich mich nicht mehr genau – die Abstimmung gleich eröffnet.

Ich halte es für die Pflicht eines Abgeordneten oder auch eines Mitgliedes der Regierung, wenn er im Reichstag zu Wort kommen will, sich in einer Art und Weise zum Wort zu melden, die es dem Präsidium ermöglicht, zu erkennen, daß der Betreffende das Wort wünscht. Vorher, vor Eröffnung der Abstimmung, war von oben, vom Präsidium aus, überhaupt nicht ersichtlich, daß der Reichskanzler das Wort wünschte. Man hat oben nichts gehört und hat auch oben nichts gesehen.

Im Verlauf dieser Vernehmungen ist gesagt worden, der Reichstagspräsident Göring habe eine abwehrende Handbewegung gemacht. Diese abwehrende Handbewegung habe ich festgestellt. Reichstagspräsident Göring hat sie in dem Augenblick gemacht, als die Abstimmung schon fast beendet war und der Schriftführer Laverrenz das Dokument des Reichskanzlers dem Reichstagspräsidenten zuschob. Das hat der Reichstagspräsident abgelehnt, weil er nach meiner Auffassung den Rechtsstandpunkt vertrat, daß man sich in einer bereits begonnenen Handlung befand, einer Handlung, die bereits begonnen hatte, bevor dem Präsidium ersichtlich war, daß der Reichskanzler das Wort wünschte und[704] noch vor Abschluß dieser Abstimmungshandlung wohl hatte zu Wort kommen wollen.

Das sind die Feststellungen, die ich oben im Präsidium gemacht habe.

Vorsitzender: Sind noch Fragen an den Herrn Zeugen zu richten?

Präsident Göring: Ich habe noch eine Frage. Auf der anderen Seite saß ja der deutschnationale Schriftführer Laverrenz. Glauben Sie nicht auch, daß, wenn der Schriftführer Laverrenz das geringste bemerkt hätte, daß der Herr Reichskanzler sich zum Wort meldete oder um das Wort bat, er mich dann, wie das ja bei den Schriftführern Sitte ist, sofort darauf hätte aufmerksam machen müssen und bei seiner Einstellung zum Reichskanzler mich auch unbedingt darauf aufmerksam gemacht hätte?

Zeuge Schriftführer Abgeordneter Kaufmann (NSDAP): Das finde ich selbstverständlich, erstens weil die Deutschnationale Volkspartei Herrn von Papen nahesteht und zweitens weil es seine Verpflichtung gewesen wäre. Er hätte die Wortmeldung des Reichskanzlers dem Herrn Präsidenten also mitteilen müssen. Das ist aber nicht geschehen.

Präsident Göring: Haben Sie überhaupt bemerkt, daß im Präsidium zwischen den Schriftführern und mir auch nur einen Augenblick das Gefühl bestand, der Reichskanzler wünsche das Wort, oder daß wir darauf aufmerksam gemacht worden wären?

Zeuge Schriftführer Abgeordneter Kaufmann (NSDAP): Der einzige, der sich überhaupt bewegt hat, um diese Wortmeldung mitzuteilen, war Laverrenz. Das geschah aber erst in dem Augenblick, als auf seinem Platze das Dokument lag, vorher nicht.

Präsident Göring: Vorher hat er sich in keiner Weise gerührt?

Abgeordneter Schmidt (Hannover) (DNV): Herr Laverrenz hat ja darüber ausgesagt.

Vorsitzender: Weitere Fragen an Herrn Kaufmann werden nicht gewünscht; ich danke Ihnen.

Vorsitzender: Nun hat Herr Reichstagspräsident Göring noch gebeten, einen der Präsidialdiener zu vernehmen. Der Herr ist wahrscheinlich zur Stelle, das ist also in wenigen Minuten abgewickelt. Dann wären wir wenigstens alle Zeugen durch.

(Zurufe.)

– Ja, Herr Präsident, legen Sie Wert auf die Vernehmung von Herrn Klassen?

Präsident Göring: Ja, wenn überhaupt noch Zeugen vernommen werden, sonst nicht.

Vorsitzender: Andere Zeugen sind nicht mehr vorgeschlagen. Wir könnten also heute mit der Zeugenvernehmung abschließen.

Präsident Göring: Dann nicht.

Vorsitzender: Dann würden Sie also verzichten. – Damit ist die Beweisaufnahme abgeschlossen, und wir müssen uns nun darüber schlüssig machen, ob wir sofort zur Beweiswürdigung schreiten und welche Beschlüsse wir fassen wollen. Zur Vorbereitung dieser Beschlüsse wird aber doch wohl eine Pause notwendig sein. Herr Abgeordneter Dr. Frank hat auch die Vereidigung des Zeugen Harnisch beantragt. Also auch darüber werden wir uns in der Sitzung[705] noch schlüssig werden müssen. Ich würde also vorschlagen, damit die Herren die Anträge, die sie dem Ausschuß zur Beschlußfassung vorlegen wollen, vorbereiten können, in eine Pause von einer halben Stunde einzutreten, wenn Sie nicht etwa die Sitzung erst morgen fortführen wollen. Aber, meine Herren, aus der Pistole geschossen kann man einen solchen Ausschußbeschluß ja auch nicht festlegen.

Abgeordneter Dr. Frank II (NSDAP): Herr Vorsitzender, es müßten doch auch grundlegende Ausführungen über die Beweiserhebung gemacht werden. Das können wir aber erst, wenn die Protokolle zur Verfügung stehen. Dies muß also auch noch berücksichtigt werden.

