2.102.1 (bru1p): Entwurf eines Gesetzes über Wahlreform.

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Entwurf eines Gesetzes über Wahlreform.

Der Reichsminister des Innern trug den Inhalt des Entwurfs vor1. Er führte u. a. aus, daß er sich in dem Entwurf nicht für den Ein-Männer-Wahlkreis[378] entschieden habe, weil seine Einführung ohne Verfassungsänderung nicht möglich sei2. Er habe sich auch nicht für Heraufsetzung des Wahlalters entschieden3. Dagegen sähe der Entwurf erheblich kleinere Wahlkreise, im ganzen 162, sowie Abschaffung des amtlichen Stimmzettels und der Reichsliste vor.

Ministerialrat Dr. Kaisenberg erläuterte an Hand einer Karte die Einteilung des Entwurfs in 162 Wahlkreise.

Der Reichsminister der Justiz sprach sich gegen kleine Wahlkreise aus. Es sei in Wirklichkeit so gut wie unmöglich, ein enges Verhältnis zwischen Wähler und Gewählten herzustellen.

Er sei auch gegen Einführung einer Wahlpflicht, jedoch für Erhöhung der Verteilungszahl auf 80 000 Stimmen für ein Mandat, so daß die Zahl der Abgeordneten abnehme. Das Wahlalter müsse unbedingt heraufgesetzt werden. Die in dem Entwurf vorgesehenen Reformen seien unzureichend.

Der Reichsverkehrsminister stimmte darin mit dem Reichsminister des Innern überein, daß ein nicht verfassungsändernder Entwurf vorzulegen sei. Im übrigen sprach er sich für eine von vornherein fest bestimmte Anzahl von Abgeordneten aus, so daß die Verteilungszahl in den einzelnen Wahlbezirken verschieden sei.

Der Reichsminister des Auswärtigen erklärte, die Reichsregierung solle nur dann einen Reformentwurf an den Reichsrat leiten, wenn sie glaube, daß der Entwurf zugkräftig sei. Zweifellos werde die Reichsregierung mit einer Abschaffung der Reichsliste und der Verminderung der Zahl der Abgeordneten in der Öffentlichkeit Eindruck machen. Es entstehe jedoch die Frage, ob die in dem Entwurf vorgesehenen Reformen genügten. Die Öffentlichkeit werde fragen, ob der Entwurf auch die Einführung der Wahlpflicht und die Heraufsetzung des Wahlalters enthalte. Er stimme darin dem Entwurf zu, daß die Reichsliste nicht beizubehalten sei. Eine Verkleinerung des Reichstags werde zwar demagogisch wirken, sei aber aus sachlichen Gründen nicht anzustreben, weil der Reichstag auch über genügend Abgeordnete verfügen müsse, wenn er sachliche Arbeit leisten wolle.

Der Reichskanzler führte aus, daß die amtlichen Stimmzettel eine unglückliche Einrichtung seien. Sie wirkten außerdem deshalb allmählich beinahe unwürdig,[379] weil sie zu viele Parteien aufführten. Er sei bereit, die Einführung der Wahlpflicht mitzumachen. Fraglich sei ihm allerdings, welche Strafe die Verletzung der Wahlpflicht zur Folge haben solle. Die Entziehung des Wahlrechts als Strafe werde gerade für die bürgerlichen Parteien verhängnisvoll wirken.

Das Wahlalter jetzt heraufzusetzen, halte er für bedenklich. Die bürgerlichen Parteien hätten in kleinen Wahlkreisen nach seiner Auffassung bessere Aussichten als in großen Wahlkreisen. Außerdem wirkten die kleinen Wahlkreise förderlich auf einen Zusammenschluß von Parteien. Sollte es unter diesem Kabinett nicht gelingen, die Mittelparteien in irgendeiner Form zu einem Zusammenschluß zu bringen, dann würde er das als einen bedauerlichen Mißerfolg ansehen.

Der Stellvertreter des Reichskanzlers und Reichsminister der Finanzen führte aus, daß die Öffentlichkeit die Abschaffung der Reichsliste erwarte. Im übrigen halte er den Einer-Wahlkreis für das richtige. Was das Wahlalter anlange, so sei die Heraufsetzung auf 21 Jahre zu verantworten. Gegen die Einführung der Wahlpflicht habe er Bedenken.

Der Reichsminister für die besetzten Gebiete sprach sich gegen den Einer-Wahlkreis und für Abschaffung der Reichsliste aus.

