2.33 (bau1p): Nr. 32 Der Kommandierende General des Reichswehrgruppenkommandos 1 von Lüttwitz an den Reichswehrminister. 25. Juli 1919

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[141] Nr. 32
Der Kommandierende General des Reichswehrgruppenkommandos 1 von Lüttwitz an den Reichswehrminister. 25. Juli 19191

R 43 I /682 , Bl. 119–120 Abschrift

[Betrifft: Heeresverminderung2.]

Die bevorstehende Verringerung der Wehrmacht auf Grund der Friedensbedingungen fordert allein vom Reichswehrgruppenkommando 1 eine Entlassung von rund 90 000 Offizieren und Mannschaften binnen 3 Monaten.

Von seiten des Reichswehrgruppenkommandos ist mehrfach mündlich und schriftlich auf die aus diesen Maßnahmen erwachsenden Gefahren hingewiesen. Ich halte es aber für meine Pflicht, auf Grund aller Erfahrungen und besonders mit Rücksicht auf Ereignisse der letzten Zeit3 meine Auffassung erneut zur Sprache zu bringen.

Die rein wirtschaftlichen Gefahren liegen klar. Die Zahl der Erwerbslosen wächst durch die Entlassung und die Rückkehr der Kriegsgefangenen plötzlich so an, daß auch die vorgeschlagenen Gegenmaßnahmen (Arbeiterbataillone mit Reichswehrgebührnissen, Arbeitsnachweise) nicht ausreichen werden, um die Leute unterzubringen und zu versorgen. Der bei vielen auch gutgesinnten Leuten vorherrschende Gedanke, nach treu erfüllter Pflicht auf die Straße gesetzt zu sein, muß die Unzufriedenheit steigern und wird zweifellos viele in die Arme der Spartakisten und Kommunisten treiben. Daß der Bolschewismus auf diese Tatsache baut, ist bekannt, und leider sind diese Hoffnungen nicht unberechtigt. Mit jedem entlassenen Mann wächst die Macht des Umsturzes, die Kampfkraft der Truppen geht zurück. In der Truppe selbst greift schon jetzt eine größere Unruhe Platz, weil die berechtigte Frage: Wann werde ich auf die Straße gesetzt? – in allen Köpfen spukt. Dem stehen die Führer machtlos gegenüber. Daß der innere Wert der Truppe unter solchen Zuständen leiden[142] muß, ist selbstverständlich und bereits erwiesen. Jede Verschiebung, jede Versetzung eines Truppenteils stößt auf Widerstand, weil die drohende Auflösung des Verbandes dahinter gesucht wird. Von mündlichen und schriftlichen Einwendungen und Widersprüchen hat die Entwicklung in dieser Hinsicht ihren Weg bereits zu „Bedingungen“ und scharf ausgesprochenen „Forderungen“ an den Reichswehrminister genommen4. Bis jetzt ist es gelungen, der Dinge Herr zu werden. Beginnt aber erst die wirkliche Auflösung von Verbänden, so ist der Weg zur glatten Weigerung mit allen ihren Folgen nicht mehr weit. Ich muß ernstlich und mit allem Nachdruck betonen: „Die innere Lage und die Stellung der Regierung ist nicht so, daß wir jetzt mit der Front gegen den Bolschewismus eine überhastete tiefgreifende, jeden einzigen [!] Verband erschütternde Umorganisation ertragen können. Die Disziplin der Reichswehr ist einer derartigen außergewöhnlichen Kraftprobe nicht gewachsen5.“

Wer glaubt, daß die Zeit der schweren Krisen und Kämpfe vorüber sei, irrt sich!

