2.136.4 (feh1p): 4. Verlangen der Entente auf Zerstörung von Festungsgeschützen.

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4. Verlangen der Entente auf Zerstörung von Festungsgeschützen.

Der Reichsminister des Auswärtigen trug den Gang der Verhandlungen mit der Entente über den Umfang der Zerstörung von Festungsgeschützen[350] vor2. Die Entente wolle Geschütze nur für 5 Festungen zulassen3. Für diese beanspruche Deutschland 836 Geschütze, die allerdings nicht alle auf betoniertem Grunde festständen, sondern entsprechend den Grundsätzen des modernen Festungskampfes für die Unterbringung im Gelände bereitgehalten würden. Die Entente wolle statt dessen nur 88 Geschütze bewilligen. Das Verlangen der Alliierten gehe über den Friedensvertrag hinaus; rein formell liege anderseits durch die Entscheidung des in dem Friedensvertrag dafür bestimmten Botschafterrats eine „res judicata“ vor4. In Frankreich herrsche offenbar zur Zeit eine mächtige Strömung, die versuche, die bevorstehenden Brüsseler Beratungen durch einen Zwischenfall zu sabotieren. Politisch sei unsere Stellung leider dadurch erschwert, daß wir in der Entwaffnungsfrage, namentlich infolge des bayerischen Vorgehens, die Spaer Bedingungen tatsächlich nicht voll erfüllt hätten. Damit hänge ferner die innerpolitische Schwierigkeit zusammen, in einer Waffenfrage alles aufs Spiel zu setzen.

In der ausführlichen Debatte betonte General von Seeckt, daß Königsberg mit nur 20 Geschützen keine Festung mehr sein würde. Namentlich die Verteidigung gegen Osten könne in der nächsten Zeit noch bitter notwendig werden. Hierfür käme außer Königsberg hauptsächlich Küstrin in Betracht.

Im Laufe der Beratung führte Minister Simons noch aus: Er habe dem Reichspräsidenten bei Übernahme seines Amtes erklärt, er könne es nur übernehmen, wenn man sich darüber klar sei, daß es für ihn gegenüber der Entente[351] eine Grenze gäbe, bei der er „Nein“ sagen würde. Allerdings werde in der Entwaffnungsfrage ein solcher Fall nach seiner Ansicht nicht gegeben sein. Auf diesem Standpunkt stehe er auch noch heute. Allerdings sei die Entscheidung im vorliegenden Falle wegen der Ostgefahr außerordentlich zweifelhaft. Auf die Frage des Ministers Heinze, welche Prognose der Minister stelle, wenn nicht nachgegeben würde, erklärte der Minister des Auswärtigen, daß voraussichtlich die Besetzung des Ruhrgebiets folgen werde; dann werde automatisch auch wohl der Einfall der Polen in Oberschlesien folgen. Man müsse also, wenn man ablehne, darauf spielen, daß die Entente das Ruhrgebiet nicht besetze, und bereit sein, falls sie es doch tue, ev[entuell] durchzuhalten.

Minister Heinze war der Meinung, daß es trotz der Bedeutung der Frage wohl besser sei, diese Kraftprobe auf einen Zeitpunkt zu verschieben, wo es sich um eine Frage handle, in der man innerpolitisch eine stärkere, einheitlichere Stellung haben würde. Ein Vorschlag des Ministers von Raumer, ev[entuell] Swinemünde als Festung preiszugeben um eine stärkere Bewaffnung von Königsberg und Küstrin zu erlangen, mußte aufgegeben werden, weil einerseits Swinemünde als einzige Seefestung schwer zu entbehren sei, anderseits die Entente gerade hier keine Abzüge gemacht habe.

Das Kabinett folgte schließlich einstimmig einer Anregung des Generals v. Seeckt, sich dem Beschluß des Botschafterrats zwar mit Protest wegen der Rechtslage zu unterwerfen, aber für Küstrin und Königsberg eine Verlängerung der Frist zu fordern, weil inzwischen eine neue Situation eingetreten sei5.

