2.167 (ma31p): Nr. 167 Der Reichsminister des Auswärtigen an den Reichskanzler. 14. Januar 1927

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Die Kabinette Marx III und IVDas Kabinett Marx IV Bild 146-2004-0143Chamberlain, Vandervelde, Briand und Stresemann Bild 102-08491Stresemann an den Völkerbund Bild 102-03141Groener und Geßler Bild 102-05351

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[492] Nr. 167
Der Reichsminister des Auswärtigen an den Reichskanzler. 14. Januar 1927

Historisches Archiv der Stadt Köln, Nachl. Marx, Nr. 731

[Zur Frage der Regierungsbeteiligung der DNVP.]

Persönlich!2

Sehr verehrter Herr Reichskanzler!

Die Erörterungen der letzten Tage über die Regierungsbildung3 haben insbesondere auch zu Anfragen darüber geführt, wie ich als Außenminister die Situation ansehe, die sich aus der Rückwirkung der Regierungsbildung auf die außenpolitische Situation ergeben könnte. Ich lege bei den freundschaftlichen Beziehungen, deren ich mich zu Ihnen stets rühmen durfte, und bei dem guten Verhältnis, das zwischen Ihrer Fraktion4 und mir während der ganzen Zeit meiner Amtsdauer bestanden hat, großen Wert darauf, hier eine Unklarheit nicht aufkommen zu lassen, sondern Ihnen offen und rückhaltlos meine Stellung zum Ausdruck zu bringen:

Es ist für mich gar kein Zweifel, daß der Sturz des Kabinetts der Mitte ein schwerer Schlag für unsere außenpolitische Situation gewesen ist. Ein Kabinett, in dem die Sozialdemokratie als stärkste Partei wirkte, würde für die Vereinigten Staaten und für England ein gewisses Minus bedeuten, ein Kabinett mit den Deutschnationalen eine Verstärkung der nationalistischen Elemente besonders in Frankreich. Das Kabinett der Mitte, in seiner Außenpolitik durch die Sozialdemokratie gestützt und von den Deutschnationalen mehr taktisch und als wirklich nationale Opposition bekämpft, ist unzweifelhaft für die Außenpolitik, wenn man sie rein von allen innenpolitischen Dingen loslöst, ein so wünschenswerter Zustand, daß ich als Außenminister nur aufs tiefste bedauern kann, daß diese Situation, die unter Ihrem Kabinett bestand, durch die Unvernunft von links und rechts beseitigt wurde.

Wenn ich unter den heutigen außenpolitischen Auspizien den Eintritt der Deutschnationalen in die Regierung prüfe, so sind zwei Gesichtspunkte gegeneinander abzuwägen: Die Auffassung von den Deutschnationalen als einer nationalistischen Partei, die hinter den Wehrverbänden stände, jener Wehrverbände,[493] die den eigentlichen Alpdruck Frankreichs bilden, wird naturgemäß dazu führen, daß die Gegner von Briand zunächst ihre Sprache verschärfen und davon sprechen, daß in Deutschland die Reaktion eingezogen sei und daß die Rechtsentwicklung mit der Innenpolitik auch eine Änderung der Außenpolitik mit sich bringen würde. Eine Erschwerung der Außenpolitik, namentlich für die nächsten Wochen, ist deshalb sicher zu erwarten. Es kommt hinzu, daß diese Erschwerung in eine Zeit fällt, in der die Position des Herrn Briand durch die vielleicht von unserer Seite etwas zu forcierte Erörterung der Rheinlandräumung eine schwierige geworden ist, da die Leute in Frankreich jetzt fühlen, daß diese Frage nicht mehr nur eine Frage theoretischer Auseinandersetzungen, sondern eine Frage von aktueller Bedeutung geworden ist. Demgegenüber steht die Frage, inwieweit die Deutschnationale Partei Garantien dafür zu geben vermag, daß sie durch ihre Mitwirkung in der Regierung auch die republikanische Staatsform stärkt – denn auch das ist ein außenpolitisches Moment –, und inwieweit sie Gewähr dafür zu bieten vermag, daß sich nicht diejenigen Vorgänge wiederholen, die zu der Krisis nach der Paraphierung der Locarnoverträge führten. Dabei möchte ich in Parenthese bemerken, daß die Paraphierung dieser Verträge selbst und die in Locarno durchgeführte Verständigung durch die seinerzeit bestehende Koalition mit den Deutschnationalen außenpolitisch nicht erschwert worden ist, daß vielmehr die Erschwerung erst dann eintrat, als die Deutschnationalen unter dem Druck ihrer Wählerschaft sich von der Locarno-Politik trennten5. Daß in der Gegenwart die Deutschnationalen das Verfehlte ihrer Außenpolitik eingesehen haben, ist für einen Teil der Partei nicht zweifelhaft. Im Auswärtigen Ausschuß war die Opposition meist so sanft in der Form, daß sie regelmäßig den Spott der Sozialisten und Kommunisten hervorrief. Die Erschwerung der außenpolitischen Situation ist aber nur dann wettzumachen, wenn die Erklärungen, welche die Deutschnationale Fraktion abgibt, klar und unzweideutig sind und weiterhin die gesamte Partei binden, so daß nicht wie bei der Entscheidung über das Dawes-Abkommen etwa ein Flügel gegen den anderen kämpft6.

