1.95 (bru3p): Nr. 609 MdR Wilhelm Simpfendörfer an den Reichskanzler, 18. Dezember 1931

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Nr. 609
MdR Wilhelm Simpfendörfer an den Reichskanzler, 18. Dezember 1931

R 43 I /2686 , Bl. 12–14

Betrifft: Forderungen des Christlich-Sozialen Volksdienstes

Hochverehrter Herr Reichskanzler!

Im Auftrag der Fraktion des Christl. Volksdienstes möchte ich Ihnen in Ergänzung unserer Aussprache vom 15. Dezember und der an die Presse gegebenen Entschließung der Fraktion nachstehend unsere Auffassung zur politischen Lage zur Kenntnis bringen.

[2113] Die Notverordnung ist nach unserer Überzeugung nur unter zwei Voraussetzungen, von deren Erfüllung der Volksdienst seine endgültige Stellungnahme abhängig machen muß, tragbar:

1.

Die Preissenkung muß auf allen Gebieten sofort rücksichtslos durchgeführt werden1. – Über die Beseitigung einzelner sozialer Härten wird die Fraktion sich erlauben, baldigst Vorschläge zu machen.

2.

Die Regierung muß die Notverordnung als schärfste Waffe und letzte Reserve im Kampf um die endgültige Beseitigung der Tribute auswerten. Die Volksdienstfraktion vertritt dabei den Standpunkt, daß Sie, Herr Reichskanzler, in dem eingeleiteten Kampf die endgültige Entscheidung über die Tributfrage suchen und sichern müssen. Wir verkennen keineswegs die großen Schwierigkeiten, die der Erfüllung dieser Forderung entgegenstehen.

Trotzdem sind wir der Überzeugung, daß für die deutsche Regierung keine andere Haltung in Frage kommen kann, und zwar aus folgenden zwingenden Gründen:

1.

Der wirtschaftliche Widersinn und die tödliche Gefahr der Tributzahlungen für die Weltwirtschaft ist gerade jetzt mit größter und nicht mehr zu überbietender Eindringlichkeit deutlich gemacht worden. Deutschland kann sich dabei auf das Urteil führender Staatsmänner der ganzen Welt und auf das Zeugnis anerkannter wirtschaftlicher Sachverständiger berufen. Eine Fortführung der Verelendungspolitik könnte nur noch die vollendete Katastrophe zur Folge haben.

2.

Ein Moratorium könnte diese deutscherseits mit übermenschlichen Opfern erkaufte Erkenntnis der Welt nur erneut verschleiern. Zudem ist ganz undenkbar, daß durch ein solches Moratorium das verloren gegangene Vertrauen, die tiefste Ursache der Krise, wieder zurückgewonnen werden könnte. Würde aber doch eine vorübergehende Besserung eintreten, so würde das für Deutschland eine erneute Erschwerung seines Kampfes bedeuten. Weitere und wohl noch größere Erschütterungen müßten unter ungünstigeren Bedingungen in Kauf genommen werden.

3.

Das Interesse der privaten Gläubiger Deutschlands ist zur Zeit eine der wirksamsten Hilfen in unserem Kampfe gegen die Tribute, da das Interesse großer Staaten durch diese Kapitalverflechtung aufs engste mit dem deutschen Schicksal verbunden ist2. Eine Hinausschiebung der Entscheidung im Revisionskampf würde es mit sich bringen, daß diese Staaten, sicher unterstützt [2114] von Frankreich, so rasch als möglich diese Verkoppelung lösen, und sich dadurch wieder völlig freie Hand in der Tributfrage sichern würden.

4.

Der innerpolitische Kampf um die Rettung des deutschen Staates kann nur noch auf dem Wege klarer und endgültiger außenpolitischer Entscheidungen gewonnen werden.

Die Fraktion des Volksdienstes ist der Auffassung, daß gerade Sie, hochverehrter Herr Reichskanzler, diese Entscheidungen herbeiführen müssen. Die Welt wird es nicht nur verstehen, sondern es Ihnen danken, wenn Sie mit unbeugsamer Entschlossenheit die Verantwortung für eine weitere nur provisorische Lösung ablehnen. Ja, noch mehr: Nicht nur in Deutschland, sondern weiterhin in der ganzen Welt wartet man auf eine solche befreiende Tat gerade von Ihrer Seite.

Zum Schlusse fühle ich mich gedrungen, mit allem Ernste darauf hinzuweisen, daß der Volksdienst die Regierung bei solcher Führung des Kampfes wie seither mit Einsatz aller Kräfte unterstützen würde, daß ich aber bei einer anderen Haltung der deutschen Regierung keine Möglichkeit für den Volksdienst mehr sehen würde, die Politik der Regierung noch weiterhin zu stützen.

Mit den herzlichsten Wünschen für die Festtage und mit der Versicherung ganz ausgezeichneter Hochachtung bin ich

Ihr ergebener

M. Simpfendörfer MdR

Fußnoten

1

Die Abgeordneten Simpfendörfer und Rippel hatten die Rkei am 1.12.31 aus Stuttgart angerufen und verlangt, daß die Lohn- und Gehaltssenkung mit einer deutlichen Zäsur nach der Ermäßigung der Zinsen, Tarife und Preise von der RReg. angeordnet werden solle. „Die Lohn- und Gehaltskürzungen dürften erst in einem zweiten Akt verordnet werden, wenn die Auswirkungen des ersten Schritts hinsichtlich der Preise, Zinsen und Mieten sichtbar vorhanden seien. Werde eine solche klare Trennung nicht vorgenommen, so würde für den Christlich-Sozialen Volksdienst eine völlig untragbare Lage entstehen, vor der die beiden Herren nicht ernst genug warnen könnten“ (Vermerk von ORegR Planck vom 1.12.31, R 43 I /1161 , Bl. 88). StS Pünder hatte den RT-Abg. Simpfendörfer in einem Telefongespräch am 2.12.31 beruhigt (Handschriftlicher Vermerk Pünders mit Vidimierungsstrich des RK, a.a.O.).

2

Vgl. auch die entsprechenden Überlegungen der RReg. in Dok. Nr. 522 und 528. Zur Haltung des ChrSVD siehe auch Dok. Nr. 769.

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