2.17.2 (bru1p): 2. Politische Lage.

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2. Politische Lage.

Der Reichskanzler teilte mit, daß der Gesetzentwurf über Zolländerungen dem Handelspolitischen Ausschuß des Reichstags überwiesen worden sei1.[48] Der Antrag auf Erhöhung der Umsatzsteuer sei dem Steuerausschuß überwiesen worden2.

Es entstehe nun die Frage, wie die Deutschnationalen in zweiter Lesung über die Steuergesetze stimmen würden. Der Abgeordnete Dr. Oberfohren habe ihm, dem Reichskanzler, mitgeteilt, daß die Deutschnationalen in der zweiten Lesung gegen die Steuergesetze stimmen würden. Nach seiner, des Reichskanzlers, Auffassung müsse zunächst in der morgigen Reichstagssitzung (12. 4.) der Versuch gemacht werden, die Agrarvorlage erst zum Schluß der Sitzung zur Abstimmung zu bringen, so daß die Steuergesetze zuerst zur Abstimmung kämen3. Wenn die Steuergesetze abgelehnt würden, müsse die Reichsregierung ein Ermächtigungsgesetz beantragen. Werde dieses abgelehnt, sei der Reichstag aufzulösen. Wenn so vorgegangen werde, habe die Reichsregierung bewiesen, daß sie jeden möglichen parlamentarischen Weg versucht habe.

Der Reichsminister der Finanzen teilte mit, daß die Deutschnationalen in der zweiten Lesung für den Benzolzoll und das Agrarprogramm stimmen würden. Der Abgeordnete Dr. Oberfohren habe ihm das mitgeteilt und auf die Frage, ob die Deutschnationalen wenigstens in der dritten Lesung für das Finanzprogramm der Regierung stimmen würden, die Antwort gegeben, er hoffe das durchaus4. Oberfohren habe jedoch erklärt, daß die Deutschnationalen eine Zusage der Reichsregierung wegen beschleunigter Durchführung des Ostprogramms erwarteten5.

Der Reichsminister für die besetzten Gebiete vertrat die Auffassung, die Regierung könne den hinter ihr stehenden Parteien nicht zumuten, die Entscheidung noch weiter hinauszuschieben. Viele deutschnationalen Abgeordneten hätten ihm erklärt, sie wollten wahrscheinlich nach der zweiten Lesung des Steuer- und Agrarprogramms aus der Fraktion austreten6. Die Regierung müsse klar zum Ausdruck bringen, daß sie ein Ermächtigungsgesetz beantragen wolle, wenn in der zweiten Lesung keine Mehrheit für die Steuergesetze zustande komme. Bei Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes müsse die Auflösung des Reichstags erfolgen.

Der Reichskanzler ging auf die Reihenfolge der Tagesordnung in der Reichstagssitzung am Sonnabend, den 12. April, ein und gab der Auffassung[49] Ausdruck, daß die Sozialdemokraten wohl kaum gegen eine Umstellung der Tagesordnung stimmen würden, so daß die Agrarvorlagen hinter den Steuergesetzen zur Abstimmung kämen.

Der Stellvertreter des Reichskanzlers erklärte sich bereit, mit den Sozialdemokraten über diesen Punkt Fühlung zu nehmen.

Der Reichsminister der Finanzen regte die Einbringung eines Abänderungsantrages an, wonach das Agrarprogramm erst dann in Kraft treten solle, wenn die Steuergesetze in Kraft getreten seien.

Der Reichsminister für die besetzten Gebiete bat, zu erwägen, ob nicht der Abgeordnete Dr. Föhr oder ein anderer Vertreter der Regierungsparteien vor der Abstimmung über die Agrarvorlagen erklären könne, die Regierungsparteien stimmten nur unter der Voraussetzung für das Agrarprogramm, daß auch die Steuergesetze angenommen würden7.

Der Reichsverkehrsminister sprach sich in erster Linie für eine Umstellung der Tagesordnung mit dem Ziel aus, daß die Agrarvorlagen hinter den Steuervorlagen zur Abstimmung kämen. Sollte das nicht erreicht werden können, so sei die Abgabe einer Erklärung eines Vertreters der Regierungsparteien mit dem von dem Reichsminister für die besetzten Gebiete dargelegten Inhalt zu überlegen. Außerdem sei die Einbringung eines Antrages erforderlich, daß die Agrargesetze nur in Kraft treten könnten, falls auch die Steuergesetze Annahme fänden.

