1.168.1 (bru3p): 1. Finanzierung der Erwerbslosenfürsorge und Arbeitsbeschaffungsprogramm.

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1. Finanzierung der Erwerbslosenfürsorge und Arbeitsbeschaffungsprogramm.

Die Besprechung1 ging aus von der in Anlage 1) beigefügten Aufzeichnung des Reichsfinanzministeriums über die Notwendigkeit einer Reform in der Arbeitslosenversicherung2. Diese Aufstellung war am Tage zuvor Gegenstand einer Ressortbesprechung gewesen. Aufgrund dieser Ressortbesprechung war die in Anlage 2) beiliegende Zusammenstellung über die finanzielle Entwicklung der Arbeitslosenhilfe in den Rechnungsjahren 1931/32 gefertigt worden3.

Ministerialdirektor Weigert erläuterte die Einzelheiten dieser Anlage 2).

[2319] Anschließend erläuterte er die in Anlage 3) beiliegende Zusammenstellung der Maßnahmen zur anderen Verteilung der vorhandenen Arbeitsgelegenheit sowie über Maßnahmen zur Vermehrung der vorhandenen Arbeitsgelegenheit4.

In der Aussprache wurde festgestellt, daß man an sich wohl Mittel und Wege finden könne, die Fehlbeträge für die Arbeitslosenhilfe durch organisatorische Reformen und durch materielle Kürzungen der Leistungen zu beseitigen.

Der Reichsarbeitsminister wies aber darauf hin, daß es wohl kaum möglich sein werde, noch vor den bevorstehenden politischen Wahlen die erforderlichen Reformen durchzuführen. Er wies ferner darauf hin, daß der große Gewerkschaftskongreß der freien Gewerkschaften bevorstehe5 und daß man mit der von dort ausgehenden Kritik werde rechnen müssen. Infolgedessen werde das notwendige Reformprogramm wohl noch eine Zeitlang in der Luft hängen bleiben müssen. Die Lage werde sich dadurch nur schwieriger gestalten. Das Maß der notwendigen Ersparnisse werde sich, wenn man länger warte, auf einen immer kürzer werdenden Zeitraum beschränken, mit anderen Worten, wenn man sofort handele, werde man die Ersparnisse auf die vollen zwölf Monate des kommenden Rechnungsjahres verteilen können. Wenn man aber warte, würden die restlichen Monate des kommenden Rechnungsjahres um so stärker belastet werden müssen, um die notwendige Gesamtersparnis sicherzustellen. Im übrigen werde man Leistungskürzungen den betroffenen Arbeitnehmerschichten nur dann zumuten können, wenn gleichzeitig ein zufriedenstellendes Arbeitsbeschaffungsprogramm zustande kommt.

Der Reichskanzler erklärte, daß es nach seiner Meinung bei dem ganzen Fragenkomplex ausschlaggebend darauf ankomme, ob es gelinge, ausreichende Geldmittel für ein Arbeitsbeschaffungsprogramm freizumachen6. Denn nur dann, wenn man der Arbeiterschaft die Aussicht auf Mehrbeschäftigung gebe, könne man ihr auf dem Gebiete der Leistungskürzung in der Sozialversicherung weitere Kürzungen zumuten. Kürzungen ohne Arbeitsbeschaffung seien nicht durchsetzbar.

Der Reichsminister der Finanzen erwiderte, daß er glaube, mit der Reichsbank über die Finanzierung eines Arbeitsbeschaffungsprogramms reden zu können, sofern feststehe, daß das Reich nicht seinerseits gezwungen sein werde, Mittel der Reichsbank für die Durchhaltung des Reichsetats in Anspruch zu nehmen. Zunächst müsse daher der Reichsetat ausgeglichen sein. Dieser Ausgleich werde jedoch nur dann erreicht werden können, wenn das Defizit für die Arbeitslosenhilfe durch die in Aussicht genommenen Reformmaßnahmen beseitigt sein werde.

Reichskommissar Dr. Goerdeler entwickelte sodann seine Ansichten über die Möglichkeiten zur vermehrten Arbeitsbeschaffung7.

Beschlüsse wurden nicht gefaßt.

[2320] Der Reichskanzler bat, den Fragenkomplex im Kreise der Ressorts weiter zu erörtern und zu fördern. Beschlüsse halte er erst dann für möglich, wenn die Reichspräsidentenwahl erledigt sei8.

Fußnoten

1

Vgl. Dok. Nr. 644.

