2.200 (bru1p): Nr. 200 Der BVP-Vorsitzende Schäffer an den Reichskanzler. München, 16. Dezember 1930

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Nr. 200
Der BVP-Vorsitzende Schäffer an den Reichskanzler. München, 16. Dezember 1930

R 43 I /2227 , Bl. 2–4

[Steuervereinheitlichungsgesetz]

persönlich

Hochverehrter Herr Reichskanzler!

Die Landesparteileitung der BVP hat sich in ihrer heutigen Sitzung mit der durch die Notverordnung und insbes. durch die Aufnahme des Inhalts des sogen. Steuervereinheitlichungsgesetzes in die Notverordnung1 geschaffene Lage beschäftigt und ist zu einem einmütigen Beschluß gekommen. Ich bin beauftragt, Ihnen den Inhalt dieser Beschlußfassung mitzuteilen.

Die BVP hat dem von Ihnen, hochverehrter Herr Reichskanzler, geleiteten Kabinett seit dem April 1930 immer jede mögliche Unterstützung gegeben. Sie[736] hat insbes. Ihnen volles Vertrauen gezeigt, und sie hat um der Grundlinie Ihrer Politik willen manche Opfer gebracht. Die BVP ist gerade deshalb schmerzlich davon überrascht worden, daß der Inhalt des früheren Steuervereinheitlichungsgesetzes in die Notverordnung übernommen worden ist. Die Pläne auf dieses Steuervereinheitlichungsgesetz spielen seit dem Jahre 1927. Seit dieser Zeit hat die BVP und mit ihr auch die bayer. Staatsregierung dieses Gesetz bekämpft. Sie vertrat von der ersten Stunde an den Standpunkt, daß weder die Voraussetzungen des Art. 11 der Reichsverfassung2 für einen Eingriff der Reichsgesetzgebung in das Realsteuerrecht der Länder überhaupt gegeben seien, noch daß der Inhalt des Steuervereinheitlichungsgesetzes den Rahmen einhalte, der in dem Art. 11 der Reichsgesetzgebung auch dann gezogen ist, wenn solche Voraussetzungen gegeben wären. Sie muß heute auch noch hervorheben, daß der Weg der Notverordnung nur für vorübergehende Maßnahmen zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gegeben ist; daß aber dauernde Maßnahmen, die eine Änderung unseres Verfassungslebens bedeuten, nicht auf den Art. 48 der Reichsverfassung gestützt werden können. Das Reichskabinett selbst hat in der Begründung des dem Reichsrat vorgelegten Gesetzentwurfes betont, daß es sich bei diesem Gebiet um eine Dauerregelung handle. Die BVP muß, wie ihre Reichstagsfraktion bereits bei der Abstimmung im Deutschen Reichstag über die Notverordnung erklärt hat, an der Auffassung festhalten, daß die Kapitel 1–4 des 3. Teiles der Notverordnung v. 1.12.30 und die auf dieses Kapitel Bezug nehmenden Bestimmungen des 5. Teiles der Notverordnung in Widerspruch mit den Bestimmungen unserer Verfassung ergangen sind. Diese Rechtsauffassung muß die BVP aber auch mit den politischen Mitteln verfechten, die ihr zur Verfügung stehen. Der wesentliche Sinn der oben genannten Kapitel der Notverordnung ist der, daß die gesetzgeberische Zuständigkeit für die Realsteuern (Grund- u. Gewerbesteuer), die bisher den Ländern zustand, restlos der Reichsgesetzgebung übertragen wird und daß die Länder tatsächlich nur mehr Umlagen auf eine Steuer erheben können, deren Regelung ihrer eigenen Gesetzgebung vollkommen entzogen ist. Damit geht den Ländern das letzte Steuerrecht von Bedeutung verloren, und zwar ohne daß die Rücksichtnahme auf die deutsche Wirtschaft und die deutschen Finanzen dies erfordern würde. Nach Auffassung der BVP kann es nicht begründet werden, daß zur Überwindung der Wirtschafts- und Finanzkrise des Winters 1930/31 ein Gesetzgebungswerk geschaffen werden müßte, dessen Wirksamkeit vor dem 1. April 1932 gar nicht beginnen kann.

