2.101 (ma11p): Nr. 101 Der Bayerische Ministerpräsident an den Reichskanzler. München, 12. Februar 1924

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[353] Nr. 101
Der Bayerische Ministerpräsident an den Reichskanzler. München, 12. Februar 19241

R 43 I /2264 , Bl. 395-399

[Beilegung des Konflikts zwischen Bayern und dem Reich; Fall Lossow]

Hochverehrter Herr Reichskanzler!

Der Gesandte Dr. von Preger hat bei seinem letzten Hiersein über die Besprechungen berichtet, die er wegen des Falles Lossow in der Reichskanzlei und im Reichswehrministerium hatte2.

Die von der Reichsregierung im Bereiche des Militärwesens in Aussicht gestellten Zugeständnisse lassen sich dahin zusammenfassen, daß

1.

die Reichsregierung sich vor der Abberufung des bayer. Landeskommandanten mit der bayer. Regierung ins Benehmen setzen und

2.

die bayer. Regierung bei einer vorübergehenden Entsendung bayerischer Truppen nach einem außerbayerischen Orte möglichst vorher hören werde, ferner, daß

3.

der bayer. Landeskommandant angewiesen werde, die bayerischen Interessen bei der Besetzung der Führer- und Beamtenstellen im Einvernehmen mit der bayer. Regierung zur Geltung zu bringen.

Der Ministerrat war in Übereinstimmung mit den Führern der Koalitionsparteien der einmütigen Auffassung, daß hierin ein zur Wiederherstellung des Einvernehmens geeignetes Entgegenkommen nicht erblickt werden kann3.

Was nach Ziffer 1 gewährt werden will, bedeutet überhaupt kein Zugeständnis. Das unverbindliche „Benehmen“ mit der bayer. Regierung entspräche wohl nur einer selbstverständlichen Anstandspflicht. Auch die beiden anderen angeblichen Zugeständnisse bringen keine wesentliche Erweiterung der schon in § 13 Abs. 1 Ziff. 2 und § 15 des Reichswehrgesetzes4 den Landesregierungen eingeräumten Einwirkungsmöglichkeiten.

In der öffentlichen Meinung in Bayern würde es nicht verstanden und kaum als erträglich hingenommen werden, wenn die bayerische Regierung sich mit einem so spärlichen Entgegenkommen zufrieden gäbe.

Bedauerlicherweise haben in letzter Zeit norddeutsche Blätter es sich nicht versagen können, über den Fall Lossow wahrheitswidrige Meldungen zu verbreiten,[354] die von angeblichen Homburger Abmachungen5 zu berichten wußten. Infolgedessen ist die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Angelegenheit in erhöhtem Maße hingelenkt worden. Für die rechtsradikalen Kreise wäre es nur erwünscht, die bayerische Regierung schwächlicher Nachgiebigkeit zeihen und sie so in der öffentlichen Meinung herabwürdigen zu können.

Entstanden ist der Fall Lossow dadurch, daß der bayerische Landeskommandant trotz eindringlicher Gegenvorstellungen der bayerischen Regierung, die wegen seines auf genaue Kenntnis der bayerischen Verhältnisse gegründeten Verhaltens eine Maßregelung für ungerechtfertigt und politisch höchst bedenklich erachtete, von Reichswegen des Dienstes enthoben wurde.

Dadurch wurde die bayerische Regierung aus Gründen der öffentlichen Sicherheit in die Notwendigkeit versetzt, den des Dienstes enthobenen Befehlshaber der bayer. Division als bayer. Landeskommandanten zu halten und die bayerischen Truppen „bis zur Wiederherstellung eines Einvernehmens“ für die bayerische Regierung in Pflicht zu nehmen. Bei dieser Inpflichtnahme wurde ausdrücklich betont, daß durch sie die frühere eidliche Verpflichtung nicht berührt werde6.