Abgeordneter Dr. Hoegner (SPD): Ich wollte das Gleiche vortragen. Es bestehen zwei Möglichkeiten. Entweder beschließen wir heute noch auf Grund des unmittelbaren Eindrucks, den wir jetzt durch die Zeugenaussagen gewonnen haben. Dann müßten wir das aber heute noch machen, schon deshalb, weil zweifellos morgen der Eindruck schon nicht mehr so frisch ist wie jetzt.

Die zweite Möglichkeit wäre die, daß wir die Beweiswürdigung so lange vertagen, bis uns die gedruckten Protokolle vorliegen. Das wäre nach meiner Schätzung ein Zeitraum von 8 bis 14 Tagen17. Eine andere Möglichkeit scheint mir nicht zu bestehen.

Abgeordneter Dr. Frank II (NSDAP): Dann wollen wir es lieber heute noch machen.

Vorsitzender: Die Mehrheit der Herren scheint doch dafür zu sein, daß wir heute noch in die Beweiswürdigung eintreten und die entsprechenden Beschlüsse fassen. Ich schlage Ihnen deshalb eine Pause von einer halben Stunde vor, während deren die Herren ihre Vorschläge vorbereiten können. Es ist jetzt fünf Minuten nach ½7, die Sitzung wird also bis fünf Minuten nach 7 Uhr vertagt.

(Unterbrechung der Sitzung von 6 Uhr 35 bis 7 Uhr 10 Minuten.)

Die Sitzung wird um 7 Uhr 10 Minuten durch den Vorsitzenden Abgeordneten Löbe wieder eröffnet.

Vorsitzender: Ich eröffne die Sitzung.

Ich hatte vorhin gesagt: Die Beweiserhebung ist geschlossen. Ich hatte aber im Gegensatz dazu einen Antrag Frank auf Vereidigung des Zeugen Harnisch doch noch für diese Sitzung zur Beschlußfassung zurückgestellt. Wir werden uns erst darüber schlüssig machen müssen.

Darüber hinaus liegt noch ein weiteres Zeugenangebot vor von einem Alexander Trapp, der in Berlin-Schöneberg, Eisenacher Str. 59, wohnt. Ich habe ihm mitgeteilt, daß ich dem Ausschuß sein Angebot mitgeteilt habe, aber der Ausschuß würde erst beschließen, ob er noch weitere Zeugen vernehmen will. Wenn wir heute überhaupt in eine Beweiswürdigung mit einem Urteil oder Beschluß eintreten wollen, müssen wir die anderen Sachen, Vereidigung und Zeugenvernehmung, fallen lassen. Ich glaube, daß darüber allseitig Einverständnis herrscht.

(Zustimmung.)

[706] Es ist nun die Frage, ob wir über die verschiedenen Vorschläge, die einen Beschluß oder ein Urteil enthalten, noch debattieren wollen und in welchem Ausmaße. Ich stelle mir vor, wir werden eine weitere Aussprache nicht mehr nötig haben. Es werden die verschiedenen Vorschläge zur Abstimmung kommen müssen, und derjenige, der angenommen wird, muß als Vorschlag des Ausschusses hinausgehen. Denn nachdem wir zweimal ausführlich alles durchgenommen haben, habe ich keine große Hoffnung, daß wir uns gegenseitig noch überzeugen werden.

Abgeordneter Dr. Frank II (NSDAP) verzichtet auf die Vereidigung des Zeugen Harnisch, damit der Ausschuß noch am gleichen Tag seine Verhandlung abschließen kann.

Abgeordneter Torgler (KP): Wir haben von vornherein, auch bei den Sitzungen des Untersuchungsausschusses, betont, daß es uns um die Erreichung eines politischen Zieles geht, nämlich um das Ziel, den Beschlüssen des Reichstags Wirksamkeit zu verschaffen in bezug auf die Aufhebung der Notverordnung vom 4. September, und daß es uns vor allen Dingen darum geht, die Vertreter der Regierung vor den Ausschuß zu zitieren, damit sie sich für ihre Handlungen verantworten, für ihre Handlungen gegen die werktätige Bevölkerung in Gestalt von Notverordnungen, Kontingentierungsmaßnahmen, Zollerhöhungen usw. Wir haben in unserem Antrag in den Vordergrund gestellt, daß die Beschlüsse des Reichstags über die Anträge der Kommunisten auf Nr. 118 und 119 auf Aufhebung der Notverordnung vom 4. September sowie über den kommunistischen Mißtrauensantrag rechtswirksam sind und daß diese Tatsache auch durch die Beweiserhebung nachdrücklichst unterstrichen worden ist.

Durch die Beweiserhebung ist weiter zweifellos festgestellt worden, daß die Wortmeldung des Reichskanzlers in einem Augenblick erfolgt ist, wo die Abstimmung im Gange war. Darüber kann doch wohl kein Zweifel bestehen. Die Wortmeldung ist erfolgt, nachdem der Präsident gesagt hatte: „Wir stimmen ab.“ Einige Zeugen haben sehr einwandfrei und klar betont, daß nach ihrer Erinnerung diese Wortmeldung, die merkbare, sichtbare Wortmeldung erst erfolgt ist, als sogar schon die Feststellung der namentlichen Abstimmung getroffen war.

