1.103 (bru3p): Nr. 617 Vermerk des Staatssekretärs Pünder über eine Besprechung des Reichspräsidenten mit dem Reichskanzler wegen der Wahl des Reichspräsidenten. 5. Januar 1932

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[2139] Nr. 617
Vermerk des Staatssekretärs Pünder über eine Besprechung des Reichspräsidenten mit dem Reichskanzler wegen der Wahl des Reichspräsidenten. 5. Januar 1932

Nachl. Pünder Nr. 680 Durchschrift

Bei der letzten Besprechung zwischen dem Herrn Reichspräsidenten und dem Herrn Reichskanzler kurz vor Weihnachten war bereits die Frage einer etwaigen Verlängerung der Wahlperiode des Herrn Reichspräsidenten kurz erörtert worden1. Beide Herren verabredeten, Anfang Januar nach Rückkehr des Herrn Reichskanzlers von seinem kurzen Urlaub die Frage abschließend zu besprechen. Diese Besprechung war dann zwischen Herrn Staatssekretär Meissner und mir auf heute, Dienstag den 5. Januar, 11 Uhr vormittags verabredet worden2.

Wegen der zweckmäßigsten Art der Formulierung eines solchen Gesetzentwurfs ging der heutigen Besprechung der beiden Herren eine kurze vertrauliche Vorbesprechung des Herrn Reichskanzlers voraus, zu der ich die Herren Reichsjustizminister Joël und Staatssekretär Zweigert zu 10.30 Uhr vormittags gebeten hatte3. Alle vier waren wir der Auffassung, daß eine ganz kurze Verlängerung, bei der es dem Herrn Reichspräsidenten überlassen bleiben solle, unter Berücksichtigung der außen- und innenpolitischen Lage und seiner eigenen körperlichen und geistigen Kräfte den genauen Zeitpunkt seines Rücktritts zu bestimmen, eine unzweckmäßige Lösung darstelle. Besonders Staatssekretär Zweigert wies darauf hin, daß das Einfachste und Logischste ein verfassungsänderndes Gesetz mit einer neuen gesetzmäßigen Wahlperiode darstelle, bei welcher Lösung es selbstverständlich dem Herrn Reichspräsidenten überlassen bleibe, von sich aus seinen Rücktritt zu erklären.

Unter diesem Gesichtspunkt hat der Herr Reichskanzler alsdann heute dem Herrn Reichspräsidenten die Angelegenheit vorgetragen. Der Herr Reichspräsident erklärte zunächst sein grundsätzliches Einverständnis und äußerte sich zu der Frage der Formulierung des Gesetzes im einzelnen ebenfalls dahin, daß eine Verlängerung nur für wenige Monate wohl etwas mißlich sei. Natürlich müsse die Formulierung so sein, daß sein jederzeitiger Rücktritt ihm möglich bleibe. Mit dieser Maßgabe beauftragte der Herr Reichspräsident den Herrn Reichskanzler mit der Vornahme der erforderlichen Sondierungen, wobei er sich aber noch über gewisse Bedingungen und Voraussetzungen der neuen Amtübernahme ungefähr im folgenden Sinne äußerte:

Voraussetzung für alles sei natürlich, daß er weiterhin seine körperliche Gesundheit und Rüstigkeit behalte. Es müsse auch klargestellt sein, daß es dem Vaterlande[2140] im In- und Auslande Nutzen bringe, wenn er sich erneut zur Verfügung stelle. Das Amt müsse ihm im übrigen als eine vollendete Tatsache in seine Hände gelegt werden, da er nicht geneigt und in der Lage sei, sich einer neuen Wahlkampagne auszusetzen. Da er auch nicht Platzhalter irgendeiner Partei sei, dürfe es auch keine Schachergeschäfte zwischen den Regierungsparteien oder anderen politischen Gruppen geben. Die zu suchende Formel und die Verhandlungen dürften auch nicht den Eindruck entstehen lassen, als wenn im deutschen Volke Uneinigkeit über solche Grundfragen der Nation herrsche.

