2.208.1 (wir1p): [Steuergesetzgebung]

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Die Kabinette Wirth I und II (1921/22). Band 1Bild 146III-105Bild 183-L40010Plak 002-009-026Plak 002-006-067

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[Steuergesetzgebung1]

Exzellenz Spahn eröffnete die Besprechung mit der Bemerkung, daß die Steuerberatungen vorwärts getrieben werden müßten.

[563] Abg. Fischer hielt eine Klärung darüber, was zu geschehen habe, für notwendig, nachdem die Deutsche Volkspartei dem Zentrum und den Demokraten mitgeteilt hätte, daß sie sich nicht mehr an das Kompromiß halte. Seiner Auffassung nach könne das Kompromiß zwischen Regierung und Parteien ohne vorherige Aussprache nicht einseitig gekündigt werden.

Abg. Müller-Franken teilte mit, daß seiner Partei gegenüber eine Kündigung des Steuerkompromisses nicht erfolgt sei. Wenn eine Partei freie Hand bekomme, müsse es seine Partei natürlich auch bekommen.

Abg. Dr. Becker-Hessen bat, sich doch nicht um Worte zu streiten. Das Wort „Kündigung“ sei ein schiefer Ausdruck. Er habe persönliche und sachliche Garantien über Verwendung der Mittel verlangt und, falls diese nicht gegeben würden, sich freie Hand vorbehalten. Er habe den Herren Marx und Fischer gesagt, daß die Deutsche Volkspartei freie Hand bekommen würde, wenn die Dinge sich so weiter entwickeln würden, wie es den Anschein habe. Bisher hätten sie in den Steuerausschüssen die Sache gefördert. Hinsichtlich der Steuern würden die Verhandlungen weiter gehen können. Die entscheidende Frage würde erst am Ende der Verhandlungen zu beantworten sein.

Abg. Fischer äußerte seine Befriedigung über die Interpretation der damaligen Erklärung von Herrn Becker-Hessen. Es habe also lediglich die Ankündigung einer Kündigung des Kompromisses stattgefunden.

Exz. Dr. Spahn stellte fest, daß also ein Mißverständnis vorgelegen habe, als ob man im Ausschuß nicht weiter verhandeln könne.

Abg. Dr. Petersen würde es begrüßen, wenn die entscheidenden Verhandlungen nicht erst am Ende der Steuerberatungen, sondern alsbald stattfinden könnten.

Abg. Dr. Becker-Hessen betonte nochmals, daß bei der Beratung der Steuergesetze keine wesentlichen Differenzen sich ergeben würden, mit Ausnahme[564] der Bewertungsvorschriften. Die Schwierigkeiten würden erst bei der Zwangsanleihe und dem Mantelgesetz kommen2.

Abg. Dr. Fischer machte darauf aufmerksam, daß das Wesen des Kompromisses darin bestehe, daß wir dem Mantelgesetz einschließlich Zwangsanleihe zustimmten. Die ganze Haltung zu dem Gesetz hinge von der endgültigen Stellungnahme ab.

Abg. Dr. Becker-Hessen erwiderte nochmals, daß er in der letzten Sitzung die Erklärung abgegeben habe, daß die Deutsche Volkspartei nur unter der Bedingung der persönlichen und sachlichen Garantien, die sie verlange, dem Kompromiß beigetreten sei. Er glaube, daß die Regierung verstanden habe, was er verlangt habe3.

Abg. Dr. Petersen bat festzustellen, daß das Mantelgesetz und Zwangsanleihe Gegenstand des Kompromisses gewesen seien, und daß das Kompromiß durch die Steuerberatungen durchgehalten werden sollte.

Abg. Dr. Stresemann legte Wert darauf festzustellen, aus welchen Gründen die Fraktion dem Kompromiß zugestimmt habe, und wie sie zum Kanzler wegen der Ernennung Rathenaus stehe. Die Ernennung Rathenaus sei Gegenstand der Vorbesprechungen gewesen.