Ich bin auch der Meinung, daß die Übergabe des Auflösungsdekrets in der Abstimmung erfolgt ist, also nichts mehr an der Rechtswirksamkeit der Beschlüsse ändern konnte. Diese Tatsache ist nach unserer Meinung durch die Beweiserhebung nachdrücklichst bestätigt und unterstrichen worden. Deshalb müßte der Ausschuß zu einem ganz konkreten Beschluß kommen, der nur darin bestehen kann, daß der Reichspräsident jetzt unverzüglich seine Notverordnung vom 4. September außer Kraft zu setzen hat, weil ein rechtswirksamer Beschluß des Reichstags vorliegt und der Reichstag das Recht hat, das Verlangen auf Aufhebung einer Notverordnung zu stellen, und daß alle auf Grund dieser Notverordnung bereits getroffenen Maßnahmen zurückzuziehen sind. Wir denken dabei insbesondere an den Lohnabbau vom 15. September ab, einen Lohnabbau, der sich außerordentlich katastrophal für die davon betroffenen Arbeiter auswirkt. Ich will keine längere politische Begründung dieser Tatsache geben, aber darauf hinweisen, daß dieser Appell an das Solidaritätsgefühl im Interesse[707] der Erwerbslosen doch nur der Köder ist, der dazu dienen soll, die Arbeiter zu diesem Lohnabbau zu bringen oder ihnen plausibel zu machen, warum sie sich mit einem solchen Lohnabbau einverstanden erklären sollen. Es ist genau dasselbe wie bei der Notverordnung der Brüning-Regierung, wo damals der Preisabbau der Köder sein sollte. Es hat noch keine Notverordnung mit Lohnabbaumaßnahmen gegeben, wo nicht irgendein Köder hingeworfen wurde.

Wir fordern weiter in dem Antrag, daß die Reichsregierung unverzüglich vor dem Ausschuß erscheint und sich für alle ihre Handlungen verantwortet, nicht nur die Notverordnungen, sondern auch die Kontingentierungsmaßnahmen, die morgen oder übermorgen in einer neuen Notverordnung erscheinen sollen. Ich denke dabei insbesondere auch an die Erhöhung des Heringszolls18, eine Maßnahme, die sich gerade gegenüber den Ärmsten der Armen katastrophal auswirken wird. Wir meinen auch die Notverordnung über die Einsetzung von Sondergerichten19. Wir meinen die ungeheuerlichen Terrorakte gegen Arbeiter. Die Regierung hat unbedingt hier zu erscheinen und sich für alles das zu verantworten.

Im übrigen legen wir allerdings auch nach einem solchen Beschluß Wert darauf, draußen der Bevölkerung, den Arbeitern zu sagen, sich nicht auf parlamentarische Abstimmungen und Volksentscheide und ähnliche schöne Dinge zu verlassen, sondern den außenparlamentarischen Kampf in die Wege zu leiten gegen die Papen-Regierung und ihre Hungernotverordnungen.

Vorsitzender: Herr Dr. Frank II schlägt folgenden Beschluß vor:

Der Ausschuß stellt auf Grund der Beweisaufnahme im Untersuchungsausschuß zu den Reichstagssitzungsvorgängen vom 12. September 1932 fest:

I.

Der Reichskanzler von Papen hat sich erst zum Wort gemeldet, nachdem die Abstimmung vom Reichstagspräsidenten bereits eröffnet war. Das Verhalten des Reichstagspräsidenten entsprach sowohl der Reichsverfassung wie auch der Geschäftsordnung des Reichstags.

II.

Aus den Ausführungen des Herrn Reichskanzlers als Zeugen ergibt sich für den Ausschuß die Feststellung, daß die Reichsregierung unter allen Umständen entschlossen war, den Reichstag noch vor der Abstimmung über Aufhebung von Notverordnungen und Mißtrauensanträgen zur Auflösung zu bringen.

Abgeordneter Wegmann (Z): Ich habe für meine Fraktion zu der Beweisaufnahme wie folgt Stellung zu nehmen:

Erstens sind wir der Überzeugung auf Grund der Zeugenaussagen, insbesondere auch einer Reihe von unparteiischen und nichtbeteiligten Zeugen, daß sich der Herr Reichskanzler in einem Augenblick zum Worte gemeldet hat, als bereits die Abstimmung über die vorliegenden Anträge begonnen hatte. Wir sind daher, wie wir auch schon bei früherer Gelegenheit festgestellt haben und worin wir durch die Zeugenvernehmung nur noch bestärkt worden sind, der Überzeugung, daß der Reichstagspräsident, als er dem Reichskanzler das Wort[708] nach der Eröffnung nicht mehr erteilte, durchaus verfassungsmäßig und durchaus geschäftsordnungsmäßig gehandelt hat.

Ferner stellen wir fest, daß der Herr Reichskanzler hier als Zeuge vor dem Ausschuß erklärt hat, daß die Reichsregierung fest entschlossen gewesen sei, den Reichstag aufzulösen, ehe es zu einer Abstimmung über die Anträge auf Aufhebung von Notverordnungen und über die Anträge auf Entziehung des Vertrauens gekommen war. Daraus folgern wir aber, daß die Reichsregierung entschlossen war, den Reichstag an der Ausübung verfassungsmäßiger Rechte zu hindern.

Endlich stellen wir auf Grund einer Erklärung des Fraktionsführers der Deutschnationalen fest, daß die deutschnationale Fraktion entschlossen war, ihrerseits dazu beizutragen und alles zu tun, was in ihren Kräften stand, eine Auflösung des Reichstags herbeizuführen, bevor es zu einer Abstimmung über die verfassungsmäßigen Anträge auf Aufhebung der Notverordnung kam.

(Abgeordneter Dr. Oberfohren: Der Zusatz ist von mir nicht gemacht worden!)

– Sie können das nachher richtigstellen. Wir stellen jedenfalls auf Grund Ihrer Erklärung, daß in der Zielsetzung Ihrer Partei und Ihrer Person die Auflösung des Reichstags gelegen hat, fest, daß Sie durchaus in Übereinstimmung mit der Regierung entschlossen waren, die Auflösung des Reichstags herbeizuführen.