2

MinDir. Graf Schwerin v. Krosigk hatte diese Aufstellung StS Pünder am 16.2.32 übersandt. Die Aufzeichnung zur Reform der ALV ging von einem Fehlbetrag von 100 MioRM aus. Hinzu käme das Defizit Preußens in Höhe von ebenfalls 100 MioRM (vgl. Dok. Nr. 655 und Dok. Nr. 660). Dieser Betrag lasse sich vom Reich nur ausgleichen durch Erhöhung des Münzgewinns und Streichung von 100 MioRM für Gemeindewohlfahrtslasten. Die Erwerbslosenzahlen betrugen 1929 2 Mio., 1930 3,46 Mio, 1931 4,85 Mio; für 1932 rechnete das RArbMin. mit 5,6–5,7 Mio. Hiervon entfielen auf die ALV 1,5 Mio., auf die Krisenfürsorge 1,75 Mio. und auf die Wohlfahrtserwerbslosenfürsorge 2,35 Mio., wobei hierin auch die Zahl der Nichtunterstützten in Höhe von 700 000–800 000 enthalten waren. Auf die eigentliche Wolu würden also nach Schätzung des RArbMin. 1,85 Mio. Erwerbslose entfallen, während der Dt. Städtetag mit 2,3 Mio. rechnete. Zur finanziellen Belastung führte das RFMin. aus, daß bei 5,6 Mio. Arbeitslosen die Unterstützungskosten 3531 MioRM betrügen. Hiervon würden entfallen auf die ALV 1143 MioRM, außerdem 1008 MioRM auf das Reich für vier Fünftel der Krisenfürsorge und 1380 MioRM auf die Gemeinden für Wohlfahrtsunterstützung und ein Fünftel Krisenfürsorge. 1931 hätten die Gemeinden schätzungsweise insgesamt 1050 MioRM aufgewandt, wovon das Reich ihnen 230 MioRM erstattet hätte; für 1932 müßten die Gemeinden 560 MioRM mehr als 1931 aufbringen, wenn sie vom Reich keinen Zuschuß mehr erhielten. Das Reich habe 1931 für die Kru 905 MioRM ausgegeben, müßte mithin 1932 100 MioRM mehr leisten. Wenn das Reich einen gedeckten Haushalt vorlegen und das Defizit Preußens abdecken sollte, könnte es 1932 keinen höheren Betrag für die Kru aufwenden als 1931. Es müßten also 100 MioRM eingespart werden. Ein Überwälzen der Wohlfahrtslasten könne den Gemeinden nicht mehr zugemutet werden, es müßten vielmehr 400 MioRM bei den Gemeinden eingespart werden, und auch dann hätten die Gemeinden 1932 ein Mehr von 160 MioRM für Wohlfahrtslasten aufzubringen. Das RFMin. zog daraus den Schluß, daß eine Reform der ALV notwendig sei, die den angenommenen Bedarf von 3,5 Mrd. RM um 500 MioRM auf 3 Mrd. RM senkt. MinDir. Graf Schwerin v. Krosigk hatte StS Pünder in seinem Begleitschreiben gebeten, sich diese Zahlen durch den Kopf gehen zu lassen und auch den RK darauf aufmerksam zu machen. „Wir sind hier, wie auch in den vergangenen Jahren, wieder bei dem entscheidenden Punkt angekommen“ (Schreiben Krosigks mit Anlage in R 43 I /2042 , Bl. 222–225).

3

Die Aufstellung „Die finanzielle Entwicklung der Arbeitslosenhilfe in den Rechnungsjahren 1931 und 1932“ vom 17.2.32 gliederte die vom RFMin. vorgelegten Zahlen nach Arbeitslosen, monatlichen Unterstützungsaufkommen, Beitragsaufkommen, Deckungsmitteln und Fehlbeträgen bzw. Überschüssen auf (R 43 I /1454 , Bl. 173–174).

4

Diese Zusammenstellung ist dem Protokoll entgegen der Randnotiz (Anl. 3) nicht beigefügt; sie ließ sich auch nicht in den einschlägigen Sachakten des Bestandes RKei ermitteln.

5

Vgl. Dok. Nr. 699, P. 10.

6

Vgl. dagegen die Äußerung von StS Geib in Dok. Nr. 670.

7

Vgl. Dok. Nr. 644.

8

Vgl. hierzu Dok. Nr. 713 und Dok. Nr. 715, P. 2.

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