2.64.1 (wir1p): 1. Entwurf zur Abänderung des Körperschaftssteuergesetzes.

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Die Kabinette Wirth I und II (1921/22). Band 1Bild 146III-105Bild 183-L40010Plak 002-009-026Plak 002-006-067

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1. Entwurf zur Abänderung des Körperschaftssteuergesetzes.

a) Mitteilung an die Presse. Der Herr Reichskanzler verlangte, daß über die Beratungen im Kabinett über die Steuergesetze ganz besonderes Stillschweigen beobachtet würde, damit nicht in der Presse, wie es vorgekommen sei, die widersprechendsten und gänzlich unrichtigen Nachrichten veröffentlicht würden.[172] Ministerialdirektor Müller wurde beauftragt, die Presse darüber aufzuklären, daß die Verhandlungen noch nicht zum Abschluß gekommen seien1.

b) Flüssige Mittel. Der Vizepräsident des Reichsbank-Direktoriums von Glasenapp gab eine kurze Übersicht über die vorhandenen flüssigen Mittel, unter denen man diejenigen Beträge verstehe, die bei den Banken, Sparkassen und Genossenschaften eingelegt seien. Die Aufstellung für den 31. Dezember 1920 habe an flüssigen Mitteln ergeben:

bei den Banken

100 Milliarden Mark

bei den Sparkassen

45 Milliarden Mark

bei den Genossenschaften

15 Milliarden Mark

insgesamt

160 Milliarden Mark

In diesem Gesamtbetrage seien schätzungsweise 32 Milliarden Mark Guthaben des Auslandes enthalten. Den gegenwärtigen Stand der flüssigen Mittel könne er nur schätzen. Sie hätten sich gegenüber dem 31. Dezember 1920 vermehrt; ungefähr würden die Zahlen für den 30. Juni 1921 folgende Beträge ergeben:

bei den Banken

114 Milliarden Mark

bei den Sparkassen

50 Milliarden Mark

bei den Genossenschaften

17 Milliarden Mark

insgesamt

181 Milliarden Mark

Die Guthaben des Auslandes bei den Banken würden etwa 35 bis 36 Milliarden Mark betragen. Was die gehamsterten Noten anlange, so wäre der Betrag früher auf 15–20 Milliarden Mark geschätzt worden; dieser Betrag sei zurückgegangen, und zwar infolge der Einziehung der 1918 provisorisch ausgegebenen Noten und infolge der inzwischen eingetretenen Teuerung, welche die thesaurierten Beträge an das Tageslicht gebracht hätte. Jetzt könne man – die Schätzung sei aber eine ganz unsichere – mit etwa 10 bis 12 Milliarden Mark gehamsterter Noten rechnen.

Was die im Ausland befindlichen Marknotenbestände anlange, so ließen sich diese auf ungefähr 20 Milliarden Mark Marknoten einschließlich eines kleinen Teiles von Darlehnskassenscheinen schätzen.

Der Gesamtnotenumlauf betrage zur Zeit 75 Milliarden Mark, der der Darlehnskassenscheine 8,2 Milliarden Mark, wobei die Bestände der Reichsbank nicht mitgerechnet seien. Insgesamt ergäbe sich ein Papiergeldumlauf von[173] 83,2 Milliarden Mark. In der letzten Woche habe sich der Papiergeldumlauf um 2 Milliarden Mark vermehrt.

Der Reichskanzler bat den Vizepräsidenten der Reichsbank um Vorlegung eines erweiterten Reichsbankausweises und stellte in Aussicht, einen Beamten des Reichsfinanzministeriums in dieser Angelegenheit zu dem Vizepräsidenten der Reichsbank zu schicken. Auf die Frage des Herrn Reichskanzlers, ob die Reichsbank in der letzten Zeit die Auflegung einer Anleihe erwogen habe, erwiderte der Vizepräsident der Reichsbank, daß die Auflegung einer Anleihe in der letzten Zeit nicht erwogen worden sei… .2