Ich würde daher als Außenminister der Meinung sein, daß von meinem Standpunkt aus zwei Fragen entscheidend sind: Das ist einmal die unbedingte Zustimmung zu der Fortsetzung der auf die Verständigung mit den anderen Nationen gerichteten deutschen Außenpolitik, die Anerkennung der durch den Eintritt Deutschlands in den Völkerbund geschaffenen Situation, die Anerkennung der Locarno-Verträge und die Durchführung der Außenpolitik im Sinne und in der Art derjenigen Führung, die zu den Abmachungen von Locarno und Genf geführt hat.

Ich würde weiter entscheidendes Gewicht darauf legen, daß die Deutsch-nationale Partei Gewähr dafür bieten müßte, daß sie in dem Kampfe um die[494] Rheinlandräumung auch die Konzessionen mitmacht, die eventuell in der teilweisen Mobilisierung einer Summe bis zu zwei Milliarden aus den Dawes-Obligationen liegen würde, ein Gedanke, der sofort aktuell werden kann, wenn Herr Poincaré das Mellon-Bérenger-Abkommen7 ratifizieren sollte, daß ferner auch die Deutschnationale Partei nicht die Einsetzung einer Kommission zur Abwehr eines Angriffs auf die Locarno-Verträge aus Anlaß der Rheinlandräumung verweigern dürfte, wenn diese Kommission einen gegenseitigen Charakter hätte. Ich würde weiter als Außenminister den Deutschnationalen keinen Zweifel darüber lassen können, daß jede Abweichung von der heutigen Verständigungspolitik im Sinne etwa einer engen und einseitigen Annäherung speziell an Italien ebenso ausgeschlossen sein müßte wie etwa der Gedanke einer militärischen Verbindung mit Sowjet-Rußland, da ich der Meinung bin, daß wir gegenwärtig alles auf die Rheinlandräumung abzustellen haben und nichts tun dürfen, was diese Politik irgendwie gefährdet.

Jede Zweideutigkeit in bezug auf die politische Stellung der Deutschnationalen müßte ausgeschlossen sein. Es ist deshalb auch unmöglich, daß die Deutschnationale Partei irgend einen Zweifel darüber läßt, daß sie mit Erklärungen der Konservativen Partei, der ein Teil ihrer prominenten Mitglieder angehört, nichts zu tun haben darf, vielmehr von den in dieser Erklärung enthaltenen Angriffen auf die Außenpolitik abzurücken hat. Ebenso erscheint es mir als selbstverständlich, daß, wenn es zu ernsthaften Verhandlungen mit der Deutschnationalen Partei kommt, Vertreter dieser Partei in der Regierung nur Persönlichkeiten sein können, die als Menschen und auf Grund ihrer bisherigen politischen Haltung die Gewähr dafür geben, daß sie gewillt sind, ebenso entschieden die republikanische Staatsform zu verteidigen wie jeder monarchistischen Agitation abzusagen, wie auch Gewähr dafür geben, daß sie diese Außenpolitik unbedingt unterstützen.