Ich bin mir vollkommen darüber klar, daß eine Verringerung des Heeres nicht zu umgehen ist, weise aber darauf hin, daß sie in dem geforderten Tempo, wenn überhaupt, so doch bestimmt nicht ohne die schwerwiegendsten Folgen für die Ruhe im Reich durchgeführt werden kann. Ich bitte deshalb dringend darauf hinzuwirken, daß als allerfrühester Termin für die Herabsetzung auf 2 mal 100 000 Mann von seiten der Entente der 1. April zugebilligt wird, um einen allmählichen Abbau zu ermöglichen. Ich halte diesen Vorschlag nicht für aussichtslos, habe vielmehr Grund zu der Annahme, daß die Entente die auch für sie unerwünschten politischen Folgen einer plötzlichen Massenentlassung in ihrem ganzen Umfange nicht übersieht und nicht überlegt hat6.

[143] Vorbedingung für ein Zugeständnis der Entente ist allerdings, daß führende Männer und Parteien sich in den gegenwärtigen außerordentlichen kritischen Zeiten jeder Äußerung enthalten, die von der Entente dahin ausgelegt werden könnte, als ob eine militärische Kamarilla lediglich aus Eigennutz und ohne zwingende politische Notwendigkeit die Erhaltung eines unnötig starken Heeres erstrebe7.

Der Kommandierende General

von Lüttwitz

General der Infanterie.

Fußnoten

1

Abschriften erhielten der RPräs., der RMinPräs., das PrKriegsMin., der Große Generalstab in Berlin, die Befehlsstelle Kolberg und die Kommandeure der Reichswehrbrigaden.

2

Der VV schrieb in seinen Bestimmungen über das Landheer eine einschneidende Reduzierung des z. Z. noch etwa 500 000 Mann umfassenden Heeres vor. So war gemäß Artt. 159–163 VV die Iststärke drei Monate nach Inkrafttreten des Vertrages auf 200 000 Mann, spätestens am 31.3.20 aber auf 100 000 Mann herabzusetzen. Nach der Unterzeichnung des VV durch die dt. Bevollmächtigten in Versailles am 28.6.19 wurde deutscherseits zunächst mit der Notwendigkeit einer baldigen Durchführung der Bestimmungen gerechnet. Vgl. dazu Dok. Nr. 55, Anm. 6 und Dok. Nr. 62, P. 8.

3

Gemeint ist wahrscheinlich folgender Vorgang: Für den 21. 7. waren von der politischen Linken Demonstrationen gegen den VV angekündigt worden. Unter dem Vorwand, ein kommunistischer Aufstand stehe bevor, versuchten daraufhin einige Verbände des zum Schutz des Berliner Regierungsviertels eingesetzten Garde-Kavallerie-Schützenkorps unter Hptm. Pabst, die RReg. zu stürzen (Aufstandsplan in: Arbeiterklasse siegt über Kapp und Lüttwitz. Bd. 1, Dok. Nr. 2). Der Putschversuch scheiterte an dem loyalen Verhalten des Chefs des Stabes des Reichswehrgruppenkommandos 1, Maj. von Stockhausen, und wurde sogar im Namen, wenn auch im Gegensatz zu den eigenen politischen Vorstellungen des Kommandierenden Generals von Lüttwitz, intern vereitelt (Handbuch zur dt. Militärgeschichte. Bd. VI, S. 244).

4

Einzelheiten s. bei Otto-Ernst Schüddekopf: Das Heer und die Republik. S. 94 ff.; unter der Überschrift „Ich sollte den Diktator spielen“ nimmt RWeM Noske in: Erlebtes aus Aufstieg und Niedergang einer Demokratie. S. 109 ff. zu den politischen Forderungen aus dem Offizierskorps Stellung.

