1.176 (mu22p): Nr. 432 Der Reichsminister der Finanzen an den Staatssekretär in der Reichskanzlei. 3. Februar 1930

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Nr. 432
Der Reichsminister der Finanzen an den Staatssekretär in der Reichskanzlei. 3. Februar 1930

R 43 I /880 , Bl. 251-255, hier: Bl. 251-255 Umdruck

[Betrifft: Haushalt 1930.]

In meinem Schreiben vom 30. Dezember 1929 – I 22584 – habe ich dargelegt, daß sich bei dem bisherigen Stande der Haushaltsverhandlungen im Ordinarium des Haushalts 1930 ein Fehlbetrag von 108 Millionen RM ergibt, wenn man zunächst – abgesehen von der bereits beschlossenen Erhöhung der Tabaksteuer – von weiteren Steuererhöhungen absieht.

In dem gleichzeitig vorgelegten Schreiben vom 30. Dezember 1929 – I 22540 – hatte ich ausgeführt, daß der Nachtragshaushalt 1929 mit einem Fehlbetrag von 65 Millionen RM abschließen würde1. Dieser Fehlbetrag wäre nach den Bestimmungen der Reichshaushaltsordnung spätestens im Jahre 1931 abzudecken gewesen. Nun hat sich inzwischen auf Grund der im Kabinett gefaßten Beschlüsse auf der Ausgabenseite, im Hinblick auf die Haager Verhandlungen über den Zeitpunkt der Bezahlung der äußeren Besatzungskosten und auf Grund des ungünstigen Steuerergebnisses des Monats Dezember eine weitere Verschlechterung des Nachtragshaushalts ergeben, die den Fehlbetrag auf 155 Millionen RM erhöht. Ich habe infolgedessen dem Kabinett vorschlagen müssen, im Nachtragshaushalt 1929 von einer Abdeckung des Fehlbetrags[1423] 1928 in Höhe von 154 Millionen RM abzusehen und im übrigen den Haushalt 1929 in sich gedeckt abzuschließen2.

Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, das Jahr 1930 mit der Deckung des Fehlbetrages aus 1928 in Höhe von 154 Millionen RM vorzubelasten. Der Herr Reichsarbeitsminister hat ferner beantragt, die Ansätze für die Krisenfürsorge, ebenso, wie es im Nachtragshaushalt 1929 geschehen ist, auch für 1930 um 10 Millionen RM zu erhöhen und damit auf den Betrag zu bringen, der nach dem gegenwärtigen Rechtsstand mindestens benötigt werden wird. Es ist weiter erforderlich, die durch den Nachtragshaushalt 1929 gestrichenen 6 Millionen RM Dauerkredit für Flüchtlingssiedler in den Etat 1930 einzustellen, da diese Ausgabe nicht endgültig gestrichen, sondern nur hinausgeschoben werden konnte. Es erscheint ferner unter dem Gesichtspunkt der Aufstellung eines vollständigen und wahren Etats nicht möglich, das im Jahre 1929 hinsichtlich des Anleiheablösungsfonds eingeschlagene Verfahren, das für ein Jahr von der im Anleiheablösungsgesetz vorgeschriebenen Zuführung von Mitteln an den Anleiheablösungsfonds aus dem Ordinarium absah, im Jahre 1930 zu wiederholen, wie es ursprünglich in Aussicht genommen war. Es muß daher der für 1930 nach dem Tilgungsplan des Anleiheablösungsgesetzes an den Anleiheablösungsfonds zu zahlende Betrag von 44 Millionen RM in die Ausgaben des Ordinariums eingesetzt werden.

