2.11 (bau1p): Nr. 11 Das Reichsbank-Direktorium an den Reichsfinanzminister. 1. Juli 1919

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Nr. 11
Das Reichsbank-Direktorium an den Reichsfinanzminister. 1. Juli 1919

R 43 I /2391 , Bl. 4–9 Durchschrift1

[Betrifft: Währungspolitische Lage; Vorschläge zur Konsolidierung der schwebenden Reichsschuld.]

Die Reichsbank hat sich und ihren Kredit während des Krieges bis an die Grenze des Möglichen in den Dienst des Reiches gestellt. Sie hat dem Reich die sämtlichen Kriegskosten und die sonstigen Fehlbeträge des Reichshaushalts vorgeschossen, indem sie die gesamte schwebende Schuld vorläufig übernahm2.

Seit Einstellung der Feindseligkeiten und nach Ausbruch der Revolution ist diese Schuld und im Zusammenhange damit auch die Inanspruchnahme der Reichsbank nicht nur nicht zurückgegangen, sondern in verstärktem Maße gewachsen. Sie hat gegenwärtig einen Höhepunkt erreicht, der die ernstesten Gefahren in sich birgt und zu den schwersten Besorgnissen Anlaß gibt.

Ende Oktober v. J. bezifferte sich die Gesamtsumme der laufenden kurzfristigen Reichsschatzanweisungen auf 48,2 Milliarden M, bis Mitte Juni d. J. ist sie auf 71,4 Milliarden M, mithin um 23,2 Milliarden = 48% gestiegen. Die Lage des Geldmarktes ermöglichte es uns, einen großen Teil dieser von uns übernommenen Schatzanweisungen im Wege der Rediskontierung weiter zu begeben. Der auf solche Weise im freien Verkehr untergebrachte Gesamtbetrag stellte sich Ende Oktober auf 18,2, Mitte Juni auf 27,5 Milliarden M. Daneben[41] wurden zwecks Entnahme von Lombarddarlehen bei der Darlehenskasse3, wie dort bekannt, sehr erhebliche Beträge an die Seehandlung4 verkauft, in deren Händen sich zur Zeit 15,0 Milliarden befinden. Trotz dieser Abgaben beläuft sich die Anlage der Reichsbank in Schatzanweisungen des Reichs, die sich Ende Oktober auf 20,4 Milliarden M stellte, gegenwärtig auf nicht weniger als 28,9 Milliarden M. Seit Ende Oktober beziffert sich das durchschnittliche Anwachsen der schwebenden Reichsschuld demzufolge auf 3,1 das durchschnittliche Anwachsen der Bankanlage auf 1,1 Milliarden für den Monat.

Im Zusammenhange mit diesem Steigen der Anlage steht ein unausgesetztes Steigen des Notenumlaufs, der sich Ende Oktober auf 16,7 Milliarden M belief und am 15. Juni den Betrag von 28,3 Milliarden M erreichte, was eine Erhöhung um 11,6 Milliarden = 69% bedeutet und eine durchschnittliche Zunahme von 1,5 Milliarden M für den Monat ergibt. Zu diesem sich unaufhörlich steigernden Notenumlauf tritt der gleichfalls unausgesetzt zunehmende Umlauf an Darlehenskassenscheinen, deren Gesamtbetrag von 12,6 Milliarden Ende Oktober auf 19,8 Milliarden am 15. Juni sich erhöht hat. Etwa 11,2 Milliarden hiervon zirkulieren im freien Verkehr, der Rest – etwa 8,4 Milliarden (gegenüber 3 Milliarden Ende Oktober) – liegt als Notendeckung bei der Reichsbank.

Daß das Anwachsen des Zahlungsmittelumlaufes zum größten Teil in dem Anwachsen der schwebenden Schuld seine Ursache hat, unterliegt keinem Zweifel. Die Darlehen werden vom Reich bei der Reichsbank zwecks Zahlungsleistungen entnommen, und diese Zahlungen werden teils im Girowege, teils und überwiegend im Wege der Barzahlung, d. h. mit Hilfe von Noten und Darlehenskassenscheinen geleistet. Das Bedürfnis, eine ausreichende Bardeckung für die neu auszugebenden Noten zu beschaffen, veranlaßt hinwiederum die Entnahme von Darlehen bei der Darlehenskasse durch die Seehandlung mit Hilfe der an letztere abgegebenen Schatzanweisungen.

