2.111.2 (mu11p): 2. Lohnbewegung im Ruhrgebiet.

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2. Lohnbewegung im Ruhrgebiet.

Reichsarbeitsminister Schlicke teilt mit, daß der Lohntarif im Ruhrrevier gekündigt sei und die Arbeiter höheren Lohn verlangten. Fraglich sei, wie man die Mittel zur Lohnerhöhung aufbringen könne. Nach seiner Ansicht müßte die Lohnerhöhung von den Arbeitgebern getragen werden, eine Aufbringung der Mittel durch Erhöhung der Kohlenpreise sei nicht angängig, da sie von der Wirtschaft nicht mehr getragen werden könne1.

[273] Regierungsrat Dr. Bodenstein weist darauf hin, daß auch andere Arbeiterkategorien als die Bergarbeiter, insbesondere die Eisenbahnarbeiter, zu Sonderschichten bewogen werden sollten. Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft hätte jedoch grundsätzlich die Erhöhung der Lebensmittelrationen für andere Arbeiterkategorien abgelehnt. Die Verhandlungen hätten sich dadurch mehrere Monate hingezogen, weil zahlreiche Ressorts an diesen Fragen beteiligt seien. Wenn der Standpunkt des einzelnen Ressorts auch noch so berechtigt sein möge, so würde durch diese Behandlung der Gesamtheit ungemein geschadet, weil man der vorhandenen Arbeitslust tatsächlich nicht entgegengekommen sei2. Dies treffe besonders auch auf die Rheinschiffer und die Förderseilarbeiter zu. Um diese Schwierigkeiten zu beheben, sei der Vorschlag gemacht worden, den mehr arbeitenden Kategorien Lebensmittel auf dem Wege zur Verfügung zu stellen, daß sie aus dem Erlös der mehrgeförderten Produkte, insbesondere Kohle und Kali, gewonnen würden.

Der Anregung auf Einführung von Überschichten im oberschlesischen Bergrevier, das sich auf die Handhabung im Ruhrrevier berufe, müsse man entgegenkommen3.

[274] Reichswirtschaftsminister Schmidt: Wenn Geldmittel für die Lebensmittelversorgung der Bergleute nötig seien, so könne sein Ressort sich nur damit einverstanden erklären, daß einzelnen besonders kräftigen Industrien die Kohlen zu höheren Preisen angeboten würden. Diesen Standpunkt könne er unter keinen Umständen verlassen. Es sei dies auch sehr wohl durchführbar, insbesondere für die chemische und keramische Industrie, die die höheren Kohlenpreise mit ihrem Exportgewinn leicht bezahlen könnten. Gegen die Ausdehnung des Prinzips der Rationserhöhung auf weitere Arbeiterkategorien als die Bergleute habe er Bedenken, da dann die Ration aller anderen Arbeiter entsprechend gekürzt werden müßten4.

Geheimrat Stutz hält es für unmöglich, daß im westfälischen Kohlengebiet die geforderte Lohnerhöhung von den Grubenbesitzern getragen würde, da eine große Reihe von Bergwerken schon Zubußen zahlten. In Oberschlesien dagegen läge die Sache anders, da die Werke hier erheblich mehr verdienten als in Westfalen.

Reichspostminister Giesberts ist der Ansicht, daß die gesamten Fragen der Bemessung des Kohlenpreises und der Löhne, wie die der Lebensmittelversorgung der Bergleute, in eine Hand gelegt werden müßten.

Reichsarbeitsminister Schlicke betont, daß es nur zwei Wege gebe, entweder Lohnerhöhung oder Senkung der Lebensmittelpreise. Die Lohnerhöhung aber könne nur durch die Erhöhung der Kohlen-Preise durchgeführt werden.

Staatssekretär Dr. Huber schlägt vor, die gesamten Fragen in einer Referentenbesprechung zu klären.

Reichsarbeitsminister Schlicke hält es für notwendig, daß die zu Überschichten bereiten oberschlesischen Bergleute die gleichen Benefizien erhielten wie die Ruhrbergleute.

Geheimrat Stutz teilt mit, daß der Geheime Bergrat Hilger sich von den Überschichten in Oberschlesien keinen Erfolg verspräche. Die Bergleute würden dann entsprechend mehr „Bummelschichten“ einlegen, so daß die Aktion einen Schlag ins Wasser bedeuten würde. Er persönlich halte die Einführung von Überschichten für wünschenswert, man müsse aber die Industrie noch einmal hören.