In diesem Zusammenhange äußerte der Herr Reichspräsident sich auch kurz über die Preußenwahlen, wobei er der Meinung war, daß ein etwaiger Versuch, die bevorstehenden Preußenwahlen unter irgendeiner Begründung nicht stattfinden zu lassen, von ihm verhindert werden würde. Diesbezüglich bemerkte der Herr Reichskanzler, daß er ohne Sorge sein könne, da es gar keine verfassungsmäßige Möglichkeit gebe, die Preußenwahlen, die selbstverständlich stattfinden müßten, zu vertagen4.

Bei Abschluß dieser politischen Aussprache stellte der Herr Reichspräsident nochmals fest, daß es ihm natürlich überlassen bleiben müsse, wann er aus dem Amt ausscheiden zu müssen glaube.

Anschließende mehr persönliche allgemeine Betrachtungen ließen erkennen, daß dem Herrn Reichspräsidenten der Entschluß, sich dem Vaterlande erneut zur Verfügung zu stellen, sehr schwer wird. Er ließ die Bemerkung fallen, daß Leute, die früher stark zu ihm gehalten hätten, immer noch keine Ruhe ließen, bis ihm schließlich auch noch einmal eine Bombe vor die Füße geworfen werde wie seinem Kriegskameraden Generalfeldmarschall von Eichhorn5. Reichskanzler Dr. Brüning berührte in diesem Zusammenhange das Verhältnis zwischen dem alten General von Ziethen6 und Friedrich dem Großen, worauf der Herr Reichspräsident, gleichfalls auf die preußische Geschichte eingehend, erwähnte, daß in der napoleonischen Zeit der General von der Marwitz7 ja auch den Freiherrn vom Stein als einen französischen Agenten bezeichnet hätte.

Der Herr Reichskanzler wird dem Herrn Reichspräsidenten sofort nach Abschluß seiner vorläufigen Sondierungen erneut Bericht erstatten8.

Pünder.

Fußnoten

1

Der Empfang des RK durch den RPräs. hatte am 23.12.31 um 12.15 Uhr stattgefunden (Nachl. Pünder  Nr. 44, Bl. 157).

2

Nach den „Tagesnotizen für Reichskanzler und Staatssekretär“ dauerte die Unterredung beim RPräs. 40 Minuten (Nachl. Pünder  Nr. 44, Bl. 147).

3

Die Besprechung mit Joël und Zweigert fand von 10.50 Uhr–11 Uhr statt (Nachl. Pünder , Nr. 44, Bl. 147).

4

Nach Nachl. Hugenberg  192, Bl. 21 sollte MinDir. Zechlin die Verschiebung der Preußenwahlen erwähnt haben. Am 8.1.32 dementierte StS Weismann alle Gerüchte über eine Verschiebung der pr. LT-Wahlen; die Wahlen würden verfassungsgemäß vor dem Ablauf der gegenwärtigen Legislaturperiode am 20.5.32 stattfinden (WTB-Meldung im Nachl. Pünder, Nr. 97, Bl. 278). Vgl. auch Dok. Nr. 666.

5

Brüning überliefert diese Bemerkung des RPräs. ohne Datierung aus einer der Besprechungen im Herbst 1931: Brüning, Memoiren, S. 451. Generalfeldmarschall Hermann v. Eichhorn wurde am 30.7.18 in Kiew von russ. Sozialrevolutionären ermordet, die mit dieser Tat die Friedensbemühungen der bolschewistischen Reg. stören wollten.

6

Hans-Joachim von Ziethen (1699–1786), pr. Reitergeneral, war wegen Insubordination mehrfach vom Dienst suspendiert worden.

7

Friedrich August Ludwig von der Marwitz (1777–1837), preußischer General, wurde 1806 wegen seines Widerstandes gegen die Reformen des Freiherrn vom Stein mit Festungshaft bestraft.

8

Vgl. hierzu Dok. Nr. 626. Zur Unterredung vom 5.1.32 siehe auch Brüning, Memoiren, S. 500.

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