1.231 (bru3p): Nr. 745 Vermerk des Staatssekretärs v. Bülow über eine Besprechung des Reichskanzlers mit dem Französischen Botschafter am 13. Mai 1932

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[2512] Nr. 745
Vermerk des Staatssekretärs v. Bülow über eine Besprechung des Reichskanzlers mit dem Französischen Botschafter am 13. Mai 1932

Nachl. Pünder, Nr. 93, Bl. 83–85

Herr Reichskanzler empfing heute Nachmittag den Französischen Botschafter1, der zunächst der Reichsregierung Dank sagte für die Trauerkundgebungen und Sympathiebeweise anläßlich des Todes des französischen Präsidenten2.

Der Botschafter sprach dann über die letzte Rede des Herrn Reichskanzlers3 und den Eindruck, den sie auf ihn und einige Mitglieder des Diplomatischen Korps gemacht habe. Besonders aufgefallen sei die Wendung „100 m vor dem Ziel“4, worauf der Herr Reichskanzler einwarf, es komme bei der Beurteilung der Entfernung vom Ziel auf die Gesamtstrecke an. Man dürfe, so fuhr der Herr Reichskanzler fort, sich über den Ernst der Lage in allen Ländern keine Illusionen machen. Überall stünden Zusammenbrüche bevor. Deutschland könne an sich noch ziemlich lange durchhalten, aber die Mittel, die wir dabei anwenden würden, könnten leicht zu einem Zusammenbruch des Kreditsystems der Welt führen5. Es müsse also rechtzeitig etwas geschehen.

Der Botschafter machte darauf ähnliche Ausführungen über die Notwendigkeit weitreichender Maßnahmen und großzügiger Projekte, wie mir gegenüber heute Vormittag, und erwähnte auch den internationalen Zusammenschluß der Eisenbahnen6. Letzteren Vorschlag lehnte der Herr Reichskanzler ab und wies seinerseits auf die Bedeutung einer internationalen Rationalisierung und Zusammenfassung der Elektrizitätswirtschaft, die durch Verbilligung und bessere Verteilung der[2513] europäischen Wirtschaft einen großen Impuls geben würden7. Hierbei würde Frankreich auch besser fahren als mit irgendwelchen Reichsbahngeschäften, denn die Eisenbahn habe zunächst keine Zukunft zu erwarten.

Das Gespräch ging dann auf die Währung über, die, wie der Herr Reichskanzler ausführte, deutscherseits mit großer Energie gehalten worden sei, in Erwartung einer baldigen Lösung im Wege einer internationalen Verständigung. Bei Erörterung des Problems der Präferenzen wies der Herr Reichskanzler darauf hin, daß das Meistbegünstigungssystem zur Zeit tot sei. Man müsse versuchen, es wieder zum Leben zu erwecken, am besten auf dem Umwege über ein europäisches Präferenzsystem. Er wünsche eine Rückkehr zum wirtschaftlichen Teil des Briand’schen Paneuropaprogramms8. Der Botschafter wies darauf hin, daß derartige Projekte und Pläne rechtzeitig verbreitet und ausgearbeitet werden müßten. Herr Reichskanzler beklagte in diesem Zusammenhang die Schwierigkeiten, die sich aus dem Wechsel der Personen ergeben, mit denen er zu verhandeln habe – Laval, Tardieu und demnächst Herriot9. Er fragte, ob er Aussicht habe, nochmals mit Tardieu in Genf zusammenzutreffen, was François-Poncet verneinte. Herr Reichskanzler wies seinerseits erneut darauf hin, daß keine Zeit mehr verloren werden dürfe. Demgegenüber betonte der Botschafter die Schwierigkeiten der Regierungsbildung in Frankreich. Herriot sei aber durchaus ein Mann, mit dem man auch über großzügige Projekte verhandeln könne.

Sodann betonte er die Notwendigkeit, Frankreich etwas auf dem Gebiet der „Sicherheit“ zu bieten. Hierzu genüge an sich ein „Neuanstrich“ von Locarno. Herr Reichskanzler sagte, er sei zu einem Eingehen auf erfüllbare französische Wünsche bereit, ein Ostlocarno komme aber nicht infrage. François-Poncet erwähnte darauf die Möglichkeit eines Konsultativ-Paktes. Herr Reichskanzler wies darauf hin, daß gerade diese Fragen bei einer neuerlichen Zusammenkunft mit Tardieu behandelt werden sollten, wozu jetzt leider keine Möglichkeit mehr bestehe. Er könne sich verschiedene, auch Frankreich befriedigende Lösungen vorstellen, in deren Rahmen aber eine Endlösung für die Reparationsfrage unerläßlich sei.