Wenn dieses Einvernehmen nun zustande kommen soll, wie es der Wille der bayerischen Regierung ist, so muß vor allem Sicherheit dafür geschaffen werden, daß ein ähnlicher Konflikt in Zukunft nicht mehr möglich ist, daß also ein bayerischer Landeskommandant, der das Vertrauen der bayerischen Regierung genießt, nicht gegen ihren Willen abberufen werden kann. Eine solche Regelung ist auch deshalb geboten, weil das wehrgesetzlich der bayerischen Regierung zustehende Vorschlagsrecht für die Stelle des Landeskommandanten der praktischen Wirkung mehr oder minder beraubt wäre, wenn die Reichsregierung einen ihr weniger genehmen Landeskommandanten binnen kurzer Frist abberufen könnte, ohne daß die Landesregierung, auf deren Vorschlag er bestellt wurde, ein entscheidendes Wort zu sprechen vermöchte.

Hiernach muß als erste Voraussetzung für Wiederherstellung eines Einvernehmens die bestimmte Zusicherung der Reichsregierung gefordert werden, daß sie vor Abberufung des Landeskommandanten mit der bayerischen Regierung sich nicht bloß benehmen, sondern sich ihres Einverständnisses versichern werde.

Wertvoll wäre auch ein schon bei den bisherigen Besprechungen nicht als ausgeschlossen bezeichnetes Zugeständnis in der Richtung, daß einem begründeten Wunsche der bayerischen Regierung auf Abberufung eines ihr nicht mehr genehmen Landeskommandanten werde entsprochen werden.

Die Erteilung entsprechender Zusicherungen erfordert die Betretung des Gesetzgebungsweges nicht. Es genügt eine amtliche Erklärung der Reichsregierung, daß sie künftig bei Ausübung ihrer Befugnisse in diesem Sinne verfahren werde.

Es ist wahrlich kein unbescheidenes und unerfüllbares Verlangen, wenn[355] der bayerische Staat, der bis vor wenigen Jahren im Frieden über seine Heeresmacht uneingeschränkte, vertrags- und verfassungsmäßig gewährleistete Militärhoheit ausübte, eine solche eng begrenzte, mit der jetzigen Wehrgesetzgebung vereinbare Bürgschaft beansprucht.

Wäre in diesem grundsätzlichen Punkte eine Einigung zu erzielen, so dürfte die Erledigung der weiteren Fragen nicht allzu schwer fallen, namentlich wenn

1.

die Einvernahme der bayerischen Regierung bei vorübergehender Entsendung bayerischer Truppen nach einem außerbayerischen Orte – abgesehen vom Kriegsfalle – schlechthin, nicht bloß „möglichst“ zugestanden und zugleich weitestgehende Berücksichtigung des bayerischen Standpunktes zugesichert würde,

2.

die Inpflichtnahme des bayerischen Anteils an der Reichswehr auf die bayerische Landesverfassung zugestanden würde, soferne einer Verpflichtung auf die bayerische Regierung wirklich unüberwindliche Bedenken entgegenstehen sollten.

Die bayerische Regierung versichert, daß es ihr aufrichtig um die Wiederherstellung eines Einvernehmens zu tun ist, und sie ist überzeugt, daß die Reichsregierung von dem gleichen Bestreben beseelt ist.

Bei der Reichsregierung steht es, sich zu entscheiden, was bei ihr mehr ins Gewicht fällt, die Beilegung eines nun schon seit Monaten mit dem zweitgrößten Bundesstaate bestehenden Konfliktes, durch dessen Wegräumung die innerpolitische Atmosphäre zweifellos erheblich entlastet würde, oder aber die Befürchtung, aus linksstehenden Kreisen wegen eines rechtlich unbedenklichen, nur der Billigkeit entsprechenden und aus höheren Interessen des Reiches gebotenen Entgegenkommens Anfeindungen zu erfahren. Eine bürgerliche Reichsregierung, die ihre Entscheidungen nach der Aufnahme in diesen Kreisen bemessen würde, sähe sich der Deutung ausgesetzt, unter deren politischem Einflusse zu stehen. Damit würde sie aber jedes Vertrauen bei der großen Masse der Andersdenkenden einbüßen.

Die bayerischen Forderungen können gewiß nicht als maßlos bezeichnet werden; sie bezwecken lediglich vom berechtigten föderalistischen Standpunkte aus einen bescheiden genug bemessenen und im Rahmen der gegenwärtigen Rechtslage gehaltenen Ausgleich für den Verlust der einstigen Militärhoheit, der den berechtigten Interessen des Reiches gewiß keinen Eintrag tun wird.