Er möchte erwähnen, daß wir zur Zeit eine eigentümliche Art der Anleihe hätten, die in der Verwendung der flüssigen Mittel verborgen sei. Diese flüssigen Mittel würden nämlich verwendet zur Anlage in Reichsschatzanweisungen. Zur Zeit liefen 187,9 Milliarden Mark Reichsschatzanweisungen; davon befänden sich etwa 70,5 Milliarden in dem Portefeuille der Reichsbank und 117,4 Milliarden Mark in den Händen der großen Staatsbanken, der Privatindustrie und in den Händen der Banken, Sparkassen usw. Der letztere Betrag werde auf etwa 60 Milliarden Mark geschätzt. Diese 60 Milliarden Mark Reichsschatzanweisungen würden von den Banken und Sparkassen gehalten, weil sie die sicherste und liquideste Art der Anleihe darstellten. Soweit sie fällig würden, könnten sie ohne weiteres ausgezahlt werden, da die Möglichkeit jederzeitiger Rediskontierung bestehe. Die Zunahme des Papiergeldumlaufs in der letzten Woche um 2 Milliarden Mark hänge mit einer starken Rediskontierung der Reichsschatzanweisungen zusammen. Der Besitz der Reichsschatzanweisungen sei eine außerordentliche Hilfe für das Reich, insoweit als sie vom freien Verkehr aufgenommen würden; denn insoweit könnten sie zur Vermehrung des Notenumlaufs nicht beitragen, da der Gegenwert der Reichsbank zugute komme. Natürlich bestehe ein Unterschied zwischen einer fundierten Anleihe und den Reichsschatzanweisungen; denn während die fundierte Anleihe eine absolute Sicherheit gäbe, sei dies bei den Reichsschatzanweisungen nicht der Fall, die im Falle einer Stockung oder Krisis eingelöst würden, um sich effektives Geld zu schaffen.

Falls Maßnahmen erwogen werden sollten, welche die Inanspruchnahme der flüssigen Gelder einengen oder erschweren würden, so würde sofort ein Zustrom von Reichsschatzanweisungen an die Reichsbank sich geltend machen, desgleichen bei den Banken, deren Einlösung dann den Papiergeldumlauf vermehren würde. Die Folgen würden [?]3 sein; denn von den im Verkehr befindlichen 117,4 Milliarden Mark Reichsschatzanweisungen würden zwar nicht alle, aber doch etwa 50–60 Milliarden zur Reichsbank zurückströmen, wodurch eine außerordentliche Vermehrung des Notenumlaufs und ein derartiges Anwachsen[174] der Inflation eintreten würde, deren Folgen für unsere ganze Preisbemessung von verheerendster Wirkung sein würde… .4

Auf die Frage des Reichswirtschaftsministers, ob angegeben werden könne, welche Werte (Reichs-, Staats-, Kommunalanleihen und Industrie-Aktien) in den Händen des Auslandes wären, erwiderte der Vizepräsident der Reichsbank, daß im Augenblick etwa 20–25 Milliarden Mark deutscher Wertpapiere in den Händen des Auslandes seien.

Die Herren Vizepräsident von Glasenapp und Geheimer Ober-Finanzrat von Grimm wurden hierauf mit Dank für ihre Ausführungen entlassen.

Der Herr Reichskanzler stellte zur Erwägung, ob nicht nach dem Vorgang während des Krieges sämtliche deutsche Kreditinstitute einschließlich Sparkassen und Genossenschaften zu einer gemeinsamen Anleihe herangezogen werden könnten. Der Reichsminister für Wiederaufbau teilte mit, daß er der Frage, ob und in welcher Weise es möglich wäre, einen neuen konsolidierten Kredit zu schaffen, eine Reihe von Berechnungen habe anstellen lassen. Er glaube, daß man zu einem neuen Typ kommen müsse, der für eine gewisse Zeit von Jahren entweder unverzinslich oder niedrig verzinslich, dafür aber ganz oder teilweise steuerfrei sei.