Abg. Becker habe folgendes festgestellt: Der Reichskanzler sei an ihn herangetreten und habe ihn gefragt, wie sich die Deutsche Volkspartei zur Ernennung Rathenaus als Außenminister stellen würde. Becker habe geantwortet, daß die Vorwegnahme der Besetzung eines derartigen wichtigen Amtes Widerspruch in der Fraktion finden würde. Der Reichskanzler habe Becker gebeten, einen Fraktionsbeschluß zu extrahieren. Dies sei geschehen; danach habe die Fraktion die Auffassung vertreten, daß die Ernennung des Ministers des Auswärtigen ein so wichtiger Bestandteil der Erneuerung des Gesamtkabinetts sei, daß die Fraktion bitten müsse, die Erledigung dieser Frage nicht vorwegzunehmen. Die Fraktion habe sich nicht gegen Rathenau gewendet, sondern lediglich den sachlichen Standpunkt vertreten, daß, wenn über eine Neubesetzung der Ministerien im Zusammenhang mit dem Kompromiß verhandelt werden solle, dann die Besetzung dieses Amtes nicht vorweg genommen werden dürfe.[565] Der Reichskanzler habe erwidert, daß dies Schwierigkeiten machen würde und gebeten, ein zweites Mal die Fraktion zu hören. Die Fraktion habe den gleichen Standpunkt beibehalten. Nun sei er zum Reichskanzler gebeten worden, der ihm mitgeteilt habe, daß er genötigt sei, die Ernennung Rathenaus vorzunehmen. Der Reichskanzler habe betont, daß die Verhandlungen wegen der großen Koalition heute oder morgen nicht zu Ende geführt werden könnten, da die Dinge so mit Rücksicht auf die Sozialdemokratie nicht lägen. Er befinde sich aber in einer schwierigen Lage hinsichtlich der Ernennung des Außenministers, denn wenn er diesen nicht bis morgen ernannt habe, so müsse er damit rechnen, daß Rathenau nicht mehr zur Verfügung stehen würde. Er, Stresemann, habe darauf erklärt, daß er es nicht verstehe, warum Rathenau, wenn wichtige Verhandlungen in einigen Tagen geführt werden könnten, vorweg ernannt werden müsse, und er habe die Mitteilung von der angeblichen Haltung Rathenaus nicht für wahrscheinlich gehalten. Er habe dem Reichskanzler offen gesagt, ob es nicht besser sei, daß Rathenau als Minister ohne Portefeuille auftrete. Er würde die Ernennung bedauern, wenn sie zur Folge hätte, daß nach den stattgehabten Verhandlungen Schwierigkeiten sich ergeben würden, die nicht ohne Einfluß auf die Stellung der Deutschen Volkspartei sein würden. Wenn auf Grund des zweiten Fraktionsbeschlusses die erwähnte Erklärung abgegeben sei, so könne in der erfolgten Ernennung eine starke Nichtachtung der Fraktion erblickt werden. Der Reichskanzler habe auch sachliche Gründe angeführt. Er kommt sodann auf die Veröffentlichung der Ernennung und auf die „Vorwärts“-Notiz zu sprechen, in der die angeblichen Äußerungen es Reichskanzlers als, höflich gesagt, mißverstanden anzusehen seien.

Der Reichskanzler erwiderte, daß die sachliche Darstellung des Herganges zutreffend wiedergegeben sei. Ebenso stelle er fest, daß er über das Votum der Deutschen Volkspartei hinweggegangen sei. Er habe aber an jenem Abend gesagt, er handle pflichtgemäß, wenn er noch heute die Urkunde der Ernennung Rathenaus vollziehe. Von einem Ultimatum Rathenaus sei nicht die Rede gewesen. In der Woche vorher habe er Herrn Rathenau zweimal gesagt, daß er Wert darauf lege, ihn für die Reichsregierung und die Leitung der auswärtigen Geschäfte zu erhalten. Er habe die bestimmte Zusage bekommen unter der Voraussetzung, daß seine Ernennung nicht Gegenstand parteipolitischer Erwägungen werde. Er habe nach dieser Zusage versucht, die Herren Stinnes und Rathenau einander näher zu bringen und selbst mit ihnen am Tisch gesessen. Er habe auch da die tiefen Gegensätze beobachtet und sich gefragt, ob er noch weiter mit der Ernennung zögern solle. Hinzu sei gekommen die Erwägung wegen Genua und der logischen Fortsetzung der Außenpolitik. Endlich seien auch von demokratischer Seite wegen Rathenau Wünsche an ihn herangetreten; daher habe er die Wünsche der Deutschen Volkspartei nicht berücksichtigt. Die Frage der Erneuerung der Koalition, wohl besser Erweiterung, habe er mit Becker besprochen, auch über Post und Eisenbahn. Die damalige Aussicht, das Reichsverkehrsministerium neu zu besetzen, sei infolge des Streiks unmöglich geworden. Er glaube, daß Groener für sein Verhalten Anerkennung verdiene. Ein Affront gegen die Deutsche Volkspartei habe ihm ferngelegen. Auch Herrn Becker habe er Mitteilung von der Schwierigkeit der Koalitionsbildung gemacht[566] und insbesondere auf die Stellungnahme der USPD aufmerksam gemacht. Seiner Auffassung nach müßten die Steuern nunmehr rasch durchberaten werden.