Wie ich in meinem Schreiben vom 30. Dezember 1929 ausgeführt habe, ist bisher für etwaige Kredite an die Arbeitslosenversicherung im Etat keinerlei Vorsorge getroffen. Die Kredite an die Arbeitslosenversicherung werden im Jahre 1929 mindestens 372 Millionen RM betragen. Wenn im Jahre 1930 die erhöhte Beitragsleistung anstelle eines Vierteljahres das ganze Jahr über Platz greift und daher aus ihr ein Betrag von etwa 130 Millionen zur Verfügung steht, werden bei im übrigen unveränderter Gesetzgebung die Kredite auf rund 250 Millionen RM anzunehmen sein. Es ist völlig ausgeschlossen, Kredite an die Arbeitslosenversicherung, wie es bisher geschehen ist, auf das Extraordinarium zu übernehmen, hierdurch wiederum das ungedeckte Extraordinarium zu erhöhen und die unumgänglich notwendige Sanierung der Kassenlage zu vereiteln. Es kann infolgedessen, wenn man mit diesen Krediten das Reich belastet, nur in Frage kommen, sie als Ausgaben in das Ordinarium einzustellen.

Der Steuerausfall des Dezember hat es ferner nötig gemacht, ebenso wie für den Nachtragshaushalt 1929, auch für den Haushalt 1930 die Steueransätze einer Nachprüfung zu unterziehen. Auf Grund dieser Nachprüfung mußten bei den Besitz- und Verkehrsteuern 103 Millionen, von denen 55 Millionen zu Lasten des Reichs, 48 Millionen zu Lasten der Länder gehen und bei den Zöllen und Abgaben 30 Millionen abgesetzt werden.

Es ergibt sich daraus für 1930 ein Fehlbetrag von 657 Millionen RM. [Anlagehinweis]. Das Steueraufkommen für 1930 ist auch nach der bei den Steueransätzen vorgenommenen Berichtigung noch um rd. 300 Millionen RM höher angesetzt als das durch den Nachtragshaushalt berichtigte Aufkommen für 1929.[1424] Dieses Mehraufkommen entfällt auf Zölle und Verbrauchsabgaben, und zwar, abgesehen von dem aus der Tabaksteuererhöhung sich ergebende Mehraufkommen, mit rd. 90 Millionen RM auf Zölle. Bei den jetzigen Steueransätzen liegt nur noch ein gewisses Risiko bei der Vermögensteuer, der Umsatzsteuer und bei dem Spiritusmonopol. Insgesamt kann dieses Risiko auf 110 Millionen RM angenommen werden, von denen auf das Reich 95 Millionen entfallen würden. Um einen völlig gedeckten Haushalt aufzustellen, wäre es notwendig, bei den Steueransätzen eine Reserve in Höhe von etwa der Hälfte dieses Risikos, also in Höhe von rund 45 Millionen RM einzustellen. Der Fehlbetrag würde sich dann auf rund 700 Millionen RM erhöhen. Zur Abdeckung dieses Fehlbetrages sind zwei Maßnahmen erforderlich:

1. Das Reich wird von den an die Arbeitslosenversicherung zu gebenden Krediten vollständig entlastet. Soweit auf Grund der bestehenden Gesetzgebung solche Kredite benötigt werden, übernehmen die Angestelltenversicherung und die Landesversicherungsanstalten ihre Gewährung. Diese Belastung wäre zweckmäßigerweise auf eine Frist von längstens zwei Jahren zu begrenzen. Für die Rückzahlung dieser Kredite wäre den sozialen Versicherungsträgern der Vorrang vor den an das Reich zu erstattenden Krediten einzuräumen.

Der Herr Reichsarbeitsminister hat in einer Besprechung mit mir den Gegenvorschlag gemacht, die Beiträge während der Dauer des Jahres 1930 auf 4% zu erhöhen und den dann noch ungedeckten Betrag von 80 Millionen auf den Etat zu übernehmen. Ich kann diesem Vorschlag nicht zustimmen.

2. Ich gehe davon aus, daß durch die Entlastung des Reichsetats von den Krediten an die Arbeitslosenversicherung der Fehlbetrag auf rd. 450 Millionen verringert wird (nach dem Vorschlag des Herrn Reichsarbeitsministers würde er 530 Mill. betragen). Zur Abdeckung dieses Fehlbetrages sind Steuererhöhungen notwendig, die über die bisher in Aussicht genommene Biersteuererhöhung von 180 Millionen RM erheblich hinausgehen. Es ist ferner erforderlich, daß nicht nur die Sanierung des Reichshaushalts, sondern auch die Ordnung der Länderhaushalte im Auge behalten wird. Die Sanierung der Länderetats kann entweder durch erhöhte Überweisungen oder dadurch herbeigeführt werden, daß aus der Hauszinssteuer der für Zwecke des Baumarktes aufzuwendende Betrag gekürzt und ein entsprechender Betrag für die Verwaltungsausgaben zur Verfügung gestellt wird.