(Abgeordneter Dr. Oberfohren: Das können Sie gern machen!)

Wir haben selbst nach der Richtung hin Anträge nicht formuliert. Ich behalte mir aber vor, falls die vorliegenden Anträge nicht alle unsere Feststellungen enthalten sollten, zu den vorliegenden Anträgen noch gewisse Ergänzungen vorzubringen.

Endlich, glaube ich, müssen wir eines hier vor allen Dingen noch festhalten: Der Herr Reichsinnenminister, der Verfassungsminister, hat zum Ausdruck gebracht, daß die Art und Weise, wie in diesem Falle der Reichstag aufgelöst worden ist, nach seiner Meinung mit dem Sinn und dem Geiste der Verfassung in Einklang zu bringen sei. Wir stellen demgegenüber fest, daß, wenn diese Ansicht des Herrn Reichsinnenministers zutreffend ist, jeder eben erst neugewählte Reichstag wieder, ohne daß überhaupt eine sachliche Beratung vor sich gehen kann, aufgelöst werden kann. Eine solche Einstellung des Reichsinnenministers ist nach unserem festen Dafürhalten weder mit dem Wortlaut noch mit dem Sinn und Geiste der Verfassung in Übereinstimmung zu bringen.

Abgeordneter Dr. Marum (SPD): Nach unserer Meinung sind folgende drei Fragen zu beantworten und zu beurteilen: 1. Welches war die Absicht der Regierung? 2. Wann hat sich der Reichskanzler zum Wort gemeldet? und 3. Wann ist die Auflösung des Reichstags erfolgt und wirksam geworden?

Zur Beantwortung dieser Fragen will ich Ihnen lediglich die Feststellungen verlesen, die wir dem Ausschuß vorschlagen. Sie lauten:

1.

Absicht des Reichskanzlers war, seine Regierungserklärung abzugeben und die Debatte stattfinden zu lassen, aber vor einer Abstimmung über Anträge auf Aufhebung der Notverordnung und Mißtrauensanträge die Auflösung des Reichstags herbeizuführen.

[709] 2.

Da dem Antrag des Abgeordneten Torgler auf sofortige Vornahme der Abstimmung ohne Beratung zuerst niemand widersprach, erkannte der Reichskanzler die Möglichkeit, daß sofort abgestimmt werde.

3.

Die auf Antrag des Abgeordneten Dr. Frick beschlossene Unterbrechung der Sitzung gab dem Reichskanzler die Möglichkeit, die Auflösungsverfügung herbeizuschaffen.

4.

Trotzdem der Reichskanzler hiernach mit der Möglichkeit sofortiger Abstimmungen rechnete, hat er sich weder während der Sitzungspause noch bei Eröffnung der Sitzung zum Wort gemeldet, sondern erst im Beginn der Abstimmung, weil er auf Grund seiner Besprechungen mit dem Reichstagspräsidenten eine Abstimmung nicht für bevorstehend hielt.

5.

Die Auflösungsurkunde ist dem Reichstagspräsidenten übergeben worden. Die Auflösung ist im Augenblick der Übergabe wirksam geworden. Die danach zu Ende geführten Abstimmungen sind staatsrechtlich unwirksam. Ihre politische Bedeutung bleibt bestehen.

6.

Unbeschadet dieser Feststellungen hält der Ausschuß an der schon am 13. September 1932 beschlossenen Auffassung fest, daß die Auflösung des Reichstags vom 12. September 1932 dem Sinn und Geist der Reichsverfassung widerspricht20.

Ich glaube, ich brauche zur Begründung nichts weiter hinzuzufügen.

(Abgeordneter Heckert: Sie sind erkannt!)

– Von Ihnen erkannt zu werden, Herr Heckert, ist nur ehrenvoll.

Ich glaube, der letzte Absatz, der das wiederholt, was der Ausschuß schon am 13. September beschlossen hat, daß die Auflösung dem Sinn und Geist der Reichsverfassung widerspricht, bezieht sich auch auf die Auffassung, der der Herr Reichsinnenminister heute über die Auslegung der Verfassung Ausdruck gegeben hat und die der Ausschuß zurückzuweisen hat.

Abgeordneter Dr. Frank II (NSDAP): Die Verhandlungen des Untersuchungsausschusses haben dahin geführt, daß zunächst einmal das Verhalten des Reichstagspräsidenten Göring in vollem Umfange gerechtfertigt wurde gegenüber den Versuchen gewisser Kreise, sein Vorgehen in dieser Reichstagssitzung vom 12. September als verfassungswidrig und geschäftsordnungswidrig hinzustellen.

Darüber hinaus ist es meines Erachtens nicht nötig, daß der Ausschuß bereits früher gefaßte Beschlüsse noch einmal wiederholt. Wir haben bereits vor einigen Tagen den Beschluß gefaßt, daß die Abstimmungen im Reichstag verfassungsmäßig sind und daß daraus die Schlußfolgerungen mit den rechtlichen Verpflichtungen für Reichsregierung und Reichspräsident zu ziehen sind. Es ist daher auch nicht nötig, daß wir heute erneut ohne Betonung des Umstandes, daß wir diese Beschlüsse bereits gefaßt haben, über das gleiche Thema Beschluß fassen. Geschäftsordnung und Reichsverfassung wurden durch das Verhalten des Reichstagspräsidenten Göring befolgt. Die Auflösung des Reichstags dagegen erfolgte in verfassungswidriger Weise. Die Bekundungen des Zeugen Reichskanzlers von Papen sind hierfür der schlüssige Beweis.