Abg. Müller-Franken teilte mit, daß die Umwandlung des Kabinetts bisher bei den Beratungen seiner Fraktion keine Rolle gespielt habe. Erst nach der Plenardebatte habe der Reichskanzler in Besprechungen die Frage gestellt, wie es mit einer Verbreiterung der Koalition sei. Er wolle dem Reichskanzler und der Reichsregierung keinen Zweifel lassen, daß im Augenblick eine große Koalition für die Sozialdemokratie eine große Belastung bedeuten würde. Zur Zeit würden insbesondere eine Erörterung der Verhältnisse bei Eisenbahn und Post große Schwierigkeiten verursachen.

Abg. Dr. Petersen hielt insbesondere aus außenpolitischen Gründen die große Koalition für notwendig.

Abg. Dr. Becker-Hessen verweist auf die von ihm im Reichstag abgegebene Erklärung4. Er bestreitet, daß er bei einer Besprechung mit dem Reichskanzler die Frage der Garantien lediglich auf Post und Eisenbahn bezogen hätte. Er stellt nochmals folgendes fest: Am Vormittag habe der Reichskanzler ihn in der Sitzung des Ausschusses auf die Seite genommen und ihn gefragt. Unter Anknüpfung an die Bedingungen sei das Wort von der großen Koalition gefallen. Es seien verschiedene Minister und ihre Mitarbeiter in den einzelnen Ministerien durchgesprochen worden, und zwar habe man sich nicht nur auf die Spitzen der Post und Eisenbahn beschränkt, wo die beiden Männer drei Jahre lang geschlafen hätten. Diese seien erst durch den Vorstoß der Industrie aufgeweckt worden5, so daß der Reichsverkehrsminister den Etat zurückgezogen und einen neuen in sich balancierenden Etat vorgelegt hätte. Der Reichskanzler habe ihn sogar gefragt, ob er jemanden als Chef des Eisenbahnwesens kenne und habe darauf an Herrn von Schewen gedacht. Seinerseits sei ein Wunsch auf Ersatz von Groener nicht gestellt worden, nur hielte er es für notwendig, in dieser Verwaltung Ordnung zu schaffen. Rathenau sei damals zum erstenmal vom Kanzler genannt worden. In der Unterhaltung mit dem Reichskanzler habe dieser die Meinung geäußert, daß es auch der Wunsch der Demokratischen Fraktion sei, daß Rathenau eintrete. Der Reichskanzler habe aber noch nicht aufgeklärt, wann an dem selben Tage die Ernennung erfolgt sei. Er, Becker, habe bei der Unterhaltung erklärt, daß er glaube, daß die Vaterlandsliebe des Herrn Rathenau nicht so gering sein würde, daß er sich nicht noch einige Tage geduldet hätte. Der Reichskanzler habe ausdrücklich erklärt, daß Rathenau nicht mehr gewonnen werden könnte, wenn er nicht bis morgen früh seine Ernennung in der Hand hätte.

–––––

Der Reichskanzler erinnert den Abgeordneten Becker daran, daß bei der Besprechung unter vier Augen auch die Frage der Neubesetzung des Reichsministeriums des Innern berührt worden ist. Es habe ihm völlig ferngelegen, durch[567] die Ernennung Rathenaus einen Affront gegenüber der Deutschen Volkspartei dokumentieren zu wollen. Die Situation war kritisch, da bei einer weiteren Verzögerung der Ernennung bei Dr. Rathenau der Eindruck erweckt worden wäre, als ob um seine Person zwischen den Parteien geschachert werden solle.