Das Gespräch wandte sich dann dem Eindruck zu, den der Rücktritt des Reichswehrministers Groener10 in Frankreich gemacht hat und der Unklarheit über die außenpolitischen Ziele der Nationalsozialisten.

[2514] Zum Schluß erklärte der Botschafter, er werde dem Präsidenten Lebrun11 darlegen, welche Gefahren Europa drohten und darauf hinweisen, daß man in Frankreich nicht länger mit der Kabinettsbildung warten dürfe.

Bülow

Fußnoten

1

Das Dok. ist auch abgedruckt in ADAP, Serie B, Bd. XX, Dok. Nr. 82, sowie in Schulz, Politik und Wirtschaft in der Krise, Dok. Nr. 500.

2

Der frz. Staatspräsident Doumer war am 7.5.32 an den Folgen eines Revolverattentats auf ihn am 6.5.32 gestorben (Schultheß 1932, S. 293).

3

Rede des RK am 11.5.32 im RT in RT-Bd. 446, S. 2593 –2602.

4

Mit diesem Wort hatte der RK seine Rede beendet; der Schlußabsatz lautet im Zusammenhang: „Die Hoffnungen, meine Damen und Herren, die man so weckt, sie gehen sehr leicht über in einen Rückschlag nach der anderen Seite hin. Ich persönlich habe es vermieden und habe es bewußt nur während der Reichspräsidentenwahl getan, in Agitation gegen einzelne Parteien einzutreten. Damals war es meine Pflicht. Ich habe sehr lange zu vielen Dingen geschwiegen. Es spielt auch gar keine Rolle, was Sie über mich im Lande so, wie eben mein Herr Vorredner erzählte, verbreiten; es läßt mich absolut kühl. Wenn ich mich dadurch beeindrucken ließe, dann würde ich den schwersten politischen Fehler machen, den zu machen irgend jemand im Augenblick in der Lage wäre: ich würde die Ruhe auch innerpolitisch verlieren, die, meine Damen und Herren, an den letzten hundert Metern vor dem Ziele das absolut Wichtigste ist“ (RT-Bd. 446, S. 2602 ).

5

Wegen des Aufsehens der Rede des RK im Ausland teilte StS v. Bülow in einem Runderlaß den dt. Missionen Brünings Interpretation dieser Wendung mit, die der RK am 24.5.32 im Auswärtigen Ausschuß des RT vorgetragen hatte: danach hatte sich Brüning gegen einen Artikel der Kölnischen Zeitung gewandt, der dem RK zwischen den Zeilen vorgeworfen hatte, er messe der Reparationsfrage eine zu große Bedeutung bei. Dagegen habe er betont, daß die Reg. an der Linie ihrer Reparationspolitik festhalten müsse (Runderlaß mit Auszug aus der Rede des RK in R 43 I /1018 , Bl. 166–171). Der vollständige Text der Rede bei Schulz, Politik und Wirtschaft in der Krise, Dok. Nr. 511 b). Nach Brünings eigener Darstellung in seinen Memoiren, S. 588, war die Bemerkung gegen den RPräs. gerichtet.

6

Vgl. Dok. Nr. 726, Anm. 10.

7

Vgl. hierzu Dok. Nr. 726, Anm. 3.

8

Vgl. Dok. Nr. 40.

9

Das Kab. Laval war am 16.2.32 gestürzt worden; Tardieu hatte am 20.2.32 ein neues Kab. gebildet. Wegen der Wahlerfolge der Linksparteien bei den Kammerwahlen am 1. und 8.5.32 trat die Reg. Tardieu zurück; der Radikalsozialist Herriot bildete am 4.6.32 ein neues Kab. (Schultheß 1932, S. 286, 293, 295).

10

Groener war als RWeM am 12.5.32 nach der katastrophalen Wirkung seiner RT-Rede am 10.5.32 (RT-Bd. 446, S. 2545 –2550) als RWeM zurückgetreten, wollte jedoch das Amt des RIM beibehalten: vgl. Schultheß 1932, S. 88. Vgl. auch Groeners Darstellung vom Okt. 1932 im Nachl. Groener , BA–MA, N 46/145, Bl. 93–112, hier Bl. 111–112. Danach hat Brüning Groeners Rücktrittsgesuch offenbar dem RPräs. nicht vorgelegt. Vgl. Brüning, Memoiren, S. 588 und Pünder, Politik in der Reichskanzlei, S. 122 f. In den Anwesenheitslisten der Kabinettssitzungen und Ministerbesprechungen wurde, mit Ausnahme vom 13.5.32 (Dok. Nr. 747), Groener bis zum Ende des Kab. Brüning II als RWeM aufgeführt.

11

Am 10.5.32 war SenatsPräs. Albert Lebrun zum Frz. StaatsPräs. gewählt worden (Schultheß 1932, S. 293).

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