2.87 (cun1p): Nr. 87 Vermerk des Staatssekretärs Hamm über die Lage im Rheinland. 1. März 1923

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Nr. 87
Vermerk des Staatssekretärs Hamm über die Lage im Rheinland. 1. März 1923

R 43 I /210 , Bl. 110

Präsident Syrup des Reichsarbeitsamts, eben aus dem Rheinland zurückgekehrt, teilt mit:

Dürener Lohnabkommen spielt sich nun ein1. An einem Sonntag rasch in Sonderverhandlung mit 2 Parteien abgeschlossen, erweckte den Eindruck, als ob Übervorteilung angestrebt worden wäre. Die Sache ist nun glatt gemacht. Eine Entschließung aller rheinischen Arbeitgeberverbände hat sich völlig auf den Boden des Abkommens gestellt. Sein bekannter Inhalt ist, daß nach Erschöpfung der eigenen Mittel Hilfe für die notwendigen Lohnzahlungen vom Arbeitgeberverband zur Verfügung gestellt wird. Unter Vorbehalt des Einspruchs des paritätischen Ausschusses von Arbeitgebern und Arbeitnehmern für das ganze Gebiet besteht ein Zentralausschuß unter Präsident Syrup. Ein Unterausschuß wird in Mannheim gegründet. Die Arbeitgeber wollen sich selbst helfen, um nicht den Einblick der Arbeitnehmer auf sich nehmen zu müssen. Neben diesem Abkommen für die organisierten Arbeitgeber läuft ein Abkommen für die nichtorganisierten Arbeitgeber, für die die Ausgaben zunächst die Gemeinde macht.

Forderungen nach Aufbesserung der 2/3 Entschädigung bei mittelbarer Folge der Arbeitslosigkeit auf Gesamtlohn zu erhöhen, sind nicht stark erhoben worden2. Aufwand schätzungsweise 900 Milliarden im Monat. Arbeitslosigkeit steigt insbesondere auch in Köln.

Opposition gegen das Dürener Abkommen wurde geführt durch Silverberg. Kleine Änderungen, die er im Einvernehmen mit Syrup anregte, haben ihn zufriedengestellt. Silverberg machte einen Vorstoß gegen die Reichsregierung,[286] die den gegenwärtigen Zeitpunkt als günstige Gelegenheit betrachte, die Betriebe zu sozialisieren und das Unternehmertum an die Wand zu drücken. Auf Einspruch Syrups folgte Zustimmung. Rückzug Silverbergs; er habe nicht den Kanzler gemeint. Zahlreiche Arbeitgeber (Generaldirektor Müller, Herr von Langen) stehen nicht auf Silverbergs Seite. Bei vielen Arbeitgebern Gefühl, daß die Reichsregierung nicht durchhalten kann. Auch starke Verärgerung, daß die Ausfuhr aus rein politischen Gründen gesperrt wurde3.

Gewerkschaft gut. Sie arbeitet auch mit Arbeitgebern zusammen. In der Beamtenschaft Mißstimmung: „Die Berliner haben den Mut für uns.“ Man solle mehr Aufträge geben, statt zur Verweigerung aufzufordern.

Rücksprache in Köln mit dem Generalvikar, sehr guter Eindruck. Generalvikar warnt, in Berlin zuviel von England zu erwarten. Adenauer hat große Projekte für Köln von 28 Milliarden.

Die Kredithilfe des Reichswirtschaftsministeriums klappt nicht4. Überall lebhafte Klagen. Politisch mehr oder weniger ratlos. Es wird da und dort davon gesprochen, daß man keinen Ausweg sehe. Hamm

Fußnoten

1

Zum Dürener Abkommen vom 10. 2. s. Anm. 4 zu Dok. Nr. 71.

2

Am 26. 2. hatte der ADGB-Vors. Leipart in einer Besprechung mit dem RK u. a. erklärt: „Die Entschädigung der Arbeitslosen mit 2/3 des Lohnes genügt nicht. Es muß viel mehr für Notstandsarbeiten getan werden. Die Gemeinden, die ausgepumpt sind, müssen in den Stand versetzt werden, sie in größtem Umfange zu unternehmen.“ (R 43 I /210 , Bl. 59). Bgm. Schmid hatte dazu am 27. 2. erklärt, daß die Forderung nach vollem Lohnausgleich auch bei mittelbar durch den Ruhrkampf verursachter Arbeitslosigkeit immer stärker werde. „Hierauf darf aber meines Erachtens unter keinen Umständen eingegangen werden, weil sich sonst die monatlichen Aufwendungen um mindestens 200 Mrd. erhöhen und ferner eine unglaubliche Korruption in den beteiligten Kreisen eintreten würde. Man muß ferner berücksichtigen, daß von der Regierung für die Arbeiter an Sicherstellung bereits viel mehr geschehen ist, als z. B. für die Angehörigen des Mittelstandes, Kleinhändler, Wirte u. dgl., bei denen es an einer festen Regelung der Entschädigungsfrage noch gänzlich fehlt.“ (R 43 I /210 , Bl. 60).

3

Durch die Ordonnanz Nr. 143 vom 12. 2. hatte die Irko die Ausfuhr aus dem bes. Geb. verboten bzw. an die Einholung einer Ausfuhrgenehmigung und die Zahlung einer 10%igen Ausfuhrabgabe geknüpft; am 22. 2. hatte die RReg. die Befolgung dieser VO ausdrücklich verboten (s. Anm. 7 und 8 zu Dok. Nr. 75).

4

Im Rahmen ihrer Markstützungsaktion hatte die Rbk durch Anweisung vom 12. 2. weitgehende Kreditrestriktionen verfügt (s. Anm. 5 zu Dok. Nr. 101). Demgegenüber hatte der RWiM den RK am 21. 2. darauf hingewiesen, daß aufgrund der Lage im bes. Geb. „die Gewährung sehr großer Kredite dringend geboten erscheint. Dieses zwingende Bedürfnis muß mit der allgemeinen Politik der Rbk irgendwie in Einklang gebracht werden. Ausschlaggebend für diese Erwägungen dürfte es sein, daß die Versagung von Krediten im besetzten Gebiet letzten Endes auf dem Wege der Lohnsicherungsaktion bei den alsdann zur Stillegung schreitenden Unternehmungen unproduktive Ausgaben in einem Ausmaße erfordern würde, das zu der Politik der Markstabilisierung in schroffstem Gegensatz stehen würde. Demgegenüber haben Kredite wenigstens für die Zukunft eine volkswirtschaftlich produktive Bedeutung.“ (R 43 I /186 , Bl. 381-386). Die von Becker angeregten Besprechungen mit der Rbk führten schließlich zu gewissen Lockerungen der Restriktionspolitik, die das Rbk-Dir. am 27. 2. vertraulich den Reichsbankanstalten anempfahl (s. Anm. 6 zu Dok. Nr. 101).

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