Abg. Dr. Stresemann führt aus, daß die Zustimmung zum Steuerkompromiß ein politischer Akt gewesen sei. Daher habe es der Abg. Becker für nötig befunden, mit dem Reichskanzler die Lage zu besprechen. In dieser Besprechung sei erwähnt worden, daß die Regierung stark einseitig orientiert sei, und man habe nicht nur die Verkehrsressorts, sondern alle Ressorts durchgesprochen. Nach den zwei Fraktionsbeschlüssen der Deutschen Volkspartei müsse er daran festhalten, daß die Ernennung Rathenaus ein Affront für die Partei bedeute. Er habe vorhin seine Unterredung mit dem Herrn Reichskanzler sachlich richtig wiedergegeben. Der „Vorwärts“ jedoch habe betont, daß Dr. Rathenau wegen seiner Ernennung gedrängt habe. Wenn dies nicht den Tatsachen entspreche, so wäre es Pflicht der Regierung gewesen, diese Pressenotiz des „Vorwärts“ zu berichtigen. Bei seiner Unterredung mit dem Reichskanzler habe er einen neuen Affront erfahren, indem der Kanzler betont habe, er könne mit der Partei nur noch unter Zuziehung eines Protokollführers verkehren.

Der Reichskanzler erwähnt demgegenüber, daß er „Die Zeit“ gelesen, und diese tief verstimmend auf ihn gewirkt habe.

Abg. Koch führt aus, daß die Demokratische Partei als solche die Ernennung Rathenaus nicht gefordert habe, sondern das sei nur eine persönliche Auffassung von Dr. Petersen gewesen. Aber über diese Frage sollten wir hinwegkommen. Dr. Petersen sei der Ansicht gewesen, daß die SPD der Koalition keine Schwierigkeiten bereiten würde. Sollte diese Annahme sich nicht bewahrheiten, so wäre eine andere Situation geschaffen. Mit der USPD könne ein Zusammengehen nicht in Frage kommen. Nach der heutigen Erklärung der SPD schien es, als ob diese die Koalition nicht mehr wünsche.

Der Reichskanzler berichtigte den Abg. Koch dahin, daß die Sozialdemokratie nach wie vor grundsätzlich bereit sei, der Frage der Koalition näher zu treten, daß sie aber zur Zeit innerfraktionelle Schwierigkeiten habe.

Abg. Marx glaubt, daß es an sich gleichgültig sei, ob die demokratische Partei dem Kanzler offiziell oder inoffiziell ihre Wünsche unterbreitet habe. Tatsache sei, daß Dr. Rathenau seine Ernennung nicht parteipolitisch behandelt wissen wollte. Es war daher hohe Zeit, die Ernennung vorzunehmen. Die Presse sei nicht nur ein Freund der Parteien, sondern zugleich deren größter Feind, und es wäre gut, wenn man bei den jetzigen Verhandlungen die Pressenotizen außer acht lasse. Es sei der allgemeine Wunsch, die DVP in die Regierung hineinzunehmen. Dies sei insbesondere mit Rücksicht auf Genua eine Staatsnotwendigkeit. Er richte an die Volkspartei die Bitte, Geduld zu üben und Verständnis zu haben für die Schwierigkeiten in der Sozialdemokratischen Partei.

Abg. Leicht teilt zur Geschäftsordnung mit, daß er annehme, daß alles, was hier verhandelt werde, vertraulich sei und daß davon nichts in die Presse komme.

Abg. Spahn teilt das Einverständnis sämtlicher Anwesenden hierzu mit.

[568] Abg. Dr. Stresemann betont, daß er Vertraulichkeit nur bezüglich der Presse annehme, nicht für die Fraktion.

Abg. Müller-Franken betont, daß seine Partei der Koalition weder feindlich noch freundlich gegenüber stehe, sondern daß die Bildung der Koalition für die Partei nach wie vor eine offene Frage sei. Nach seiner Ansicht hätte die Personalfrage in das Steuerkompromiß hineingehört.

Abg. Leicht: Er habe gehört, es handele sich bei den von der Volkspartei geforderten Garantien nur um die Verkehrsministerien. Als der Abg. Becker ihm gegenüber erwähnt habe, er habe im Ausschuß auf seine Garantieforderungen von der Regierung keine Antwort erhalten, habe er den Abg. Becker an den Reichskanzler verwiesen. Später habe er gesehen, wie der Reichskanzler und der Abg. Becker mit einander sprachen. Jedenfalls war der Abg. Becker in seiner Reichstagsrede6 viel schärfer als im Ausschuß. Es entstehe jetzt die Frage, wie man in den Steuersachen weiter arbeiten wolle.