Auch wenn alle diese Voraussetzungen erfüllt sind, werden wir zunächst einen schweren Gang in unserer Außenpolitik zu gehen haben. Wir können aber, wenn diese Voraussetzungen sich erfüllen, auch darauf hinweisen, daß sie ein neuer Beweis sind für die Konsolidierung der Republik und für die Konsolidierung unserer Außenpolitik. Daß man auch in sozialdemokratischen Kreisen die bisherige Opposition in der Außenpolitik seitens der Deutschnationalen nicht so betont wie früher, dürfte die Rede des Herrn Hermann Müller bei der letzten Debatte8 gezeigt haben, in der er darauf hinwies, daß wohl kaum ein Außenminister, wie er sich ausdrückte, so ungeschoren bei einer Debatte weggekommen sei, wie ich, und den Sturz des Kabinetts glaubte vertreten zu können, weil irgend eine Gefahr für die Fortführung der Außenpolitik nicht bestände.

Ich bitte dabei noch einen Gesichtspunkt hervorheben zu dürfen: Ich sehe mit größter Sorge einer Auflösung9 entgegen, die uns außenpolitisch brachlegen würde, weit mehr als wie es etwa die Situation eines geschäftsführenden[495] Kabinetts mit sich brachte. Die Große Koalition ist, wie auch Sie mir gegenüber betonten, unmöglich. Die Koalition der Mitte steht vor der Situation, daß ihr die Deutschnationalen wahrscheinlich die Tolerierung versagen werden und daß die Sozialdemokraten dasselbe tun werden, wenn die Frage Geßler nicht gelöst wird, eine Frage, bei der persönliche Imponderabilien zu berücksichtigen sind, die eine Lösung im Sinne einer Tolerierung des Kabinetts durch die Sozialdemokratie auszuschließen scheinen10.

Ob die Verhandlungen mit der Deutschnationalen Partei ergeben, daß die von mir genannten Voraussetzungen erfüllt werden können, vermag ich nicht zu sagen, da hierüber die Fraktion das letzte Wort hat und ich vorläufig nur auf die Eindrücke angewiesen bin, die ich aus Unterhaltungen mit einzelnen Deutschnationalen gehabt habe. Ich bitte aber die hier angeführten Gesichtspunkte freundlichst zu würdigen und daraus zu ersehen, daß ich die außenpolitischen Bedenken, die von Ihrer Seite geltend gemacht werden, auch meinerseits absolut nicht außer acht lasse, mir vielmehr der Schwere der geschaffenen außenpolitischen Situation durchaus bewußt bin, aber persönlich glaube, daß eine grundsätzliche Ablehnung von Verhandlungen mit der Deutschnationalen Partei und die dadurch verstärkte Gefahr, in die Auflösung hineingetrieben zu werden, auch ein Gesichtspunkt ist, der nicht außer acht gelassen werden darf.

Ich würde meine endgültige Stellungnahme selbstverständlich ebenso von den Beschlüssen und Entschlüssen der Deutschnationalen Fraktion abhängig machen, lege aber Wert darauf, Ihnen meine Gedankengänge schon heute offen darzulegen11.

In aufrichtiger Hochschätzung bin ich, sehr verehrter Herr Reichskanzler,

Ihr Ihnen sehr ergebener

Stresemann

Fußnoten

1

Nach einer Abschrift im Nachl. Stresemann  abgedr. in: ADAP, Serie B, Bd. IV, Dok. Nr. 27.

2

Eigenhändiger Vermerk Stresemanns.