[710] Die Anträge Torgler verfolgen konform den von mir und meiner Fraktion längst eingebrachten Anträgen die Aufhebung der Notverordnungen. Wir werden selbstverständlich bei einer Abstimmung heute zustimmen.

Abgeordneter Schmidt (Hannover) (DNV): Wir beantragen folgendes:

Der Ausschuß wolle beschließen:

1.

Nach den Feststellungen des Ausschusses sind die in der Sitzung vom 13. September zur Rechts- und Tatsachenlage abgegebenen Erklärungen der Regierung als richtig erwiesen. Es steht fest, daß dem Reichskanzler geschäftsordnungs- und verfassungswidrig in der Reichstagssitzung vom 12. September das Wort versagt worden ist.

2.

Die Auflösung des Reichstags wurde mit der Überreichung der Auflösungsordre an den Reichstagspräsidenten rechtswirksam.

Ich möchte zu den beiden Punkten getrennte Abstimmung beantragen.

Wir stellen ferner nochmals fest, daß nach unserer Auffassung die Wortmeldung des Herrn Reichskanzlers in dem Zeitpunkt erfolgte, wo ihm nach der Geschäftsordnung das Wort unbedingt hätte gegeben werden müssen.

Es hat in den Verhandlungen Zeugenaussage gegen Zeugenaussage, Meinung gegen Meinung gestanden, wie es auch hier im Ausschuß in den ganzen Sitzungen der bisherigen Tage der Fall war. Wir haben im übrigen nicht den Eindruck gehabt, wie es in einem Blatt einer hier vertretenen großen Partei hieß, daß der Herr Reichskanzler von Papen als „Angeklagter“ erschienen wäre, sondern im Gegenteil, daß die Auffassung der Regierung durch die Zeugenaussagen bestätigt worden ist.

Wir haben im übrigen, wie ich schon sagte, über die Kompetenzen des Ausschusses und über die Bedeutung der Verhandlungen dieses Ausschusses eine grundsätzlich andere Meinung als die Mehrheit des Ausschusses. Wir sind der Meinung – die Tatsachen geben uns ja recht –, daß über die Entschließungen und über die Beweisaufnahme dieses Ausschusses – angesichts des tatsächlichen Verlaufs der Dinge, angesichts der Tatsache – die praktische Entwicklung hinweggeht. Deshalb sind wir der Meinung, daß die Entschließungen dieses Ausschusses im wesentlichen historisch retrospektiven Charakter tragen und eine verhältnismäßig untergeordnete Bedeutung haben.

Abgeordneter Dr. Pfleger (BV): Auf die letzten Bemerkungen des Herrn Vorredners möchte ich für meine Person nur entgegnen, daß er mit dieser Begründung überhaupt jede politische Betätigung des Reichstags als überflüssig erachten könnte; denn schließlich geht die Entwicklung der Zeit über alles hinweg. Auch kann ich die Auffassung unmöglich teilen, als ob nach Schluß einer Beweisaufnahme im Ausschuß die Feststellung des Resultats per majora hinsichtlich der tatsächlichen Vorgänge vollkommen wertlos wäre. Nach meinem Dafürhalten hat, wenn ein Ausschuß des Reichstags sich nun einmal mit der Untersuchung einer bestimmten Frage befaßt hat, jeder Beteiligte und vor allem der Reichstag als Volksvertretung und das Volk selbst ein Anrecht darauf, daß aus diesem Beweisergebnis die selbstverständlichen Schlußfolgerungen hinsichtlich der tatsächlichen Ergebnisse gezogen werden.

Das trifft in erster Linie selbstverständlich auch für den Reichstagspräsidenten zu. Ihm ist mit dürren Worten der Vorwurf gemacht worden, er habe[711] absichtlich eine vor Beginn der Abstimmung erfolgte Wortmeldung eines Mitglieds der Reichsregierung verhindert und habe damit gegen die Reichsverfassung verstoßen. Dieser Vorwurf trifft, praktisch gesehen, nicht bloß den Reichstagspräsidenten, er trifft auch den Reichstag als solchen, weil der Reichstag in der betreffenden Sitzung gegen das Vorgehen seines Präsidenten keinerlei Widerspruch erhoben hat.

(Abgeordneter Dr. Oberfohren: Ich wollte das. Ich habe mich zur Geschäftsordnung gemeldet, habe aber das Wort nicht bekommen.)

– Das geschah aber alles erst lange nach Beginn der Abstimmung.

Nun ist gar kein Zweifel, Herr Kollege Oberfohren, daß über die Frage, ob sich der Herr Reichskanzler während der Abstimmung, vor der Abstimmung oder nach Beginn der Abstimmung zum Wort gemeldet hat, bei den Zeugen anscheinend keine volle Klarheit herrscht. Das ist aber nach meinem Dafürhalten, wenn man die Zeugenaussagen richtig würdigt, nur scheinbar der Fall, wenn man sich vor Augen hält, was denn nach der Geschäftsordnung zur Abstimmung des Reichstags eigentlich gehört. Die Abstimmung im weiteren Sinne ist die Folge eines Schlusses der Aussprache; nach dieser kommt die Abstimmung. Sie umfaßt nicht nur den Akt der Stimmabgabe, wie anscheinend der Herr Reichskanzler meint – diese Anschauung haben auch Sie (zu den Deutschnationalen) hier vertreten –, sondern die Abstimmung umfaßt auch die Vorbereitung der Stimmenabgabe und die Ermittelung des Ergebnisses. Alle Erörterungen, worüber abgestimmt werden soll, ist bereits ein Akt der Abstimmung. Infolgedessen stehe ich auf dem Standpunkt: es ist nicht nur kein Beweis dafür erbracht, daß der Herr Reichstagspräsident absichtlich eine Wortmeldung des Reichskanzlers, die vor der Abstimmung erfolgt wäre, ignoriert und nicht beachtet hat, sondern aus diesen rechtlichen Erwägungen bin ich der Auffassung, daß die Wortmeldungen des Reichskanzlers als verspätet angebracht anzusehen sind.

