2.69 (ma11p): Nr. 69 Staatssekretär Bracht an den Reichsminister der Justiz. 24. Januar 1924

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Nr. 69
Staatssekretär Bracht an den Reichsminister der Justiz. 24. Januar 1924

R 43 I /2454 , Bl. 85 Abschrift1

[Zur Eingabe des Richtervereins beim Reichsgericht betr. Aufwertungsfrage]

Auftragsgemäß beehre ich mich, Abschrift eines an den Herrn Reichskanzler gerichteten Schreibens des Richtervereins beim Reichsgericht vom 8. d. Mts. über die Aufwertungsfrage2 zu übersenden.

Der Inhalt der Stellungnahme des Richtervereins ist außerordentlich schroff und zeugt von einer Verkennung der Aufgaben des Richters überhaupt. Wenn der Richterverein angesichts der vom Reichsgericht in der Aufwertungsfrage getroffenen Entscheidung die Erwartung ausspricht, daß die Auffassung des Reichsgerichts nicht durch einen Machtspruch des Gesetzgebers umgestoßen wird, so verkennt der Richterverein, daß die Aufgabe der Gerichte ausschließlich im Suchen und Finden des geltenden Rechtes liegt. Der weitergehende Anspruch, daß die Rechtsauffassung des Reichsgerichts über geltendes Recht auch[265] in der künftigen Gesetzgebung zu berücksichtigen sei, ist unhaltbar und unerträglich. Es ist ferner die mittelbar ausgesprochene Drohung auf das schärfste zurückzuweisen, daß bei etwaiger Schaffung eines die Aufwertung verbietenden Gesetzes das Reichsgericht die Berufung auf ein solches Gesetz als wider Treu und Glauben verstoßend abweisen würde. Wenn das Reichsgericht, entsprechend der bei den Gerichten zur Zeit vielfach hervortretenden Neigung, ein einzelnes Gesetz auf sein verfassungsmäßiges Zustandekommen hin prüft, so werden sich hiergegen Einwendungen kaum erheben lassen. Durchaus verfehlt wäre dagegen ein etwaiger Anspruch der Gerichte, verfassungsmäßig zustande gekommene Gesetze dadurch praktisch außer Geltung zu setzen, daß ihr Inhalt als wider Treu und Glauben verstoßend erklärt wird. Ich kann nur annehmen, daß die Mitglieder des Richtervereins beim Reichsgericht bei Abfassung ihrer Eingabe an den Herrn Reichskanzler sich nicht klar gemacht haben, welchen unerhörten Vorwurf sie hiermit gegen die Mitglieder der Reichsregierung bezw. gesetzgebenden Faktoren erheben würden.

Der Herr Reichskanzler beabsichtigt, dem Richterverein beim Reichsgericht in obigem Sinne zu antworten und wäre dankbar, wenn Sie, Herr Minister, zu den aufgeworfenen Fragen baldgefälligst Stellung nehmen würden3.

gez. Bracht

Fußnoten

1

Der Entwurf zu diesem Schreiben stammt von Kempner und ist vom RK abgezeichnet.

2

Das genannte Schreiben ist als Dok. Nr. 49 abgedruckt.

3

Eine Beantwortung der Eingabe des Richtervereins durch den RK erfolgt nicht. Stattdessen antwortet der RJM mit Schreiben vom 30. 1. Es heißt darin: Die Eingabe des Richtervereins stütze sich auf „Zeitungsnachrichten über eine in Aussicht stehende Regelung der Aufwertungsfrage, also nicht verbürgte Kundgebungen über noch nicht abgeschlossene Erwägungen der RReg. zur Lösung einer Frage, deren Notwendigkeit ebenso allgemein anerkannt wird, wie andererseits über die Zweckmäßigkeit der Art der Regelung die Ansichten geteilt sind; geteilt auch nach Verkündung des Reichsgerichtsurteils, dessen Bedeutung nach dem Wesen des Richterspruchs darin liegt, mit der Autorität des höchsten Gerichtshofs die gegenwärtige Rechtslage festzustellen und damit eine zweifelsfreie Grundlage für die künftige Gesetzgebung zu geben. Es hieße diese Bedeutung verkennen, wollte man in der Änderung eines vom Reichsgericht maßgebend ausgelegten Gesetzes eine ‚Umstoßung der Auffassung des Reichsgerichts durch Machtspruch des Gesetzgebers‘ finden. Auf der anderen Seite würde es zur Auflösung der Rechtsordnung und zu einer unheilvollen Erschütterung des Staatsgefüges führen, sollte ein Gericht für sich das Recht in Anspruch nehmen, ein verfassungsmäßig zustande gekommenes Gesetz nicht anzuwenden, weil es nach der Ansicht der Mehrheit seiner Mitglieder mit dem allgemeinen Sittengesetz nicht in Einklang stehe. Kundgebungen aus den verschiedensten Kreisen der Bevölkerung bestätigen die Einmütigkeit der Überzeugung, daß es dem schwer um seine Existenz und für seine Erneuerung ringenden Volke jeden Halt nehmen müßte, wollte man auch nur einen Zweifel daran bestehen lassen, daß sich das Leben des Einzelnen und der Gesamtheit nach den Gesetzen zu richten hat und die Gerichte nach den bestehenden Gesetzen Recht sprechen.“ (Entwurf in R 43 I /2454 , Bl. 86; auszugsweiser Abdruck in der „Zeit“ vom 1. 2.).

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