3

RPräs. Hindenburg hatte am 10.1.27 RWiM Curtius (DVP) mit Verhandlungen über die Neubildung der RReg. beauftragt. Die Bemühungen Curtius’, eine Mehrheitsregierung der bürgerlichen Parteien mit Beteiligung der Deutschnationalen zustande zu bringen, scheiterten hauptsächlich am Widerstand des Zentrums. Am 14. 1. abends gab Curtius seinen Auftrag zurück. – In den Akten der Rkei waren zu dieser Verhandlungsphase lediglich einige Pressemeldungen zu ermitteln (R 43  I /1307  und 2745 ). Siehe jedoch: Schultheß 1927, S. 3 f., 10 f.; Hubatsch, Hindenburg und der Staat, Dok. Nr. 54 und Nr. 55 a (S. 256–261); Morsey, Zentrumsprotokolle, Dok. Nr. 96–100; Stresemann, Vermächtnis, Bd. III, S. 94; Politisches Jahrbuch 1927/28, S. 78 ff.; Curtius, Sechs Jahre Minister der deutschen Republik, S. 47 ff.

4

Fraktion der Zentrumspartei.

5

Die strikte Ablehnung des Locarno-Pakts durch die Landesverbände der DNVP hatte am 26.10.25 zum Ausscheiden der deutschnationalen Minister aus dem Kabinett Luther I geführt.

6

Bei der abschließenden Beratung der Gesetze zur Durchführung des Dawes-Plans am 29.8.24 im RT hatten 52 Abgeordnete der DNVP-Fraktion gegen das verfassungsändernde Reichsbahngesetz votiert, während 48 Fraktionsmitglieder für das Gesetz gestimmt und damit seine Annahme ermöglicht hatten.

7

Das amerikanisch-französische Schuldenabkommen war am 29.4.26 von Mellon und Bérenger unterzeichnet worden.

8

Rede des Abg. Hermann Müller (SPD) im RT am 17.12.26 (RT-Bd. 391, S. 8621 –8625).

9

Auflösung des RT.

10

Während die Sozialdemokraten den Rücktritt des RWeM Geßler forderten, bestand RPräs. Hindenburg darauf, daß Geßler auch der neu zu bildenden RReg. als RWeM angehören müsse; vgl. Hubatsch, Hindenburg und der Staat, S. 260.

11

Am 21.1.27 schrieb Stresemann an RK Marx, der inzwischen vom RPräs. mit Verhandlungen über die Bildung einer Mehrheitsreg. der bürgerlichen Parteien beauftragt worden war: „Nachdem die Frage der Regierungsbildung in ein Stadium eingetreten ist, das mit dem Beginn von Verhandlungen mit den Deutschnationalen über die innen- und außenpolitischen Richtlinien des neuen Kabinetts rechnen läßt, gestatte ich mir Ihnen mitzuteilen, daß ich gern damit einverstanden bin, wenn Sie mein Schreiben vom 14. Januar an Sie bei den Beratungen Ihrer Fraktion und den Verhandlungen, die Sie zu führen haben, vertraulich mit verwerten. Ich habe in dem Briefe, den ich Ihnen anbei neugeschrieben übersende, die beiden Sätze, die sich auf unser Verhältnis zu Italien und zu Sowjetrußland bezogen, herausgestrichen, da mir dies auch bei vertraulicher Behandlung des Briefes aus außenpolitischen Gründen notwendig erschien, und ich darf Sie deshalb bitten, den Brief in der beifolgenden Fassung zu verwerten. Eine Veröffentlichung des Briefes ist selbstverständlich nicht möglich.“ In der Anlage befindet sich der (oben abgedruckte) Brief Stresemanns an Marx vom 14. 1. in veränderter Fassung. Die Änderung betrifft den letzten Satz des 5. Absatzes, der nun folgendermaßen lautet: „Ich würde weiter als Außenminister den Deutschnationalen keinen Zweifel darüber lassen können, daß jede Abweichung von der heutigen Verständigungspolitik ausgeschlossen sein müßte, da ich der Meinung bin, daß wir gegenwärtig alles auf die Rheinlandräumung abzustellen haben und nichts tun dürfen, was diese Politik irgendwie gefährdet.“ (Nachl. Marx , Nr. 73).

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