2.185 (ma31p): Nr. 185 Vermerk des Ministerialrats Feßler über eine Chefbesprechung am 11. Februar 1927

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[536] Nr. 185
Vermerk des Ministerialrats Feßler über eine Chefbesprechung am 11. Februar 19271

R 43 I /1106 , Bl. 161–162

[Deutsch-polnische Handelsvertragsverhandlungen.]

In der Sitzung am 11. Februar 1927, die vom Reichsminister Schiele geleitet wurde und an der die Reichsminister Dr. Curtius, Dr. Köhler und der Staatssekretär von Schubert mit den zuständigen Beamten teilnahmen, erklärten die Leiter der Polenverhandlungen Staatssekretär Lewald, Direktor Ernst und Geheimrat Martius übereinstimmend, daß die Verhandlungen festgefahren seien. Die Polen wollen den dringendsten Bedürfnissen Deutschlands nicht nachkommen. Sie verlangen insbesondere ein starkes Nachgeben in der Frage der Vieh- und Fleisch-Einfuhr als conditio sine qua non des Vertragsschlusses.

Angeblich haben sie bereits vor einigen Wochen selbst angeregt, daß die Verhandlungen bis auf weiteres ausgesetzt würden.

Die Aussprache ergab eine ziemlich erhebliche Besorgnis der Wirtschaft über die weitere Verschärfung der Beziehungen zu Polen. Der Ausfuhrausfall, der sich aus dem Zollkriege im letzten Jahr ergeben hat, wurde vom Reichswirtschaftsminister auf 300 Millionen Mark beziffert. Die Aufträge könnten schätzungsweise 100 000 Arbeitslose 1 Jahr lang beschäftigen.

Bedenken erregte auch die scharfe Tonart der Presse, nach der die rein sachliche Frage des Handelsvertrages mit der politischen Gegenwirkung gegen die Verweigerung der Aufenthaltsgenehmigung für 4 Deutsche in leitenden Stellungen2 verbunden worden sei. Diese Verbindung bezeichnete der Reichswirtschaftsminister als im höchsten Grade unerwünscht. Sie stehe im Widerspruch mit dem ausdrücklichen Willen des Kabinetts.

Staatssekretär von Schubert gab zu, daß die Tonart der Presse ziemlich schroff sei, meinte aber, es sei besser, als wenn mehrere gegensätzliche Meinungen über das Vorgehen der Polen in ihr zum Ausdruck kämen. Es handle sich nicht um Ausweisungen, wie es in der Presse zum Teil dargelegt werde, sondern – wie die Polen in einer dem Auswärtigen Amt unbequemen Note3 ausführen – um die Verweigerung der weiteren Aufenthaltsgenehmigung für die 4 Deutschen, deren Tätigkeit in Polen sich auf 1–3 Jahre erstreckte und deren Aufenthaltsgenehmigung bisher mehrfach verlängert worden war4.

[537] Bedenken äußerten weiter der Reichswirtschaftsminister mit Unterstützung des Reichsministers der Finanzen gegen die politischen Wirkungen eines scharfen Vorgehens gegen die Polen. Dadurch würde voraussichtlich der Eindruck erweckt, daß das neue Kabinett im Gegensatz zu der Haltung des bisherigen mit übermäßig scharfen Maßnahmen eingreifen wolle.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft hielt die Konzessionen, die Polen in der Vieh- und Fleischeinfuhr angeboten seien, bereits für so weittragend, daß er sich eine Nachprüfung vorbehielt5. Er glaubte keinesfalls ein weiteres Nachgeben verantworten zu können. Dagegen hielt es der Reichswirtschaftsminister für unmöglich, die Angebote zu revidieren.

Es wurde beschlossen, die Verhandlungen mit Polen über einen Handelsvertrag und ein Niederlassungsabkommen bis auf weiteres auszusetzen und nur die Verhandlungen über die Verweigerung der Aufenthaltsgenehmigung an die 4 Deutschen mit Nachdruck fortzuführen. Die Wirksamkeit des Beschlusses soll davon abhängig sein, daß der Herr Reichskanzler ihm zustimmt. Staatssekretär von Schubert wird den Herrn Reichskanzler von der Sachlage und dem Beschlusse in Kenntnis setzen6.

Wenn der Herr Reichskanzler einverstanden ist, soll die Presse sofort über den gesamten Sachverhalt eingehend unterrichtet werden, damit sie bereits in den Sonntagsausgaben entsprechend Stellung nehmen kann7.