Die schweren Nachteile, die sich aus dieser Entwicklung für die Reichsbank ergeben, liegen auf der Hand. Das fortwährende Anwachsen des Notenumlaufs hat die Metalldeckung der Noten mehr und mehr verschlechtert. Die Verschlechterung war umso stärker, als der von uns während des Krieges angesammelte Goldvorrat seit Abschluß des Waffenstillstandes infolge der Goldablieferungen an die Entente und der Hergabe großer Goldmengen zwecks Finanzierung der Lebensmittelankäufe5 eine außerordentliche Abnahme erfahren hat. Er betrug Ende Oktober 2550 Millionen M und war Mitte Juni auf 1150 Millionen[42] M gesunken. Infolge der Friedensbedingungen und der unbedingten Notwendigkeit, in erheblichem Maße Rohstoffe einzuführen, ist ein weiteres Sinken mit Sicherheit zu erwarten. Die gesetzlich vorgeschriebene Dritteldeckung, sogenannte Bardeckung, besteht hiernach gegenwärtig nur zu 12% aus Gold und zu 88% aus Darlehenskassenscheinen6, zu deren Sicherstellung bei der Darlehenskasse ganz überwiegend Reichsschatzanweisungen verpfändet sind. Die bankmäßige Deckung setzt sich fast ganz aus Reichsschatzanweisungen zusammen, da der Bestand an Handelswechseln einschließlich der sogenannten Kommunalwechsel im Portefeuille der Reichsbank Mitte Juni auf 210 Millionen M zusammengeschmolzen war. Nach alledem ist die Notenausgabe so gut wie ausschließlich auf Reichsschatzanweisungen aufgebaut, die zwar kurzfällig sind, die aber bei Eintritt der Fälligkeit stets prolongiert werden müssen, und deren Betrag sich unausgesetzt erhöht. Dabei bleibt zu bedenken, daß die im freien Verkehr befindlichen Reichsschatzanweisungen, zur Zeit etwa 27,5 Milliarden, eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die Reichsbank darstellen, denn, sobald die gegenwärtige Flüssigkeit des Geldmarktes verschwindet – und daß sie bei Wiedereinsetzen der wirtschaftlichen Tätigkeit bestehen bleiben wird, ist kaum anzunehmen –, werden aller Voraussicht nach diese Schatzanweisungen mehr oder weniger der Reichsbank im Rediskont zuströmen. In noch viel höherem Maße müßte dies bei Eintritt einer Panik der Fall sein. Selbstverständlich wäre es dann auch nicht möglich, die an Stelle der fällig gewordenen Schatzanweisungen neu auszugebenden Stücke im freien Verkehr unterzubringen. Die Folge würde ein weiteres außerordentliches Wachsen der Anlage in Verbindung mit einem weiteren außerordentlichen Anwachsen des Notenumlaufs sein.

Zurzeit beruht der Kredit der Reichsbanknote demgemäß im Grunde genommen völlig auf dem Reichskredit. Nach außen hin tritt dieses Verhältnis freilich nicht klar in die Erscheinung. Tatsächlich ist denn auch bisher der Kredit der Reichsbank unerschüttert geblieben. Er besteht jetzt noch unabhängig neben dem zweifellos stark erschütterten Reichskredit, aber es ist zu besorgen, daß, wenn die Zunahme der schwebenden Schuld und die dadurch bedingte Zunahme des Notenumlaufs in der bisherigen Weise fortdauert, auch die Reichsbank das Vertrauen, das sie im Inlande wie im Auslande genießt, nicht wird bewahren können, und daß alsdann die schon jetzt so starke Entwertung der deutschen Valuta sich bis zu einem Grade steigert, der die Verwendung der Papiermark zur Begleichung von Zahlungen an das Ausland überhaupt unmöglich macht. Damit wäre jede Hoffnung auf einen Wiederaufbau unseres wirtschaftlichen Lebens geschwunden.

Angesichts dieser Lage müssen wir vom Standpunkte der Reichsbank darauf dringen, daß dem Anwachsen der schwebenden Schuld unter allen Umständen[43] Einhalt geboten wird. Nur mit Hilfe äußerster Sparsamkeit und bei schleunigster Durchführung eines umfassenden, die Deckung der Reichsausgaben durch eigene Einnahmen ermöglichenden Steuerprogramms läßt sich das Ziel erreichen7.

