2.40 (mu21p): Nr. 40 Staatssekretär Pünder an den Reichsminister des Innern. 10. Oktober 1928

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Nr. 40
Staatssekretär Pünder an den Reichsminister des Innern. 10. Oktober 1928

R 43 I /1878 , Bl. 232 f. Durchschrift1

[Betrifft: Einstellung des Ministers zum Verfassungs-Reform-Ausschuß.]

Hochverehrter Herr Reichsminister!

Zu meiner Freude hat der Herr Reichskanzler uns mitgeteilt, daß Sie die Güte haben werden, zur Vorbereitung der Beratungen des Verfassungs-Reform-Ausschusses eine Kabinettsvorlage vorzubereiten, die vor diesen Beratungen in einer besonderen Sitzung des Reichskabinetts erörtert werden solle2. Abgesehen hiervon hat der Herr Reichskanzler mir – allerdings vertraulich – auch erzählt, daß Sie, hochverehrter Herr Minister, sich von den Arbeiten dieses Verfassungs-Reform-Ausschusses nicht viel versprächen. Ich bin natürlich weit davon entfernt, Sie in Ihren fachmännischen und zuständigen Entschließungen und Auffassungen irgendwie beeinflussen zu wollen. Wenn ich mir trotzdem die Freiheit nehme, mich mit diesen Zeilen an Sie, hochverehrter Herr Minister, in aller Bescheidenheit zu wenden, so leitet mich hierbei nur das Interesse an der Sache. Mit Ihnen bin ich nämlich tief davon durchdrungen, daß die gegenwärtigen[150] verfassungsrechtlichen Verhältnisse nicht so, wie sie sind, aufrechterhalten werden können, wenn nicht unübersehbares Durcheinander und Schaden für Volk und Reich eintreten sollen. Der Gedanke, den ich mit diesen Zeilen nun aussprechen wollte, geht dahin, daß meines Erachtens gerade dieser Verfassungs-Reform-Ausschuß in Ihrer Hand ein überaus wertvolles Instrument darstellen könnte. In der Anlage beehre ich mich, Ihnen nochmals eine Liste der gegenwärtigen Mitglieder dieses Ausschusses vorzulegen3. Ein flüchtiger Blick zeigt schon, daß in ihm die Kräfte, die einer Reichsreform positiv gegenüberstehen, stark in der Überzahl sind. Vor allem kommt aber in Betracht, daß bereits auf der Länderkonferenz im Januar dieses Jahres ausdrücklich festgelegt worden ist, daß dieser Ausschuß keineswegs dazu da ist, in einer einstimmigen und daher zweifellos lendenlahmen Entschließung vorhandene Gegensätze äußerlich zu verkleistern. Vielmehr ist ausdrücklich festgelegt worden, daß dieser Ausschuß in Mehrheits- und dementsprechend auch Minderheits- oder sogar auch Einzelgutachten zu den Fragen der Reichsreform positiv Stellung nehmen soll4. Es ist also absolut nichts dagegen einzuwenden, entspricht vielmehr sogar der Tendenz bei Schaffung dieses Ausschusses, daß etwa stärker föderalistisch eingestellte Mitglieder dieses Ausschusses überstimmt werden können. Bei Schaffung des Ausschusses war der Gedanke vorherrschend, daß, wenn einmal erst eine mehr oder weniger starke Mehrheit dieses Ausschusses mit den immerhin sehr bekannten Namen erster Fachmänner ein positives Reformgutachten vorgelegt haben würde, dies den dann folgenden parlamentarischen Arbeiten einen ungeheuer starken Impuls geben würde, einen Impuls, demgegenüber der bestimmt zu erwartende Widerstand anderer Kreise an Stoßkraft verlieren würde. Ich glaube, daß die Schöpfer des Ausschußgedankens auf der Länderkonferenz, zu denen ja in erster Linie auch Herr Bürgermeister Dr. Petersen und Herr Minister Curtius gehörten, stolz darauf sein konnten, daß dieser Ausschuß, und zwar mit diesen Möglichkeiten und diesen Tendenzen ins Leben gerufen werden konnte, obschon Ihr Herr Amtsvorgänger5 – was ich in aller Vertraulichkeit, aber doch ganz offen Ihnen gegenüber aussprechen darf – hiermit nicht ganz einverstanden war.

Vielleicht haben meine Zeilen Ihnen, hochverehrter Herr Minister, nicht viel Neues gesagt, ich fühlte mich aber – gerade weil ich diesen Dingen seit Jahr und Tag sehr nahe stehe – doch verpflichtet, diese Gedanken nochmals auszusprechen. Falls Sie sich des Verfassungs-Reform-Ausschusses in diesem Sinne bedienen wollten, glaube ich eben, daß Sie ihn bald als ein schlagkräftiges[151] und scharfes Schwert erkennen würden. Durch seine Zusammensetzung und die vorgesehene Art seiner Beschlußfassung ist eben dieser Ausschuß etwas ganz anderes als die vorangegangene Länderkonferenz, die schon allein wegen ihrer Größe zu tatsächlichen fachlichen Entschließungen nicht in der Lage sein konnte.

Mit ehrerbietigsten Empfehlungen verbleibe ich, hochverehrter Herr Minister,

Ihr

Ihnen stets ganz ergebener

gez. Pünder

Fußnoten

1

Von Pünder dem RK am 10. 10. zur Kenntnisnahme mitgeteilt. Die Durchschrift trägt die Paraphe des RK.

2

Die Vorlage des RIM erfolgte am 17. 10. und wurde in der MinBespr. vom 19. 10. unter P. 2 der TO besprochen, Dok. Nr. 45.

3

Hier nicht ermittelt. – Nach einem Verzeichnis über die Adressaten des zu versendenden Materials gehörten dem Ausschuß für Verfassungs- und Verwaltungsreform an: RIM Severing, RWiM Curtius, RPM Schätzel; die Professoren Triepel, Anschütz, Nawiasky; Brüning, StS z. D. Busch, MinPräs. Held, MinPräs. Heldt, StPräs. Bolz, StPräs. Remmele, StM Leutheußer, StPräs. Adelung, Bürgermeister Petersen, StPräs. Deist, StM Stützel, StM Prof. Apelt, RFM Hilferding, RM a. D. Hamm, MinDir. Brecht, RSparKom. Saemisch, MinDir. Poetzsch-Heffter, RJM Koch-Weser, RVM vom Guérard, StS Popitz, StS Zweigert, Gesandter Boden, RK Müller (R 43 I /1878 , Bl. 227).

4

In der Resolution der Länderkonferenz vom 18.1.28 heißt es unter P. 5 des Abschnitts I u. a.: „Die Lösung des Gesamtproblems soll durch den Bericht eines Ausschusses vorbereitet werden, […].“

5

Walter v. Keudell.

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