[275] Reichsverkehrsminister Bauer stellt nach weiteren Erörterungen als Ergebnis der Besprechung fest, daß das Reichswirtschaftsministerium und das Reichsarbeitsministerium dahin wirken sollen, die Erhöhung der Kohlenpreise und der Löhne zu vermeiden und statt dessen den Bergleuten billigere Lebensmittel zu verschaffen. Im übrigen sollen diese Fragen durch Referentenbesprechung im einzelnen geklärt werden.

In der oberschlesischen Frage wird der Reichsarbeitsminister beauftragt, mit den dortigen Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer zu verhandeln, um eine Regelung der Überschichten und der Lebensmittelversorgung der Bergleute nach dem Muster des Ruhrgebiets durchzuführen5.

Fußnoten

1

Bereits am 14. 5. hatte der RArbM dem RWiM mitgeteilt, Arbeitnehmervertreter hätten ihm mitgeteilt, „daß eine Lohnerhöhung im Ruhrbergbau schon um deswillen unvermeidlich sei, weil vor einigen Tagen in zwei anderen Bezirken – dem Sächsischen und [dem] Niederschlesischen Bergbau – durch den Reichskohlenverband in Verbindung mit dem RWiMin. eine Lohnerhöhung auf 50,– M Durchschnittlohn zugestanden worden sei.“ Der RArbM hatte Kritik daran geübt, daß er an diesen Lohnverhandlungen nicht beteiligt worden war, und darauf aufmerksam gemacht, daß die Lohnerhöhungen nur durch gleichzeitige Erhöhung der Kohlenpreise, gegen die in der Öffentlichkeit Bedenken mehrfach geäußert worden seien, möglich würden. Durch erhöhte Kohlenpreise würden auch die Lebenshaltungskosten derart gesteigert, daß nach einem Vierteljahr die Bergleute der Vorteile der Lohnerhöhung verlustig gingen. Ferner hat der RArbM geschrieben: „Die für den Lohnzuschlag bei Überschichten vorgenommenen Erhöhungen des Kohlenpreises treten bei jeder Tonne Kohlen ein gleichviel, ob es sich um durch Überschichten oder durch normale Schichten geförderte Kohlen handelt. Werden die bei Festsetzung der Kohlenpreiserhöhung zu Grunde gelegten Überschichten jedoch nicht regelmäßig verfahren, so fließen den Zechenverwaltungen höhere Kohlenpreise ohne gleichzeitig höhere Aufwendungen für Löhne zu. Infolge der Unruhen im Monat März werden nicht mehr auf allen Zechen Überstunden verfahren; wenn trotzdem jede Zechenverwaltung für jede Tonne Kohle den höheren Preis, wie mir gelegentlich mitgeteilt wurde, von etwa 16 M erhielte, so würden demnach dieser Erhöhung keine Auslagen gegenüber stehen, wodurch möglicherweise für die betreffende Zechenverwaltung der Anreiz, Überschichten verfahren zu lassen, entfiele“ (R 43 I /2170 , Bl. 368-372).

2

In diesem Sinne hatte auch der Vorsitzende des Verbandes der Bergarbeiter, Husemann, nach einem Gespräch mit Bodenstein dem RK am 15. 5. geschrieben, alle Mittel müßten angewandt werden, „um durch eine bessere und billigere Belieferung mit Lebensmitteln, Kleidung und Schuhen für die Bergarbeiter den fortgesetzten neuen Lohnwellen entgegenzuwirken und andererseits auch eine weitere Steigerung der Kohlenförderung herbeizuführen. Unter den gegenwärtigen Umständen ist es fast unmöglich, dieses Ziel zu erreichen; denn bei der Versorgung der Bergarbeiter mit Lebensmitteln etc. sprechen mehrere Ministerien und sonstige Reichsstellen mit, und es geht kostbare Zeit verloren, bevor überhaupt die Sache in Fluß kommt. Es wäre m. E. richtiger, wenn die ganze Bergarbeiterfürsorge von einer einzigen Stelle aus bearbeitet und selbstständig geleitet würde“ (R 43 I /2170 , Bl. 383).