Was die allgemeine Frage anlange, so könne er die Auffassung, die der Reichswirtschaftsminister in der letzten Sitzung über die sozialen ungesunden Auswüchse zum Ausdruck gebracht habe, nur voll unterstreichen und bitten, daß tunlichst bald etwas geschehe, um diese Auswüchse zu beseitigen. Hierfür sei aber seiner Auffassung nach die Vorlage5 von keiner sehr erheblichen Bedeutung. Denn wenn auch durch Senkung des Aktienniveaus infolge der geplanten Aktieninflation des Reichs ein allgemeiner sozialer Ausgleich erreicht werde, so sei dieser doch nicht vollkommen und beseitige keineswegs die sozialen Mängel, die sich nicht an die investierten Kapitalien, sondern an die verheimlichten Kapitalien knüpften. Wolle man diese treffen, so würde man ganz andere Maßregeln in die Wege leiten müssen.

Staatssekretär Dr. Hirsch habe das Problem von einer anderen Seite begründet. Das Kabinett müsse sich klar darüber werden, ob es das Etatloch zudecken wolle oder nicht. Die Erwägungen seien ernst. Er glaube nicht, daß man durch diese Maßnahmen eine prinzipielle Änderung der Situation herbeiführen werde. Wolle man das Etatloch zudecken, so müßten noch andere Möglichkeiten erwogen werden. Auf dem hier vorgeschlagenen Wege sei es vielleicht möglich, das Etatloch für eine gewisse Zeit zuzudecken. Er müsse auch zugeben, daß die ganze Vorlage sich als eine außerordentlich interessante und sorgsame Arbeit darstelle. Er bäte aber trotzdem und trotz dieser Auffassung mit absolutem Freimut sprechen und die Vorlage im einzelnen kritisch behandeln zu dürfen. Sie treffe nicht den Kern der Frage; der Kern der Frage sei ein politischer, und man müsse daher den Mut haben, die Frage auch politisch zu behandeln.[175] Den Umfang und Ernst der politischen Frage verkenne er keineswegs. Es sei gewiß ein harter Gedanke, wenn gesagt würde, die Mehrzahl der Lasten werde auf den Konsum gelegt, wenn nicht auch der Besitz hart angefaßt würde. Aber ein rechnerisches Gleichgewicht zwischen Konsum und Vermögen gäbe es nicht. Er weise nur auf das schon wiederholt gebrauchte Beispiel von der Kaffeemühle und dem Kaffee hin. Die Besteuerung der Substanz sei eine Gefühlsfrage. Eine Substanzbesteuerung sei vom Wirtschaftsministerium im weiten Umfange vorgesehen. Durch die Beschlüsse der vorletzten Kabinettssitzung6 werde in sehr erheblicher Weise in die Substanz eingegriffen. Auch sei es eine Gefühlsfrage, ob man sage, daß dieser Eingriff im Bewußtsein des Volkes ausreiche oder nicht ausreiche. Und wenn von einem Teil des Volkes die Gefühlsgrenze wo anders gezogen würde, als wir sie zögen, so müßte man fragen, ob sie parlamentarisch tragbar sei oder nicht. Denn darüber müsse man sich klar sein, daß ein tiefer Riß in das Volk und in das Kabinett kommen könne. Man müsse sich die Frage vorlegen, ob der gegenwärtige Reichstag oder ein aufgelöster und neugewählter bereit sein würde, den Weg zu beschreiten. Dies müsse man genau prüfen, ehe man sich auf einen Kampf einlasse, der nicht Selbstzweck sein dürfe. An sich sei er geneigt, gewisse wirtschaftliche Reformen zu erstreben, aber das müsse er offen sagen, daß er den gegenwärtigen Moment, wo wir das Ultimatum erfüllen sollten, für alles andere geeigneter als für Experimente halte. Dies sei um so mehr der Fall, als er die Überzeugung gewonnen habe aus all den Verhandlungen, die er geführt habe, daß, wenn auch nicht eine grundsätzliche Änderung, aber doch eine Lockerung der Dinge auf der Gegenseite eintrete, daß die Dinge beweglich würden, und in solchem Moment, wo alles darauf ankomme, die Ruhe im Innern zu bewahren, halte er es für nicht opportun, sich in tiefe innerpolitische Kämpfe einzulassen. Seiner Auffassung nach müsse die Wirtschaft produktiver gestaltet werden und aus den Menschen- und Maschinenkräften mehr herausgeholt werden als bisher.