Ich muß auch den Vorhalt aufrechterhalten: die Reichsregierung hätte weiß Gott Zeit und Gelegenheit genug gehabt, eine Wortmeldung des Reichskanzlers in einer absolut einwandfreien und zuverlässigen Form herbeizuführen.

(Zustimmung.)

Sie konnte das vor der halbstündigen Pause, sie konnte es während der Pause. Der Reichskanzler konnte es hernach sofort, er konnte es hernach durch seinen Staatssekretär tun; er konnte es mündlich und schriftlich tun. Auch dadurch konnte er es, wenn er die Wortmeldung absolut durch Handaufheben bewirken wollte, daß er sich, wie es zur wirklichen Wortmeldung notwendig ist, dem amtierenden Präsidenten bemerkbar machte. Aus diesen Gründen ergibt sich der Standpunkt, den ich zu den vorgelegten Entschließungen, soweit sie die Wortmeldung des Herrn Reichskanzlers betreffen, einnehme, von selbst.

Was die Auflösung des Reichstags betrifft, so teile ich durchaus die Auffassung, die der Herr Kollege Wegmann hervorgehoben hat, daß der Herr Reichskanzler nach seiner eigenen Angabe, die von Ihnen bekräftigt worden ist, von Anfang an entschlossen war, einer Abstimmung des Reichstags über ein Mißtrauensvotum und über die Aufhebung der Notverordnung durch die Auflösung des Reichstags zuvorzukommen. An der Auffassung, daß diese Auflösung[712] nach Artikel 25 der Reichsverfassung nicht zulässig ist, daß hier, objektiv gesehen, ein Bruch der Verfassung vorliegt, halte ich ganz entschieden fest.

Nun kommt die Frage der Reichstagsauflösung und der Vorgänge, die sich hierbei abgspielt haben. Wenn man dem Reichstag etwas länger angehört und schon Reichstagsauflösungen in früherer Zeit mitgemacht hat, so kann ich die Bemerkung nicht unterdrücken, daß ich mir vorstellen könnte, eine Regierung und ein Reichskanzler könnte bei solchen Dingen, die doch immerhin eine gewisse staatsrechtliche und politische Bedeutsamkeit haben, zumal sie auch Willensentschließungen der höchsten Staatspersönlichkeit im Reich, des Reichspräsidenten, darstellen, in der Form und im äußeren Auftreten schon etwas würdiger vorgehen, als es der Herr Reichskanzler getan hat.

(Zustimmung.)

Es scheint mir nicht der Würde des Reichstags und der Bedeutung der Verordnung als einer Willenskundgebung des Reichspräsidenten zu entsprechen, wenn man in der Weise mit der roten Mappe hereintritt und herumhantiert, wie es der Herr Reichskanzler getan hat. Auch die Form der Überreichung der Urkunde an den Reichstagspräsidenten ist, auch wenn man sich frei weiß von allem äußerlichen Zopf, nicht gerade besonders stilvoll und würdevoll gewesen, so wie wir sie beobachtet haben. Immerhin gebe ich zu, wie ich es schon früher getan habe, daß mit der Überreichung der Auflösungsverordnung an den Reichstagspräsidenten formell die Reichstagsauflösung vollzogen war. Allerdings hätte es vielleicht eine Möglichkeit gegeben, diese Auflösung zu bekämpfen. Doch darüber brauchen wir uns nicht zu unterhalten, nachdem das nicht Gegenstand unserer Verhandlung ist. Die Reichstagsauflösung war mit der Übergabe vollzogen, und die hernach erfolgten Abstimmungen entbehren staatsrechtlich der Wirksamkeit. Daß sie immerhin eine politische Kundgebung einer aufgelösten Körperschaft sind und daß eine solche Kundgebung auch einer aufgelösten Körperschaft auch eine politische Bedeutung hat, ist etwas, was niemand bestreiten wird. Welche Folgerungen daraus die Beteiligten zu ziehen haben und zu ziehen haben werden, darauf wird der Ausgang der Wahlen wohl die beste Antwort geben.

Vorsitzender Abgeordneter Löbe (SPD): Ich möchte auch eine kurze Bemerkung machen. Es kann gar keine Frage sein, daß die Wortmeldung des Reichskanzlers verspätet erfolgt ist. Wenn ich in früheren Abstimmungen, die ja manchmal sehr umfangreich sind, gesagt habe: „Wir kommen zur Abstimmung, meine Herren! Ich schlage Ihnen nunmehr vor, in folgender Reihenfolge abzustimmen: erst das, dann das, dann das; sind Sie damit einverstanden? – Nein; gut, wie machen wir es dann?“, so gehört das alles schon zum Kreis der Abstimmung. Daß ich in dem Augenblick, nachdem ich vorher gesagt habe: „Die Beratung ist geschlossen; wir kommen zur Abstimmung“, nicht einer neuen Wortmeldung, die die Sache betrifft, Raum geben kann, das scheint mir ein ganz unanfechtbarer Standpunkt zu sein. Deshalb glaube ich, daß über diesen Punkt gar kein Zweifel herrschen kann.