[737] Da die BVP aus innerer deutscher Überzeugung heraus für die Aufrechterhaltung des bundesstaatlichen Charakters des deutschen Reiches eintritt und da die Schutzbestimmungen der Reichsverfassung für diesen Charakter nach ihrer Überzeugung schon ein Mindestmaß dessen sind, was um Deutschlands willen gefordert werden muß, kann die BVP eine Abschwächung des bundesstaatlichen Charakters noch unter den in der Weimarer Verfassung geschützten Stand nicht mit ihrem Namen decken oder in Verbindung bringen lassen. Die Reichstagsfraktion der BVP hat trotz der schweren grundsätzlichen und unüberwindlichen Bedenken gegen diese Teile der Notverordnung im Reichstag den Antrag auf Aufhebung der gesamten Notverordnung abgelehnt3. Sie tat dies als deutsche Partei mit Rücksicht auf die zu erwartenden augenblicklichen Folgen einer solchen Aufhebung. Sie hat aber zum Ausdruck gebracht, daß sie damit den Kampf darum, daß die genannten Kapitel der Notverordnung nicht wirksam werden sollen, nicht aufgibt und nicht aufgeben kann. Die Landesparteileitung ist dieser Auffassung der Reichstagsfraktion einmütig beigetreten und hat grundsätzlich beschlossen, sowohl die verfassungsrechtliche Frage vor dem zuständigen Gerichtshof durchzufechten wie auch die unlöslich damit verbundenen politischen Folgerungen zu ziehen. Nach unserer Auffassung ist der Schritt gegen eine Notverordnung Verfassungsklage zu erheben ein sehr ernster, den wir nur sehr ungern tun, den wir aber unter den gegebenen Umständen tun müssen. Die BVP müßte ihre staatspolitische Überzeugung grundsätzlich verleugnen, wenn sie diesen Schritt unterließe. Sie ist sich dabei bewußt, daß sie nicht gleichzeitig gegen ein Reichskabinett in einer grundsätzlichen Frage Verfassungsklage erheben und politisch dieses Kabinett mit tragen kann. Gerade weil die Landesparteileitung der BVP dieser Überzeugung war und weil sie sich der ernsten Folgen für die gesamte deutsche Politik, die sich dann ergeben können, bewußt gewesen ist, hat die Landesparteileitung der BVP beschlossen, noch vor dem Zusammentritt des Deutschen Reichstags ihre oberste politische Instanz, den Landesausschuß einzuberufen, um diesem Bericht über die Schritte zu erstatten, die ihrer Überzeugung nach notwendig sind, und den Landesausschuß zu bitten, diese Schritte verantwortlich für die Gesamtpartei zu billigen.

Ich würde es sehr begrüßen, wenn die Zwischenzeit nicht ungenützt verstreichen würde, sondern wenn in dieser Zwischenzeit noch ein Weg gefunden werden könnte, der unseren grundsätzlichen Bedenken Rechnung trägt, gleichzeitig aber die Möglichkeit bieten würde, die bisherige bewährte Zusammenarbeit aufrechtzuerhalten4. Die BVP sucht keine Konflikte. Wenn sie durch den Zwang der Umstände auch um ihre grundsätzliche Überzeugung kämpfen muß, so würde sie es doch selbst begrüßen, wenn unter Wahrung ihrer grundsätzlichen Überzeugung sich die Möglichkeit ergibt, einen Konflikt zu vermeiden, der für die gesamte deutsche Politik von unheilvollen Folgen sein kann.