Der Stellvertreter des Reichskanzlers der inzwischen mit dem Abgeordneten Dr. Breitscheid wegen Umstellung der Tagesordnung Fühlung genommen hatte, teilte mit, daß nach der Äußerung Dr. Breitscheids die Sozialdemokraten wahrscheinlich für eine Umstellung der Tagesordnung stimmen würden, so daß die Agrargesetze erst hinter den Steuergesetzen zur Abstimmung kämen.

Es bestand schließlich Übereinstimmung darüber, daß auf jeden Fall ein Abänderungsantrag der Regierungsparteien zu Antrag Nr. 1949 der Drucksachen des Reichstags eingebracht werden solle, wonach das Agrarprogramm nur gemeinschaftlich mit dem Finanzprogramm in Kraft treten könne8.

Es wurde als zweckmäßig bezeichnet, die Lage nochmals eingehend mit den Vertretern der Regierungsparteien durchzusprechen9.

Fußnoten

1

S. den Antrag des RT-Abg. Dessauer (Z) in der Sitzung vom 11.4.30 vormittags (RT-Bd. 427, S. 4881 ; vgl. auch S. 4916).

2

S. den Antrag des RT-Abg. Hertz vom 11.4.30 (RT-Bd. 427, S. 4897 ; vgl. auch S. 4916).

3

RT-Präs. Löbe hielt in der Sitzung vom 12.4.30 an der ursprünglichen TO fest und ließ erst über die Agraranträge und danach über die Steuervorlagen abstimmen (RT-Bd. 427, S. 4939 –4949).

4

Am 12.4.1930 stimmte die Mehrheit der DNVP-Fraktion unter der Führung des Grafen Westarp (Schultheß 1930, S. 109) dem Agrar- und Steuerprogramm der RReg. in der 2. Lesung zu (RT-Bd. 27, S. 4939 –4949; S. 4953 f.). In der 3. Lesung am 14.4.30 billigte die DNVP den GesEntw. über Zolländerungen einstimmig, für die Gesetzentwürfe über Tabak-, Zucker-, Bier- und Mineralwassersteuern stimmten 36, dagegen 20 DNVP-Abgeordnete (RTBd. 427, S. 5003  f.). Zur Besprechung mit Oberfohren s. auch Pünder, Politik in der Reichskanzlei, S. 49. Zusammenstellung der Gesetzentwürfe mit den Beschlüssen des RT in 2. Lesung s. RT-Bd. 441 , Drucks. Nr. 1966 –1971.

5

DNVP-Abg. Hergt forderte am 12. 4. die RReg. auf, mindestens 200 Mio RM für die Osthilfe bereitzustellen. In derselben RT-Sitzung hatten die Regierungsparteien eine Entschließung zur sofortigen Vorlage eines OsthilfegesEntw. eingebracht (RT-Bd. 427, S. 4924  bis 4926).

6

Zu Austritten aus der DNVP kam es erst im Juli 1930; s. Dok. Nr. 74, Anm. 6.

7

Die Verbindung der Steuergesetze mit den Agrarvorlagen hatte RVM v. Guérard bereits am 4.4.1930 in der Vorstandssitzung der Zentrumsfraktion vorgeschlagen (Morsey, Protokolle, Dok. Nr. 568). Am 11.4.1930 erklärte Abg. Föhr (Z) im Namen der Regierungsparteien, daß diese im Falle der Ablehnung des Steuerprogramms die Initiativanträge zur beschleunigten Verabschiedung des Agrarprogramms (RT-Bd. 441 , Drucks. Nr. 1949 ; vgl. Dok. Nr. 15 und Dok. Nr. 18) zurückziehen würden (RT-Bd. 427, S. 4879 ).

8

Der von den Regierungsparteien am 10.4.1930 eingebrachte Antrag (RT-Bd. 441 , Drucks. Nr. 1949 ) sah als Ergänzung des GesEntw. über Zolländerungen „Maßnahmen zum Schutze der Landwirtschaft“ vor. Das Junktim zwischen Finanz- und Agrarprogramm wurde im Anschluß an die Ministerbesprechung in der Parteiführerbesprechung (Dok. Nr. 18) von den Regierungsparteien gebilligt. Den Initiativantrag (RT-Bd. 441 , Drucks. Nr. 1957 ) begründete der RK am 12. 4. im RT (RT-Bd. 427, S. 4920 ). Die Abstimmung über die Gesetzesvorlagen fand nach der 3. Lesung am 14.4.30 statt (RT-Bd. 427, S. 4993 –4999). Text der mit Mehrheit angenommenen Gesetze im RGBl. 1930 I, S. 131 .

9

S. Dok. Nr. 18.

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