Für die Steuererhöhungen kommen drei Wege in Frage:

a) Eine Erhöhung der Umsatzsteuer um ¼% würde auf die Dauer ein Mehraufkommen von 370 bis 380 Millionen, im ersten Jahre dagegen nur von etwa 350 Millionen erbringen. Da aber selbst für den Fall, daß die Erhöhung am 1. April 1930 in Kraft tritt, infolge der vierteljährlichen Zahlung auf das Jahr 1930 nur etwa ¾ der Erhöhung fallen würde, können in den Haushalt nur rund 270 Millionen eingestellt werden, von denen auf das Reich rund 190 Millionen, auf die Länder rund 80 Millionen entfallen. Da nach den berichtigten Etatsansätzen die Überweisungen um 38 Millionen hinter 1929 zurückbleiben, würde sich im Falle der Erhöhung der Umsatzsteuer für die Länder nur ein Mehr von 42 Millionen ergeben. Diese Mehrüberweisung würde nicht ausreichen, die Länderetats vollständig auszugleichen.

[1425] Wenn neben der Erhöhung der Umsatzsteuer zugleich eine Erhöhung der Biersteuer in dem bisher beabsichtigten Ausmaß, also in Höhe von 180 Millionen, vorgenommen wird, würde sich für das Reich insgesamt ein steuerliches Mehraufkommen von 370 Millionen ergeben. Zu diesem Mehraufkommen müßten noch Ersparnisse in Höhe von rund 80 Millionen treten, nur um den Reichshaushalt vollständig auszugleichen. Ich behalte mir Vorschläge über diese Ersparnisse im Einzelnen vor. Ich glaube aber schon jetzt darauf hinweisen zu sollen, daß sie noch erhöht werden müssen, wenn Deckung für gewisse, im Haushalt noch nicht berücksichtigte Ausgaben geschaffen werden soll. Ich denke in erster Linie an die Belastung auf Grund des Deutsch-Polnischen Vertrages. Die Herren Reichsminister des Innern und für die besetzten Gebiete fordern ferner eine Erhöhung des Grenzfonds auf 50 Mill. (20 Mill. für den Westen, 30 Mill. für den Osten). Ich kann dieser Erhöhung mangels Deckungsmöglichkeit nicht zustimmen, so sehr ich auch anerkenne, daß die auf Grund des Deutsch-Polnischen Vertrages für die Stützung des Deutschtums jenseits der Grenze aufzuwendenden Summen zwecklos vertan würden, wenn nicht der deutsche Osten diesseits der Grenze lebensfähig erhalten werden kann. Ich stimme dem Herrn Reichsminister des Innern auch darin zu, daß eine Hilfe für den Osten vergeblich ist, wenn sie nicht in ausreichendem Maße angesetzt wird. Ich behalte mir auch hierzu Vorschläge vor.

b) Will man von der Erhöhung der Umsatzsteuer absehen, so käme eine Verdoppelung der bisher ins Auge gefaßten Erhöhung der Biersteuer in Betracht. Eine solche Erhöhung würde rein rechnungsmäßig ein Mehraufkommen von 360 Millionen erbringen. In Wirklichkeit würde infolge des mindestens im ersten Jahre zu erwartenden Rückgangs des Konsums um 15% nur mit einem Mehrkaufkommen in Höhe von rund 245 Millionen gerechnet werden können. Der Konsumrückgang würde sich auf 10% verringern, das Mehraufkommen also auf rund 285 Millionen steigern lassen, wenn gleichzeitig mit der Erhöhung der Biersteuer die Weinsteuer wiedereingeführt würde. Die Weinsteuer hat im übrigen noch den Vorzug, die ausländischen Weine, die nicht nur dem Bier, sondern auch dem inländischen Wein und dem Branntwein starke Konkurrenz machen, zu belasten. Bei ihrer Einführung könnte daher die für etwaige Ausfälle beim Spiritusmonopol eingesetzte Reserve in Höhe von 20 Millionen fortfallen. Die Weinsteuer, die allerdings verhältnismäßig hohe Verwaltungsausgaben verursacht, erbringt bei 20% für Stillweine und 30% für Schaumweine auf die Dauer ein Aufkommen von 90 Millionen, im Jahre 1930 wegen des Ausfalls von 2 Monaten nur ein Aufkommen von 75 Millionen RM, von denen 25 Millionen auf Kredite an die Winzer gerechnet werden müssen, dem Reich also nur 50 Millionen verbleiben. Hiervon ist der Ertrag der Schaumweinsteuer, die dann in Fortfall kommt, abzusetzen, so daß ein Mehr von 38 Mill. RM übrig bleibt.