[738] Ich würde mich auch persönlich freuen, wenn eine solche Lösung noch gefunden werden könnte. So wie die Dinge heute noch liegen, mußten wir allerdings unsere Beschlüsse unter der Annahme fassen, daß die nach unserer staatspolitischen, deutschen Einstellung unerträglichen und vom Standpunkt des Verfassungsrechtes aus unzulässigen Bestimmungen der Notverordnung erhalten bleiben. Diese Beschlüsse machen es notwendig, daß wir auch den Herrn Reichspräsidenten um eine Gelegenheit bitten, ihm unsere Bedenken vorzutragen. Ich darf Ihnen Mitteilung davon geben, daß ich gleichzeitig mit diesem Schreiben im Namen meiner Partei den Herrn Reichspräsidenten um die gütige Erlaubnis einer Rücksprache gebeten habe5.

Genehmigen Herr Reichskanzler den Ausdruck meiner vorzüglichsten Hochachtung,

mit dem ich die Ehre habe zu sein

Herrn Reichskanzler

sehr ergebener

Fritz Schäffer

Fußnoten

1

S. die Kap. I–IV des 3. Teils (Steuervereinfachung und Steuervereinheitlichung) und den 5. Teil (Finanzausgleich) der NotVO vom 1.12.30 (RGBl. I, S. 517 ). Vgl. auch Dok. Nr. 152, P. 1, Dok. Nr. 167, P. 1, Dok. Nr. 173, P. 7, Dok. Nr. 174 und Dok. Nr. 183.

2

Art. 11 RV lautete: „Das Reich kann im Wege der Gesetzgebung Grundsätze über die Zulässigkeit und Erhebungsart von Landesabgaben aufstellen, soweit sie erforderlich sind, um

1. Schädigung der Einnahmen oder der Handelsbeziehungen des Reichs,

2. Doppelbeteuerungen,

3. übermäßige oder verkehrshindernde Belastung der Benutzung öffentlicher Verkehrswege und Einrichtungen mit Gebühren,

4. Steuerliche Benachteiligungen eingeführter Waren gegenüber den eigenen Erzeugnissen im Verkehre zwischen den einzelnen Ländern und Landesteilen oder

5. Ausfuhrprämien

auszuschließen oder wichtige Gesellschaftsinteressen zu wahren.“

3

Der BVP-Abg. Horlacher hatte am 5.12.30 in RT „ganz unüberwindbare Bedenken“ seiner Partei gegen die Steuervereinfachung und Steuervereinheitlichung angemeldet (RTBd. 444, S. 353 –358). Die BVP hatte, mit einer Ausnahme in der Abstimmung vom 6.12.30, die Anträge auf Aufhebung der NotVO vom 1.12.30 abgelehnt (RT-Bd. 444, S. 445 ).

4

Zur Reaktion der RReg. auf dieses Angebot s. Dok. Nr. 213 und Dok. Nr. 219.

5

Das Ersuchen Schäffers um eine Unterredung mit dem RPräs. war von StS Meissner abgelehnt worden. In einem weiteren Schreiben an Meissner, das dieser dem RK in Abschrift zugesandt hatte, hatte Schäffer den Zweck der Besprechung mit dem RPräs. folgendermaßen gekennzeichnet: „Zweck der persönlichen Vorsprache wäre gewesen, dem Herrn Reichspräsidenten darzulegen, daß nicht nur die BVP, sondern mit ihr auch die bayer. Bevölkerung vor einem geschichtlichen Entschluß steht, der für die gesamtdeutsche Entwicklung von größter Bedeutung sein kann. Sie hat heute nur zu wählen zwischen dem Untergang Bayerns als Staat oder dem Ringen um die Erhaltung Bayerns als Staat auch gegen die Politik der Reichsregierung. Vor diese Wahl sieht sich die BVP gestellt, ohne daß in den Zeitverhältnissen irgend ein vernünftiger Grund ersichtlich wäre, der die Reichsregierung dazu gezwungen hätte, mit der Notverordnung die Eingriffe in die staatlichen Lebensrechte Bayerns zu tun, die wir als verfassungswidrig betrachten“ (Abschrift in R 43 I /2227 , Bl. 7–9).

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