Im Falle ihrer Berücksichtigung wäre die bayerische Regierung in die Lage versetzt, das Einvernehmen als wieder hergestellt und den Zeitpunkt als eingetreten zu erklären, in dem die nur bis zur Wiederherstellung dieses Einvernehmens angeordnete Verpflichtung der bayerischen Division auf die bayerische Regierung in Wegfall kommt oder durch die Verpflichtung auf die bayerische Landesverfassung ersetzt wird.

Als selbstverständlich darf es wohl auch betrachtet werden, daß dann ohne Verzug die bisher zurückgehaltenen Beförderungen bayerischer Reichswehroffiziere unter entsprechender Rückpatentierung nachgeholt würden.

Was dann die persönliche Angelegenheit des Generals von Lossow selber anlangt, so hält die bayerische Regierung sein sofortiges Ausscheiden aus den in seinem Schreiben an den Chef der obersten Heeresleitung vom 12. Januar[356] d. Js.7 bezeichneten Gründen nicht für angängig und zur Zeit im Hinblick auf die unglücklichen Pressetreibereien, die eine angebliche Preisgabe Lossows durch die bayerische Regierung behaupteten, für geradezu ausgeschlossen. General von Lossow hat in jenem Schreiben aus freien Stücken, nicht etwa zufolge Einwirkung der bayerischen Regierung, von sich aus erklärt, daß er bereit sei, nach Beendigung des Hitlerprozesses in nicht allzuferner Zeit seinen Abschied zu erbitten.

Die Frage, ob – immer unter der Voraussetzung eines sachlichen Entgegenkommens der Reichsregierung – für die Zwischenzeit das Verbleiben des Generals von Lossow im Amte, wie bisher, stillschweigend hingenommen oder nach dem Vorschlage der Reichsregierung der Weg einer einstweiligen Beurlaubung beschritten wird, mag vorerst noch offen bleiben.

Es darf aber nicht verschwiegen werden, daß namentlich jetzt nach jener bedenklichen Befassung der Presse mit der Sache vor dem Hitlerprozesse wohl besser jede Maßnahme unterbliebe, die von übelwollender Seite als Abkehr der bayerischen Regierung vom General v. Lossow ausgedeutet werden könnte. General von Lossow hat durch sein verfassungstreues Verhalten in den Schicksalstagen vom 8. und 9. November vor. Js. sicher auch gegenüber dem Reiche sich den Anspruch auf billige Rücksichtnahme erworben. Ihm in erster Reihe ist die schnelle Niederschlagung des Hitlerputsches zu danken, dessen auch nur vorübergehendes Gelingen zu den schwersten Erschütterungen nicht bloß für Bayern, sondern auch für das Reich hätte führen müssen. Die Belastung, die der kommende Hitlerprozeß bringen wird, sollte nicht ohne zwingenden Grund vermehrt werden.

Auf Grund der in Homburg gepflogenen Besprechung habe ich keinen Zweifel, daß Sie, hochverehrter Herr Reichskanzler, die auch auf bayerischer Seite bestehende gute Absicht teilen, zu einer Verständigung mit Bayern in diesem leidigen Zwiespalte zu kommen.

Wenn die Reichsregierung den jetzigen bayerischen Vorschlägen gegenüber, die auf einem Beschlusse des Ministerrates beruhen und nach Benehmen mit den Führern der Koalitionsparteien gemacht werden, auf dem bisherigen ablehnenden Standpunkte verbliebe, so befürchte ich, daß beim besten Willen eine gefährliche Zuspitzung des Konfliktes nicht zu vermeiden wäre trotz der Gefahr, die gerade bei der gegenwärtigen außen- und innenpolitischen Lage darin läge.

Diese Bemerkung soll gewiß nicht als Drohung wirken, sondern nur den Ernst der Lage kennzeichnen.

