2.130.1 (ma31p): 1. Bericht des Reichswehrministers.

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1. Bericht des Reichswehrministers.

Der Reichswehrminister gab einleitend einen Überblick über die Entwicklungsgeschichte der Reichswehr und die in ihr begründeten Anlässe zu den in früherer Zeit erhobenen Angriffen gegen die Reichswehr. Er schilderte die Ursachen, aus denen in den Jahren 1922/23 das Zeitfreiwilligensystem angewendet worden sei und stellte fest, daß die Einstellung Zeitfreiwilliger sich als militärisch völlig wertlos erwiesen habe. Zusammenfassend begrenzte er die Aufgabe des Reichsheeres nach außen dahin, daß es stets in der Lage sein müsse, den Kern, gewissermaßen das Lehrbataillon, eines modernen Heeres abzugeben; seine innere Aufgabe sei die Sicherung der inneren Ordnung unter gleichzeitigem Schutz der Grenze. Für die Sicherheit Deutschlands erachtete er gewisse über den Friedensvertrag hinausgehende Sicherungsmaßnahmen im Osten für unerläßlich. Die schon früher geleisteten Vorarbeiten seien auf Grund eines Abkommens mit dem Preußischen Minister des Innern, Severing1 getroffen worden. Es hätten sich Schwierigkeiten in der praktischen Durchführung dieses Abkommens dadurch ergeben, daß einerseits zuweilen die unteren Militärbehörden über das Vereinbarte hinausgegangen seien, andererseits die Zivilbehörden in manchen Fällen zu wenig Entgegenkommen gezeigt hätten. Im Westen Deutschlands habe z. B. General von Loßberg die ihm gegebenen Anweisungen überschritten. Er sei aus diesem Grunde nach Berlin berufen worden, wo er mehr die Tätigkeit eines Inspekteurs gehabt habe2. Seine Verabschiedung stehe bevor. Ähnliche Schwierigkeiten seien in der letzten Zeit auch in der Zusammenarbeit mit dem vormaligen Chef der Heeresleitung aufgetaucht3. Mit dem neuen Chef der Heeresleitung4 habe er folgendes Verfahren[377] festgelegt: Reichswehrminister und Chef der Heeresleitung würden eine genaue Aufstellung dessen machen, was sie künftig als für den Grenzschutz erforderlich ansähen. Das Kabinett habe dann zu entscheiden, inwieweit es diese Maßnahmen politisch tragen wolle. Lehne das Kabinett sie ab, so würden sie unterbleiben. Das Kabinett habe dann allerdings auch in der Zukunft die Verantwortung hierfür zu tragen. Über die im Kabinett beschlossenen Maßnahmen solle dann mit Preußen Einigung erzielt werden. Keinesfalls dürfe in Zukunft eine Reichswehrstelle über dieses Programm hinausgehen.

Bei der Reichsmarine seien im Vergleich zum Landheere geringere Schwierigkeiten entstanden. Hier handele es sich um die Erhaltung der Überlieferung des Geistes und des Könnens und die Ausgestaltung der dem Deutschtum im Auslande wichtigen Auslandsfahrten.

Der Chef der Heeresleitung [Heye] schilderte zunächst Geist und Tüchtigkeit der Truppe, die er als hervorragend bezeichnete. Die Reichswehr sei durch und durch unpolitisch. Die Verbände aller politischen Richtungen, soweit sie vaterländische Gesinnung pflegten, auch das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, hätten in den Augen der Reichswehr ohne Unterschied die gleiche Berechtigung, nur dürften sie sich mit militärischen Dingen nicht befassen. Die Reichswehr wolle ihrerseits mit den Verbänden nicht das geringste zu tun haben. Der Chef der Heeresleitung bat dringend, an der zur Zeit geübten Regelung des Ersatzwesens nichts zu ändern. Er begründete die Notwendigkeit, die Kompanieführer auch in Zukunft für den Ersatz ihrer Formation verantwortlich zu machen5. Selbstmorde, soweit sie vorkämen, seien meist auf die allgemeine nach dem Kriege in Deutschland entstandene Gemütsstimmung unserer Jugend zurückzuführen. Abhilfe schaffen würde eine bessere Versorgung der Truppen mit Seelsorgern und Ärzten. Der Chef der Heeresleitung stellte in Aussicht, daß die genauen Pläne für die künftige Landesverteidigung bis zum 15. Dezember fertiggestellt werden sollten, um dann im Reichskabinett beraten zu werden. Er machte den Vorschlag, einen Reichsverteidigungsrat zu schaffen, dem die maßgeblichen Minister anzugehören haben würden. Die meisten Länder, wie z. B. Frankreich und England, hätten ähnliche Einrichtungen.

Der Reichskanzler erklärte sich mit dem vom Chef der Heeresleitung vorgezeichneten Verfahren einverstanden.