Wir haben uns bisher der Diskontierung von Schatzanweisungen nicht versagt und an diesem Standpunkte auch festgehalten, als – wie oben näher dargelegt – nach Ausbruch der Revolution die Ansprüche an die Reichsbank sich in verstärktem Maße fortsetzten. In keinem Falle glaubten wir während der Dauer des Krieges dem Reich die Mittel verweigern zu dürfen, deren es zur Deckung der Staatsnotwendigkeiten bedurfte, und die sich unter den obwaltenden unsicheren und verworrenen Verhältnissen auf dem Wege der Besteuerung noch nicht beschaffen ließen. Allerdings hätte die Flüssigkeit des Geldmarktes dem Reiche gestattet, die Schatzanweisungen, wenn die Reichsbank deren Ankauf ablehnte, wenigstens vorläufig im freien Markte unterzubringen. Damit wäre aber die Lage der Reichsbank nicht gebessert gewesen, es sei denn, daß die Reichsbank sich auch zu dem weiteren, für den Reichskredit verhängnisvollen Schritt entschlossen hätte, die vom Schatzamt im freien Markt begebenen Schatzanweisungen, wenn sie von dort im Rediskont der Reichsbank zuflossen, gleichfalls zurückzuweisen. Wir sind deshalb der Meinung, daß die Vorwürfe, die wegen unseres Verhaltens in der Öffentlichkeit (beispielsweise in Nr. 227 des Berliner Tageblatts vom 21. Juni und in der Berliner Börsenzeitung vom 29. Mai) gegen uns gerichtet worden sind, der Begründung entbehren. Der Friedensschluß wird jedoch eine Änderung in den angedeuteten Verhältnissen mit sich bringen, die uns ernstlich vor die Frage stellt, ob wir die unbegrenzte Aufnahme von Reichsschatzanweisungen fernerhin noch mit der uns obliegenden Verantwortung werden vereinbaren können8.

Aber mit der Verhinderung eines weiteren Anwachsens der schwebenden Schuld allein ist es nicht getan. Vielmehr muß gleichzeitig die alsbaldige Abbürdung wenigstens eines erheblichen Teils dieser Schuld nachdrücklichst in Angriff genommen werden.

Wir möchten deshalb am Schlusse dieser grundsätzlichen Ausführungen auch unsererseits den Versuch machen, Wege zu finden, auf denen dieses Ziel erreicht werden könnte.

Als solche Wege sind von vornherein gegeben:

I. Die bereits in unserem Schreiben vom 11. Juni Nr. 21177 empfohlene Umwandlung des in Belgien und Nordfrankreich liegenden deutschen Papiergeldes von ca. 8 Milliarden Mark in eine deutsche Markanleihe9. Daß Belgien[44] und Frankreich einer dahingehenden Vereinbarung zustimmen, läßt sich annehmen. Wir müssen aber unter allen Umständen abwarten, bis von feindlicher Seite die Initiative zu entsprechenden Verhandlungen ergriffen wird.

II. Die große Vermögensabgabe.

Sie wird zum Teil, wie das versprochen ist, in Kriegsanleihe angenommen werden müssen, zum Teil aber – etwa zu ½ – in bar eingefordert werden können. Sie kann daher für die Abbürdung der schwebenden Schuld immerhin einen starken Erfolg haben, aber er wird nicht ausreichen. Denn neben den Besitz- und Zuwachssteuern wird ihre Bemessung immerhin begrenzt sein; in einem Betrage, wie er jetzt durch die Zeitungen läuft, von 80 oder 90 Milliarden wird sie sich wahrscheinlich, wenigstens wenn sie in absehbarer Frist eingehen soll – und nur dann nützt sie der schwebenden Schuld entscheidend –, als unmöglich erweisen10.

III. Bei dieser Lage der Dinge möchten wir einen Gedanken zur Erwägung stellen, der sich mit einem Vorschlage berührt, den der frühere badische Finanzminister Rheinboldt in der Frankfurter Zeitung vom 20. Mai 1919 (Nr. 370 Abendblatt; vgl. auch Nr. 443 Abendblatt vom 18.6.19) zur Diskussion gestellt hat, den Gedanken einer Zwangsanleihe lediglich zur Konsolidierung der schwebenden Schuld und vor der Einhebung der großen Vermögensabgabe. Wir würden den Gedanken etwa wie folgt formulieren:

Es wird eine Zwangsanleihe ausgeschrieben dergestalt, daß jeder deutsche Besitzer von mehr als 10 000 M Vermögen – berechnet nach dem Stande vom 31. Dezember 1918, wofür die Unterlagen jetzt durch die angeordneten Vermögensverzeichnisse überall alsbald vorhanden und zu beschaffen sind – verpflichtet wird, ein Drittel des diesen Betrag überschreitenden Vermögens in dieser Zwangsanleihe anzulegen. Für Aktiengesellschaften und sonstige juristische Personen (Stiftungen pp.) müßte der Pflichtanteil wohl sehr stark, etwa auf 5% ermäßigt werden. Es soll aber jeder Zwangsanleihepflichtige berechtigt sein, auf dieses ⅓ oder 1/20 den in seiner Deklaration für den 31.12.18 ausgewiesenen Besitz an deutschen Kriegsanleihen in Anrechnung zu bringen, also insoweit von Übernahme der Zwangsanleihe freibleiben.

Als Typ käme etwa eine 4%ige von keiner Steuer befreite, in 50 Jahren auslosbare Anleihe in Frage mit einem Kurs von 80–85% (entsprechend dem Auflagekurs von 98% der 5%igen Anleihen und den günstigen Auslosungschancen).

Die Einhebungsfrist wäre etwa 1–1½ Jahre in drei Staffeln zu 40–30–30% zu bemessen. Weitere Befristungen bei industriellen, landwirtschaftlichen Betrieben pp. aus Gründen der Billigkeit würden ebenso zu behandeln sein wie bei der großen Vermögensabgabe.

Die Anleihe müßte – und zwar zum Ausgabekurse – ebenso und im gleichen Verhältnis wie die Kriegsanleihen auf die große Vermögensabgabe in Zahlung gegeben werden können.

[45] Eine solche Zwangsanleihe hätte den großen Vorteil

1.

daß sie in ausgleichender Gerechtigkeit diejenigen Kapitalisten, die sich in der Not dem Reiche versagt hatten, nachträglich zwänge, wenigstens in annähernd gleichem Maße sich an der Reichskriegsschuld zu beteiligen,

2.

daß dadurch der Besitz an Reichsanleihen einigermaßen gleichmäßig auf das ganze Volk verteilt würde und dementsprechend alle Kapitalbesitzer an dem finanziellen Stande und dem Gedeih und Verderb des Reiches interessiert würden,

3.

daß die durch die Finanzlage des Reiches etwa gebotene Sonderbelastung der Zinseinnahmen (Kapitalrentensteuer oder stärkere Heranziehung der Steuerquelle der Zinseinnahmen durch Sonderzuschläge bei einer Reichseinkommenssteuer, Konvertierung der Reichsanleihen usw. annähernd gleichmäßig den gesamten Kapitalbesitz treffen würde,

4.

daß endlich wohl erhebliche Teile der jetzt aufgespeicherten Geldbeträge dadurch herausgezwungen würden.

Das Ergebnis der Zwangsanleihe dürfte mit 20 Milliarden nicht zu hoch geschätzt sein, könnte aber leicht darüber hinausgehen.

Bereits vor dem Kriege wurde bei vorsichtiger Schätzung das steuerbare Privatvermögen des deutschen Volkes auf 200–220 Milliarden angenommen. Dies steht auch mit den Ergebnissen der preußischen Ergänzungssteuer im Einklang, deren Veranlagungssoll – ohne Zuschläge – für 1914/16 56,3 Millionen betrug, was einem Reichssoll von 90 Millionen und einem steuerpflichtigen Vermögen von 180 Milliarden entsprechen würde. Die Ergänzungssteuer hat aber sehr viele an sich steuerpflichtige Vermögen gar nicht, viele andere nicht vollständig erfaßt und bleibt zweifellos erheblich hinter der Wirklichkeit zurück11. Die jetzt angeordnete Deklaration wird einen sehr viel höheren Ertrag ergeben.

