2.71 (wir1p): Nr. 68 Der Reichskanzler an den britischen Botschafter. 16. August 1921

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[199] Nr. 68
Der Reichskanzler an den britischen Botschafter. 16. August 1921

R 43 I /21 , Bl. 98-100 Durchschrift1

[Betrifft: Aufbringung der 1. Milliarde aufgrund der Reparationsforderungen des Londoner Zahlungsplanes]

Herr Botschafter!

Die von Euer Exzellenz gestellte Frage, ob Deutschland die am 31. August fälligen Zahlungen leisten werde, kann ich vorbehaltlos bejahen2. Ermöglichen ließ und läßt sich die Leistung indesssen nur unter den größten Schwierigkeiten und unter starker Belastung der Zukunft. Diese Schwierigkeiten in voller Offenheit Euer Exzellenz darzulegen, halte ich mich für verpflichtet.

Die Annahme des Ultimatums bedingte die Zahlung von 1 Milliarde Goldmark bis zum 31. August. Der Betrag von rund 150 Millionen Goldmark konnte aus angesammelten Beständen Ende Mai abgeführt werden. Hinsichtlich des Restes von rund 850 Millionen Goldmark wurden, wie Euerer Exzellenz bekannt, vom Reich Wechsel ausgestellt, die auf Dollar lauteten und von den ersten deutschen Banken giriert waren.

Die Bereitstellung der zur Einlösung dieser Wechsel benötigten Valuten stieß auf die größten Schwierigkeiten. Die Reichsbank und die Devisenbeschaffungsstelle waren unausgesetzt bemüht, die erforderlichen Devisen durch Ankauf am offenen Markt zu beschaffen. Dabei wurden die Industriellen und die Exporteure nach Kräften zur freihändigen Abgabe ihrer Exportdevisen angeregt.

Die Ergebnisse der Ankäufe reichten jedoch nicht entfernt zur Deckung des Bedarfes aus. Es mußte deshalb in weitestem Umfange die Kredithilfe des Auslandes in Anspruch genommen werden. Zunächst gelang es dem Hause Mendelssohn & Co - Amsterdam im Auslande insbesondere auch in England,[200] Valutakredite von insgesamt rund 270 Millionen Goldmark zu vermitteln3; daneben verschaffte sich die Reichsbank durch Verpfändung ihrer gesamten Silberbestände einen Lombardkredit von rund 58 Millionen Goldmark4. Aber selbst mit Hilfe dieser Kredite wird eine Einlösung der Wechsel nur unter der Voraussetzung der Hergabe eines Teils des Goldvorrates der Reichsbank möglich sein. Bei der außerordentlichen Bedeutung, welche die Erhaltung des Goldschatzes der Reichsbank für den Wiederaufbau des wirtschaftlichen Lebens in Deutschland hat, muß das Maß der Goldhergabe so niedrig als irgend möglich bemessen werden. Immerhin wird ein Betrag von etwa 50 Millionen Goldmark von der Reichsbank zur Verfügung gestellt werden müssen5.

Ungeachtet der durch die Kredithilfe geschaffenen bedeutenden Erleichterung hat die Inanspruchnahme des Devisenmarktes die Kursgestaltung auf das stärkste beeinflußt. Auszahlung London stellte sich an der Berliner Börse am 13. Mai auf 233 M (für ein Pfund). Im Durchschnitt des Monats Juni stieg sie auf 262,08, im Durchschnitt des Monats Juli auf 278,70, am 1. August stand sie auf 288,875, am 9. August auf 296,25, am 12. August auf 302,50, am 15. August hat sie die Höhe von 315,25 erreicht.

Ähnlich war die Bewegung des Dollarkurses, der sich am 13. Mai auf 58,31, im Juni-Durchschnitt auf 69,363, im Juli-Durchschnitt auf 76,665, am 1. August auf 81, am 9. August auf 80,5, am 12. August auf 82,625 und am 15. August auf 86 M (für einen Dollar) bezifferte.

Die Zusammenstellung zeigt deutlich, wie der Kurs mit dem Herannahen des Zahlungstermins unausgesetzt steigt und läßt die großen Gefahren klar[201] erkennen, die sich nicht nur für den deutschen, sondern auch für den internationalen Devisenmarkt ergeben, wenn sehr große internationale Zahlungen auf einen bestimmten, der Öffentlichkeit bekannten Termin fällig gestellt werden.

Bei alledem bleibt zu berücksichtigen, daß der Devisenmarkt zur Beschaffung der Zahlungen für den Import von Getreide fast nicht herangezogen zu werden brauchte, da es gelang, die Bezahlung des Getreides in der Hauptsache durch Aufnahme von Krediten im Betrage von über 120 Millionen Goldmark hinauszuschieben.

Selbstverständlich müssen die vorerwähnten Kredite sämtlich in verhältnismäßig kurzer Zeit abgedeckt werden. Die Bereitstellung der Milliarde Goldmark ist mithin nur durch ein Angreifen der der Reichsbank nach dem Waffenstillstandsabkommen noch verbliebenen Währungsreserve und unter einer sehr starken Vorbelastung der kommenden Monate möglich gewesen, während in den zur Bereitstellung der Milliarde Goldmark zur Verfügung stehenden drei Monaten nur etwa die Hälfte an Devisen beschafft werden konnte.

Ich benutze auch diese Gelegenheit, um Ihnen, Herr Botschafter, den Ausdruck meiner vorzüglichsten Hochachtung zu erneuern.

gez. Dr. Wirth6

Fußnoten

1

Laut Marginalie von Pukaß vom 16. 8. wurde das Dokument im Auftrag des RK mit der Bitte um Einverständniserklärung an den RAM gesandt. Dieser vermerkte ohne Datumsangabe: „Einverstanden Rosen“; daraufhin erledigte die Rkei die Angelegenheit am 17. 8., 9.30 h. Wer die Note entworfen hat, ist nicht zu ersehen; sie trägt lediglich eine Aktenverfügung Kempners.