Der Chef der Marineleitung [Zenker] berichtete hierauf über die Flottenfragen. Er bat bezüglich der Flaggenfrage zu berücksichtigen, daß die Reichsmarine die ihr verfassungsmäßig zustehende schwarz-weiß-rote Kriegsflagge mit der Gösch in besonderen Ehren halte. Die Kommandanten der Auslandskreuzer hätten Anweisung, bei öffentlichen Veranstaltungen in Übersee stets darauf zu halten, daß auch die Reichsfarben gezeigt würden. Die Auslandsfahrten deutscher Kriegsschiffe sollen künftig so gestaltet werden, daß jährlich ein Kreuzer für längere Zeit, bis zu 1½ Jahr, ins Ausland reise. Stationsschiffe über See kämen für Deutschland nicht in Betracht.

Zur Frage des Schutzes Deutschlands sei folgendes zu berücksichtigen: In der Nordsee könne die Seeherrschaft nicht mehr angestrebt werden. Hier sei[378] nur der Küstenschutz sicherzustellen. Unbedingt erforderlich dagegen sei die Herrschaft in der Ostsee. Dies sei ein erreichbares Ziel und müsse vorbereitet werden. Wichtig sei hierfür die wirksame Absperrung der Ostsee durch Minen. Die Marineleitung sei bemüht, stets im Besitz der modernsten Kenntnisse des Minenwesens zu sein. U-Bootsbauten im In- oder Auslande seien zwecklos und würden nicht vorgenommen. Die Déplacementsbeschränkungen für deutsche Kriegsschiffe nach dem Friedensvertrage seien eine außerordentliche Erschwerung für den Bau brauchbarer Schiffe. Insbesondere sei es unmöglich, einen Linienschiffstyp zu schaffen, der 10 000 Tonnen nicht übersteigen dürfe. Die jetzt vorhandenen Linienschiffe seien zu Ausbildungszwecken modernisiert, hätten aber nur noch etwa 5 Jahre lang Kampfwert für die Ostsee.

Der Reichswehrminister stellte zusammenfassend fest, daß es jetzt erforderlich sei, der Wehrarbeit des Reichsheeres einen klaren Sinn zu geben. Die Wehrmacht interessiere sich für alle Bestrebungen, die auf eine körperliche Ertüchtigung unserer Jugend hinzielten. Die bürgerlichen Sportvereinigungen genügten diesem Ziele noch nicht, da die von ihnen erfaßten Kreise nicht umfassend genug seien und da sie noch zu sehr auf Rekordleistungen abgestellt wären. Ferner bestünden schon jetzt gewisse Sicherheitsmaßnahmen in den Grenzprovinzen, in denen Kreiskommissare in engster Fühlung mit den Verwaltungsbehörden arbeiten. Besonders bewährt sei diese Zusammenarbeit in den Provinzen Schlesien, Oberschlesien und Pommern6.

Der Reichskanzler erklärte es für wünschenswert, daß bei nächster Gelegenheit Reichswehrminister und Chef der Heeresleitung auch mit den Parteiführern Fühlung nähmen.

Der Reichsminister des Auswärtigen wies auf die äußerst ungünstige Wirkung hin, die die Pressehetze der letzten Tage und Wochen gegen die Reichswehr in bezug auf die Beendigung der Militärkontrolle habe7. Der Standpunkt der beteiligten Mächte, Englands, Italiens, Belgiens und auch Frankreichs habe bisher sehr gute Aussichten geboten. Nach den letzten Nachrichten scheine unter dem Eindruck der deutschen Pressemeldungen sich ein Umschwung vorzubereiten. Er weise schon jetzt auf die Schuld der deutschen Presse hin, für den Fall, daß in Genf8 Schwierigkeiten entstünden.

Fußnoten

1

Gemeint ist offenbar die Vereinbarung zwischen RWeM Geßler und dem PrIM Severing über den Landesschutz vom 30.6.23; siehe Anlage 1 zu Dok. Nr. 163.

2

v. Loßberg war bis Ende 1924 Befehlshaber des Wehrkreises VI in Münster und wurde dann zum Oberbefehlshaber der Gruppe 1 in Berlin ernannt. Das Verhalten Loßbergs als Kommandeur des Wehrkreises VI während des militärischen Ausnahmezustandes 1923/ 24 hatte wiederholt zu Beschwerden der pr. Zivilbehörden geführt; vgl. Severing, Mein Lebensweg, Bd. II, S. 3 ff.

3

Vgl. die Ausführungen Geßlers über den vormaligen Chef der Heeresleitung v. Seeckt in einer Besprechung mit Vertretern der SPD am 1.12.26; Niederschrift der Besprechung in: Schüddekopf, Das Heer und die Republik, Dok. Nr. 93, S. 214 ff.

4

Heye.

5

Vgl. dazu Dok. Nr. 96.

6

Vgl. jedoch das Schreiben des PrIM Grzesinski an den PrMinPräs. Braun vom 6.11.26 (Dok. Nr. 163, Anlage 2).

7

Siehe dazu die Berichte der dt. Botschaft in Paris an das AA vom 27., 28. und 30.11.26, in: ADAP, Serie B, Bd. I,2, Dok. Nr. 216 und 217.

8

Am 6.12.26 begann die 43. Tagung des Völkerbundesrates in Genf.

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