Fußnoten

1

Dieser Vermerk wurde von Feßler am 12. 2. angefertigt. Zum Anlaß der Chefbesprechung siehe Dok. Nr. 182, P. 4.

2

Siehe dazu: ADAP, Serie B, Bd. IV, Dok. Nr. 77, 100 und 112.

3

Gemeint ist wohl das poln. Aide-mémoire vom 7.2.27; siehe ADAP, a.a.O., Dok. Nr. 112, Anm. 2.

4

Hierzu vermerkte Planck am 4.3.27: „Bei den 4 Fällen, in denen Deutsche zum Verlassen polnischen Staatsgebiets in Ost-Oberschlesien kürzlich gezwungen wurden und die zur Aussetzung der deutsch-polnischen Handelsvertragsverhandlungen führten [siehe Anm. 7], handelt es sich nicht um Ausweisungen, sondern um Nichtverlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Polen erteilt stets – und zwar Angehörigen aller fremden Nationen – nur begrenzte Aufenthaltserlaubnis, meistens für ½ Jahr, häufig auch für 1 Jahr. Dies bietet die Gelegenheit, bei notwendig werdender Erneuerung unerwünschte Persönlichkeiten durch das Versagen dieser Erneuerung aus dem polnischen Staatsgebiet zu entfernen. Außer diesen Fällen sind von deutscher wie polnischer Seite zahlreiche Ausweisungen vorgenommen worden. Die Praxis der Ausweisungen ist für Deutschland durch die den international üblichen Bestimmungen angeglichenen preußischen Vorschriften eingeschränkt. Für Polen bestehen derartige Einschränkungen nicht. Nach dem polnischen Ausländergesetz werden lästige Ausländer ohne jede weitere Begründung ausgewiesen. Eine frühere durch losen Briefwechsel unterer diplomatischer Stellen gegenseitig festgelegte Einschränkung des Ausweisungsrechts auf die drei international üblichen Gründe (Verarmung, gerichtliche Bestrafung, politische Betätigung) wird von Polen nicht mehr anerkannt. Die deutschen Bestrebungen werden sich dahin richten müssen, zumindest diese sonst international üblichen Einschränkungen wieder zu erlangen, wenn irgend möglich aber noch festere Zusagen, da die Vergangenheit gezeigt hat, daß die polnische Praxis, auch solange die oben erwähnte lose Verabredung bestand und von Polen anerkannt wurde, von der Berücksichtigung dieser zugestandenen Grundsätze weit entfernt war.“ (R 43 I /122 , Bl. 215).

5

Wie aus einem Vermerk Feßlers vom 27.1.27 hervorgeht, hatte StS a. D. Lewald „den Polen ein Angebot gemacht, das die Möglichkeiten des Kabinettsbeschlusses vom 15.10.26 ausschöpft“ (R 43 I /1106 , Bl. 158); siehe dazu Dok. Nr. 90, P. 1. Nachdem das dt. Verhandlungsangebot durch ein Presseinterview Lewalds bekannt geworden war, hatte sich der Reichslandbund in einer Eingabe an den RK vom 20.1.27 nachdrücklich gegen die geplanten Konzessionen auf dem Gebiet der Schweinefleischeinfuhr ausgesprochen. „Konzessionen dieser Art würden geeignet sein, die deutsche Viehzucht und insbesondere die deutsche Schweinezucht, darüber hinaus aber auch die Kartoffelböden, auf das schwerste zu schädigen und besonders in den Grenzgebieten geradezu zu ruinieren!“ (R 43 I /1106 , Bl. 155–157).

6

Hschr. Randvermerk Offermanns: „ist geschehen“.

7

Mit Schreiben vom 12.2.27 teilte der Leiter der dt. Handelsvertragsdelegation Lewald dem poln. Bevollmächtigten Pradzynski mit, daß die RReg. angesichts des poln. Verhaltens in der Ausweisungsfrage die vorläufige Aussetzung der Handelsvertragsverhandlungen für geboten halte; man müsse zunächst den Versuch machen, die sich aus den Ausweisungen und Verdrängungen ergebenden Fragen zu regeln. Dieses Schreiben Lewalds wurde am Sonntag, d. 13. 2. in der Tagespresse veröffentlicht. Siehe dazu: ADAP, Serie B, Bd. IV, Dok. Nr. 139, 145, 149, 160, 162, 172, 177 und 180.

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