Wenn er nun zu dem Vorschlag im einzelnen übergehe, so müsse er zunächst das Bedenken erheben, daß es sich um eine einseitige Aktion gegen die Industrie handele. Logischer wäre es seiner Auffassung nach gewesen, auch die Landwirtschaft und den Hausbesitz mit einzubeziehen, das heißt die bisher geschontesten Werte anzufassen. Jetzt unternehme man nur eine partielle Aktion gegen die Industrie, und wenn er sich frage warum, so könne er nur antworten, weil der Kampf gegen die anderen Wirtschaftsgebiete nicht zu führen sei. Man könne nichts unternehmen zur Zeit gegen den kleinen ländlichen Besitz; bei dem Hausbesitz würde es vielleicht möglich sein im Falle gleichzeitiger Änderung des Mietgesetzes. Was die Form anlange, so begrüße er es, daß nicht für das Reich eine Aktie, sondern eine stimmrechtslose Aktie, also ein Mittelweg gewählt sei. Es sei möglich, diese Aktieninflation zu unternehmen; sie würde aber Unbestimmtheiten rechnerischer und Gefahren grundsätzlicher Art im Gefolge haben; es würde sehr schwer halten, die Werte zu verpfänden. Im Vordergrund stehe seiner Auffassung nach die Frage der Schaffung eines Papiers, das[176] im Stande wäre, die großen Lücken im Budget zu decken. Das würden wir insbesondere dann brauchen, wenn es gelte, die Entschädigungen zu leisten. Zu solchem Inflationsmittel würden wir kommen müssen, aber nicht zur Konfiskation oder Verwässerung der bestehenden Werte. Bei der stimmrechtlosen Aktie würden sich ferner eine Reihe technischer Schwierigkeiten ergeben, vielleicht würden sie überwindbar sein. Er denke nur an die Fusionen, die an der Tagesordnung seien, bei denen man die stimmrechtlosen Aktien nicht in die Wagschale werfen könne; falls keine scharfen Einschränkungen im Konzentrations- und Emissionsprozeß getroffen würden, würden die stimmrechtlosen Aktien sich schwer verteidigen lassen. Die Aktionäre hätten es ja in der Hand, die stimmrechtlose Aktie beliebig zu verschlechtern, etwa durch hochverzinsliche Obligationen (profite sharing notes) u. a. mehr. Was hier ausgenützt werden solle, sei ein kluger Gedanke, <er frage sich aber, ob er ausgenutzt werde. Durch das heutige System des Majoritätenkaufes und die sonstige Spekulationswut seien die Fusionsobjekte im Werte so gesteigert worden,>7 daß nur eine 3,5%ige Verzinsung der Aktie herauskomme. Die Genußscheine partizipierten an dieser Steigerung nicht. Wenn die Aktie mit 350 bewertet werde, so würde der Genußschein ohne Stimmrecht allerhöchstens auf 200 kommen, vielleicht auch auf noch weniger. Auch sonst gebe es noch viele Wege, um die Genußscheine zu entwerten. Wenn man diese Gefahr berücksichtige, so wäre es vielleicht zweckmäßiger, lieber eine Obligation zu wählen, als eine stimmrechtslose Aktie. Aber auch für diesen Gedanken wolle er zur Zeit nicht eintreten. Zunächst müsse man sich vergewissern über die politische Stimmung im Lande. Dasselbe Ziel könne man auch auf anderem, weniger radikalem Wege erreichen. Wenn man das Etatloch decken wolle, gebe es viele Wege.