Abg. Spahn gibt an, daß die Besprechungen in Steuerangelegenheiten ihren Fortgang nehmen werden.

Abg. Becker bestätigt dies. Es sei Aufgabe der Reichsregierung, die entstandenen Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen. Neben den persönlichen habe er bekanntlich auch sachliche Garantien gefordert, und auch darüber fehlten bisher Vorschläge. Als Beispiel führe er den sogenannten Sparkommissar an, über dessen Tätigkeit man bisher wenig vernommen habe7. Gegenüber dem Abg. Müller-Franken wolle er betonen, daß, da die Volkspartei bisher noch nicht in der Koalition sei, sie auch noch nichts hätte anbieten können.

Minister Hermes führt mit Bezug auf die Frage des Sparkommissars an, daß die Vereinfachungskommission dem Reichsministerium des Innern unterstellt sei und daß die Frage, ob eine Unterstellung unter das Reichsfinanzministerium erfolgen solle, in nächster Zeit vom Kabinett entschieden werden würde.

Abg. Spahn schloß hierauf die Sitzung.

Fußnoten

1

Das zur Erfüllung des Londoner Ultimatums erarbeitete Steuerprogramm vom Juni 1921 (Zusammenstellung der Einzelvorlagen siehe Dok. Nr. 82 Anm. 1) war inzwischen in den RT-Ausschüssen beraten worden. In dem Bemühen, eine sichere Mehrheit für ihr Steuerprogramm zu finden, mußte die Regierung Wirth, insbesondere nach dem Austritt der DDP aus der Regierungskoalition im Oktober 1921, nach einem Kompromiß suchen. Am 26.1.1922 hatte Wirth in seiner Regierungserklärung vor dem RT wie folgt über das Zustandekommen eines Steuerkompromisses berichtet: „Die neuen Steuergesetze, die wir schon im Sommer dem Reichsrat und dem Reichstag haben zugehen lassen, haben den langen schwierigen Weg durch die Ausschüsse hinter sich und werden schon in allernächster Zeit den Reichstag zur endgültigen Beschlußfassung beschäftigen. Es war ein schwerer Kampf natürlicher und gegebener Gruppierungen, aber auch prinzipieller Auffassungen, bis es gelang, die mitarbeitenden Parteien auf einen Ausgleich direkter und indirekter Steuerbelastung zu vereinigen und damit das wichtige und große Werk der neuen Steuergesetzgebung in Sicherheit zu bringen.

Das Steuerbild darf ich, wie folgt, kurz skizzieren: Das Gesamtaufkommen unserer Steuern überhaupt nach Annahme der 14 Steuergesetze – ich sage aber noch einmal und betone: das Aufkommen überhaupt –, die jetzt zur Verabschiedung kommen sollen, wird auf rund 100 Milliarden Mark geschätzt. Gegenüber den im Haushalt für 1921 eingestellten rund 55 Milliarden Mark bedeutet dies fast eine Verdoppelung. – Um dieses Ziel zu erreichen, war ein Kompromiß notwendig, das heute zustandegekommen ist. An diesem Kompromiß haben sich die Parteien von der Mehrheitssozialdemokratie bis zur Deutschen Volkspartei beteiligt. Die genannten Parteien haben sich im wesentlichen auf die Regierungsvorlagen geeinigt, jedoch mit folgenden Änderungen:

1. Bei der Vermögenssteuer und der Vermögenszuwachssteuer sind die von der Regierung vorgeschlagenen mittleren Tarife vorzusehen; der Zuschlag zur Vermögenssteuer soll 200 Prozent betragen. Dazu soll durch das Gesetz eine Zwangsanleihe in Höhe des Gegenwertes von 1 Milliarde Goldmark aufgelegt werden, die in den ersten drei Jahren unverzinslich sein soll. Dadurch sollen die Mittel für die Kredite flüssig gemacht werden, die durch das Reichshaushaltsgesetz des Rechnungsjahres 1922 bereitgestellt und nicht für die Verkehrsanstalten bestimmt sind.

2. Die Nachkriegsgewinnsteuer soll fallen gelassen werden, da ihre Erhebung den Finanzämtern eine nicht im Verhältnis zum Aufkommen stehende Arbeit verursachen und die Flüssigmachung der übrigen Steuern erheblich verzögern würde.