Bei der Besprechung mit dem Herrn Reichskanzler ist von dem bayerischen Gesandten auch die Frage aufgeworfen worden, ob die Reichsregierung sich nicht entschließen könnte, die Aufhebung des zweiten und dritten Abschnittes des Republikschutzgesetzes8 oder mindestens die Übertragung der Zuständigkeiten des Staatsgerichtshofes zum Schutze der Republik bei Hochverratsfällen an das Reichsgericht, im übrigen an die ordentlichen Gerichte der[357] Länder in Aussicht zu nehmen. Mit dem Falle Lossow steht diese Frage allerdings nicht in unmittelbarer Beziehung. In Bayern ist aber die Ablehnung des Staatsgerichtshofes zum Schutze der Republik eine so tiefgehende, daß sein Verschwinden zur Erleichterung und Entspannung der ganzen Lage ganz erheblich beitragen würde9. In einer Zeit, in der aus Ersparnisgründen fast die ganze Gerichtsverfassung auf vereinfachte Grundlagen umgestellt wird, in der sogar vor der Einrichtung der Schwurgerichte nicht Halt gemacht wird10, ist kein Raum für ein an sich grundsätzlich zu verwerfendes politisches Ausnahmetribunal, das, wie der Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik, über Straffälle von meist recht untergeordneter Bedeutung in einer Neunmännerbesetzung entscheidet. Der Weiterbestand dieses Gerichtshofes müßte zu immer wieder neuen Konflikten zwischen Bayern und dem Reiche führen; er würde aber auch eine ungeheure Schädigung für das Ansehen der Rechtspflege, des Reichsgerichtes und des Reiches bedeuten.

Auch bei dieser Gelegenheit möchte ich es deshalb nicht unterlassen, diese Angelegenheit neuerdings Ihrer besonderen Aufmerksamkeit zu empfehlen.

Zum Schlusse darf ich der Hoffnung Ausdruck geben, daß meine Darlegungen, die aus der ernsten Sorge für die Sicherstellung gedeihlicher Beziehungen zwischen dem Reiche und Bayern erwachsen sind, bei Ihnen, hochverehrter Herr Reichskanzler, eine großzügige und entgegenkommende Würdigung und Vertretung finden.

Indem ich das Zuwarten mit der bayerischen Antwort auf die von dem Gesandten Dr. von Preger aus Berlin überbrachten Vorschläge mit dem Umstande zu entschuldigen bitte, daß ich durch schweres Unwohlsein seit über acht Tagen an das Haus und Bett gefesselt bin, verbleibe ich mit der Versicherung ausgezeichnetster Hochschätzung

Euer Hochwohlgeboren aufrichtig ergebener

Dr. v. Knilling

Fußnoten

1

Am Kopf des Briefes vermerkt StS Bracht am 20. 2.: „Dieses Schr[eiben] ist dem H. RK am 14. 2. vom bayer. Kultus-Min. Matt persönlich übergeben u. zum Gegenstand der Verhandlungen gemacht worden. Die Angelegenheit ist durch das inzwischen unterzeichnete Abkommen geregelt.“ S. hierzu Dok. Nr. 109.

2

S. den Aktenvermerk Pregers vom 28. 1. über seine Besprechungen mit dem RWeM und dem RK am 28. 1., in: Deuerlein, Der Hitlerputsch, Dok. Nr. 248, S. 609 ff.

3

S. die Protokolle der Sitzungen des bayer. Ministerrats vom 2. 2. und 11. 2., in: Deuerlein, Der Hitlerputsch, Dok. Nr. 251 und 266, S. 615 ff. und 651 ff.

4

Wehrgesetz vom 23.3.21 (RGBl. S. 331 ).

5

Am 18. 1. hatte in Homburg eine Besprechung zwischen dem RK und dem bayer. MinPräs. stattgefunden; vgl. Dok. Nr. 63, Anm. 5.

6

Vgl. Dok. Nr. 22, Anm. 2.

7

S. Dok. Nr. 60, Anlage 1.

8

Gesetz zum Schutz der Republik vom 21.7.22 (RGBl. I, S. 585 ).

9

Vgl. hierzu Dok. Nr. 65.

10

Gemeint ist die VO über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege vom 4.1.24 (RGBl. I, S. 15 ).

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