Was die oben erwähnten Pläne anlange, so wolle er auf folgendes hinweisen. Die Franzosen wollten große Bestellungen bei uns machen, seien aber nicht in der Lage, über ein gewisses Quantum sich belasten zu lassen und verlangten von uns Vorleistungen. Diese Vorleistungen müßten nach innen finanziert werden; denn der Fabrikant könne nicht auf die Bezahlung warten. Ferner komme noch eine große Finanzierung in Frage, wenn wir mit den liquidierten Deutschen abzurechnen hätten; der objektive Wert der Entschädigungen werde auf 132 Milliarden geschätzt. Es würde zu erwägen sein, ein Gesetz vorzubereiten, wonach die Entschädigungen zum Teil in titres abgegolten würden, welche dieselben Mängel wie die Gegenwerte hätten. Der Reichsminister der Justiz stimmte mit dem Vorredner darin überein, daß die Vorlage von außerordentlicher politischer Bedeutung, nicht bloß von sachlicher und finanzieller Tragweite sei. Wirkung und Gegenwirkung würden hier ausgelöst mit der Vorlage. Er müsse anerkennen, daß man sich bisher eine große Zurückhaltung auferlegt habe.

[177] Bei dem ersten Eindruck über die Vorlage seien ihm Zweifel aufgetreten, ob die Konstruktion eines reinen Gläubigerrechts, welches sich auf 25% aufbaue, zweckmäßig sei gegenüber der Steuerforderung von gleicher Höhe; es würde sich denn doch nur um einen konstruktionellen Unterschied handeln, und ferner habe er Bedenken gegen die Schaffung dieser neuen großen Organisation,8 die unser Staatsleben erneut mit großen Apparaten belasteten. [sic] Deshalb sei ihm der Grundgedanke der Vorlage nicht sympathisch. Der Reichswirtschaftsminister erkannte die ruhige und sachliche Behandlung der Vorlage dankbar an und gab zu, daß die von ihm gerügten sozialen Mängel durch die Vorlage nicht ausgeräumt seien. Er würde es gleichfalls begrüßen, wenn Mittel und Wege gefunden werden könnten, um die sozialen Mängel nach Möglichkeit zu beseitigen.

Wenn von einer Inflation der Industriepapiere gesprochen sei, die durch die Vorlage eintrete, so müsse er sagen, daß diese doch nicht zu verhindern sei, wie er an einzelnen Beispielen erläuterte. Es sei doch sehr zu erwägen, ob der Staat an solchen Ereignissen (Gratisaktie usw.) vorübergehen könne.

Zutreffend sei, daß die Lösung der Frage große politische Kämpfe zur Folge haben werde; richtig sei auch, daß es nur eine einseitige Aktion gegen die Industrie sei, die aus politischen Gründen nur gegen sie unternommen werde. Er müßte aber darauf hinweisen, daß auch die Körperschaftssteuer nur eine einseitige Aktion gegen die Industrie darstelle. Das Finanzministerium selbst habe also schon die abschüssige Bahn beschritten. Prüfen müsse man die Frage, wie ein Entweichen des Kapitals durch Ausgabe von Obligationen usw. verhindert werden könne.

Was die Sachleistungen für Frankreich anlange, so scheine ihm, so weit er es übersehen könne, der Plan des Wiederaufbauministeriums ein gewagtes Unternehmen. Denn wie man es verantworten könne, über die Leistungen des Ultimatums hinaus durch Sachleistungen die Verpflichtungen zu erhöhen und unseren kräftigsten Gegner zu kreditieren, erscheine ihm kaum verständlich. Noch bedenklicher sei es, wenn wir im Innern noch mehr bezahlten, als wir dafür von Frankreich bekämen bzw. angerechnet erhielten.