Fußnoten

2

Nach Art. 180 VV war Deutschland verpflichtet, die Festungen an der Westgrenze zu schleifen. Die Festungen an der Süd- und Ostgrenze dagegen sollten in dem Zustand belassen werden, in dem sie sich beim Abschluß des Friedensvertrages befanden. Schon bald war es zwischen der RReg. und der IMKK zu Meinungsverschiedenheiten über die Zahl und die Kaliber der Geschütze gekommen, die in den Festungen verbleiben sollten.

In ihrer Note vom 20.3.1920 hatte die IMKK die Zahl der Festungen, die mit Geschützen versehen werden durften, auf fünf beschränkt. Es waren dies die Festungen Königsberg, Pillau, Swinemünde, Küstrin und Ulm. Am 23. 7. hatte die IMKK in einer weiteren Note mitgeteilt, daß die Zahl der Festungen mit Geschützausrüstung nochmals auf drei verringert würde und daß statt der 836 angemeldeten Geschütze in den Festungen nur 88 Geschütze zugestanden würden (RWeMin./Heeresleitung an das AA am 3.9.1920, PA/II F–M/I 4, Bd. 2). Als alle Verhandlungen mit der IMKK über die Abänderung dieser Beschlüsse ergebnislos verliefen, richtete die Dt. Friedensdelegation am 13. 10. eine Note an die Botschafterkonferenz und bat, die Entscheidung der IMKK zu prüfen und ihre Zurücknahme zu veranlassen (PA/II F–M/I 4, Bd. 2). Die Botschafterkonferenz wies jedoch alle Einwände zurück und bestätigte die Anordnungen der IMKK (Note v. 16. 11., PA/II F–M/I 4, Bd. 2).

Seeckt, der in diesen Beschlüssen eine „planmäßige Wehrlosmachung“ Deutschlands sah, bat um einen zweiten Schritt bei der Botschafterkonferenz. Dieser erfolgte am 26. 11. In der Note bat man nochmals um eine Änderung der Beschlüsse der IMKK. Bis zur Entscheidung der Botschafterkonferenz über den neuen dt. Antrag weigerte man sich, die Forderungen der IMKK auf Entwaffnung der Festungen zu erfüllen (PA/II F–M/I 4, Bd. 2).

3

Diese Angaben des RAM (oder des Protokollanten?) entsprachen nicht den tatsächlichen Forderungen der Alliierten. In der bereits erwähnten Note vom 23. 7. hatte die IMKK die Zahl der Festungen, die mit Geschützen bewaffnet werden durften, nochmals eingeschränkt und auch die Bestückung der Festungen Ulm und Küstrin verboten. So blieben lediglich die Festungen Königsberg, Pillau und Swinemünde, für die eine Bestückung von insgesamt 88 Geschützen festgesetzt wurde (PA/II F–M/I 4, Bd. 4).

4

Die Botschafterkonferenz konnte Entscheidungen über die Durchführung des Friedensvertrages fassen, soweit die bereits vorhandenen vertraglichen Bindungen das ermöglichten. Ihre Entscheidungen waren für dritte Stellen unanfechtbar und konnten nur durch die eigenen Regierungen der vertretenen Mächte ohne den Willen der Konferenz wiederaufgehoben werden (K. E. Freiherr von Türcke, Die All. und Ass. Hauptmächte, Berlin 1942, S. 106 und 110).

5

Dieser Beschluß bildete den wesentlichen Inhalt der dt. Note vom 24. 12. Die dt. Regierung unterwarf sich, wenn auch unter Protest wegen der Rechtslage, der Entscheidung der Botschafterkonferenz, bat jedoch, die Entwaffnung der Festung Küstrin und die Teilentwaffnung der Festung Königsberg sowie die bereits im März 1920 verfügte Entwaffnung der Festung Boyen mit Rücksicht auf die drohende militärische Lage im Osten aufschieben zu dürfen (Schultheß 1920, II, S. 349).

Siehe dazu weiter Dok. Nr. 165, Anm. 5.

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