5

Zitat im Original; Quelle nicht ermittelt. – Über die Spannungen innerhalb des Offizierskorps unter dem Eindruck der Vereitelung des Putschversuchs vom 21. 7. schreibt Lüttwitz später: „Eine Besprechung dieses ernsten Vorfalls mit den Generalen meines Befehlsbereichs [am 26. 7.] hatte das Ergebnis, daß wir uns dahin einten, es müsse unbedingt besser für die Armee gesorgt werden; auch dürfe nichts zugelassen werden, was gegen des Vaterlandes und der Armee Ehre ginge und die Zustände im Reich aus innerer Schuld wieder verschlimmern könne.“ Im einzelnen sollte – notfalls mit Gewalt – die Auslieferung angeblicher Kriegsverbrecher, die Verringerung der Reichswehr unter 200 000 Mann, der Wiedereintritt von Unabhängigen Sozialdemokraten in die RReg. und der Abfall von Teilen des Reichs verhindert werden. „Später kam noch die Verhinderung der verfassungswidrigen Verschiebung der Reichstagswahlen hinzu.“ Nicht alle Teilnehmer der Offiziersbesprechung stimmten dem Einsatz mil. Gewaltmittel gegen die RReg. für den Fall zu, daß die Forderungen unerfüllt blieben. Lüttwitz dagegen beruft sich bei seinem ultimativen Vorgehen am 10.3.20 (vgl. Dok. Nr. 210) auf diese im Juli 1919 getroffenen Vereinbarungen (Walther Frhr. von Lüttwitz: Meine Erklärungen zum Kapp-Unternehmen. S. 6 f. in: Nachl. Luetgebrune , Nr. 27; vgl. ders.: Im Kampf gegen die Novemberrevolution. S. 85 ff.). Über die Stimmung der Truppe und ihr Verhältnis zur RReg. hält Gen. von Lüttwitz dem RPräs. und dem RK am 17. 8. Vortrag. Er berichtet darüber dem RWeM mit Schreiben vom 1. 9.; Unterlagen dazu konnten in den Akten der Rkei nicht ermittelt werden. Das Schreiben ist u. a. abgedruckt in: Ursachen und Folgen. Bd. 3, Dok. Nr. 781.

6

Gegen eine überstürzte Durchführung der Heeresverminderung wendet sich kurz vor der Niederlegung seines Kommandos in Kolberg auch Gen. Groener in einer dem RPräs. am 17.9.19 übersandten Denkschrift. Tief durchdrungen von der Überzeugung, „daß letzten Endes auf dieser Welt des Kampfes im kleinen und großen die Macht entscheidet“, wie es im Begleitschreiben heißt, fordert er angesichts der äußeren, vor allem von Polen ausgehenden Bedrohung und zur Aufrechterhaltung der Ruhe im Innern, „daß die Verringerung des Heeres in diesem schwierigen Augenblick nicht nach dem Wortlaut des Vertrages durchgeführt wird, sondern daß mit oder ohne Einverständnis der Entente mindestens ein Heer von 350 000 Mann bestehen bleibt, wie ich dies schon bei den Besprechungen im Kriegsministerium [am 21. 8.] gefordert habe. Wenn es nicht anders geht, muß dieses Ziel durch passive Resistenz erreicht werden. Aus diesem Grunde kann auch nicht dringend genug vor überstürzten Maßnahmen gewarnt werden, wie sie sogar schon jetzt, noch vor Ratifizierung des Friedensvertrages, getroffen werden“ (Durchschrift im Nachl. Schleicher , N 42/12, Bl. 207–226).

7

In seinem Antwortschreiben vom 25.8.19 an das Reichswehrgruppenkommando 1 bekennt sich der RWeM zu der Ansicht, „daß es zur Beruhigung der Truppe notwendig ist, bald Farbe zu bekennen, in welchem Umfange Entlassungen beabsichtigt sind. Unsicherheit und Entschlußlosigkeit sind für den Geist der Truppe gefährlicher als klare Anordnungen, wenn auch von diesen einzelne unliebsam berührt werden. Auf einen Erfolg des Vorschlags, an den Feinbund in dem ersten Augenblick, wo über militärische Fragen unterhandelt wird, heranzutreten mit der Bitte, die militärischen Klauseln zu mildern, darf nicht gebaut werden. Trotzdem wird aber selbstverständlich alles versucht werden, um die Bedingungen zu mildern“ (Durchschrift für den RK; R 43 I /682 , Bl. 136). – Zur Aufstellung von Richtlinien für die Verhandlungen mit dem interall. Heeresüberwachungsausschuß s. Dok. Nr. 110.

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