Der Herr Reichskanzler unterbrach den Wirtschaftsminister mit der Bemerkung, daß der Wiederaufbauminister diese Frage vor der Weiterberatung der heutigen Vorlage in der nächsten Sitzung des Kabinetts erörtern werde. Der Reichswirtschaftsminister bat, auch die Frage der Abstempelung der Noten zu erwägen und wies ferner darauf hin, daß die Frage der Verwertung der Aktien von entscheidender Bedeutung sei. Im übrigen sei er der Auffassung, daß eine Beteiligung von staatlichen und privaten Unternehmungen nur gut sei. Der Reichskanzler führte kurz aus, daß die Art der Veräußerung der Beteiligung für die unteren Massen unverständlich bleiben werde, weil da Wirkungen eintreten könnten, die politisch schwer tragbar seien. Wenn insbesondere die Genußscheine im freien Markte erschienen und nachher zu viel niedrigerem Preis in die Hände derer, die sie ausgegeben hätten, zurückflössen, so[178] vermute er, daß dies insbesondere für die Sozialdemokratie nicht tragbar sein würde. Er wies auf die Geschichte des Säkularismus hin, wo eine derartige Veräußerung stattgefunden hätte und wo durch ein ganzes Jahrhundert hindurch die Anklagen gegen diejenigen, die sie veranlaßt hätten, nicht geschwunden seien. Es müsse jedenfalls eine Garantie dafür gesucht werden, daß die Veräußerung so erfolge, daß nicht Staat und Gesellschaft bedroht würden. Die ganze Frage sei eine so schwierige, daß sie noch eingehender Prüfung bedürfe. Staatssekretär Dr. Hirsch betonte, daß das Reichswirtschaftsministerium zu einer Kapitalisierung der Steuer gekommen sei, weil das Problem hätte geteilt werden müssen. Die Bedenken des Reichskanzlers wegen der Gefahr eines Freikaufs von der Steuer teilte er, und es müsse geprüft werden, ob Vorkehrungen dagegen möglich wären. Seiner Auffassung nach käme man aber an dem ganzen Problem nicht vorbei. Nicht gleichgültig sei es, welche Inflation entstehe. Die Inflation würde sich erhöhen durch die Reparationsleistungen und durch die Entschädigungsleistungen. Die Steuern des Finanzministeriums flössen erst in zwei oder mehr Jahren, während nach dem Vorschlag des Reichswirtschaftsministeriums sofort die Beträge greifbar seien. Die Arbeiter würden jeden Weg gut heißen, der nicht aus der Tasche der Arbeiter die Inflation decke. Das Beispiel von der Kaffeemühle könne er nicht als ganz zutreffend anerkennen. Das Etatloch müsse gedeckt werden. Dies sei aus der Steuer nicht möglich: daher müsse in die Substanz eingegriffen werden.

Die Bedenken gegen die stimmrechtslose Aktie und die Möglichkeit einer Umgehung und Verwässerung müsse er zugeben. Man müsse aber Mittel und Wege zur Verhinderung finden. Bei einer Obligation würde der finanzielle Ertrag nicht der gleiche sein, auch die sonstigen Umstände seien sehr schwierig. Das Stimmrecht habe man fortgelassen, um das Ausland vom Kauf abzuhalten. Die Bedenken des Justizministers teile er auch, insbesondere empfinde er es unangenehm, daß man mit zwei Organisationen arbeiten müsse. Es würde zu überlegen sein, ob nicht ein Bankensyndikat unter Reichsbeteiligung möglich sei.

Was die Marktfähigkeit der Genußscheine anlange, so halte er diese für gut. Jedenfalls müßten sie bald auf den Markt kommen, ehe die Goldbonds der Entente aufgelegt würden… .9

Der Reichsminister des Innern war der Auffassung, daß die Frage in erster Linie einen außenpolitischen Wert habe und darauf abzustellen sei, mit welchen Mitteln es möglich sei, auch nur einigermaßen die Lasten zu erfüllen, die die Alliierten uns auferlegten. Alle Projekte, auch die des Reichswirtschaftsministeriums, seien seiner Auffassung nach nicht genügend, um die Lasten zu erfüllen. Es müsse die Überzeugung durchdringen, daß etwas Ausreichendes geschehen müsse, und daß dazu die bisherigen Vorlagen nicht genügten. Wenn wir nichts täten, dann würden neue Ultimata die Folge sein. Ein Hoffen auf Einsicht der Alliierten sei vergeblich. Nach alledem komme er zu der Auffassung,[179] daß mit den bisherigen Vorlagen das Problem nicht gelöst werden könne. Er schlage daher vor, einen Ausschuß einzusetzen, bestehend aus dem Reichswirtschaftsministerium, Reichsfinanzministerium, Reichsministerium für Wiederaufbau, der unter Zuziehung von Sachverständigen und Fraktionsvorständen die beiden Fragen erörtern müsse, wie man neue Steuern schaffe und wie man die sozialen Mißerscheinungen erfassen könne. Der Reichsminister für Wiederaufbau bemerkte noch, daß die von einer Seite betonte angebliche Steuerfreiheit der Goldbonds der Entente sich nicht auf die Besitzer, sondern nur auf das Papier beziehen könnte. Wenn da Zweifel bestünden, müßte man sofort die Gutachten der größten Autoritäten herbeiziehen, da eine Steuerfreiheit für die Besitzer dieser Bonds unsere sämtlichen Anleihen entwerten würden. Staatssekretär Zapf und der Reichskanzler wiesen darauf hin, daß die leider auch in der Presse vertretene Auffassung, daß diese Goldbonds auch für die Besitzer für jetzt und alle Zeiten steuerfrei seien, eine irrige sei. Es handele sich lediglich um eine Befreiung der Goldbonds von der Urkundensteuer.