Die Privatvermögen haben aber während des Krieges und durch die Kriegswirtschaft einen sehr bedeutenden Zuwachs erfahren und den überwiegenden Teil der gewaltigen Hypothek, die das Reich durch die Kriegsanleihen aufgenommen hat, sich inkorporiert. Wenn auch ein starker Teil dieses Zuwachses inzwischen durch Betriebsverluste oder Verteuerung, durch Kursentwertung usw. wieder verloren, ein Teil auch durch Steuerflucht außer Landes gegangen ist, so wird doch mit Sicherheit angenommen werden können, daß das steuerbare Privatvermögen noch heute erheblich höher ist als vor dem Kriege. Nimmt man es aber – nach Abzug der oben bezeichneten von der Steuer frei bleibenden Beträge – auch nur mit etwa 225 Milliarden an, so würde das der Zwangsanleihe unterliegende Drittel rund 75 Milliarden betragen. Und wenn man weiter vielleicht annehmen kann, daß auf diese 75 Milliarden etwa ⅔, also 50 Milliarden, durch Anrechnung der im Besitz der Anleihepflichtigen befindlichen Kriegsanleihe zum Ausgleich kommen mögen, so verbliebe immer noch ein Baraufkommen von etwa 25 Milliarden für die Abdeckung der schwebenden[46] Schuld. Aber schon eine Konsolidierung von 20 Milliarden wäre ein sehr starker Schritt zur allmählichen Gesundung unserer Finanzen und zur Abminderung der oben gedachten Gefahren.

Daß die Aufbringung so großer Bareinzahlungen sehr erhebliche Schwierigkeiten hervorrufen wird, steht außer Zweifel, zumal wenn sich daran im Zusammenhange mit der großen Vermögensabgabe noch eine weitere große Barzahlung anschließen soll. Indes ohne sehr starke Eingriffe läßt sich die Finanznot des Reiches nicht heben, und die Aufbringung erscheint uns, wenn in beiden Fällen den Billigkeitsrücksichten entsprechende Rechnung getragen wird, durchaus möglich. Das deutsche Volk hat in jedem der vier Kriegsjahre dank der großen vorhandenen Geldflüssigkeit 20 bis 25 Milliarden an Kriegsanleihen durch Barzahlungen aufgebracht, und das Jahr 1918 hat mit der 8. und 9. Kriegsanleihe und der Zwischenanleihe vom Juni 1918 sogar alle früheren Jahre und selbst die Summe von 25 Milliarden noch übertroffen. Diese Geldflüssigkeit dauert einstweilen noch unvermindert an. Die fremden Gelder der Banken, die Einlagen bei den Sparkassen wachsen noch unausgesetzt weiter und dürfen bei den deutschen Banken mit mehr als 40, bei den öffentlichen Sparkassen mit mehr als 35 Milliarden angenommen werden. Rechnet man hierzu die Guthaben bei den Genossenschaften und die aufgespeicherten Gelder, so ergibt sich ein Gesamtbetrag an für Anlagen verfügbaren oder flüssig zu machenden Geldern und Guthaben von mehr als 80 Milliarden, und es kann angenommen werden, daß jedenfalls ein sehr großer Teil der Zwangsanleihe unmittelbar aus diesen baren Mitteln und Guthaben zur Abdeckung kommen wird. Für den Rest, der durch Darlehen oder Effektenverkäufe wird bezahlt werden müssen, bieten jene gewaltigen Reserven des Geldmarktes aber ebenso die Mittel und die Aufnahmemöglichkeit wie bei den Kriegsanleihen.

Jedenfalls muß auf jedem gangbaren Wege und mit allen Kräften dahin gestrebt werden, die umlaufenden Schatzanweisungen auf ein erträgliches Maß herabzumindern. Nur so kann es gelingen, eine Kontraktion des Notenumlaufs zu erzielen, aus der sich die Möglichkeit ergibt, die Darlehensentnahmen der Seehandlung bei der Darlehenskasse in Fortfall zu bringen. Der Darlehnskasse wäre damit ihre ursprüngliche Bestimmung, ausschließlich dem freien Verkehr zu dienen, zurückgegeben. Daß sie vom Verkehr bei Wiedereinsetzen der wirtschaftlichen Tätigkeit in weitem Umfange in Anspruch genommen werden wird, steht zu vermuten. Unter dieser Voraussetzung würden die auf effektiven Darlehen gegründeten, durch die hinterlegten Effekten, das Vermögen der Darlehensnehmer und die Garantie des Reiches gesicherten Darlehenskassenscheine wieder als ein bankpolitisch nicht ungeeigneter Ersatz für die Bardeckung gelten können12. Im Portefeuille der Reichsbank hingegen würden an Stelle der abgebürdeten Schatzanweisungen die durch Wiedererwachen des Verkehrs bedingten Handelswechsel treten, und damit wäre wieder eine gesunde[47] Grundlage für die Notenausgabe und für den Kredit der Reichsbank gewonnen.

Eine Abschrift dieses Schreibens haben wir dem Herrn Präsidenten des Reichsministeriums vorgelegt13.