Bier- und Weinsteuer würden also zusammen (285 + 20 + 38 =) 343 Millionen erbringen. Durch Verkürzung der Fälligkeitstermine könnten als einmalige Steuererhöhung bei der Tabaksteuer rund 30 Millionen, bei der Biersteuer rund 30 Millionen, bei der Zuckersteuer rund 14 Millionen, durch Fortfall der Tabaksteuerläger 5 Mill., der Zuckersteuerläger 3 Mill., insgesamt also[1426] 82 Mill. hereingeholt werden. Ferner würde sich eine Mehreinnahme bei den Zöllen in Höhe von 43 Millionen ergeben, wenn die gesetzlich vorgesehene Erhöhung des Kaffee- und Teezolls jetzt vorgenommen würde; der augenblickliche Tiefstand des Kaffeepreises läßt den Zeitpunkt hierfür als besonders günstig erscheinen.

Alle diese Maßnahmen würden 468 Millionen RM erbringen, von denen 82 Millionen RM nur einmalig sind.

Rechnet man hierzu Ersparnisse in Höhe von 80 Millionen, so ergibt sich die Möglichkeit, den Ländern eine Sonderüberweisung in Höhe von 98 Millionen zukommen zu lassen. Da, wie vorhin dargelegt ist, die Länder nach den bisherigen Etatsansätzen 38 Millionen weniger erhalten, als im Jahre 1929, würden sie auf diesem Wege eine tatsächliche Mehrüberweisung in Höhe von 60 Millionen erhalten, also etwas mehr als auf dem unter a) gekennzeichneten Wege.

c) Wenn man von der Umsatzsteuererhöhung absieht, die Biersteuer, wie ursprünglich beabsichtigt, nur um 180 Millionen erhöht, im übrigen die unter b) genannten Maßnahmen ergreift, tritt folgendes Ergebnis ein:

Biersteuererhöhung

180 Mill.

Weinsteuer

38 Mill.

Fortfall der Reserve beim Spiritusmonopol

20 Mill.

Verkürzung der Fälligkeitstermine usw.

82 Mill.

Erhöhung des Kaffee- und Teezolls

43 Mill.

Summe

363 Mill.

Zusammen mit Ersparnissen in Höhe von rund 90 Millionen würde sich der Fehlbetrag decken lassen; es bleiben aber für Sonderüberweisungen an die Länder nichts übrig. Die Länder würden also schlechter dastehen als 1929 und könnten ihre Etats nicht in Ordnung bringen. Dieser Weg ist daher nur gangbar, wenn den Ländern Mittel aus der Hauszinssteuer für diesen Zweck verfügbar gemacht werden können.

Ich bitte, alsbald den Haushalt 1930 auf die Tagesordnung des Kabinetts zu setzen. Ich werde die vorstehend berührten Fragen der Steuererhöhungen und der Ausgabenkürzungen durch mündliche Ausführungen und bestimmte Anträge ergänzen. Bis zur Entscheidung durch das Kabinett bitte ich um eine streng vertrauliche Behandlung.

[…]

Moldenhauer

Fußnoten

1

Siehe zu beiden Schreiben die Behandlung in Dok. Nr. 405, P. 1 und 2.

2

Siehe Dok. Nr. 417, P. 3.

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