Die Gegensätze bestehen weiter darüber, ob die Auflösung mit dem Augenblick der Übergabe der Auflösungsurkunde wirksam wird. Das letztemal hat der Herr Reichskanzler Brüning die Auflösungsurkunde verlesen, dann aber in derselben[713] Form wie Herr von Papen sie heraufgereicht: Bitte schön, hier haben Sie das Dokument, das meine mündliche Auflösungserklärung bestätigt!21

(Zuruf: Damit die Urkunde zu den Akten des Reichstags gegeben wird!)

Was zweitens die Frage betrifft, ob die Abstimmungen, die inzwischen erfolgt sind, rechtswirksam sind oder nicht, so will ich nur auf das eine aufmerksam machen, rein in taktischer Beziehung. Der Abgeordnete Torgler hat im ersten Teil seines Antrages wieder, wie das letztemal mit Mehrheit beschlossen worden ist, beantragt, die Abstimmung solle als rechtswirksam erklärt werden. Herr Dr. Frank II hat gesagt: Früher gefaßte Beschlüsse wollen wir nicht wiederholen, aber er steht noch auf dem Standpunkt, daß die Abstimmungen rechtswirksam sind. Wenn eine Mehrheit des Ausschusses auf diesem Standpunkt verbleibt, so dürfen wir mit dem Erscheinen der Reichsregierung bei den ferneren Beratungen des Ausschusses nicht rechnen, sondern das wäre nur möglich, wenn der Ausschuß sagte: wir haben alle unsere Vorbehalte gegenüber der Rechtswirksamkeit, aber es ist durch den Reichspräsidenten eine Entscheidung getroffen, die wir nicht mehr ändern können. Ich selber will mich in keiner Weise besonders dafür einsetzen, will nur darauf aufmerksam machen: wenn der Ausschuß zusammentritt, weil Mitglieder des Ausschusses irgendwelche Wünsche haben, die sie mit der Regierung Auge in Auge verhandeln wollen, werden wir auf dem bisherigen Wege zu einem Erscheinen der Regierung nicht kommen. Allerdings kann auch das Gegenteil eintreten. In früheren Fällen, wo eine solche Streitfrage nicht vorlag, sind nicht die Ausschußmitglieder an die Regierung, sondern die Regierung ist an den Ausschußvorsitzenden herangekommen und hat ihn aufgefordert, den Ausschuß einzuberufen, weil sie gewisse gesetzgeberische Akte, z. B. Kreditbewilligung und dergleichen vornehmen, Subventionen gewähren wollte, die sie ohne die Zustimmung des Ausschusses nicht glaubte vornehmen zu können. Infolgedessen ist es durchaus möglich, daß bis zum Wiederzusammentritt eines neuen Reichstags die Handlungsweise der Regierung gegen sie selber ausschlägt und daß sie sich in Fragen, in denen sie heute noch der Meinung ist, ohne den Ausschuß nicht handeln zu können, sich selber in eine unmögliche Situation hineinbegeben hat.

[…]22

(Schluß der Sitzung 8 Uhr 40 Minuten)

v. w. o.

Löbe

Dr. Pfleger

Vorsitzender

Schriftführer

Fußnoten

1

Gedruckt in der Reichsdruckerei offenbar für den internen Gebrauch der Ausschußmitglieder. Auf der Kopfseite des Protokolls befindet sich der gedr. Vermerk: „Ausgegeben am 14. Oktober 1932“.

2

Die Anträge nicht ermittelt.

3

Vgl. Anm 19 zu Dok. Nr. 85.

4

Zu diesen Vorgängen s. (u. a.) Dok. Nr. 134, P. 1 und Dok. Nr. 135; ferner: stenogr. Protokoll der RT-Sitzung vom 12. 9.: RT-Bd. 454, S. 13 –16.

5

Beschluß des Ausschusses in seiner Sitzung am 14.9.32. Vgl. Anm 2 zu Dok. Nr. 142.

6

Zur Vorladung des RK, des RIM und des StSRkei durch den Ausschußvorsitzenden Löbe (22. 9.) s. Dok. Nr. 154, P. 6, dort bes. Anm 21.

7

Neurath war am 19. 9. zur Teilnahme an den Tagungen des Völkerbundsrats (23. 9.–3. 10.) und der Völkerbundsversammlung (26. 9.–17. 10.) nach Genf gefahren. Vgl. Dok. Nr. 149, P. 3, dort auch Anm 6.

8

Bei dem „materiellen Antrag“ handelt es sich um die Anträge Torgler RT-Drucks. Nr. 44 , 118 und 119 (RT-Bd. 454 ); zum Inhalt s. Dok. Nr. 134, P. 1, dort auch Anm 2.

9

Zum Text des Auflösungsdekrets s. Anm 3 zu Dok. Nr. 134.

10

Ein Aktenexemplar der geschilderten Fotografie befindet sich in R 43 I /1010 , Bl. 155. Die wiedergegebene Szene wird beherrscht durch den in der Ministerbank stehenden und konzentriert auf den Reichstagspräsidenten hinblickenden Reichskanzler und den Reichstagspräsidenten, der sich – gerade sprechend – der entgegengesetzten Seite des Plenums zuwendet.

11

Vgl. dazu Dok. Nr. 139 und 142.

12

Zu dem Interview vgl. auch Schultheß 1932, S. 136.

13

Das Auflösungsdekret war von Hindenburg in Form einer Blankovollmacht bereits am 30. 8. in Neudeck unterzeichnet worden. Vgl. Dok. Nr. 120.

14

Gemeint ist vermutlich das in der Ministerbesprechung am 12. 9. beschlossene Schreiben des Rk an den RTPräs. Zum Text s. Dok. Nr. 134, P. 1.