3

Der Oberschlesische Berg- und Hüttenmännische Verein hatte mit der RReg. Kontakte aufgenommen, die darauf hinzielten, ähnlich wie es dem Bergbau im Ruhrgebiet gestattet war, auch für die oberschlesischen Bergwerke zur Förderung des Arbeitswillens, die Erlaubnis zu erhalten, selbständig Verträge mit ausländischen Firmen über zusätzliche Lebensmitteleinfuhr abzuschließen und hierfür aus dem Ausland erhaltene Devisen zu verwenden (Vermerk Wevers vom 7.5.20; Schreiben des Vereins an das RArbMin. vom 10.5.20; R 43 I /2170 , Bl. 365). Zur politischen Bedeutung dieser Lebensmittelzuführung war von dem Verein bemerkt worden: „Die geforderten Maßnahmen werden in Oberschlesien nicht nur dazu dienen, die Produktion zu steigern, sondern ihre Bedeutung beruht auch in mindestens gleichem Maße auf der dringenden Notwendigkeit, von deutscher Seite den polnischen Maßnahmen ein Gegengewicht zu bieten.“ An der Oberschlesischen Lebensmittel-Versorgung G.m.b.H. (O/L) seien jetzt auch polnische Vertreter beteiligt, die billige polnische Lebensmittel nach Oberschlesien gelangen lassen würden, um die Abstimmung zu beeinflussen: „Dieser polnische Einfluß auf die Stimmung der Arbeiterschaft macht sich, obwohl erst neuesten Datums, bereits außerordentlich stark bemerkbar, denn die polnische Propaganda nutzt die veränderte Sachlage in weitestem Umfange aus und weist die oberschlesische Bevölkerung in agitatorisch geschickter Weise darauf hin, daß erst, nachdem jetzt auch die Polen in der O/L vertreten seien, diese in der Lage sei, durch polnische Zufuhr die Lebensmittelversorgung Oberschlesiens bedeutend besser und reichlicher zu gestalten“. Demgegenüber sei der Berg- und Hüttenmännische Verein „unbedingt deutsch orientiert“ und könne jede fremde Einflußnahme verhindern. Die politische Lage erfordere eine schnelle Beschaffung der Lebensmittel und eine Konzentrierung entsprechender Maßnahmen in der Hand des RArbMin. (10.5.20; R 43 I /2170 , Bl. 373-376). Der RArbM unterstützte in der Vorlage zu dieser Besprechung die Einstellung des Vereins zur Konzentration der erforderlichen Maßnahmen in seinem Ressort (18.5.20; R 43 I /2170 , Bl. 377).

4

Außerdem erklärte der RWiM in dieser Besprechung, daß für den Zweck der Lebensmitteleinfuhr genügend Devisen zur Verfügung stünden (RArbM an den Diktatorischen Ausschuß für Aus- und Einfuhr; 7.6.20; R 43 I /2171 , Bl. 7).

5

Nachdem dem Berg- und Hüttenmännischen Verein mitgeteilt worden war, daß seine Forderungen bewilligt worden seien, wurde von einem Beamten des RWiMin. bei einer weiteren Besprechung erklärt, „daß er den Kabinettsbeschluß wohl kenne, aber trotzdem keine Einfuhrerlaubnis erteilen, sondern das Fett selbst liefern wolle“. Zum gleichen Zeitpunkt wurde aber dem westfälischen Bergbau die weitere Eigeneinfuhr von Fett gestattet. Da der paritätischen Lebensmittelkommission des Vereins der Kabinettsbeschluß bereits mitgeteilt worden sei, sei auch „die Regelung der Überschichtenfrage im Prinzip festgelegt“, teilte der Verein dem RK am 11. 6. mit. „Eine plötzliche Abänderung des Kabinettsbeschlusses würde unliebsame Erörterungen nach sich ziehen und zur Folge haben, daß die Bemühungen um die Mehrförderung in Frage gestellt würden. Wir erklären daher, daß wir auf alle Fälle an den uns gegebenen bindenden Versprechungen auf Grund des Kabinettsbeschlusses festhalten müssen und uns auf eine neue Intervention seitens irgend einer Reichsstelle ebensowenig, wie unseres Wissens die Westfalen es tun werden, einlassen können.“ (R 43 I /2171 , Bl. 10 f.). Am 14. 6. wurde dann erneut eine Besprechung über diese Frage im REMin. abgehalten (Protokoll in R 43 I /2171 , Bl. 11), als deren Ergebnis in der Rkei vermerkt wurde: „Der Berg- und Hüttenmännische Verein erhält die sofortige Erlaubnis zur Einfuhr von 200 to Fett und Schmalz“. Von einer weiteren Bestellung über 300 to werde er absehen, „nachdem er davon Kenntnis erhielt, daß durch generelle Regelung der Fettversorgung der deutschen Berg- und Hüttenindustrie zur Förderung der Überschichten in Zukunft für alle Bergwerksbezirke als Fettlieferant keine Privatfirma, sondern lediglich die Reichsstellen in Frage kommen“ (R 43 I /2171 , Bl. 12).

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