Die Verhandlung wurde hierauf abgebrochen. In der nächsten Kabinettssitzung, die auf Mittwoch, den 3. August nachmittags 5 Uhr anberaumt wurde, soll zunächst der Reichsminister für Wiederaufbau einen Bericht über seine Verhandlungen mit Loucheur und die grundsätzliche Stellungnahme dazu erstatten; sodann soll in eine Fortsetzung der heutigen Debatte eingetreten werden10.

Fußnoten

1

Der „Vorwärts“ bringt am 2.8.21 unter der Überschrift „Die gestrige Kabinettssitzung“ folgende Mitteilung: „Wie wir von unterrichteter Seite erfahren, beendete das Reichskabinett auch in seiner gestrigen Sitzung noch nicht die Beratung der Steuervorlagen. Die Besprechungen werden durch die Reise des Reichskanzlers Wirth nach Bremen eine Unterbrechung erfahren; die Beratungen werden am Mittwoch [3.8.21] fortgesetzt werden. – Wie wir weiter hören, ist das Kabinett zu der Überzeugung gekommen, daß die Vorschläge des Reichswirtschaftsministers bezüglich der Erfassung der Goldwerte einen Weg in der Erfüllung unserer Leistungsverbindlichkeiten der Entente gegenüber bedeuten. Tendenzmeldungen einiger Berliner Blätter, die von einer Zwiespältigkeit im Kabinett und einer Gegnerschaft zwischen Finanzminister und Wirtschaftsminister wissen wollten, beruhen auf freier Erfindung.“ (Vorwärts, Nr. 359).

2

An Stelle der Auslassung finden sich im Original mehrere Leerzeilen; in den freien Raum hat vermutlich Wever mit Bleistift vermerkt: „folgt später“. Ergänzungen zum Protokoll oder eine schriftliche Ausarbeitung der Reichsbank für die Ausführungen von Glasenapps konnten in R 43 I nicht ermittelt werden.

3

Ein Wort unleserlich.

4

An Stelle der Auslassung finden sich im Original mehrere Leerzeilen; in den freien Raum hat vermutlich Wever mit Bleistift vermerkt: „besondere Ausführungen (folgen später)“; Ergänzungen zum Protokoll oder eine schriftliche Ausarbeitung der Reichsbank für die Ausführungen von Glasenapps konnten in R 43 I nicht ermittelt werden.

5

Siehe Dok. Nr. 60 Anm. 3.

6

Siehe Dok. Nr. 58, P. 13.

7

An Stelle des markierten Satzes hatte ursprünglich gestanden: „Man könne aber doch dahin kommen, daß die Obligation mit 27, die Aktien mit 23½% bewertet werden. Durch das amerikanische System sei an der Börse die Möglichkeit vorliegend, daß die Fusionsobjekte im Werte so steigen können, …“. Die zahlreichen Textverbesserungen und sachlichen Unklarheiten deuten auf eine Unsicherheit des Protokollanten hin.

8

Die Vorlage sah die Gründung zweier Beteiligungsgesellschaften vor (siehe Dok. Nr. 60 Anm. 3, vorletzter Satz).

9

An Stelle der Auslassung finden sich im Original mehrere Leerzeilen; in den freien Raum hat vermutlich Wever mit Bleistift eingetragen: „folgt später“. Ergänzungen zum Protokoll in R 43 I nicht ermittelt.

10

Siehe Dok. Nr. 62, P. 2.

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