15

Entspricht nicht ganz den Tatsachen. Auf Antrag des Abg. Gröber wurde bei den Verhandlungen der NatVers. am 4.7.19 zwar das Wort „jederzeit“ aus dem Regierungsentwurf zu Art. 33 Abs. 3 der RV herausgenommen, der sonstige Wortlaut jedoch unverändert beibehalten. Im Regierungsentwurf lautete Art. 33 Abs. 3 folgendermaßen: „Auf ihr Verlangen müssen die Regierungsvertreter jederzeit während der Beratung, die Vertreter der Reichsregierung auch außerhalb der Tagesordnung gehört werden.“ (Verh. d. NatVers., Bd. 327, S. 1289  ff.).

16

Vgl. Verh. der NatVers., Bd. 330, S. 3162 .

17

Vgl. oben Anm 1.

18

Vgl. dazu Dok. Nr. 107, P. 6, dort bes. Anm 25 und 31.

19

VO der RReg. vom 9.8.32 (RGBl. I, S. 404 ). Zur diesbez. Kabinettsberatung s. Dok. Nr. 98.

20

Zu den Beschlüssen des Ausschusses vom 13. 9. s. Anm 5 zu Dok. Nr. 139.

21

Es handelt sich um die Reichstagsauflösung vom 18.7.30 (Text des Auflösungsdekrets RT-Drucks. Nr. 2429, Bd. 443 ). Zum erwähnten Vorgehen Brünings s. RT-Bd. 428, S. 6523 .

22

In dem hier folgenden letzten Teil der Sitzung (im Protokoll 6 Seiten) setzte der Ausschuß die Beweiswürdigungsdebatte noch eine kurze Zeitlang fort und trat dann in das Beschlußverfahren ein. Dieses bestand aus 13 Einzelabstimmungen über die Fraktionsanträge (bezw. Abschnitte oder Sätze aus diesen), wozu das Protokoll lediglich „angenommen“ oder „abgelehnt“ verzeichnet, also das konkrete Abstimmungsverhalten der Fraktionen nicht erkennbar werden läßt. Auch das hierbei schließlich erreichte Gesamtergebnis ist im Protokoll nicht wiedergegeben. Es wurde von Löbe und Göring in gemeinsamem Schreiben an den RK vom 28.9.32 in folgender Fassung mitgeteilt: „Der Ausschuß des Reichstags zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung gegenüber der Reichsregierung hat in der Sitzung vom 27. September 1932 hinsichtlich der Notverordnungen folgende Beschlüsse gefaßt:

1.Der Reichspräsident hat unverzüglich seine Notverordnung vom 4. September mit Wirkung vom 12. September 1932 außer Kraft zu setzen und alle auf Grund dieser Notverordnung bereits getroffenen Maßnahmen zurückzuziehen. Der Ausschuß fordert von der Reichsregierung, daß sie unverzüglich vor dem Ausschuß erscheint und sich für alle ihre Handlungen verantwortet.

2.Die Verordnung der Reichsregierung über Zolländerungen vom 19. September 1932 (Erhöhung des Heringszolls von 3 RM auf 9 RM pro Doppelzentner und Erhöhung des Zolles für Superphosphate) ist mit sofortiger Wirkung aufzuheben.

3.Die Notverordnung vom 14.Juni 1932 ist mit sofortiger Wirkung aufzuheben. Die Notverordnung über die Einsetzung von Sondergerichten ist mit sofortiger Wirkung aufzuheben; ebenso sind aufzuheben die bisher von diesen Sondergerichten verhängten Urteile.

4.Der Reichspräsident wolle die Notverordnung zur Belebung der Wirtschaft vom 4. September 1932 aufheben.

5.Die Verordnung des Reichspräsidenten zur Belebung der Wirtschaft vom 4. September 1932 und die auf Grund dieser Verordnung erlassene Verordnung zur Vermehrung und Erhaltung der Arbeitsgelegenheit vom 5. September 1932 sind außer Kraft zu setzen.

Ferner hat der Ausschuß auf Grund der Untersuchung über die Vorgänge in der Reichstagssitzung am 12. September 1932 folgende Feststellungen getroffen:

1.Der Reichskanzler von Papen hat sich erst zum Wort gemeldet, nachdem die Abstimmung vom Reichstagspräsidenten bereits eröffnet worden war. Das Verhalten des Reichstagspräsidenten entsprach sowohl der Reichsverfassung wie der Geschäftsordnung des Reichstags. Der Herr Reichskanzler hätte die Möglichkeit gehabt, sich rechtzeitig zum Wort zu melden. Aus den Ausführungen des Herrn Reichskanzlers als Zeuge ergibt sich für den Ausschuß die Feststellung, daß die Reichsregierung in verfassungswidriger Weise unter allen Umständen entschlossen war, den Reichstag noch vor der Abstimmung über Aufhebung von Notverordnungen und Mißtrauensanträgen zur Auflösung zu bringen.

2.Absicht des Reichskanzlers war, seine Regierungserklärung abzugeben und die Debatte stattfinden zu lassen, aber vor einer Abstimmung über Anträge auf Aufhebung der Notverordnung und Mißtrauensanträge die Auflösung des Reichstags herbeizuführen.

3.Dadurch, daß dem Antrag des Abgeordneten Torgler auf sofortige Vornahme der Abstimmung ohne Beratung zuerst niemand widersprach, erkannte der Reichskanzler die Möglichkeit, daß sofort abgestimmt werde.

4.Der Ausschuß hält an der schon am 13. September 1932 beschlossenen Auffassung fest, daß die Auflösung des Reichstags vom 12. September 1932 dem Sinn und Geist der Reichsverfassung widerspricht.“ (R 43 I /1010 , Bl. 189–190). –

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