Reichsbank-Direktorium.

Havenstein

Glasenapp

Fußnoten

1

Es handelt sich hier um die Zweitschrift, die die Rbk am gleichen Tage dem RMin-Präs. zusendet. Das Schreiben wird am 10. 7. vom UStSRkei abgezeichnet. Zum weiteren Geschäftsgang s. u. Anm. 13.

2

Zur Reichsschuldentwicklung vgl. Dok. Nr. 17, insbesondere Anm. 6.

3

Gemeint ist die Hauptverwaltung der Darlehenskassen bei der Rbk. – Durch das Darlehenskassengesetz vom 4.8.14 (RGBl. S. 340 ) war zur Befriedigung des hohen Kreditbedarfs bei Kriegsbeginn die Möglichkeit geschaffen worden, Darlehenskassen zu errichten, die gegen Verpfändung von Waren und Wertpapieren ein besonderes Geld, die Darlehenskassenscheine, ausgaben. Diese waren nicht jederzeit in bar einlösbar, erlangten jedoch dadurch allgemeine Umlauffähigkeit, daß sie an öffentlichen Kassen zum Nennwert anzunehmen waren.

4

Gemeint ist die „Preußische Staatsbank (Seehandlung)“; der Name geht auf ein ursprünglich von Friedrich II. als Geldbeschaffungsinstitut für den pr. Staat 1772 gegründetes Unternehmen zurück.

5

Vgl. Dok. Nr. 7, P. 5, Anm. 10.

6

Nach § 2 des Darlehenskassengesetzes vom 4.8.1914 (RGBl. S. 340 ) durften die von der Rbk eingelösten Darlehenskassenscheine dem Barvorrat der Kassen hinzugerechnet und im Sinne der Bestimmungen des Bankgesetzes vom 14.3.1875 (RGBl. S. 177 ) – wie Goldmünzen, Reichskassenscheine und Barrengold – zur Bardeckung der von der Rbk und den Privatnotenbanken ausgegebenen Noten herangezogen werden.

7

Vgl. dazu Dok. Nr. 24.

8

In einem Nachtrag zu dem vorliegenden Schreiben weist die Rbk auf die „weitere wesentliche Verschlechterung“ der Finanzlage seit dem Stichtag (15. 6.) hin: „Alles in allem hat sich der Papiergeldumlauf hiernach in den letzten beiden Juniwochen um nicht weniger als 2,5 Milliarden Mark erhöht. […] Geschieht in der Sache nichts und wächst die schwebende Schuld weiter wie bisher, so ist der Tag nicht mehr fern, an dem wir die unbeschränkte Diskontierung von Reichsschatzanweisungen einstellen müssen, wenn nicht die Reichsbank und damit das gesamte deutsche Wirtschaftsleben zugrunde gerichtet werden soll.“ (Das Rbk-Direktorium an den RFM; Abschrift an den RMinPräs.; 14.7.19; R 43 I /2391 , Bl. 10 f.)

9

Zum Gesamtzusammenhang s. Dok. Nr. 94.

10

Vgl. dazu Dok. Nr. 22, P. 1.

11

Vgl. dazu die Vorlage des Entw. eines Reichsergänzungssteuergesetzes (Dok. Nr. 138, P. 5).

12

Zur Fortentwicklung der gesetzlichen Bestimmungen über die Bardeckung s. diese Edition: Das Kabinett Fehrenbach, Dok. Nr. 167.

13

Mit Schreiben vom 28. 7. bittet der UStSRkei den RFM, zu den Vorschlägen des Rbk-Direktoriums – insbesondere der Auflegung einer Zwangsanleihe – Stellung zu nehmen (Konzept; R 43 I /2391 , Bl. 12). Daraufhin antwortet der RFM: „Die Abbürdung der schwebenden Schuld des Reiches bei der Reichsbank erachte ich als eine dringende Aufgabe, mit deren Lösung ich beschäftigt bin. Ich denke zunächst an die Auflegung einer Prämienanleihe, da ihr keine Veranlagung, wie sie bei einer Zwangsanleihe nötig ist, vorauszugehen hat. Darüber, inwieweit in Verbindung mit ihr die Ankündigung einer Zwangsanleihe zweckmäßig ist, schweben Erwägungen“ (Der RFM an den UStSRkei, 7.8.19; R 43 I /2391 , Bl. 13). – Zum Fortgang s. Dok. Nr. 49, P. 2.

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