2

Am 11.8.21 hatte das AA in einem Schreiben an das RFMin., das abschriftlich in die Rkei gelangte, ausgeführt: „Aus politischen Gründen ist nach meinem Dafürhalten der größte Wert darauf zu legen, daß der Forderung des Artikels V des Londoner Zahlungsplanes auf Zahlung von 1 Milliarde Goldmark bis 31.8.1921 mit voller Pünktlichkeit entsprochen wird, nachdem die Versuche, eine Stundung für einen Teil der Summe zu erlangen, gescheitert sind. Ich möchte daher die dringende Bitte aussprechen, die Zahlung der noch ausstehenden Beträge derart zu regeln, daß die Überweisung der Devisen oder der etwa notwendig werdende Versand von Gold spätestens etwa am 25.8.21 erfolgen, so daß mit der Gutschrift zum 31.8.21 mit Sicherheit zu rechnen ist. Ich verkenne nicht, daß eine Kürzung der Frist die Beschaffung der Devisenbeträge beeinträchtigt. Mit Rücksicht auf die Bedeutung der rechtzeitigen Erfüllung der Forderung wird man indessen diesen Nachteil selbst auf die Gefahr hin in Kauf nehmen müssen, daß ein stärkeres Zurückgreifen auf den Goldbestand dadurch notwendig wird.“ (R 43 I /21 , Bl. 50).

3

Nach einer Aufzeichnung der Reichsbank vom 5.9.21 über die Aufbringung der 1. Milliarde, hatte Dr. Fritz Mannheimer als Sozius des Hauses Mendelssohn in Amsterdam die Kredite in Holland, England, Frankreich, der Schweiz und einen kleineren Anteil auch in Schweden vermittelt. Rothschild in London hatte eine Kreditgewährung für die Rbk abgelehnt und die Befürchtung ausgesprochen, daß die anderen Londoner Banken Geschäfte, die Rothschild abgelehnt habe, auch ablehnen würden. Trotzdem kamen Kreditgeschäfte mit ersten Londoner Firmen zustande. In Frankreich gewährte das Haus Lazard Frères einen Kredit von 50 Millionen franz. Francs mit Genehmigung der französischen Regierung, die einer Frankenhausse infolge starker deutscher Nachfrage und einer anschließenden starken Baisse infolge Nachlassens der Nachfrage nach dem Zahlungstermin ausweichen wollte (R 43 I /21 , Bl. 145-154).

4

Nach der oben (Anm. 3) zitierten Aufzeichnung der Reichsbank mußten insgesamt 900 000 kg Silber im Ausland beliehen werden. Nachdem diese Menge von zahlreichen Reichsbankstellen zusammengetragen worden war, wurde sie in 90 Eisenbahnwagen mit je 10 000 kg verladen und ins Ausland transportiert. 250 000 kg gingen in 640 Kisten von je 8–9 Zentnern nach Übersee. Am 18. 8. trafen die letzten Silbermengen in New York ein, obwohl ein Kahn wegen des niedrigen Wasserstandes auf der Elbe liegengeblieben war (R 43 I /21 , Bl. 145-154, hier: Bl. 147f).

5

Nach der oben (Anm. 3) zitierten Aufzeichnung der Rbk ist ein Goldbetrag von 68 Millionen den Beständen der Reichsbank entnommen worden. Um die Zahlungen aus den Goldbeständen möglichst niedrig zu halten, kaufte man bis zum Schluß Devisen und sah das Reichsbankgold für die letzten Zahlungen an die belgische Nationalbank vor. Am 22./23. 8. stellte sich bei Verhandlungen heraus, daß die belgische Nationalbank das Gold auf deutsche Kosten nach Amerika senden wollte. Da man mit solchen Sendungen nach den Waffenstillstandsverhandlungen schlechte Erfahrungen gemacht hatte, sandte man das Gold direkt nach New York, was ohne Fristversäumnis möglich war, da die belgische Nationalbank die Zahlung als rechtzeitig erfüllt ansah, wenn sie am 31. 8. die Dokumente über die Verladung der Goldsendungen besäße. Darüber hinaus waren vom Reich 15 Millionen Gold gekauft worden, 8,3 Millionen schon früher gegen Veräußerung reichseigenen Silbers, der Rest stammte aus den seit Anfang Juni von der Rbk für das Reich bewirkten Goldankäufen (R 43 I /21 , Bl. 145-154, hier: Bl. 148f).

6

Bereits am 29.8.21 kann der RK in einem Schreiben an den RbkPräs. für die pünktliche Überweisung der 1. Milliarde danken: „Das Reichsfinanzministerium berichtet mir, daß die letzten Zahlungen für die Einlösung der 20 Dollarwechsel überwiesen sind, so daß die Milliarde Goldmark am 31. 8. pünktlich bezahlt sein wird. Ich weiß, daß ohne die Hilfe der Reichsbank dies nicht möglich gewesen wäre. Es drängt mich daher, Euer Exzellenz aus diesem Anlaß den Dank der Reichsregierung für die Mitwirkung der Reichsbank auszusprechen. Ich bitte, den Dank auch den beteiligten Herren des Reichsbankdirektoriums […] zu übermitteln.“ (R 43 I /21 , Bl. 116 f.).

Siehe auch Aufzeichnung des RFMin. über die Aufbringung der Zahlung von einer Milliarde Goldmark (RT-Drucks. Nr. 4140 S. 180 ff., Bd. 372 ).

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