Der Reichsarbeitsminister knüpfte an die Ausführungen des Reichsverkehrsministers an und sprach sich dafür aus, daß die Zahl der Abgeordneten von vornherein fest bestimmt werde, die Verteilungszahl für die Mandate jedoch wechsele. Notwendig seien kleinere Wahlkreise. Zu überlegen sei die Heraufsetzung des Wahlalters und die Einführung der Wahlpflicht. Unbedingt richtig sei die Beseitigung des amtlichen Stimmzettels.

Über den Vorschlag des Reichsverkehrsministers und des Reichsarbeitsministers, die Zahl der Abgeordneten von vornherein fest zu bestimmen, so daß die Verteilungszahl wechselt, wurde sodann noch eingehender gesprochen.

In der Aussprache nahmen u. a. der Reichskanzler der Stellvertreter des Reichskanzlers und Reichsminister der Finanzen der Reichsminister des Innern und der Reichsarbeitsminister das Wort.

Der Reichskanzler machte den Vorschlag, das Reichsministerium des Innern solle zunächst unter Zugrundelegung einer Einwohnerzahl von 130 000 Einwohnern für ein Mandat prüfen, wie sich derartige Bestimmungen in den Wahlbezirken Württemberg, Baden und Berlin auswirken würden.

Um 6 Uhr nachmittags werde sich das Reichskabinett sodann erneut mit der Angelegenheit befassen4.

Gegen diesen Vorschlag des Reichskanzlers erhob sich kein Widerspruch.

Fußnoten

1

Der Wahl-GesEntw. des RIM vom 15.8.30 (R 43 I /1000 , S. 151–211) enthielt gegenüber der Fassung des Reichswahlgesetzes vom 6.3.24 (RGBl. I, S. 159 ) folgende Änderungen: Die Zahl der Wahlkreise wurde von 35 auf 162 erhöht; entsprechend wurde die für ein Abgeordnetenmandat notwendige Stimmenzahl von 60 000 (§ 30, RGBl. 1924 I, S. 162 ) auf 70 000 erhöht (§ 20 des Entw.). Der Entw. enthielt keine Bestimmungen mehr über Reichswahl-, Verbandswahl- und Kreiswahlvorschläge. Auch die mit Gesetz vom 31.12.23 (RGBl. 1924 I, S. 1 ) eingeführten amtlichen Stimmzettel waren im Entw. nicht mehr vorgesehen. Die Übernahme der Druckkosten für die Wahlzettel durch die Parteien sollte der Parteienzersplitterung einen Riegel vorschieben (Begründung zum GesEntw., R 43 I /1000 , S. 202; ähnliche Maßnahmen hatte schon das Kabinett Marx IV im Frühjahr 1928 diskutiert: R 43 I /1000 , S. 21–89). Die durch die RT-Wahlen anfallenden Kosten sollten künftig von den Ländern und Gemeinden allein getragen werden (§ 31 des Entw.; vgl. dagegen §§ 41–42 des Gesetzes vom 6.3.24, RGBl. I, S. 163 –164).

2

Die vorläufige Begründung zum GesEntw. lehnte die Einerwahl, d. h. die Aufteilung des Reichsgebiets in so viele Wahlkreise, wie Abgeordnete zu wählen sind, ab, weil sie mit der in Art. 22 RV vorgeschriebenen Verhältniswahl nicht zu vereinbaren sei. Die reine Einerwahl gehöre in das Mehrheitswahlsystem. Die verschiedenen Versuche, die Einerwahl mit der Verhältniswahl zu verbinden, hätten keine politisch brauchbaren Ergebnisse gezeitigt (R 43 I /1000 , S. 202–203).

3

Die Wirtschaftspartei hatte im 4. RT zwei Anträge zur Erhöhung des Wahlalters von 20 auf 25 Jahre (RT-Bd. 438 , Drucks. Nr. 1479 ) bzw. 24 Jahre (sowie Erhöhung des passiven Wahlalters von 25 auf 30 Jahre, RT-Bd. 442 , Drucks. Nr. 2142 , P. 2) eingebracht. Auch die DVP hatte einen GesEntw. über die Erhöhung des Wahlalters auf 25 Jahre vorgelegt (RT-Bd. 442 , Drucks. Nr. 2324 ).

4

S. Dok. Nr. 104, P. 2.

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