3. Bei der Umsatzsteuer soll ausnahmslos ein Satz von 2 Prozent zur Anwendung kommen. Die vielfach bestrittene Frage der Umsatzsteuer der Genossenschaften soll aus der Diskussion ausscheiden. Insoweit soll es bei der Regierungsvorlage sein Bewenden behalten.

4. Die Kohlensteuer soll grundsätzlich 40 Prozent betragen mit der Möglichkeit der Anpassung an die Wirtschaftslage.

5. Die Zuckersteuer wird mit Rücksicht auf die starke Vorbelastung des Verbrauchs durch die Umsatz- und Kohlensteuer und auf die Bedeutung des Zuckers für die Säuglingsernährung auf 50 Mark für den Doppelzentner festgesetzt.

6. Die Zölle auf Kaffee, Tee und Kakao sollen nach den Vorschlägen des Reichswirtschaftsrats bemessen werden.

7. Bei der Biersteuer sollen bezüglich der Steuersätze die Beschlüsse erster Lesung aufrechterhalten werden; die Regelung der Gemeindebierbesteuerung soll dem Landessteuergesetz überlassen bleiben.

8. Die Einheit der gesamten Steuervorlagen soll durch ein Mantelgesetz gewährleistet werden; in diesem sollen die Vorschriften über die Zwangsanleihe Aufnahme finden.

Im Anschluß an dieses große Gesetzgebungswerk wird bei den sonstigen Steuern geprüft werden, ob und inwieweit sie der Geldwertentwicklung anzupassen sind. Hierbei wird im Interesse einer möglichst schleunigen Durchführung der bestehenden und zu beschließenden Gesetze, insbesondere auf das Bedürfnis der Steuerverwaltung nach möglichster Vereinfachung der Gesetzgebung weitgehendste Rücksicht zu nehmen sein.“ (RT Bd. 352, S. 5561 ). Vgl. auch die Note der dt. Reg. an die Repko vom 28.1.1922 insbesondere die Anlage 1, in der Bezug genommen wird auf die oben zitierten Ausführungen der Regierungserklärung (RT-Drucks. Nr. 4140 , S. 48 ff. Bd. 372).

2

Siehe Anm. 1, P. 1 und P. 8 der Ausführungen Wirths.

3

In den Akten befindet sich eine elfseitige, undatierte, hektographierte Übersicht über die von der DVP geforderten sachlichen und persönlichen Garantien, die allerdings der Journalnummer nach erst am 11.3.22 in die Rkei gelangt sein kann. Die hierin aufgestellten und im folgenden wiedergegebenen vier Forderungen sind im einzelnen erläutert: „I. Klarheit über die Verwendung der Mittel, insbesondere der Mittel aus der Zwangsanleihe (1. nicht zu verwenden für die Balancierung des Etats bei den Reichsbetrieben, 2. nicht zum Ankauf von Devisen, sondern 3. einzig für die im Inland aus dem Friedensvertrag abzudeckenden Verbindlichkeiten wie Besatzungskosten und Entschädigung dt. Lieferanten für Sachlieferungen). – II. Vereinfachung und Verbilligung der Reichsverwaltung (1. durch Schaffung einer Institution, die diese Aufgabe in Rang und Stellung eines Reichsministers wahrnimmt (Vereinfachungskommissar), 2. wirtschaftlichere Gestaltung der Reichsbetriebe, 3. Verstärkung der Stellung des RFMin. in der Ausgabepolitik des Reiches, 4. Sparsamkeit auf allen Gebieten). – III. Stärkung der dt. Wirtschaft (1. Schrittweiser Abbau der Zwangswirtschaft auf allen Gebieten, 2. Anhörung von Wirtschaftsvertretungen vor politischen Entscheidungen, z. B. vor Abkommen aus dem Friedensvertrag, die größere finanzielle oder grundsätzliche Bedeutung haben). – IV. Eindämmung der Inflation insbesondere durch Einschränkung des Zahlungsmittelumlaufs“ (R 43 I /2393 , Bl. 244-254).

4

Rede Beckers (Hessen) in der Besprechung der Erklärung der RReg. vom 26.1.22 (siehe Anm. 1) am 27.1.1922 (RT Bd. 352, S. 5593  ff.).

5

Siehe Dok. Nr. 133 Anm. 1 und Dok. Nr. 135 Anm. 2.

6

Siehe Anm. 4.

7

Siehe Anm. 3, P. II.

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